sowjetische Staatsterrorismus - Ruhr

Der sowjetische Staatsterrorismus und seine Folgen für die deutschen Emigranten
In der UdSSR der 1930er Jahre wurde die Lebensatmosphäre zunehmend durch den Terror
des Staates bestimmt; davon waren auch die dort im Exil lebenden deutschen Emigranten
betroffen. Wie die russische Bevölkerung waren sie bedroht von unvergleichlicher Brutalität
und Unmenschlichkeit, physischem und psychischem Terror, von Massenverhaftungen,
jahrzehntelanger Haft und Zwangsarbeit, Todesurteilen sowie Massendeportationen.
Vergleicht man die Sowjetunion mit kapitalistischen Exilländern zu dieser Zeit, so findet man
keine Parallelen hinsichtlich dieser Staatspraxis. Weder das tatsächliche Ausmaß noch die
Ursachen der Ereignisse in den Terrorjahren lassen sich jedoch bis heute vollständig
ermessen.
Zur Entstehung des staatlichen Terrorismus schreibt Walter, dass in den frühen 20er Jahren
durch die „Beseitigung der innerparteilichen Demokratie“ eine Diktatur entstand, die zur
„Machtkonzentration im Parteiapparat und in der Staatsbürokratie“ (S. 206) führte. Die nun
geforderte strenge Parteidisziplin und scharfe Überwachung der Parteimitglieder führte dazu,
dass selbst diese nicht mehr vor dem Terror geschützt waren. Diese Situation veränderte die
Art der politischen Auseinandersetzungen in der Partei und das Wesen der an diesen
Auseinandersetzungen Beteiligten. An die Stelle von offen ausgetragenen Konflikten traten
nun verdeckte „Fraktions- und Cliquenkämpfe“ (S. 206). Von den Funktionären wurde
völlige Ergebenheit gefordert, auf die sie vom Parteiapparat aufs Schärfste hin kontrolliert
wurden. Eigeninitiative, die von der Parteilinie abwich, wurde genauso wenig geduldet wie
Kritik jeglicher Art, und es galt die Meinung, „ein Funktionär dürfe dumm sein, wenn er nur
ergeben sei“ ( S. 206).
Instrumente der Machterhaltung und Grundlagen des staatlichen Terrorismus waren somit:
fest
gefügte
hierarchische
Strukturen,
Cliquenwirtschaft
und
Cliquenkämpfe
um
Machtpositionen, perfekte Kontrolle und Überwachung des Funktionärapparats, Absicherung
und Selbstzensur der Weisungsgebundenen, Unterdrückung der Kritik und Misstrauen
gegenüber allem Nichtkonformen.
Politische Auseinandersetzungen endeten nicht mehr mit der Amtsenthebung oder dem
Parteiausschluss, sondern mit der Ausschaltung des Gegners, sei es, dass er in einem Lager
verschwand oder liquidiert wurde. Zusammen mit den eigentlichen Opfern waren auch alle
ihre Bekannten, Verwandten und Anhänger gefährdet, was zu Misstrauen, Angst und
Verfolgungswahn unter den Menschen führte. Die Bürger waren verängstigt, und der „Druck,
sich von Anschuldigungen rein zu waschen“, machte die Denunziation zu einem „Akt der
Notwehr“ (S. 207): „Eine mörderische Dialektik machte aus der Notwehr des potentiellen
Opfers die Tat eines Verfolgers“ (S. 210). Solche Anklagen entstanden aber auch durch
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„private Rivalitäten, persönliche Feindschaften und Neid“ (S. 207), was dazu führte, dass sie
ins
Unüberschaubare
wuchsen
und
zu
einer
regelrechten
Spionage-
und
Verschwörungshysterie führten. Da die Opfer meist keine Gegner des Landes und der
Ideologie waren, sondern in den Cliquenkämpfen Unterlegene oder auch völlig Unbeteiligte
und ergebene Anhänger des Kommunismus herrschte eine „Atmosphäre ungreifbarallgegenwärtiger Bedrohung“ (S. 207). Dies führte zum Zerfall von menschlichen
Beziehungen, denn jeder, der einen Verhafteten kannte, war potentiell selbst gefährdet,
weshalb persönliche Kontakte auf das Notwendigste reduziert wurden.
Da die deutschen Schriftsteller nach Jarmatz (vgl. Klaus Jarmatz: Literatur im Exil. Berlin,
1966.), „eine tiefe emotionale Bindung an den ersten sozialistischen Staat“ hatten (S. 216),
versuchten sie lange, die Geschehnisse während der Terrorjahre zu rechtfertigen. Sie
leugneten und ignorierten die Widersprüche zwischen Anspruch und Realität und
rationalisierten die Ereignisse, indem sie persönliche Erlebnisse von ihrer grundlegenden
politischen Überzeugung trennten. Doch mit der Zeit wurde eine rationale Interpretation der
Ereignisse immer schwieriger, da die unzähligen Festnahmen mit den Anschuldigungen
immer weniger in Verbindung gebracht werden konnten. Standardanschuldigungen für die
Verhaftung von deutschen Exilanten waren u. a. trotzkistische Sabotage, Agententätigkeit für
die Gestapo und Spionage für Hitlerdeutschland, doch die tatsächlichen Gründe wurden
geheim gehalten, so dass nicht einmal Verwandte der Verhafteten diese erfuhren.
Hinsichtlich der Gründe, die zur Dezimierung der deutschen Emigration in der UdSSR
führten, nennt Walter Fremdenfeindlichkeit als besonderes Gefahrenmoment. Die
einheimischen Russen waren neidisch auf die mit Privilegien ausgestatteten Ausländer, die in
besseren Wohnungen untergebracht waren und meist Führungspositionen besetzten, wodurch
die Einheimischen am eigenen Aufstieg gehindert wurden. Außerdem wollte das geängstigte
Volk die Aufmerksamkeit des NKWD auf die Ausländer lenken, um von sich selbst
abzulenken. Zudem herrschte die Ansicht, dass Hitler nur an die Macht gekommen sei, weil
die deutschen Antifaschisten versagt hätten, abgesehen davon, dass in ihnen oft Spione der
Wehrmacht gesehen wurden. So wurden Deutsche zur Zielscheibe von Antipathien und
Misstrauen, die vom Staat weiter geschürt und für die Zwecke des Terrors benutzt wurden.
Ein weiterer Grund für Verhaftungen unter Deutschen, im Besonderen KPD-Mitgliedern, war
die „Privatrache“, in deren Verlauf meist auch alle Verwandten und Freunde des Opfers
verhaftet wurden, also alle, von denen zu befürchten war, dass sie „Revanche nehmen“ und
auch „alte Rechnungen präsentieren könnten“ (S. 225). Dies führte zu einer regelrechten
Kettenreaktion von Verhaftungen, vor allem durch „freiwillige Denunziationen“, aber auch
durch „erpresste Geständnisse“ (S. 226). Zusammen mit den Massenverhaftungen lassen sich
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auch zahlreiche Ausweisungen und Auslieferungen an Hitlerdeutschland anführen, deren
Höhepunkt während des deutsch-sowjetischen Nichtangriffsvertrages zu verzeichnen ist.
Auf Rehabilitierung konnten die Verhafteten nicht hoffen, denn es gab nur eine sehr geringe,
systemlose und unverständliche Anzahl von Rehabilitierungen, die nur durch das
„Zusammentreffen mehrerer außergewöhnlicher Glücksumstände“ (S. 233) stattfanden. Die
wenigen Entlassenen wurden allerdings auf der hierarchischen und sozialen Leiter
herabgesetzt und mussten über ihre Erlebnisse in der Haft schweigen.
Familienangehörige von Verhafteten stellten eine besondere Kategorie da. Sie waren
„Geächtete“ (S. 236), wurden automatisch aus der Partei ausgestoßen, verloren Wohnung und
Arbeitsplatz und fanden, wenn überhaupt, nur sehr schlecht bezahlte Arbeit. Ihr Eigentum
wurde ihnen genommen, was für viele den endgültigen Verlust des Lebensunterhalts
bedeutete. Prostitution, Rückkehr nach Hitlerdeutschland und Selbstmord werden als
„Auswege“ aus dieser hoffnungslosen Situation angegeben.
Da eine Flucht aus der Sowjetunion so gut wie unmöglich war, versuchten viele deutsche
Exilanten, der Gefahr des Staatsterrorismus zu entkommen, indem sie sich um eine legale
Ausreisegenehmigung bemühten, was sich allerdings als sehr schwierig erwies. Eine weitere
Möglichkeit, dem Terror zu entkommen, war die Teilnahme am Spanischen Bürgerkrieg.
Auch wenn dort ebenfalls Gefahr drohte, wusste man wenigstens, wo die Fronten verliefen…
Svenja Hoffmann
Quellen:
Hans-Albert Walter: Die Folgen des sowjetischen Staatsterrorismus für die in der
Sowjetunion lebenden Exilierten. In: ders.: Deutsche Exilliteratur 1933 – 1950. Bd. 2.
Stuttgart 1984. S. 203 – 247.
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