Predigt zu Lukas 13,1

PREDIGT
ZU LK 9,28B-36
2. SONNTAG DER ÖSTERLICHEN BUßZEIT
21.02.2016
Evolène, ein kleiner Ort in der Schweiz, im Kanton Wallis. Meine zweite Jugendreise. Ich war
15 und unsterblich verliebt in Elke. Meine zweite längere Begegnung mit den Bergen. Ich
empfand die Wanderungen als anstrengend. Aber sie waren wunderschön. Wenn wir einen
sonnigen Ort an einem Bergsee erreicht hatten, wollten wir verweilen. Wenn wir von einem
Aussichtspunkt das Panorama bestaunen konnten, haben wir es fotografiert, um es nach
Hause zu tragen. Wohlgemerkt haben wir ein oder zwei Fotos gemacht, auf einen Kleinbildfilm. Erst Zuhause konnten wir sehen, ob sie was geworden waren.
Vier Jahre später war ich als Leiter mit Kindern unterwegs in den Bergen. Wir wurden von
einem Unwetter überrascht. Wir kamen vom Weg ab und mussten uns auf nassem und rutschigem Terrain an einem Abhang entlang in Sicherheit bringen.
Mit 28 Jahren habe ich das Skifahren gelernt. Seit 1992 fröne ich dieser Leidenschaft. Ein
herrlicher Sport auf weißen sonnendurchfluteten Pisten. Ein gefährlicher Sport bei Nebel,
Schneesturm und Lawinen.
Soweit meine eindrücklichsten Erfahrungen mit den Bergen.
Ein Berg begegnet uns am heutigen Sonntag im Evangelium. Wir erleben Menschen, die
sich auf den Weg machen: Jesus, der in der Einsamkeit beten will, mit seinen Freunden
Petrus, Johannes und Jakobus. Diese Erzählung kennt eine Parallele zur Nacht vom Gründonnerstag auf den Karfreitag. Auch im Garten Gethsemane auf dem Ölberg betet Jesus
und seine Freunde schlafen ein.
Schauen wir uns an, was die Menschen auf den beiden Bergen erleben:
Petrus, Johannes und Jakobus sind geblendet. Vielleicht auch ein wenig verblendet. Sie
wollen Hütten bauen. Das heißt, sie wollen festhalten, manifestieren, zum Stillstand kommen. Die Erfahrung kennen wir. Wir haben Fotoapparate, um solche Augenblicke festzuhalten. Ein aussagekräftiges Wort, dass wir durch Fotos und Filmaufnahmen etwas festzuhalten suchen. Manchmal nehmen Menschen erst beim Betrachten der Fotos war, was sie gesehen haben, weil sie in der Situation selbst zu sehr damit beschäftigt waren, es festzuhalten. Im Leben unserer Kirche, im Leben unserer Gemeinde liegt die Lösung in der Balance.
Wir sollen bewahren und fortschreiten, in Bewegung bleiben.
Petrus, Johannes und Jakobus geraten in eine Wolke. Ich erinnere mich an die Tour im Unwetter mit den Kindern und an so manchen Schneesturm auf der Piste. Da kann einem
angst und bange werden. Angst hat auch Jesus. Er schwitzt Blut und Wasser, so lesen wir.
Als Kirche, als Gemeinde ist uns dieses Gefühl nicht fremd.
Angst ist der allerschlechteste Ratgeber. Aus Angst wird Missbrauch vertuscht. Aus Angst
werden Kriege begonnen. Aus Angst verbietet man die konfessionsübergreifende Feier von
Eucharistie und Abendmahl. Aus Angst gehen wir nicht selten klärenden Gesprächen aus
dem Weg. Aus Angst verletzen wir uns oder sprechen gar nicht mehr miteinander.
Wir werden die Angst nicht aus unserem Leben eliminieren können, aber wir können jeglicher Angst Vertrauen entgegensetzen.
Ich vertraue darauf, dass miteinander sprechen etwas bringt.
Ich vertraue darauf, dass mein Gegenüber auch Angst kennt und wir uns gegenseitig aufrichten können.
Ich vertraue darauf, dass die ehrliche Konfrontation mit der eigenen Schuld reinigend und
befreiend sein kann.
Ich vertraue darauf, dass auch mein Gegenüber nach Anerkennung und Liebe sucht, genau
wie ich.
Und schließlich vertraue ich darauf, dass Gott mir diese Anerkennung und Liebe schenkt,
bedingungslos.
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Die Jünger auf dem Berg Tabor und die Jünger auf dem Ölberg sind überfordert. Auch wir in
Kirche und Gemeinde machen immer wieder Erfahrungen mit unseren Grenzen. Da kann
man drüber hinwegtäuschen, sich selbst und andere. Oder wir stellen uns der Tatsache. Wir
verschlafen, wo wir gebraucht werden. Wir würden gerne diesem Jesus folgen und gerecht
und bescheiden, barmherzig und friedvoll, gerecht und mutig sein, aber es gelingt uns nicht,
jedenfalls nicht immer.
Da gibt es nur einen Weg. Wir schauen in den Spiegel und sagen: Nein, ich bin nicht selig.
Nein, ich bin nicht heilig. Jedenfalls nicht von mir aus. Auch, wenn ich alles geben will, irgendwo hakt es immer. Aber ja: Ich bin selig. Ja, ich bin heilig. Weil Gott mich liebt.
Ich bin nicht gut, weil ich alles richtigmache. Aber ich bin gut, weil Gott mich geschaffen hat.
Ich bin nicht fehlerlos, aber Gott liebt mich trotzdem.
Ich bin nicht schuldlos, aber Gott verzeiht mir, immer wieder.
Lebendige Gemeinde folgt diesem Vorbild: Wir können einander schätzen, respektieren,
bestenfalls lieben, weil wir alle eine Mischung aus Liebenswertem und Fehlerhaftem sind.
Wir können einander verzeihen, weil wir alle Gutes und Liebevolles tun, weil wir aber auch
alle immer wieder Schuld auf uns laden.
Und ein letztes: Die Menschen auf den Bergen sind voller Hoffnung. Die Jünger auf dem
Berg Tabor und auf dem Ölberg. Diese Hoffnung kennt einen Namen: Jesus von Nazareth.
Wenn wir uns Sonntag für Sonntag als Gemeinde versammeln, dann tun wir das aus dieser
Hoffnung: Miteinander auf dem Weg sein. Miteinander das Leben genießen. Die Kranken,
Einsamen und Traurigen trösten und begleiten. Die Sterbenden in den Arm nehmen. Die Armen unterstützen. Das Leben in unserer Gemeinde und Kirche konstruktiv weiterentwickeln,
ohne Bewährtes über Bord zu werfen, sich auseinandersetzen, vielleicht auch zu streiten,
vor allem aber aufeinander zuzugehen und sich zu versöhnen.
Wenn uns das gelingt sind wir eine lebendige Gemeinde, die sich auf den Weg auf einen
Berg macht. Der Berg, der ruft, ist Gott selbst, in seinem Sohn Jesus. Wir brauchen keine
Angst vor Sturm, Regen, Gewitter und Wolken, keine Angst vor Schneeblindheit und Lawinen zu haben. Sie bleiben uns nicht erspart, aber wir können sie überwinden. Die Aussicht,
die Sonne, die weißen Piste und die grünen Wiesen, die wohltuende Erschöpfung nach dem
Anstieg und den Erfolg am Gipfelkreuz können wir – jede und jeder für sich und in dieser
Gemeinschaft – genießen. Dazu wünsche ich uns die Einsicht: „Im Berg liegt Heil“. AMEN
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