Um neu anzufangen, musste sich der Malerstar des letzten

RICHTER
UNPLUGGED
Um neu anzufangen, musste sich der Malerstar des letzten Jahrzehnts
vom Bombast befreien. Ein Atelierbesuch bei Daniel Richter vor seiner
aktuellen Ausstellung in der Frankfurter Schirn – mit einem Gespräch über
Strategien gegen die Routine, über Haltung und den Umgang mit Kritik
T E X T : K I T O N E D O , P O R T R ÄT S : G E N E G L O V E R
»Hello, I Love You«, ruft
Richter seinem Publikum
entgegen – aber wird
die Liebe auch erwidert
werden?
34
DIE BEIDEN NEUEN
WERKREIHEN »KOMMEN
AUS DEM GLEICHEN GEIST«,
DESHALB WERDEN SIE
ZUSAMMEN GEZEIGT
WERDEN DIE ROTEN DIE
SCHWARZEN SCHLAGEN?,
2015, 200 X 300 CM
ÄRGERLICHES GRÜN,
2015, 190 X 150 CM
36
37
FEINDSELIGE BLICKE, 2015,
150 X 190 CM
LOB DER KLEINSTAATEREI,
2015, 200 X 300 CM
UNPÄSSLICHE MINDERHEITEN,
2015, 200 X 300 CM
38
RICHTER HAT SICH
MIT DEN DARSTELLUNGSKONVENTIONEN VON
PORNO UND POLITISCHER
GEOGRAFIE BESCHÄFTIGT
39
»ES GIBT ZWISCHEN
DIESEM DEHNEN UND
VERZERREN UND
STAUCHEN DER GLIEDER
EINE ENTSPRECHUNG
IN KARTEN«
40
HEADS DOWN, MINDLESS
BOOGIE, 2015, 200 X 280 CM
IMPERIALE FREUDEN,
2015, 200 X 300 CM
DAS KATZENGANG, 2015,
210 X 160 CM
41
»DAS ALLERSTE, WAS
DU BEISEITE LEGST, IST DAS
WERKZEUG. BESTIMMTE DINGE
LASSEN SICH MIT DEM PINSEL
GAR NICHT VERMEIDEN«
42
D
ie Mujaheddin und Taliban
sind verschwunden. Daniel
Richter malt sie nicht mehr.
Noch vor drei, vier Jahren bevölkerten sie seine Bilder:
silhouettenhafte, verlorene
Paschtunentracht-Gestalten in MarlboroCowboy-Posen vor kargen Hindukusch-Berglandschaften. Psychedelische Männerkitschromantik, in der auch immer etwas Slapstickhaftes war. Nun sind sie weg. Aus, vorbei.
Richter vermisst sie nicht: »Das hatte sich erledigt. Es gab keinen Grund, da weiterzumachen. Ich wollte das nicht totreiten, es interessierte mich nicht mehr.« Stattdessen lehnen jetzt – beim Atelierbesuch Mitte August –
ein Dutzend andere, neue Bilder an den
Wänden in Berlin-Schöneberg und warten
auf den Kunsttransport nach Frankfurt. Es
handelt sich um zwei neue Werkgruppen, die
im Herbst in der Schirn-Kunsthalle beide
erstmals der Öffentlichkeit präsentiert werden. »Sie kommen aus dem gleichen Geist«,
sagt Richter. Deshalb werden sie auch zusammen gezeigt.
Vor zwei, drei Jahren begann der 1962 in
Eutin geborene Maler zwar nicht ganz von
vorn, aber doch noch einmal grundsätzlich
anders zu malen: andere Motive, andere
Technik und andere Palette. In dieser Zeit
habe er sich hauptsächlich mit Darstellungskonventionen zweier Bereiche beschäftigt,
erzählt der Maler: politischer Geografie und
Pornografie. Doch wenn man die abstrakten
Bilder betrachtet, dann begreift man schnell,
dass dies eher ästhetische Suchmuster waren.
Trotzdem: Wie hängt beides zusammen?
Richter erklärt es so: »Es gibt zwischen diesem Dehnen und Verzerren und Stauchen
der Glieder eine Entsprechung auch in diesen
Karten, weil das ein ähnlicher Vorgang ist. Es
ist immer Exklusion, Überwältigung, Verdrängung und nie Vermischung, sondern
eben immer Spaltung.« Es geht also im weitesten Sinne (und da bleibt sich der Künstler
thematisch doch wieder treu), um Gewalt,
Politik und Sexualität, um das weiterwuchernde Unbehagen in der Kultur. Nur dass
das im Bild nicht mehr figurativ (oder nur
sehr verhalten figurativ) verhandelt wird. Genauso wie der für Richter typische Linienschwung und Unernst, der auch noch da ist:
Hier und da blitzt eine comichafte Fratze
auf, seine vagen Politgeografien tragen Titel
wie unpässliche Minderheiten, imperiale ­Freuden oder Werden die Roten die Schwar­zen
schlagen?, während die abstrahierten Porno-
Figur und Landschaft: zwei Bilder aus
der jetzt beendeten
Taliban-Phase
ARMY OF TRAITORS
(LINKS) UND LOVE IS
THE DRUG, BEIDE 2011,
200 X 300 CM
Künstler mit Persern:
Daniel Richter in seinem
Berliner Atelier
verrenkungen unter Titeln laufen wie untote
Masturbation, feindselige Blicke und Formen
der Ansprache. Richter hat die Reduktion weitergetrieben, weiter weg von der früheren
malerischen Üppigkeit. Gelandet ist er nun
bei fast textil anmutenden Farbfleckbildern,
deren Bedeutung tiefer in der Textur verstrickt
erscheint als je zuvor. Diese Bilder sollen nicht
überrumpeln, sie funktionieren anders: Der
Maler lässt Durchsichtigkeit und Undurchsichtigkeit gegeneinander spielen. Wohin
soll man das nur sortieren? Aus dieser Widersprüchlichkeit und Verwirrung ziehen die
Werkreihen ihren schmuddeligen Glanz.
Für einen Teil der neuen Bilder verwendete Richter den Pinsel nur für die Präparierung
der Bildhintergründe. Das eigentliche Bild
entsteht durch das Spachteln von Ölfarbe.
Um abschließend Definition und Dynamik
zu produzieren, kamen dicke Ölkreidestifte
zum Einsatz. So entstanden die pastelligen
Großformate, die scheinbar wenig mit dem
zu tun haben, was man von Richter so kennt –
und was ihn vermutlich zum einflussreichsten Maler seiner Generation gemacht hat:
dramatische, bühnenartig komponierte Historienbilder mit knalliger Nachtsicht-Optik
etwa oder surreale Stadtszenen mit Zirkusund Bahnhofsviertel-Flair. Auch das Räumliche ist passé – genauso wie die so schön knallende Neonfarben-Paintball-Psychedelik. Ja,
es ist schade: Die üppigen Farbexplosionen
sind auf null gefahren. Dafür wandelt der
Berliner nun auf lasurartigen Paul-Klee-Farbstufen und inszeniert ein ins Abstrakte wucherndes und Plastizität und Tiefe vermeidendes anatomisches Verrenkungsballett –
und winkt in die Richtung von Francis Bacon
und Hans Bellmer.
Um sich freizumachen musste er sich
diesmal selbst überlisten: »Das Allererste,
was du beiseite legst, ist dein Werkzeug. Du
hast dich ja dem Werkzeug eingeschrieben
und das Werkzeug sich dir. Bestimmte Dinge
lassen sich mit dem Pinsel gar nicht vermeiden, weil man den Pinsel so gut kennt. Das ist
so wie Fahrradfahren – das lässt sich nicht
verlernen.« Den Verzicht und die Beschränkung als malerische Strategie kennt man
etwa von Albert Oehlen (dessen Assistent
Richter einst war), der sich immer wieder
neue Regeln erfindet, um als Maler voranzu- löst Diskussionen über die Selbstpositioniekommen. Oehlens Undefiniertheit macht rung eines Künstlers aus.« Als ob man sein
ihn gerade zum gefeierten Maler der Stunde.
kritisches Bewusstsein beim Betreten der
50 Jahre ist es her, dass Bob Dylan seine Paris Bar an der Garderobe abgeben müsste.
Fans bei einem Folk-Festival mit einer elek­ An Kritik mangelte es auch in den folgenden
trischen Gitarre und Begleit-Band schockte. Jahren nicht: zu groß, zu bunt, zu großmäuDer Künstler verlor durch die »Electric D
­ ylan lig, zu schnell, zu flach, zu erfolgreich.
Ähnlich wie bei Neo Rauch, dem andeControversy« kurzfristig viele Fans, konnte
sich aber ästhetisch zu der unantastbaren ren großen Malerstar der nuller Jahre, bleibt
Ikone weiterentwickeln, die er heute ist. Bei also kein Schritt unkommentiert. Was die
Richter ist es gerade umgekehrt: Hier legt Sache mit den neuen Bildern auch nicht ein­jemand sozusagen die E-Gitarre weg, schaltet facher macht. »Ich will nicht so tun, als
die Effektgeräte aus und schickt die Band wenn ich die ganze Zeit vollkommen sicher
nach Hause. Es geht darum, mit dem Weiter- wäre über das, an was ich da arbeite«, sagt
machen aufzuhören, um weitermachen zu Richter. »Retrospektiv heißt es ja immer:
können.
Hat alles super geklappt. Tatsächlich ähnelt
Wie wird der »akustische« Richter an- es aber eher einer Operation, die eben auch
kommen? Muss man sich Sorgen machen? schief gehen kann.« Während der SchirnDas wäre wohl verfrüht. Schaut man sich die Direktor Max Hollein die neuen Werkreihen
Karriere des Werner-Büttner-Schülers an, als »großen Schritt gegen die Macht der G
­ e­dann stellt man aber schnell fest, dass das Ha- wohnheit« lobt, benennt der Künstler seine
kenschlagen und der Bruch mit ungeschrie- Präsentation nach einem putzigen, Sanftbenen Regeln schon immer zum Richter-Re- heit signalisierenden Songtitel der Doors:
pertoire dazugehörte. Der Hauptgegner war »Hello, I Love You«. Will der ehemalige Hausimmer, ganz klar, die Langeweile. Um sie zu besetzer seinen Kritikern so schon vor der
bekämpfen, war jedes Mittel recht – auch das, ­E r­ö ff­n ung mit einer zärtlichen Geste den
sein Publikum vor den Kopf zu stoßen.
Wind aus den Segeln nehmen? »Im Grunde
Ohne Widersprüche ging das nie ab. ja«, sagt Richter und lacht. »Aber ich bin mir
Schon am Anfang seiner steilen Malerkarrie- natürlich auch im Klaren darüber, dass diere, anlässlich der frühen Galerieausstellung se Geste sofort durchschaut wird.« Er sieht
»17 Jahre Nasenbluten« bei Contemporary das sportlich. Mit den neuen, abstrakt-exFine Arts 1997, wurde Richters Einstieg in pressionistisch gehaltenen Bildern schließt
den professionellen Kunstmarkt in der Szene sich sogar ein Kreis. Wie an einem Mischkritisch beäugt. Die poplinke Zeitschrift pult hat der Maler diesmal viele Regler
»Spex« wollte etwa genau wissen, »wie sich runtergefahren: in der Figuration etwa, die
der Transfer einer durch politische Militanz sich in Farbflecken-Abstraktion aufzulösen
scheint, oder bei der Sättigung
erworbenen Streetcred[ibility] in
der Farben, die durch Weißabdie Galerieräume des bürgerlichen Kunstbetriebs vollzieht«.
mischung Gefühle von mehliger Verwaschenheit und SchmutDie eigentliche Frage lautete: Wo
zigkeit wecken. Auf der Suche
stehst du, Genosse? »Richters AUSSTELLUNG
nach Inhalten lässt er sein PuSpagat zwischen linker Boheme Daniel Richters
Schau »Hello, I Love
b­li­kum mehr denn je Interpre­ta­
und der Welt der Kunstsammler
You« läuft noch bis
­tions-Shuffle tanzen.
zum 17. Januar in der
Vielleicht war es auch eine
Schirn-Kunsthalle
Frankfurt/Main.
bestimmte Kritik, die schmerzDer Katalog ist im
te, etwa die von Rainald Goetz?
Verlag der Buchhandlung Walther König
erschienen und
kostet 38 Euro.
43
Der Autor schrieb vor ein paar Jahren in seinem Klage-Buch mit Blick auf Richter, Rauch
und Bisky, die figurative Malerei sei »am
Ende«, und verdammte die seiner Meinung
nach »hingeschmierten Träume und Tiefsinn proklamierenden Mystizismen« in
Grund und Boden. Die Bilder von Rauch und
Richter strahlten, so Goetz, eine »groteske
Ratlosigkeit« aus: »Die Gedanken sind falsch,
das ist das Problem.« Ein vernichtendes
Urteil über einen Künstler wie Richter, bei
dem Malen und Denken eins sind und malerische Fragen keine Fragen von Stil, sondern
vorrangig von intellektueller Haltung.
Mit der Romanfigur »Prütt«, mit der Goetz
Richter in seinem gefeierten Roman Johann
Holtrop später literarisch verschlüsselt und
darin ebenso wenig schmeichelhaft verewigt
hat, kann der Maler hingegen gut leben. Er ist
sogar stolz darauf: »Mich haben viele Leute
aufgefordert, beleidigt zu sein, aber das bin
ich überhaupt nicht. Wenn jemand ein Buch
schreibt, in dem ein Panoptikum des Irrsinns
der herrschenden Klasse entwickelt wird,
ist es ganz logisch, dass die Kunst darin eine
­R olle spielt, dass du dann da irgendwie auftauchst. Natürlich ist man über einzelne Details auch ein bisschen pikiert. Aber ich finde,
dass Goetz das literarisch kongruent entwickelt hat.« In Johann Holtrop wendet Goetz
eine literarische Pastichetechnik an, die der
malerischen Praxis von Richter verwandt erscheint. Beide sind intensive Medienkonsumenten, die verfremdetes Sprach- und
Bildmaterial in ihre Kunst einbauen.
Als Maler folgt Richter einer eklektischen
Methode: »Ich nutze alles, was die Welt an
Bildproduktionen hergibt: Ob Fotojournalismus oder Zeitungsfotografie oder Comics
oder klassische Illustrationen oder – vor allen
Dingen – auch die Werke anderer Künstler
und Künstlerinnen.« So entsteht eine besondere Form von Zeitgenossenschaft, die bislang einigen Bildern von Richter die Anmutung von politischen Kommentaren bescherte – ohne dass sie letztlich direkte Statements
ES GIBT NICHT
VIELE MALER
IN DER RICHTERLIGA, DIE TAGESPOLITISCHE
THEMEN
AUFGREIFEN
44
Der Lichtkegel trifft auf
Flüchtlinge, die sich an einen
gekenterten Kahn klammern
FLASH, 2002, 350 X 280 CM
Ein überladenes Schlauchboot, einsam treibend im
nächtlichen Meer
TARIFA, 2001, 350 X 280 CM
an Frontex, der 2004 gegründeten, seither
umstrittenen EU-Agentur für die Hochrüstung an den europäischen Außengrenzen,
vorweg. Es gibt nicht viele Maler in der Richter-Liga, die tagespolitische Themen aufgreifen. International ist er damit sicher dem
Werk der Kollegin Marlene Dumas am nächsten: In den Bildern der in Amsterdam lebenden Südafrikanerin tauchen Themen wie Pornografie, Prostitution, Apartheid, Al Qaida
oder auch die Folterungen im US-Militärgefängnis von Abu Ghraib auf. Doch unter den
Künstlern der Berliner Republik erscheint er
als derjenige, der den Immendorff-Staffelstab
am ehesten weitertragen könnte.
waren. Immer wieder malte Richter etwa in
den vergangenen Jahren Bilder, die mehr
oder weniger deutlich auf das Flüchtlingsthema und das Motiv von der beständig weiter
hochgerüsteten europäischen Festung anspielten. Tarifa (2001) etwa zeigt eine Gruppe
von Menschen, die kauernd und ängstlich aneinandergeklammert in einem Schlauchboot
durch unendliches, nahezu kosmisches Dunkel zu schweben scheinen. Tarifa ist der Name
einer andalusischen Kleinstadt am südlichsten Zipfel des europäischen Festlands – dort
wo seit jeher junge Nordafrikaner nachts die
gefährliche Meerenge von Gibraltar zu überwinden suchen, um nach Europa zu gelangen.
Viele Flüchtlinge ertrinken bei dem Versuch, europäisches Festland zu erreichen und
gehen damit auf die Rechnung einer unmenschlichen europäischen Flüchtlingspo­
litik, die jede Art der legalen Einreise nach
Europa konsequent zu verhindern sucht.
Auch davon erzählt ein Richter-Bild: Flash,
entstanden 2002. An einem umgeschlagenen
Kahn suchen ertrinkende Menschen vergeblich rettenden Halt. Richter zeigt die Gestalten, herausgeschält aus dem Dunkel der
Nacht – wie im Scheinwerferlicht eines Pa­
trouillenboots oder wie im Infrarotlicht einer
Nachtsichtkamera. Er nimmt damit die Kritik
F
indet er es unheimlich, wie seine Bilder derzeit von der Realität eingeholt werden? Die Frage findet Richter falsch. Denn vom Modell des
Künstlers als Seismograf einer Gesellschaft
hält Richter – wie von allem Kunst-Heroismus überhaupt – gar nichts. »Rassismus, also
dieses Elend der Leute, die herkommen wollen und die Erniedrigung der Beladenen auf
der Welt, das war doch schon Anfang der
Neunziger ganz massiv geworden. Jetzt ist
das ein Massenphänomen und noch viel deprimierender.« Andererseits ist er als Maler
einer »Idee von Malerei« verhaftet, »die der
Wahrheitsfindung dient«. Also geht es doch
um die Annäherung an die Produktion einer
Wahrheit, die sich jedoch, um als Kunst
zu funktionieren, der unmittelbaren politischen Verwertung zu entziehen suchen muss.
Nach 20 Jahren im Geschäft und einer Professur in Wien könnte sich Daniel Richter pro­
blemlos als Klassiker der Berliner Republik
mit Ruhe und Zurückgelehntheit der zweiten
Hälfte seines Künstlerlebens widmen. Doch
so denkt ein Künstler wie Richter vermutlich
nicht. Ganz im Gegenteil. Beim Wort »Klassiker« tastet er womöglich schon im Werkzeugkasten der Imagination nach dem passenden
Gerät für dessen Zertrümmerung. //