Die Crux mit dem Hausbesuch

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WIRTSCHAFT
der niedergelassene arzt 6/2015
Auf die richtige Dokumentation achten
Die Crux mit dem Hausbesuch
H
ausbesuche spielen in der Versorgung
einer älter werdenden Bevölkerung
eine eminent wichtige Rolle. Trotzdem
steht eine Reihe von Ärzten dem Thema
Hausbesuche kritisch gegenüber. Diese
Haltung wird auch noch durch die Praxis
der Prüfgremien verstärkt. Denn die
Abrechnung der Hausbesuchsleistungen
gerät in schöner Regelmäßigkeit ins Fadenkreuz der Prüfungen. Besonders im Rahmen der Zufallsprüfungen – der Stichprobe
von zwei Prozent der Vertragsärzte, die
jedes Quartal geprüft werden (müssen) –
wurde in letzter Zeit immer wieder die Notwendigkeit von Hausbesuchsleistungen
hinterfragt. Hier wurde insbesondere bei
einer unzureichenden Dokumentation von
Diagnosen kritisch nachgefragt.
Zum einen kann der Hausbesuch gerade
in einem ländlich strukturierten Umfeld
betriebswirtschaftlich kaum sinnvoll
erbracht werden – und dann riskiert man
auch noch den Ärger einer Prüfung – kein
Wunder, dass hier viele, insbesondere jüngere Ärzte lieber die Finger davon lassen.
Doch wenn man einige Regeln beachtet,
dann kann man diese wichtige Leistung
auch erbringen ohne unliebsame Post von
der Prüfungsstelle zu riskieren. Deshalb
lohnt es sich immer wieder, sich mit diesem
Thema auseinanderzusetzen.
So steht’s im EBM…
Vorab: Definition des Begriffs „Besuch“ im
EBM, Präambel zum Abschnitt 1.4:
© Gina Sanders / Fotolia
Der Hausbesuch ist eine wichtige Leistung, die niedergelassene Ärzte erbringen, wenn der Patient nicht in der Lage
ist, die Praxis aufzusuchen. Hausärzte
betreuen Patienten zuhause, Fachärzte
sind aktiv bei der Betreuung von Heimpatienten. In vielen KV-Bezirken fallen
Hausbesuche in die Kategorie der
besonders förderungswürdigen Leistungen, sie werden also mit Zusatzpauschalen extra honoriert.
„Ein Besuch ... ist eine ärztliche Inanspruchnahme, zu der der Arzt seine Praxis, Wohnung oder einen anderen Ort verlassen muss,
um sich an eine andere Stelle zur Behandlung
eines Erkrankten zu begeben.“
Ein Hausbesuch ist demnach keine Serviceleistung, sondern muss durch eine oder
mehrere Diagnosen entsprechend indiziert
sein. Welche Diagnosen ausreichend sind,
hängt auch von der allgemeinen Situation
des Patienten ab. Bei älteren, multimorbiden Patienten können Diagnosen ausreichend sein, bei denen grundsätzlich von der
Notwendigkeit eines Hausbesuches auszugehen ist, ohne dass für den konkreten
Anlass im Einzelfall eine Diagnose angegeben werden muss. Bei jüngeren Patienten,
die ansonsten keine schwerwiegenden
Erkrankungen haben, werden höhere
Anforderungen an die Dokumentation der
Notwendigkeit gestellt.
Wann 01410 – wann sicher 01413?
Wenn ein Arzt mehrere Patienten im gleichen zeitlichen / räumlichen Zusammenhang besucht, wird beim ersten Patienten
die Gebührenordnungsposition (GOP)
01410 abgerechnet, bei den anderen Patienten die 01413, wenn
– es sich um die gleiche soziale Gemeinschaft (z.B. Familie)
– oder ein beschützendes Wohnheim
bzw. Einrichtung bzw. Pflege- oder
Altenheim mit Pflegepersonal handelt.
Der Begriff der „Sozialen Gemeinschaft“
bezieht sich nicht auf die Einrichtungen mit
Pflegepersonal, sondern ist eine eigene
Gruppe. Wann eine „Soziale Gemeinschaft“
vorliegt, ist nicht eindeutig und muss in
jedem Einzelfall neu geprüft werden. Es
wurden verschiedene Kriterien entwickelt.
Dazu gehört vor allem ein Gemeinschaftsleben wie z. B. gemeinsames Essen. Bei den
genannten Einrichtungen ist das Pflegepersonal ein wichtiges Kriterium, d. h. reine
Wohneinrichtungen mit spezieller Ausrichtung auf ältere Personen, aber ohne Pflegepersonal sind keine Einrichtungen im Sinne
der GOP 01413.
Wenn ein Arzt mehrere Patienten in
einer Einrichtung mit Pflegepersonal
besucht, wird beim ersten Patienten die
GOP 01410, bei den anderen Patienten die
GOP 01413 abgerechnet. Einige KVen
WIRTSCHAFT
Welche Frequenz ist „normal“?
Es gibt keine Vorgabe für eine normale
Hausbesuchstätigkeit. Vielmehr wird bei
einer Überschreitung der Vergleichswerte
der Fachgruppe für die Hausbesuchsziffern („Häufigkeit auf 100 Fälle“) geprüft,
ob die Hausbesuche durch die angegebenen Diagnosen indiziert waren. Dies
betrifft nicht nur die Anzahl der Hausbesuchspatienten, sondern auch die Anzahl
der Hausbesuche pro Patient. Für einen
Patienten mit fieberhaftem Infekt ist dies
eine andere Zahl als bei einem Palliativpatienten. Grundsätzlich gilt, dass die KVen
bei den betagten Heimpatienten mit ihren
umfangreichen Diagnosemengen davon
ausgehen, dass diese Patienten regelmäßig
und z. T. engmaschig betreut werden müssen. Bei jüngeren Hausbesuchspatienten
wird z. B. bei Zufälligkeitsprüfungen häufig hinterfragt, dass man anhand der Diagnosen nicht nachvollziehen könne, dass
der Patient nicht auch in die Praxis kommen könne.
Aussagen wie „ich sehe meine Hausbesuchspatienten regelmäßig alle zwei
Wochen“ sind dabei kritisch zu werten. Es
sollte deshalb aus der Dokumentation bzw.
den Diagnosen plausibel nachvollziehbar
sein, wenn Patienten regelmäßig betreut
werden müssen. Verdachtsdiagnosen oder
der Ausschluss von Diagnosen können
natürlich auch herangezogen werden, es
müssen keinesfalls alle Diagnosen gleich als
„gesichert“ dokumentiert werden. Aber
natürlich lohnt es sich auch hier, den gesunden Menschenverstand zu Rate zu ziehen:
Hausbesuche, die über einen längeren Zeitraum mit Verdachtsdiagnosen begründet
werden, sind im Falle einer Prüfung kaum
zu verteidigen …
Wie verhalte ich mich bei dringenden
Hausbesuchen? Was ist bei „auf Anforderung“ zu dokumentieren?
Die Hausbesuche nach den GOP 01411 /
01412 dürfen nur in bestimmten Fällen
abgerechnet werden, vor allem bei sog.
„dringenden Besuchen“, dazu gibt es den
Zusatz „wegen der Erkrankung, unverzüglich nach Bestellung ausgeführt“.
An die angegebenen Diagnosen werden
höhere Anforderungen als an den Hausbesuch nach der GOP 01410 / 01413 gestellt.
Falls sich keine ausreichend dringenden
Diagnosen nach ICD-10 finden, ist der
Grund für den Hausbesuch zusätzlich in
der Akte zu dokumentieren.
Die GOP 01415 setzt eine Anforderung
des Pflegeheims voraus. Diese ist entweder
am einfachsten als Fax, ansonsten bei telefonischer Anforderung als Notiz in der Akte
zu dokumentieren. Aber auch hier gilt: Eine
Anforderung des Hausbesuchs in schöner
Regelmäßigkeit könnte z.B. im Rahmen
einer Zufallsprüfung Anlass zu Nachfragen
geben.
Warum ist es essentiell, den Patienten
persönlich in Augenschein zu nehmen?
Werden regelmäßig Hausbesuche bei pflegebedürftigen Patienten in Heimen durchgeführt, sind einige Ärzte so vorgegangen,
dass sie mit dem Pflegepersonal die Fälle
anhand der Akten besprochen haben und
danach einzelne aber nicht alle Patienten
persönlich gesehen haben. Dabei sind Leistungen abgerechnet und Verordnungen
getätigt worden bei Patienten, die kurz vorher verstorben waren oder zum Zeitpunkt
des Besuchs stationär behandelt wurden.
Dies stellt einen groben Verstoß gegen kassenärztliche Pflichten dar und kann zu Prüfungsverfahren bis hin zu Strafverfahren
und Entzug der Zulassung führen.
Verordnungen von Heil- und Arzneimitteln bei Patienten in Pflegeeinrichtungen: Wann könnten diese eine Praxisbesonderheit darstellen?
Eine Praxisbesonderheit können Heimpatienten darstellen, wenn aufgrund der
Erkrankungen eine durchschnittlich
­höhere Verordnungsmenge pro Patient an
Heilmitteln und Arzneimitteln vorliegt, als
bei den anderen Patienten. Deshalb sind
einzelne KVen dazu übergegangen, Ärzten
die Möglichkeit zu geben, Heimpatienten
mit einer Pseudoziffer zu kennzeichnen.
Damit können diese Patienten sicher identifiziert werden und vorab geprüft werden,
ob eine Überschreitung der Richtgröße
durch diese Heimpatienten ausgelöst wird.
Aber cave: Die Versorgung von Heimpatienten hohen Alters begründet nicht automatisch eine im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung zu berücksichtigende
Praxisbesonderheit. Vielmehr gehöre sie zu
den allgemeinen Aufgaben von Hausärzten,
entschied das Bundessozialgericht (BSG)
2013. Praxisbesonderheiten seien nur dann
anzuerkennen, „wenn ein spezifischer, vom
Durchschnitt der Vergleichsgruppe signifikant abweichender Behandlungsbedarf des
Patientenklientels und die hierdurch hervorgerufenen Mehrkosten nachgewiesen
werden“. Zudem argumentiert das BSG,
dass der Arzt dann schlüssig darlegen
­müsse, dass die Heimpatienten im Vergleich zur Betreuung der alten Patienten
zuhause einen deutlich höheren Betreuungsaufwand aufweisen.
Nach unserer Erfahrung liegen die Verordnungskosten bei Heimpatienten in
einem vergleichbaren Rahmen wie die
ambulant betreuter Patienten, die noch
zuhause leben können.
Deshalb: die Angst vor dem Regress ist
bei sorgfältiger Dokumentation absolut
unbegründet und sollte keinen Arzt davon
abhalten, Hausbesuchsleistungen zu erbringen!
Dr. med. Georg Lübben
© Karl-Hendrik Tittel
haben es zugelassen, dass bei Einrichtungen
mit Pflegepersonal und mehreren organisatorisch getrennten Stationen pro Station
einmal die GOP 01410 und für die anderen
Patienten der Station die 01413 abgerechnet
wird. Dies ergibt sich nicht aus dem Text der
GOP 01413 und ist bei der lokalen KV zu
erfahren – und sich auch auf jeden Fall
schriftlich bestätigen zu lassen.
Sofern man zur Abrechnung in den Stationen keine Aussage seiner KV hat, rechnet
man sicher nur ab, wenn in einer Einrichtung mit Pflegepersonal einmal die GOP
01410 und bei anderen Patienten die GOP
01413 angesetzt wird.
© cbckchristine / Fotolia
der niedergelassene arzt 6/2015
Vorstand
AAC Praxisberatung AG
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10117 Berlin
Tel.: 030-22 44 523-14,
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E-Mail: [email protected]
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