2016-01-24 Predigt über 1. Korinther 9,24-27

Predigt über 1. Korinther 9,24-27
„Alle Wettkämpfer üben im täglichen Leben Verzicht.“
gehalten am Sonntag Septuagesimae, 24. Januar 2016
in der Nikolauskirche Deckenpfronn
von Pfarrer Hans-Ulrich Lebherz
1. Korinther 9,24-27 (NGÜ)
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Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele
nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Macht es wie der siegreiche Athlet: Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!
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Jeder, der an einem Wettkampf teilnehmen will, unterwirft sich einer strengen
Disziplin. Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser Siegeskranz hingegen ist unvergänglich.
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Für mich gibt es daher nur eins: Ich laufe wie ein Läufer, der das Ziel nicht aus
den Augen verliert, und kämpfe wie ein Boxer, dessen Schläge nicht ins Leere gehen.
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Ich führe einen harten Kampf gegen mich selbst, als wäre mein Körper ein Sklave, dem ich meinen Willen aufzwinge. Denn ich möchte nicht anderen predigen
und dann als einer dastehen, der sich selbst nicht an das hält, was er sagt.
I. Echtzeit
Manchmal geht es ganz schnell.
Jemand sagt etwas, das mich ärgert.
Und ich ärgere mich.
Die Wut kocht hoch.
Und ich sage etwas.
Etwas, das mir hinterher leid tut.
Zu schnell gewesen.
Oder ich lese im Internet unsäglich dumme Sachen.
Und Böses. Und Hass.
Und möchte mich wehren.
Und hart dagegenschreiben.
Manchmal hab ich das auch schon gemacht.
Das geht ganz schnell.
Aber es war eigentlich nie klug.
—2—
Leben in Echtzeit.
Ein Wort gibt das andere.
Zu Hause am Küchentisch.
Im Netz.
Am Stammtisch.
In der Talkshow.
In den Zeitungskommentaren.
Unsere Welt ist schnell geworden.
Zu schnell.
Am 1. Januar passiert etwas Schlimmes.
Und die Welt rast dagegen an.
Wenn es nur ein, zwei Tage später deutlich wird,
wittern alle schon die große Verschwörung.
Und dann ist es heraus, und der Zorn kocht hoch,
von Rechts und von Links.
Und von all denen, die verlernt haben,
was ein zivilisierter Umgang miteinander ist.
II. Arena
Ihr wisst doch, wie es ist, wenn in einem Stadion ein Wettlauf stattfindet: Viele
nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Macht es wie der siegreiche Athlet: Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!
Lauft so, dass ihr ihn bekommt. Den Himmelspreis.
Woran hat Paulus gedacht?
Er kannte die Wettkämpfe.
Die Griechen konnten das gut.
Es kamen nicht weniger in die Arenen von Athen,
von Korinth und Ephesus,
als heute zu Fußballspielen kommen.
Die Sportler der Antike waren Stars.
Von manchen sind die Namen bis heute überliefert.
Paulus weiß, was er sagt.
Sportlicher Wettkampf.
Jeder, der an einem Wettkampf teilnehmen will, unterwirft sich einer strengen Disziplin. Die Athleten tun es für einen Siegeskranz, der bald wieder verwelkt. Unser
Siegeskranz hingegen ist unvergänglich.
—3—
Paulus sieht, was die Athleten machen.
Sie üben. Sie trainieren.
Sie verzichten.
Gesundes Essen. Genug Schlaf. Enthaltsamkeit.
Sie bereiten sich vor.
Ein Wettkampf ist ja nicht nur blindes Drauflosrennen.
Da gehört Verstand dazu.
Sie legen weg, was sie aufhält.
Es geht gar nicht um „schneller, höher, weiter, besser“
Es geht darum, am Ende zu gewinnen.
Mit Sinn und Verstand.
Mit Disziplin.
Und Fairness.
Alle Wettkämpfer üben im täglichen Leben Verzicht.
Viele nehmen daran teil, aber nur einer bekommt den Siegespreis. Macht es wie der
siegreiche Athlet: Lauft so, dass ihr den Preis bekommt!
III. Weniger!
Es geht ja so schnell.
Und dann bin ich wütend.
Aber so komme ich nie ans Ziel.
Dann renne ich drauflos.
Ich renne gegen die anderen.
Und ich renne gegen die Wand.
Und wenn wir alle rennen ohne Sinn und Verstand
und ohne Nachdenken und ein zartes Herz –
denn rennen wir die Gesellschaft an die Wand.
Und unser ganzes Land.
Und womöglich Europa.
Alle Wettkämpfer üben im täglichen Leben Verzicht.
„Legt weg, was euch aufhält.“ Sagt Paulus.
„Legt vor allem euer mörderisches Tempo weg.“
Immer schneller, immer aktueller,
immer lauter, immer hemmungsloser,
immer empörter, immer moralischer –
damit lauft ihr gegen die Wand.
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Ihr denkt, ihr müsst immer mehr machen?
Macht weniger!
Ihr wollt immer schneller sein?
Macht langsamer.
IV. Zivilisation
Es sind diese ganz alltäglichen Sachen.
Dieses ganz normale.
Das, was alle machen.
Das hält euch auf.
Empört euch nicht gleich.
Atmet erst einmal.
Und denkt.
Und ehe ihr etwas sagt oder schreibt oder tut:
Fragt euch: „Wem nützt es?
Bringt es uns weiter?
Führt es zum Ziel?
Ist es ein Gewinn? Für mich und die anderen?“
Zivilisation – Kultur – Miteinander:
Das ist nicht immer mehr leisten.
Zivilisation ist weglegen.
Wenn dich etwas aufbringt – wenn Du kochen magst:
Leg es weg.
Alle Wettkämpfer üben im täglichen Leben Verzicht.
Dieser Alltagskram.
Der alltägliche Zorn.
Diese Empörung.
Die Wut, wenn Du siehst, was andere machen.
Leg das weg.
Leg den „bösen Eifer“ (Benedikt) weg.
Denn er bringt dich nicht ans Ziel.
Er bringt dich nur weg.
Er bringt dich weg von den anderen.
Und er bringt dich weg von Gott.
Ich laufe wie ein Läufer, der das Ziel nicht aus den Augen verliert, und kämpfe wie
ein Boxer, dessen Schläge nicht ins Leere gehen.
—5—
Ich führe einen harten Kampf gegen mich selbst, als wäre mein Körper ein Sklave,
dem ich meinen Willen aufzwinge. Denn ich möchte nicht anderen predigen und
dann als einer dastehen, der sich selbst nicht an das hält, was er sagt.
Der Kampf ist ein Kampf gegen den Alltag.
Ein Kampf gegen meine eigene alltägliche Wut.
Der Kampf gegen die viel zu schnelle Welt.
V. Vor dem Hohen Rat
Ich denke an Jesus.
Als man ihn verhaftet hat.
Da kochte die Wut hoch in Simon Petrus.
Er zog sein Schwert
und hieb dem Knecht des Hohenpriesters ein Ohr ab.
Der Knecht hieß Malchus.
Und er hat nur Befehle ausgeführt.
„Stecke dein Schwert an seinen Ort.
Denn wer das Schwert nimmt,
der wird durchs Schwert umkommen.
Oder meinst du,
dass ich nicht meinen Vater bitten könnte,
dass er mir zuschickte mehr als zwölf Legionen Engel?“
Jesus hat es nicht getan.
Und als er vor dem Hohen Rat stand,
bekam er eine Ohrfeige.
Das hat wehgetan.
Und wenn es weh tut, willst Du dich wehren.
Aber er hat nicht zurückgeschlagen,
Er hat nur gefragt:
„Wenn ich etwas Böses gesagt habe, was schlägst du mich?“
Jesus hat langsamer gemacht.
Er ist nicht gegen die anderen gelaufen.
Sondern er ist mit den anderen gelaufen.
Und für die anderen.
Er hat erst einmal durchgeatmet.
Und dann hat er den Zorn weggelassen.
Er ist dafür gestorben.
—6—
Aber da hat eine neue Welt angefangen.
VI. Guter Eifer
„Wie es einen bösen, bitteren Eifer gibt,
der von Gott trennt,
so gibt es auch einen guten Eifer, der zu Gott führt.“
(Benedikts-Regel, 72. Kapitel)
Der fehlgeleitete Eifer macht sich selbst zum Maßstab,
sucht nur die eigene Bestätigung
und ist immer der Gefahr ausgesetzt,
eine zu extreme Reaktion
oder eine zu billige Antwort zu sein.
Es ist die Versuchung, uns selber und andere
zu messen an den Normen eines verzerrten Eifers,
einer neurotischen Frömmigkeit.
Paulus sagt: „Das alles tue ich wegen des Evangeliums; denn ich möchte an dem
Segen teilhaben, den diese Botschaft bringt.“ (V. 23)
Das ist die frohe Botschaft.
Die frei macht, vom Urteil der Leute,
vom eigenen Anspruch, gut sein zu müssen, um etwas wert zu sein,
gewinnen zu müssen.
Darum ist sie so wichtig.
Darum gibt sie meinem Leben Halt und Sinn und Ziel.
Darum tue ich alles, was ich tue wegen des Evangeliums.
Denn ich bin frei von der Sorge und frei für das Leben.
Die Entscheidung über mein Leben ist gefallen.
Der Siegeskranz ist schon da für mich.
Der unverwelkliche.
Den mir niemand mehr nehmen kann.
Niemand wird mich verunsichern,
mir Angst machen,
mir die Freude nehmen.
Das alles tue ich wegen des Evangeliums; denn ich möchte an dem Segen teilhaben, den diese Botschaft bringt.
Alles wegen des Evangeliums zu tun
ist frei von aller Last,
von aller Erwartung,
frei vom Leistungsdruck.
—7—
Es ist ein Spiel, was der Sport immer sein wollte.
Wer spielt, will gewinnen, keine Frage.
Wer spielt, ist innerlich voll dabei,
bringt vollen Einsatz.
Freut sich, wenn er gewinnt.
Ist enttäuscht, wenn er verliert.
Aber es ist ein Spiel.
Das Leben hängt davon nicht ab.
Die Entscheidung, was einer wert ist,
ob er eine Zukunft hat, hängt daran nicht.
Leben als ein Spiel.
Mit Lust und Freude,
mit vollem Engagement.
Mit allen Kräften und Fähigkeiten,
aber ohne Erwartung und Druck.
Gewinnen wollen, aber nicht müssen.
Ich bete, weil es mir wichtig ist,
mit dem zu reden, der mir Freiheit schenkt.
Ich gehe zum Gottesdienst,
weil es gut ist, auf ihn zu hören, seine Vergebung zu erfahren, mit anderen zusammen zu sein, gemeinsam zu singen.
Ich bringe mich ein mit dem, was ich kann,
weil es Freude macht,
weil es Gemeinschaft befördert,
weil es der Gemeinde hilft, die mir am Herzen liegt.
Ich helfe da, wo ich helfen kann,
weil ich es kann und weil es anderen gut tut.
Manchmal muss ich mich zwingen.
Dann bin ich träge oder faul.
Dann bin ich müde oder lustlos.
Dann bin ich gedankenlos oder abgelenkt.
Manchmal bin ich verärgert.
Oder ich denke, es bringt ja doch nichts.
Aufwand und Ertrag stehen in keinem guten Verhältnis.
Dann muss ich mit mir selber kämpfen,
wie ein Sportler, der ein Ziel vor Augen hat.
Der dafür alles investiert.
Ich will nicht aus den Augen verlieren,
—8—
was ich längst gewonnen habe.
Das ist „der gute Eifer, der zu Gott führt“.
Wir müssen uns eifrig umeinander annehmen.
Die Schwächen derer, die mit uns leben, mit eifriger Geduld ertragen.
Wir müssen eifrig miteinander wetteifern,
im Bemühen, aufmerksam auf die Weisheit
und die Bedürfnisse anderer zu hören,
statt uns auf unsere eigenen zu fixieren.
Wir müssen eifrig tun, was für andere das Beste ist,
statt uns bloß auf das zu konzentrieren,
was – nach unseren Vorstellungen –
für uns das Beste ist.
Wir müssen einander eifrig lieben,
nüchtern und angemessen,
nicht selbstsüchtig oder ausbeuterisch.
Wir müssen uns in Eifer und Ehrfurcht
der Gegenwart Gottes in uns und um uns herum bewusst sein.
Vor allem sollen wir der Liebe Gottes nichts Weltliches vorziehen.
Weglegen, was mich aufhält.
Eigentlich weiß ich, wie es geht.
Ich weiß es von Jesus.
Langsamer machen.
Und so laufen, dass alle gewinnen.
Ich und die anderen.
Amen.