Leser fragen Ist Tatar wirklich weichgeritten worden? Ich esse immer wieder gerne Steak Tatar. Nun haben wir uns in einer gemütlichen Runde gefragt, ob der Name wirklich von den Tataren kommt, die das Fleisch unter ihrem Sattel weichgeritten hatten, bevor sie es assen. Am besten ist es doch, wenn das Steak mit dem Messer geschnitten worden ist? G. F. Lieber Herr F. Besser jedenfalls als durch den Wolf gedreht. Das Fleisch bleibt noch kernig, wenn man es mit einem sehr scharfen Messer fein schneidet, und es liegt kein zerquetschtes Mus auf dem Teller. Die Legende mit dem wilden Mongolenritt klingt gut, aber realistisch ist sie nicht. Man kann sich schwerlich vorstellen, dass das, was nach stundenlanger Reiterei von der Unterseite des Sattels geklaubt werden kann, überhaupt noch essbar ist. Pferdeschweiss wird gerne bei Weindegustationen als Ausdruck eines entsprechenden sensorischen Eindrucks verwendet, aber als Gewürz für Fleisch drängt er sich gewiss nicht auf. Die Horden aus Zentralasien haben im 13. Jahrhundert die halbe Welt erobert und das in einem Tempo und mit einer Brutalität, dass man überzeugt war, sie hauten alles in Stücke. So wie das rohe Fleisch und die Zutaten für die Sauce Tartare zerstückelt werden, eine kalte Sauce aus Mayonnaise mit gehacktem Eigelb, zerkleinerten Cornichons, Kapern und Schnittlauch. Wer das Steak Tatar erfunden hat, weiss man nicht. Wie ein Gericht aus rohem Fleisch zu diesem Namen kam, lässt sich auch nicht eindeutig nachzeichnen. Rohes Fleisch wurde schon von den Urmenschen verzehrt. Ein Neandertaler soll sich bis zu 90 Prozent von Fleisch ernährt haben. Paul Imhof Der TA-Experte beantwortet Fragen zum leiblichen Wohl, zu Völlerei und Fasterei, zu festlichen und alltäglichen Tafeln, Küchen und Kellern. Senden Sie uns Ihre Fragen an [email protected]. Dank verschiedener Berichte von Reisenden weiss man, dass die Tataren ein Steak unter den Sattel gelegt haben, aber nicht aus kulinarischen Gründen, sondern aus therapeutischen: Das Fleisch sollte als Puffer dienen und Wunden auf dem lädierten Pferderücken lindern. Die gleiche Methode half auch Radfahrern, um die Rundenbolzerei auf der Bahn mit Würde zu überstehen. Sie klopften ein Filet auf zwei Zentimeter Dicke und nähten es an die Innenseite der Hose. Das Filet wirkt wie ein Stossdämpfer, und es schmiert so fein, dass die Haut nicht reissen kann, wie mir ein ehemaliger Masseur erzählt hat. Wer das rohe Hacksteak «Tatar» getauft hat, lässt sich also nicht klären. Dass es Europa aus französischen Küchen erobert hat, ist eher erwiesen, denn «Tartare» (mit r) gehört zu den Dauerbrennern der Bistroküche. Im Piemont kennt man das unspektakuläre «carne cruda», rohes Fleisch, und das Piemont grenzt an Frankreich. Auch wenn man es als «Kalbstatar piemontesische Art» betitelt, hat es mit dem klassischen Tatar nicht viel gemein – carne cruda wird zurückhaltender gewürzt. Das folgende Rezept reicht für fünf Personen: 500 g mageres Kalbfleisch aus der Keule mit dem Messer sehr fein schneiden. Öl, Pfeffer und Salz, Saft von ein bis zwei Zitronen und eine gepresste Knoblauchzehe unterrühren und alles gut vermengen. Das Fleisch auf einem Teller ausbreiten und nach Saison mit dünnen Scheibchen von Kaiserlingen oder Trüffeln anrichten. Sofort servieren. Traditionell bereitet man «carne cruda» nur mit Fleisch des Piemonteser Rindes zu, einer sehr alten Rasse, die um ein paar Ecken mit dem indischen Zebu verwandt ist. Piemonteser Rinder werden auch in der Schweiz gezüchtet, sind allerdings rar und gesucht. Italienisches Kalbfleisch ist nicht hell, sondern von einem frischen, hellen Rot, denn in Italien leben Kälber länger als in der Schweiz. Als adäquaten Ersatz sollte man Natura- oder Bio-Kalbfleisch nehmen, aus Ammen- und Weidehaltung oder Fleisch von jungen Rindern (Rinder werden hier früh geschlachtet).
© Copyright 2025 ExpyDoc