Weiterlesen - Jesuitenmission

Pater Franz Magnis-Suseno SJ
Philosophische Hochschule Driyarkara (Sekolah Tinggi Filsafat Driyarkara)
Briefadresse: STF Driyarkara, Cempaka Putih 100 A, Jakarta 10520, Indonesia
Büro (Hochschule): Tel.: 62-21-4247129 , Fax: 62-21-4259847;
Email: [email protected]; [email protected]; HP: 62-87877187845/62-081398331105
Jakarta, den 12. Dezember 2015
Liebe Freunde, Verwandte, Wohltäter,
Ihnen und Euch allen – im Folgenden belasse ich es bei "Euch" - wünsche ich von Herzen ein
gnadenreiches, frohes Weihnachten und ein gesegnetes, gutes neues Jahr. Dass wir alle älter
werden, ist nicht weiter bemerkenswert, aber viele von uns sind inzwischen wirklich alt geworden, und jedes Jahr müssen ein paar Briefe weniger herausgehen, weil Gott die Adressaten zu
sich geholt hat. Ich bin jetzt 79 Jahre alt, was in Indonesien, wo Alte geehrt werden, ausgesprochen von Vorteil ist. Ich bin sehr dankbar, dass ich immer noch in guter Gesundheit bin, noch
fast alle Zähne habe, noch weiter Vorlesungen geben kann – vergangenes Semester wieder eine
Pflichtvorlesung im Magisterprogramm (über große Ethiktraditionen und Ethikphilosophie), sowie im vorigen Jahr. Meine Hauptverantwortung ist (bis 2017, wenn mirs gegeben wird) die
Hochschulstiftung. In die Leitung der Hochschule brauche ich mich da nicht einzumischen, aber
der Jahreshaushalt, Arbeitsverträge, Versicherungen und Pensionen unserer Angestellten (dass
die meisten Dozenten Priester sind, die von ihren Orden, bzw. der Erzdiözese abgesichert sind,
schlägt sich da zu Buche), Grundstückpapiere, die in Ordnung gebracht werden müssen, usw.
bringen doch auch Arbeit mit sich, wo ich mich allerdings auf gute Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen stützen darf. Auch dieses Jahr werde ich auf mindestens 75 extra-currikuläre Veranstaltungen – Vorträge, öffentliche Diskussionen usw. – kommen. Und immer wieder Interviews, da
ich inzwischen zu einer Art genereller Ansprechpartner katholischer Seite zu moralischen Fragen
geworden bin, die die (indonesische) Nationen bewegen, daher auch viel auf Talkshows bin. Zur
Zeit läuft z. B. Beispiel ein ziemlich unerhörter Fall von einem korrupten Parlamentspräsidenten
hier durch die Medien, und dazu bin ich sicher sechs sieben Mal von Fernsehstationen interviewt
worden, wurde zu zwei anderthalbstündigen mitternächtlichen Talkshows live, jeweils zu viert,
bestellt. Mit der Folge, dass ich überall angesprochen werde und, etwas mühsam, zu Selfies gebeten werde (auch manchmal lustig, der ältere katholische Priester mit schicken, kopftuchtragenden muslimischen Studentinnen!). Auch sind im letzten Jahr zwei neue Bücher (auf Indonesisch)
herausgekommen, das eine, "Glaube und Gewissensgrund" eine Sammlung von Vorträgen und
Artikel in Catholicis, 219 Seiten, das andere, "Nationalbewusstsein, Demokratie, Pluralismus",
278 Seiten, etwa 30 Zeitungsartikel der letzten zehn Jahre.
Was ich dabei spüre ist, dass irgendwie von hinten, also nicht zu sehen, ein großes, liebevolles, verzeihendes Geheimnis immer dabei ist, mehr als ein Schutzengel, ein Geheimnis, das
zugleich die beruhigende, bei allen mir immer deutlicher werdenden Unzulänglichkeiten mir inneren Frieden spendende Nähe zum Tode ist, vor dem ich eigentlich keine Angst mehr habe, da
ich inzwischen erfahren zu haben glaube, dass von uns im Tode keine vollen Hände erwartet
werden, dass wir uns vielmehr auch mit völlig leeren Händen in die Liebe dieses Geheimnisses
fallen dürfen. Ein Geheimnis, das ich wie einen Schatten zu spüren glaube, der mir immer schon
voraus ist, da, wo ich hin treten werde, ein Schatten mit leuchtendem Rand, also ein lichter
Schatten.
Über die Medien verfolge ich die Krisen, die Euch nahe betreffen: Griechenlandkrise,
Flüchtlingskrise (das kann eigentlich nur noch schlimmer werden; in Indonesien nehmen die
Flüchtlinge aus Myanmar – verfolgte Muslime, - Bangladesch, Afghanistan u. a. zu, die meist
nur Station auf dem Wege nach Australien machen, aber wohl bald Indonesien, ein relativ funktionierendes, im Wesentlichen friedliches Land, als lohnendes Endziel entdecken werden), Europakrise, Klimakrise, Islamkrise. In Indonesien haben wir einen politisch schwachen Präsidenten,
grassierende Korruption der politischen Klasse, vor allem der Parlamentarier und örtlicher Politiker – dadurch sind religiöse Konflikte in den Hintergrund getreten. Ganz sicher, in diesem
Jahrhundert kann es sehr unschön werden.
In einer solchen Umwelt ist es nicht leicht, die von Jesus mir, all denen, die ihm folgen
aufgetragene Frohe Botschaft – die Zusage von Gottes rettender, heilender Liebe – glaubwürdig
mitzuteilen. Und doch hat sie für die, die sich auf sie einlassen, eine befreiende Wirkung, eine
Art Erfahrung, dass man Jesu Aufforderung "fürchtet euch nicht!" vertrauen darf. Reden hilft da
wenig. Ein 12 jähriges ehemaliges Straßenmädchen fragte Papst Franziskus auf den Philippinen:
"Wie kann Gott zulassen, dass so viele Mädchen Opfer von Menschenhandel und Prostitution
werden?" Worauf Franziskus sie in die Arme nahm und antwortete: "Sie ist die einzige, die eine
Frage gestellt hat, auf die es keine Antwort gibt." Für mich die einzig mögliche Antwort (aber
welcher Papst hatte bisher den Mut zuzugeben, dass er keine Antwort auf eine Lebensfrage
hat?).
Manchmal zittere ich bei dem Gedanken, der Papst halte es nicht lang genug aus, um die
Kirche in eine Erneuerung zu führen zu einer Kirche, die wirklich Gottes Barmherzigkeit und
heilende Kraft (Franziskus: die Kirche muss ein Feldlazarett sein!) abstrahlt, zum Ausbruch aus
einem Panzer institutionalisierter Hartherzigkeit, Selbstgerechtigkeit, und der Unfähigkeit, zuzugeben, dass sie das Evangelium immer wieder missverstanden hat (wie es im 2. Vatikanum
überwältigend zum Ausdruck kommt in der Erklärung, dass auch Nichtgetauften Gottes Heil angeboten ist (gegen den harten Satz u. a. des Florenzer Konzils vom "extra ecclesiam nulla
salus"), und in der Erklärung zur Religionsfreiheit)?
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In einer Delegation unseres Kultusministeriums kam ich im Oktober zur Frankfurter
Buchmesse, auf der Indonesien der Ehrengast war. Zuvor konnte ich sechs überaus gemütliche
Tage bei meiner Schwester Josepha Loe und meinem Schwager Franz verbringen. Beiden geht
es ja gar nicht gut. Aber ich traf sie in optimaler Situation. Franz hatte sich von einer ersten Bestrahlungsperiode gut erholt. Ich half Franz, seine Weinvorräte etwas abzubauen. Danach musste
er in die zweite Bestrahlung und Chemotherapie, die ihn jetzt offenbar doch stark mitgenommen
hat. Kurz vor ich zurückflog, musste Sephi mit Atmungsproblemen plötzlich auf die Intensivstation und ich konnte sie direkt vor meinem Rückflug sehen, da konnte sie schon wieder etwas
sprechen – inzwischen ist sie aus der Reha wieder zurück, Gott sei Dank. Auf der Buchmesse
musste ich sechs Mal auftreten, darunter 25 Minuten Interview durchs ARD. Gefreut hat mich,
dass mein Freund, der indonesische frühere Präsident Habibie, mein neues Buch "Garuda im
Aufwind. Das moderne Indonesien" (Dietz Verlag) vorgestellt hat. Auch nach Bielefeld hatte
mich mein Freund Eitel Riefenstahl zu einem Vortrag vor seiner evangelischen Gemeinde eingeladen. Zuvor konnte ich zwei Tage bei meiner Schwester Bernadette und Karl-Heinz Schulz verbringen. Mit Bernadette bin ich auf den Dürrhof gefahren, um Gertrud Huber und eben den Dürrhof noch einmal zu sehen, wo wir 1947 wunderbare Sommerferien verbracht hatten und mit der
Huberfamilie immer eng befreundet waren. Auch meine Schwester Bianca Twickel konnte ich
besuchen. Jan, ihr Mann, war nach seiner schweren Krankheit im Jahr zuvor in mittelguter Form
und auch dieser Besuch war sehr gelungen. Meine Schwester Sophie Dohna und Adrian chauffierte mich direkt nach Bonn, so dass ich eben Sephi noch einmal sehen konnte. So komme ich
immer wieder zu schönen Besuchen meiner Geschwister nach Deutschland.
Eine große Ehre war, dass mir – mit 18 anderen – Präsident Joko Widodo im August zum
indonesischen Nationalfeiertag den höchsten an Zivile vergebbaren Orden Mahaputera Utama
verliehen hat, wohl wegen meiner Beiträge zur politischen Ethik, und gleich danach erhielt ich
noch von einer privaten Stiftung einen Roosseno Award wegen meiner Beiträge zum interreligiösen Dialog. Der Herr vergebe es mir. Dass ich nach dem Mahaputera im Interview erklärte, ich
würde weiterhin Kritik üben, wenn mir das nötig erschiene, wurde weithin beachtet.
Überhaupt habe ich in diesem Jahr viel erlebt. Wobei ich hier meist als "religiöser Führer" laufe, zusammen mit religiösen Führern der anderen Religionen. Wobei die muslimischen
die wichtigsten sind. Zusammen mit ihnen habe ich mich stark in der Antikorruptionsbewegung
engagiert. Im Januar verlas ich zusammen mit Frau Suciwati, der Frau des vor einigen Jahren
ermordeten Menschenrechtlers Munir, einen Protesttext gegen die versuchte Schwächung unserer Antikorruptionskommission vor versammelten Medien, wir etwa 20 Religions- und Menschenrechtsvertreter, mit hochgehobener Faust – das gleiche wieder vor ein paar Tagen. Im März
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war ich einen Tag lang Prüfer der ethischen Tauglichkeit von Kandidaten für den obersten Gerichtshof.
Inzwischen finde ich Reisen doch etwas anstrengend, das Herumsitzen auf Flugplätzen
usw (obwohl ich da wenigstens Zeit zum lesen habe). Dennoch bin ich immer wieder unterwegs.
So im April zu einem von Protestanten organisierten "Nationalen Ostern" nach Kupang auf
Timor, und im Juli, im islamischen Fastenmonat Ramadhan, zu einer Tagung mit anschließendem "Fastenbrechen", organisiert von einer katholischen Pfarrei in Banjarmasin auf Kalimantan
(Borneo), wo Vertreter aller Religionen, vor allen der Muslime, mit dabei waren. Fastenbrechen
bedeutet: Zusammen nach Ende des Fastens, gegen Sonnenuntergang, die erste Mahlzeit einnehmen. Solche Fastenbrechen werden in der Fastenzeit oft von Institutionen, aber auch von
Pfarreien veranstaltet, als gute Gelegenheit, Muslime einzuladen und mit ihnen gute Beziehungen aufzubauen. Zuerst gab es eine Tagung, Beginn um 15.00h, mit vielen Gästen, zu einem allgemein interessierenden Thema, mit drei Sprechern, darunter ich, und danach Fragen aus dem
Publikum. Bevor es dann Zeit zum Fastenbrechen ist, wird ein gemeinsames Gebet gesprochen,
oft mit der Einleitung "jeder/jeder nach ihrer Religion, wir beten hier katholisch vor", dann wird
erst meist etwas Süßes getrunken und dann steht büffetartig Essen bereit, die Muslime ziehen
sich eben fürs Abendgebet (Maghrib) in einen dafür hergerichteten Raum zurück, wo sie auch
die geförderte Abwaschung (wudhu) vornehmen.
Zu einer besonderen Tagung wurde ich im September nach Ledalero eingeladen, der großen philosophisch-theologischen Hochschule der Steiler auf (dem katholischen) Flores. Gegen
den Protest des Bupatis (Bezirksleiters, eine sehr mächtige Position) und des Bischofs von
Maumere zog die Hochschulleitung die Tagung durch. Es ging um die im Anschluss an den
Putschversuch der kommunistischen Partei und linker Militärs am 1. Oktober 1965 – es ist jetzt
50 Jahren her - ermordeten "Kommunisten". Es war eine gute, natürlich bedrückende Tagung.
Ich sprach aus der ganzindonesischen Perspektive, Pater John Prior SVD konkret, was da lokal
passiert war. Allein in der nicht so großen Stadt Maumere sind von Februar bis Juni 1966 mindestens 800 katholische "Kommunisten" von katholischen Milizen, die vom Militär ermutigt
worden waren, umgebracht worden. Darunter ein führender katholischer Linker, der erst gefoltert wurde und dem die von ihm erbetenen Sterbesakramente von der Kirche verweigert wurden!
Auf ganz Flores, dieser fast ganz katholischen Insel mit jetzt knapp 3 Millionen Einwohnern,
sind mindestens 5000 Kommunisten ermordet worden. Die Kirche hat sich da, gelinde gesagt,
nicht ausgezeichnet.
Die grauenhaften Morde an "Kommunisten" (viele keine "echten") durch die Armee und
von ihr geführte Jugendgruppen gehören zu den großen Massakern des 20. Jahrhunderts, mit
zwischen 500.000 und 2 Millionen Ermordeten, Verhaftungen, Konzentrationslagern, Folterun4
gen und Vergewaltigungen von Frauen. Das ist immer noch ein Tabu seit der Suharto-Zeit. Wer
das hochbringt, ist zwar nicht mehr in Lebensgefahr, aber kann doch Intimation erfahren. Ich
selbst habe mich da mündlich und schriftlich herausgehängt, allerdings keinerlei Intimationen erfahren, nicht nur, weil immer noch Millionen Menschen die Folgen dieser Stigmatisierung tragen
– es ist eine Forderungen fundamentaler Gerechtigkeit, dass endlich die Opfer als Opfer anerkannt werden, – sondern weil eine innere Befriedung Indonesiens nicht möglich ist, wenn solche
Bluttaten verdrängt werden. Inzwischen läuft hier ein Kampf zwischen Menschenrechtlern und
vor allem Christen, aber auch Freunden muslimischer NGOs und alten Suharto-Leuten – zum
Teil selbst noch in die Morde verwickelt – um etwaige Rehabilitierung der Opfer.
Im vergangenen Monat war ich zehn Tage in Kambodscha, um an etwa 35 dort arbeitende Jesuiten und jesuit volunteers (Männer und Frauen, die sich für ein oder zwei Jahre zur Mitarbeit mit Jesuiten zur Verfügung gestellt haben, eine ausgezeichnete Gruppe). Die Mehrzahl von
ihnen Koreaner, aber auch vietnamesischen Jesuiten, Philippiner, vier Indonesier, ein Inder und
ein Ire. Sie haben mich sehr beeindruckt. Aber leicht gefallen ist es mir nicht, denn Exerzitien
geben bin ich nicht gewöhnt und mein Englisch wird auch ständig schlechter. Gesehen habe ich
nichts, außer der nicht sehr interessanten etwa vierstündigen Fahrt von Phnom Penh nach
Sihanoukville – wo das Exerzitienhaus, leider nicht am Meer, stand – und zurück. Am Ende
fühlte ich mich bereichert, aber auch ziemlich schlapp.
Jetzt möchte ich Schluss machen. Noch einmal wünsche ich euch alles Gute, Gottes Segen und eine möglichst gute Gesundheit und noch einmal ein gutes neues Jahr,
mit herzlichen Grüßen
Franz (Magnis-Suseno SJ)
Spendenkonto: Missionsprokur der Deutschen Provinz der Jesuiten: Ligabank
(BLZ 750 903 00) 5 115 582; BIC: GENODEF1M05, IBAN: DE61 7509 0300 0005 1155 82
immer mit Vermerk "für Pater Magnis-Suseno SJ"
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