Vorsorgeausgleich bei Scheidung

Seit Inkrafttreten am 1. Januar 2000 stehen die Bestimmungen über den Vorsorgeausgleich
bei Scheidung in der Kritik. Die heutige Regelung würde nicht-erwerbstätige Ehefrauen und
-männer systematisch benachteiligen, zu wenig Flexibilität bieten und nicht praktikabel
sein.
Zur Änderung der gesetzlichen Bestimmungen hat der Bundesrat am 29. Mai 2013 den eidgenössischen Räten mit seiner Botschaft einen Entwurf zur Änderung des Schweizerischen
Zivilgesetzbuches betreffend Vorsorgeausgleich bei Scheidung unterbreitet. Am 19. Juni
2015 wurde der Entwurf in einer leicht abgeänderten Form in einer Schlussabstimmung von
beiden Räten angenommen.
Autorin: Chantal Peeters
Kritikpunkte am geltenden Recht und
wesentliche Neuregelungen
Geltendes Recht
Zu teilendes Vorsorgevermögen
Bei der Ermittlung der relevanten
Vorsorgevermögen treten folgende
Probleme häufig auf:
Im Gegensatz zur 1. Säule existiert
für die 2. Säule kein zentrales Register
für Vorsorgeguthaben der Versicherten. Somit besteht die Möglichkeit,
dass ein Ehegatte Vorsorgeguthaben
bewusst verschweigt oder ein solches
vergessen geht. Neu sollen die Vorsorge- und Freizügigkeitseinrichtungen
verpflichtet werden, ihren gesamten
aktiven Versichertenbestand, und
nicht nur die vergessenen Guthaben,
jährlich der Zentralstelle 2. Säule zu
melden.
Die Ermittlung der Austrittsleistung im Zeitpunkt der Scheidung hängt
von der Rechtskraft des Scheidungsurteils ab. Dies führt einerseits zu Berechnungsfehlern, weil ein Scheidungsdatum im Vorfeld angenommen
wird und somit vom effektiven Schei-
Das geltende Recht geht vom
Grundsatz einer hälftigen Teilung der
während der Ehe erworbenen Austrittsleistung aus (Art. 122 Abs. 1 ZGB).
Bezieht ein Ehegatte eine Invaliden- oder eine Altersrente, ist eine
hälftige Teilung aufgrund eines bestehenden Vorsorgefalls nicht mehr möglich. In diesem Fall wird eine angemessene Entschädigung geschuldet (Art.
124 ZGB).
Hälftige Teilung
Die während der Ehe erworbene
Austrittsleistung eines Ehegatten umfasst alle Beträge, die während der Ehe
in der beruflichen Vorsorge angespart
wurden. Neben den Austrittsleistungen der Pensionskasse berücksichtigt
das Gericht auch Freizügigkeitsguthaben auf Freizügigkeitskonten oder policen und getätigte Vorbezüge zum
Erwerb von Wohneigentum (Art. 30c
Abs. 6 BVG). Ausgenommen von der
hälftigen Teilung sind freiwillige Einkäufe (Einmaleinlagen) aus Eigengut
(siehe Tabelle 1).
Haben beide Ehegatten Ansprüche
während der Ehe erworben, so ist nur
der Differenzbetrag an die Pensionskasse oder auf eine Freizügigkeitseinrichtung des ausgleichsberichtigten
Ehegatten zu überweisen.
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dungsdatum abweichen kann. Andererseits besteht ein Anreiz den Scheidungsprozess durch den ausgleichsberechtigten Ehegatten bewusst zu verzögern, um den eigenen Anspruch aus
dem Vorsorgeausgleich zu erhöhen.
Mit dem Abstellen auf den Zeitpunkt
der Einreichung des Scheidungsbegehrens oder der Scheidungsklage werden
diese Probleme nun behoben.
Vorsorgeausgleich nach bereits eingetretenem Vorsorgefall
Erhält der verpflichtete Ehegatte
zum Zeitpunkt der Scheidung eine
Invaliden- oder eine Altersrente, ist
nach geltendem Recht eine angemessene Entschädigung aus dem übrigen
Vermögen geschuldet. Verfügt der
Rentenbezüger über kein Vermögen,
bekommt der berechtigte Ehegatte
einen Anteil der ausgerichteten Altersoder Invalidenrente des verpflichtenden Ehegatten zugesprochen. Diese
Rente wird jedoch nur solange ausgerichtet, wie der Ex-Ehegatte lebt. Nach
Tabelle 1: Während der Ehe erworbene Austrittsleistung eines Ehegatten
Austrittsleistung im Zeitpunkt der Scheidung
+ Freizügigkeitsguthaben auf Freizügigkeitskonten oder –policen im Zeitpunkt der Scheidung
+ WEF Vorbezüge
- mit dem Mindestzinssatz gem. Art. 12 BVV2 aufgezinste Austrittsleistung im Zeitpunkt der Heirat
- mit dem Mindestzinssatz aufgezinste Freizügigkeitsguthaben auf Freizügigkeitskonten oder –policen im Zeitpunkt der Heirat
- mit dem Mindestzinssatz aufgezinste getätigte Einlagen aus Eigengut
= während der Ehe erworbene Austrittsleistung
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dessen Tod fällt die Rente weg, so dass
bei einem frühen Tod des ExEhegatten eine grosse Lücke in der
Vorsorge des berechtigten Ehegatten
entsteht.
In Kürze: Neuerungen
Ø Sicherstellung der Berücksichtigung aller Vorsorgeguthaben
durch die Zentralstelle 2. Säule
Ø Einleitung des Scheidungsverfahrens als Zeitpunkt des Vorsorgeausgleichs
Ø Teilung der Vorsorgemittel nach
bereits eingetretenem Vorsorgefall
Ø Keine Verschiebung von obligatorischen nach überobligatorischen Guthaben
Ø Gewährung der Möglichkeit der
Rentenauszahlung
Unter Umständen hat der geschiedene Ehegatte Anspruch auf Hinterlassenenleistungen gemäss Art. 20 BVV2.
Diese Leistungen genügen oft nicht um
die entstandene Lücke zu schliessen.
Der geschiedene Ehegatte ist dann
häufig auf Unterstützung der Sozialhilfe oder auf Ergänzungsleistungen
angewiesen. Hinzu kommt, dass die
Leistungen viel tiefer als eine reglementarische Rente an eine Witwe /
einen Witwer aus zweiter Ehe sind,
obwohl die Vorsorgemittel, von denen
die Witwe / der Witwer aus zweiter
Ehe profitiert, häufig während der
ersten Ehe geäufnet wurden. Diese
Situation ist für den Ex-Ehegatten
stossend.
Um solche Konstellationen zu vermeiden, sieht der Entwurf nun auch
eine Teilung der während der Ehe
erworbenen Vorsorgeansprüche vor,
falls bereits einer der beiden Ehegatten eine Alters- oder Invalidenrente
bezieht. Beim Ausgleich ist zu unterscheiden, ob der Rentenbezüger das
reglementarische Rentenalter bereits
erreicht hat oder nicht:
Ausgleich vor Erreichen des reglementarischen Rentenalters
Bezieht ein Ehegatte eine Invalidenrente und erfolgt die Einleitung der
Scheidung noch vor dem reglementa02.11.2015
rischen Rentenalter, wird der Vorsorgeausgleich basierend auf derjenigen
Austrittsleistung durchgeführt, auf
welcher der versicherte Ehegatte bei
Wegfall der Invalidität Anspruch hätte.
Der Teilungsmodus entspricht in diesem Fall demjenigen vor Eintritt eines
Vorsorgefalls. Falls die Höhe der Invalidenrente wie gemäss BVG vom projizierten Altersguthaben abhängt, wird
sie nach dem Vorsorgeausgleich neu
berechnet und fällt somit tiefer aus.
Falls die Invalidenrente vom versicherten Lohn abhängt, bleibt sie unverändert.
Die neue Regelung mag auf den ersten
Blick ungerecht erscheinen, da zum
Beispiel die hypothetische Austrittsleistung und somit der Anteil für den
berechtigten Ehegatten einer jungen
Person kleiner sein kann, als der Jahresbetrag der ausgerichteten Invalidenrente. Dabei muss aber beachtet
werden, dass bei der Berechnung der
Invalidenrente davon ausgegangen
wird, dass die versicherte Person ihr
Altersguthaben noch bis zur ordentlichen Pensionierung weiter anhäuft
und somit der grösste Teil auf die Zeit
nach der Ehe fällt. Ausserdem wird der
Unterhaltsbeitrag im Scheidungsverfahren erst nach dem Vorsorgeausgleich festgesetzt, wodurch die Invalidenrente dort noch berücksichtigt
werden kann.
Vorteile der Teilung der hypothetischen Austrittsleistung im Gegensatz
zur Teilung der Rente sind u.a., dass
eine allfällige spätere Änderung des
Invaliditätsgrades keinen Einfluss auf
den Ausgleich hat und das Scheidungsverfahren somit abschliessend geregelt werden kann und sich die Lösung
auch einfach für teilinvalide Personen
anwenden lässt.
Für den Sonderfall, dass eine Invalidenrente zur Vermeidung einer Überentschädigung gekürzt wurde, wird
der Bundesrat noch eine differenzierte
Regelung erarbeiten, damit die Ehegatten nach der Scheidung nicht von
mehr Vorsorgegeldern profitieren
können.
Ausgleich nach Erreichen des reglementarischen Rentenalters
Hat der Rentenbezüger das reglementarische Rentenalter bereits erreicht, wird die Rente geteilt. Aufgrund
der Vielfalt an Konstellationen kann
keine einheitliche mathematische
Lösung vorgegeben oder die während
der Ehe erworbenen Ansprüche gar
generell hälftig geteilt werden. Das
Gericht entscheidet nach eigenem
Ermessen über das Verhältnis der
Rententeilung und beachtet dabei
insbesondere die Ehedauer und die
Vorsorgebedürfnisse beider Ehegatten.
Der zugesprochene Rentenanteil
des berechtigten Ehegatten wird auf
Basis von dessen Alter und Geschlecht
in eine lebenslängliche Rente umgerechnet. Befindet sich der berechtigte
Ehegatte bereits im Rentenalter, richtet ihm die Vorsorgeeinrichtung des
verpflichteten Ehegatten die Rente
direkt aus. Ansonsten überweist sie
die Rente an dessen Vorsorgeeinrichtung oder allenfalls an eine Freizügigkeitseinrichtung.
Sicherung der Vorsorge: BVG Anteil
Nach geltendem Recht gibt es keine Bestimmungen über die Aufteilung
der obligatorischen und überobligatorischen Anteile bei der Überweisung
von Guthaben im Rahmen des Vorsorgeausgleichs bei Scheidung. Somit ist
es heute möglich, dass die Vorsorgeeinrichtung des verpflichtenden Ehegatten das übertragene Guthaben dem
BVG-Altersguthaben belastet und die
Vorsorgeeinrichtung des anspruchsberechtigten Ehegatten das Guthaben
wie bei einem Einkauf dem überobligatorischen Guthaben gutschreibt.
Damit entfällt die Garantie, dass diese
Mittel zum gesetzlichen Mindestzinssatz verzinst und im Vorsorgefall zu
den gesetzlichen Bedingungen in eine
Rente umgewandelt werden. Dies
kann dazu führen, dass trotz hälftiger
Teilung im Vorsorgefall für den ausgleichsberechtigten Ehegatten be-
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trächtlich tiefere Leistungen resultieren.
Analog dem Freizügigkeitsfall sieht
der Entwurf vor, dass das zu überweisende Guthaben im gleichen Verhältnis dem obligatorischen und überobligatorischen Guthaben zu entnehmen
ist, wie das Verhältnis der beiden Guthaben am Gesamtguthaben in der
betreffenden Vorsorgeeinrichtung.
Sicherung der Vorsorge: Möglichkeit
der Rentenauszahlung
Die geltende gesetzliche Regelung
sieht vor, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte die Austrittsleistung in
eine Freizügigkeitseinrichtung übertragen muss, sofern kein Einkauf in die
eigene Vorsorgeeinrichtung möglich
ist. Da aber derzeit keine Freizügigkeitspolicen mit lebenslänglichen Altersrenten angeboten werden, entfällt
so die Möglichkeit sich eine Rente
auszahlen zu lassen. Der Entwurf stellt
nun sicher, dass in diesem Fall die
Austrittsleistung an die Auffangeinrichtung übertragen und in eine Rente
umgewandelt werden kann. Die Umwandlung kann aber frühestens bei
Erreichen des frühestmöglichen reglementarischen Rentenalters verlangt
werden. Ausserdem schuldet die Auffangeinrichtung wie die Freizügigkeitseinrichtungen keine BVG-Altersleistungen. D.h., dass sie nicht an den BVG
Mindestumwandlungssatz gebunden
ist und keine Ansprüche auf Hinterlas-
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senenleistungen nach dem Tod der
rentenberechtigten Person bestehen.
Weitere Änderungen
Ø Wiedereinkauf bei Scheidung
Ø Umgang mit Kapitalabfluss und
Zinsverlust bei Vorbezug für den
Erwerb von Wohneigentum
Ø Zustimmung des Ehegatten auch
bei Kapitalabfindung in der weitergehenden Vorsorge
Ø Regelung der Zuständigkeiten
der schweizerischen Gerichte
beim Vorsorgeausgleich bei
schweizerischen
Vorsorgeeinrichtungen im internationalen
Privatrecht
Fazit
Die Revision der gesetzlichen Bestimmungen zum Ausgleich der beruflichen Vorsorge bei Scheidung war
fällig. Der Grundsatz der hälftigen
Teilung umfasst neu auch Versicherte
bei denen der Vorsorgefall vor Erreichen des reglementarischen Rentenalters bereits eingetreten ist und sorgt
mit dem erweiterten Vorsorgeausgleich für mehr Gerechtigkeit. Die
Anstrengungen des Gesetzgebers
mögen grösstenteils zu überzeugen,
jedoch bestehen noch folgende
Schwächen:
n Die Benachteiligung des nicht obligatorisch versicherten Ehegatten
bleibt weiterhin bestehen, da die
Garantien auf dem obligatorischen
Altersguthaben entfallen.
n Es besteht weiterhin keine einheitliche Regelung für Bezüger/-innen
von Invalidenrenten nach dem reglementarischen Rentenalter oder
Altersrenten.
n Die Umwandlung des zugesprochenen Rentenanteils in eine lebenslange Rente und die Vermeidung von Überentschädigung bei
Invalidenrentnern sind noch ungeklärt.
Zudem wird die Revision wegen den
jährlichen Meldungen an die Zentralstelle 2. Säule, den zusätzlichen Berechnungen und die Übernahme neuer
Rentenbezüger zu Mehrkosten bei den
Vorsorgeeinrichtungen führen.
Stand und Ausblick
Der Ständerat hat am 12.6.2014 als
Erstrat die Revision des Vorsorgeausgleichs behandelt und dem Entwurf des Bundesrats weitgehend
zugestimmt. Am 1.6.2015 ist der
Nationalrat der Fassung vom Ständerat gefolgt. Die Revision wurde
zudem am 19.6.2015 in der Schlussabstimmung bestätigt. Nach Ablauf
der Referendumsfrist wird der Bundesrat die erforderlichen Verordnungen erlassen und den Zeitpunkt
des Inkrafttretens aller Änderungen
bestimmen. Da die Pensionskassen
ihre Prozesse und allenfalls Reglemente an die neuen Gesetze und
Verordnungen anpassen müssen, ist
ein Inkrafttreten per 1.1.2016 eher
unrealistisch.
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