Commerzbank: Eine gewisse Ironie

Wirtschaft aktuell im Unterricht vom 03.11.2015
Commerzbank: Eine gewisse Ironie
1. Kompetenzen
Die Schülerinnen und Schüler sollen ...
1. die Entwicklung der Commerzbank in den letzten Jahren beschreiben.
2. wesentliche Rahmenbedingungen und Einflussfaktoren auf das unternehmerische Handeln ermitteln.
3. bestehende Aufgaben und Herausforderungen für die neue Unternehmensführung herausarbeiten.
2. Aufgaben
1.
Verorten Sie die Stellung der Commerzbank in der deutschen Bankenbranche.
Beschreiben Sie ihre Geschäftsentwicklung seit 2008.
2.
Ermitteln Sie wesentliche Einflussfaktoren auf das Unternehmensergebnis und
die unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten. Unterscheiden Sie hierbei
die Wirkungen interner Entscheidungen und externer Prozesse und Entwicklungen.
3.
Überprüfen Sie, inwieweit Stake- und Shareholder des Unternehmens derzeit
zu unterschiedlichen Einschätzungen hinsichtlich der Krisenmaßnahmen des
Vorstandes in den letzten Jahren kommen. Begründen Sie dies.
4.
Setzen Sie sich in diesem Zusammenhang mit den divergierenden Interessen
und Zielgruppen der verschiedenen (staatlichen und privatwirtschaftlichen)
Akteure auseinander.
5.
Erläutern Sie die für den neuen Vorstand bestehenden Aufgaben und Herausforderungen.
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Commerzbank: Eine gewisse Ironie
Die Commerzbank ist zwar aus dem Gröbsten heraus - dem neuen Chef bleiben aber
genügend Baustellen.
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Es gehört zu den überraschenden Wendungen von Martin Blessings Karriere, dass er
die Commerzbank gerade in dem Moment verlässt, in dem er fester denn je im Sattel
sitzt. In den vergangenen Jahren sah es selten so aus, als würde die Initiative von
Blessing ausgehen, wenn er eines Tages den Hut nimmt. Und stets standen seine
Schwächen im Zentrum der Betrachtungen. Nun, wo er geht, sind es die Verdienste.
"Vor zwei bis drei Jahren hätten wir es gut gefunden, wenn Blessing gegangen wäre",
sagt ein Vertreter eines großen Aktionärs. Doch inzwischen findet er, "dass Blessing
seine Herkulesaufgabe der Umstrukturierung gut gemeistert hat".
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Tatsächlich ist das wohl Blessings größtes Verdienst: dass die Commerzbank noch
immer existiert - trotz der 18,2 Milliarden Euro an Staatshilfen, trotz des verpatzten
Stresstests 2012, trotz der Milliardenverluste, trotz der faulen Schiffs- und
Immobilienkredite, trotz griechischer Anleihen. Mit einer harten Eigenkapitalquote
von 10,8 Prozent steht das Institut solide da. Dafür zollen ihm auch
Regierungsvertreter Respekt. "Wir hätten es gut gefunden, wenn er weitergemacht
hätte", heißt es aus dem Regierungslager. Blessings augenfälligster Erfolg ist aber die
Rückkehr zur Dividende: Erstmals seit seinem Amtsantritt im Mai 2008 versprach
Blessing seinen Aktionären ganz offen eine Dividende. 20 Cent je Aktie hat das
Institut zurückgelegt.
Subtiler sind die Weichenstellungen, bei denen er das richtige Gespür für politische
Trends bewies: Die Bank hat sich früh überlegt, welche Geschäfte auch unter
strengeren regulatorischen Vorschriften noch sinnvoll sind. Anders als die Deutsche
Bank setzte die Commerzbank auf ein Geschäftsmodell, das sie sich mit ihrer
Kapitaldecke auch leisten kann. Dafür steht beispielhaft das Privatkundengeschäft
unter Martin Zielke, die ihr operatives Ergebnis in den ersten neun Monaten dieses
Jahres auf 562 Millionen Euro steigerte. Damit ist das Ziel, bis 2016 eine halbe
Milliarde Euro zu verdienen, vorzeitig erreicht. […] Wenn der Aufsichtsrat der Bank
am Mittwoch über die neue Mittelfriststrategie für die nächsten Jahre debattiert, dann
wird zwar die aktualisierte Fassung der Mittelfristplanung der Bank diskutiert, doch
alles innerhalb der bekannten Leitplanken.
Trotz solcher Erfolge bleiben für die Bank aber noch genug Baustellen. Das Ziel, in
der Kernbank bis Ende 2016 eine Eigenkapitalrendite von über zehn Prozent zu
verdienen, wird die Bank vermutlich verfehlen. "Wir sehen zu, dass wir so nahe
drankommen, wie es geht, oder vielleicht darauf", gibt sich Finanzchef Stephan
Engels defensiv. Die Altlasten der Bank sind zwar enorm geschrumpft, die
bedrohlichsten Kredite verschwunden. Mit einem Volumen von 22 Milliarden Euro
sind die Schiffs- und Immobilienkredite aber noch immer ein großer Ballast.
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Auch der Staat als mitunter lästiger Großaktionär bleibt eine Altlast der Ära Blessing:
Zwar ist ein Großteil der Staatshilfen zurückgezahlt, doch der Bund besitzt noch 15,6
Prozent der Aktien. Das könnte noch eine Weile so bleiben: Für das Aktienpaket
zahlte der Bund einst 5,1 Milliarden Euro, beim aktuellen Kurs ist es nur 2,1
Milliarden Euro wert. Zwar hält sich die Regierung aus der Geschäftspolitik der Bank
heraus, doch bei Themen wie Abfindungen, Boni oder Managementgehältern mischt
sich der Staat gerne ein.
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Und bei allem strategischem Geschick: Aufbruch und Neuanfang konnte Blessing
nicht so verkörpern, wie es wohl nötig gewesen wäre. Intern, unter Mitarbeitern und
Führungskräften, mag ihm das weniger geschadet haben. Nur hier und da beklagen
Manager, der Bank mangele es an Wachstumsvisionen. Vor allem extern gibt es eine
Sehnsucht nach frischen Gesichtern: "Gut, dass Blessing gehen will, die Entscheidung
war überfällig gewesen. Es reicht", sagt der Vertreter eines großen deutschen
Fondsanbieters. Es habe genug Kapitalerhöhungen mit Verwässerungseffekten
gegeben. Auch ein anderer Anleger klagt, Blessing habe "für die Aktionäre bisher
nichts getan". Hätte die Bank nicht vor zwei Jahren ihre Aktien im Verhältnis von
zehn zu eins zusammengelegt, sie wäre ein Pennystock. Den Kritikern spricht wohl
Gerhard Schick, der Finanzexperte der Grünen, aus der Seele: "Der Rücktritt ist
endlich die Chance auf einen Neuanfang bei der Commerzbank, der nach dem
Scheitern und der Staatsrettung 2008 sträflicherweise versäumt wurde."
Quelle: Specht, F./Osman, Y./Rezmer, A., Handelsblatt, Nr. 212, 03.11.2015, 4
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