Zur Aenigma-Ausstellung über anthroposophische Kunst Maria Strakosch-Giesler, Vier Elemente I.-V (Erde, Wasser, Feuer, Luft) Aquarelle, durch die Badewanne gezogen INFO3 SEP TEMBER 2015 S047-051-ZA-Interview Faith.indd 47 ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG 47 26.08.2015 12:29:24 ZWEIGABEND Vom 17. August bis zum 25. Oktober zieht die vielbeachtete Ausstellung „Aenigma – 100 Jahre anthroposophische Kunst“ von Olmütz in Tschechien nach Halle an der Saale: ins Kunstmuseum Moritzburg mit Korrespondenzstandort Schloss, Park und Grabkapelle Ostrau. INTERVIEW / FOTOS: AUSSTELLUNGSKATALOG Reinhold Fäth, was ist anthroposophische Kunst? Das zu erklären würde zu lange dauern. Aber ich kann Ihnen eine andere Antwort geben: Es gibt anthroposophische Kunst. Warum sollte es sie nicht geben? Es gibt sie genau in dem Sinn, wie es surrealistische Kunst oder futuristische Kunst gibt. Warum? Da waren Leute wie Breton und um Breton, die ihre Kunstrichtung als Surrealismus bezeichnet haben. Es gab einen Marinetti und Leute um Marinetti, die ihre Kunst als Futurismus bezeichneten. So gab es einen Rudolf Steiner und Künstler um Rudolf Steiner, die ihre Kunst als anthroposophische Kunst bezeichnet haben. Wie kann man auf den Gedanken verfallen, 50 oder 100 Jahre später zu sagen, es gäbe sie nicht oder sollte sie nicht geben! Rudolf Steiner selbst hat diesen Begriff gebraucht, geprägt, und auch die Generation um ihn herum hat ihn als avantgardistischen Begriff, als neue Kunst, selbstbewusst proklamiert. Die hatten kein Problem damit, erst viel später gab es diese Probleme. Und es ist schlicht unsinnig, überhaupt die Frage zu stellen: Gibt es anthroposophische Kunst? Man kann ein kunsthistorisches Faktum nicht ableugnen. Sie schreiben in Ihrem Katalog über einen Kritiker, der, nicht aus der Anthroposophie kommend, 1928 in der Jenaer Zeitung eine Ausstellung rezensierte. Er argumentiert dort, dass man als Nicht-Anthroposoph eigentlich gar nicht darüber schreiben könne. Ich würde doch nie sagen: Ich kann als Nicht-Impressionist oder Nicht-Surrealist nicht über diese Kunstrichtungen schreiben. 1928 war es eben ganz neu. Die damalige Ausstellung war ja betitelt mit „Junge anthroposophische Kunst“. Und in der Tat, der Rezensent hat gerätselt, was das denn nun sei. Die Schwierigkeit besteht im Wesentlichen darin, dass Sie mit dem Adjektiv 48 S047-051-ZA-Interview Faith.indd 48 „anthroposophisch“ die Anthroposophie als solche reflektieren müssen. Also, Sie müssen gewissermaßen diesen Kosmos Anthroposophie näher kennenlernen. Wenn Sie sich unter dem Begriff nichts vorstellen können, dann sagt Ihnen auch das Adjektiv nicht viel. Und insbesondere differenziert es sich ja nochmal im Hinblick auf die einzelnen Künste. Also in anthroposophische Malerei, anthroposophische Plastik, anthroposophische Architektur. Und da haben Sie jeweils wieder unterschiedliche Kriterien für die verschiedenen künstlerischen Medien. Und ich habe – Sie kennen ja meinen Artikel im Katalog – letzten Endes offen lassen müssen, wie sich anthroposophische Kunst Josef Prinke, Drachensturz definiert. Rudolf Steiner hat selbst zwar verschiedene Charakteristika für die verschiedenen Medien gegeben, hat Vorträge über Malerei gehalten oder auch sehr viel über die Goetheanum-Architektur gesagt. Er gibt dort keine direkt Manifest-artige Definition, setzt begrifflich kei- ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG SEP TEMBER 2015 INFO3 26.08.2015 12:29:24 Ronald Richter machte sich auf nach Apolda und befragte dort Professor Reinhold Fäth, einen der Kuratoren und Herausgeber des Katalogs, zu den Hintergründen der Ausstellung. ne direkten Grenzen, sondern zeichnet vielmehr eine offene, verstreute Charakteristik. Sie kommen dem nicht wirklich gut bei, wenn Sie fragen „Was ist anthroposophische Kunst?“ Wenn Sie aber fragen: „Was ist anthroposophische Malerei? Anthroposophische Illustration?“, dann können Sie deutlicher etwas dazu sagen. Aber auch unter Anthroposophen ist der Kunstimpuls, der zur Gründung der Anthroposophie gehörte, unter die Räder gekommen. Man sieht es ja an der Goetheanum-Bühne: Das feste Ensemble gibt es nicht mehr. Man sieht die Schwierigkeiten der Eurythmie und in der Bildenden Kunst. Ja, wenn man den Werdegang dieser hundertjährigen anthroposophischen Kunstgeschichte betrachtet, kann man einen enthusiastisch begeisterten Aufbruch verzeichnen, der viel Aufsehen erregt hat seinerzeit – natürlich vorneweg die berühmten GoetheanumBauten. Es gab Künstlergruppen wie Aenigma von 1918, die Stutt- INFO3 SEP TEMBER 2015 S047-051-ZA-Interview Faith.indd 49 ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG PRIVATE Zur Aenigma-Ausstellung über anthroposophische Kunst garter Anthroposophische Künstlergruppe, die Künstlerkolonie Runa im Spessart. Die Sektionsarbeit der Bildenden Künste am Goetheanum blühte. Das Goetheanum war ein großes Schauspielhaus, gleichzeitig aber auch eine große Galerie. Es gab immer Verkaufsausstellungen dort. Das Goetheanum hat von den Erlösen etwa 15 Prozent genommen. Der Aufbruch in der anthroposophischen Architektur war am augenfälligsten und wies späterhin das Renommee des frühen organischen Bauens auf. Hunderte von Waldorfschulbauten entstanden. Im Hinblick auf die Architektur können wir sagen: Ja, da ist viel wirksam geworden in der Welt. Wenn Sie das allerdings vergleichen mit dem, was in der Malerei passierte oder mit der Kleinodienkunst – auch ein spezifisch anthroposophischer Kunstimpuls: Kleinodienkunst blühte auf; die hatten auch ihre Verkäufe in der Großen Galerie Goetheanum. Da gab es Nachfrage, waren Aufträge. Da wurde eine Schule gegründet. Da gab es ein eigenes Ausbildungsgebäude in Dornach. Das gibt es nicht mehr. Auch das Forschungslabor für Pflanzenfarben im Zusammenhang mit der Sektion gibt es nicht mehr. Den Möbelimpuls, der unter einem Namen wie Felix Kayser im Katalog etwa 200 verschiedene Möbeltypen im Angebot hatte, gibt es eigentlich auch nicht mehr. Wir haben zwar weltweit Wala, Weleda, Demeter, aber kein anthroposophisches Ikea. Diese Überlegungen gab es. Und warum die Entwicklung nicht zu einem anthroposophischen Ikea führte, warum wir nicht weltweit wichtige anthroposophische Malerinnen und Maler prominent in Museen oder hochpreisig auf dem Kunstmarkt vertreten finden, ist eine Rätselfrage. Wobei es für die Antwort mehrere Schichten und Ebenen gibt. Einerseits kann man von der inneranthroposophischen Kunstgeschichte sprechen, ihren Problemen, und von dem, was auch in der – nen- 49 26.08.2015 12:29:25 ZWEIGABEND Karl Georg Schoettle, Februar Oktober nen wir es mal – großen öffentlichen Kunstgeschichte passiert ist. Da existieren verschiedene, miteinander sich verwickelnde Stränge an Komplikationen, die sich nicht so leicht auf zwei Worte bringen lassen. Ein Künstler ist weltberühmt geworden: Joseph Beuys, der ja auch in der Ausstellung vorkommt. Beuys ist aus der Anthroposophie herausgewachsen im doppelten Sinn. Denn er hat letzten Endes keine anthroposophische Kunst geschaffen, aber sich darauf berufen. Liegt es vielleicht auch daran, dass man solche Künstler in der Entwicklung nicht genügend gefördert hat, weil die zu schwierig sind? Beuys ist tatsächlich ein Sonderfall, wobei ich da mehrere Fragen habe zu dem, wie Sie es formuliert haben. Zum einen wäre die Frage: Fällt er tatsächlich nicht unter eine Charakteristik, wenn wir sie denn hätten, anthroposophischer Kunst? Je nachdem, wie man den Begriff fasst, könnte man ihn durchaus da zuordnen. Wir haben es gemacht. Ob er dann damit einverstanden wäre, ist eine andere Frage. Da hätte man sicher angeregt mit ihm diskutieren können. Die andere Sache ist die: Beuys hat sich ja erst spät als Anthroposoph geoutet. Und die Frage wäre schon interessant: Hätte er, wenn er es früher in seiner Karriere getan hätte, die Karriere in der Art tatsächlich machen können? Sie haben in Ihrem Vorwort zum Katalog über die Gründe geschrieben, warum die anthroposophische Kunst in die Mauerblümchenecke geraten ist. Einen wichtigen Aspekt dabei fand ich, dass oftmals auch in Malschulen so ein bisschen Kitschproduktion passiert, die dann als anthroposophische Kunst gilt. Ja, das dürfte ein wesentlicher Grund sein für die Entstehung eines Vorurteils, das der anthroposophischen Kunst anhaftet. Ich glaube, Imdahl hat sich über diese Kunst so geäußert, dass dies 50 S047-051-ZA-Interview Faith.indd 50 September August Aquarelle seien, die man noch mal durch die Badewanne gezogen hat. Da weiß jeder, was gemeint ist. Das, was dann als Kitsch bezeichnet wird, ist eben ein Doppelproblem. Und wenn man weiß, wie es dazu kommt, kann man sagen: Eigentlich auch gut so. Die Frage wurde gestellt von der Künstlerin Nora Hutenberg: Warum hat Rudolf Steiner immer die Laienkunst gefördert? Deren Erzeugnisse sehen eben entsprechend laienhaft aus, oder man könnte auch kitschig sagen. Rudolf Steiner wollte, dass alle Menschen – jeder Mensch ein Künstler – am künstlerischen Tun teilhaben können. Und diese Anfänge des künstlerischen Tätigseins, beispielsweise mit dem Erleben der Farben im Malprozess, das fängt einfach irgendwo an. Da ist kein Meister vom Himmel gefallen. Und es ist besser, man fängt irgendwo an als nie. Insofern liegt hier ein ganz anderer Ansatz dahinter, der nicht diese krasse Trennung von High and Low birgt. Hier wurde ein Weg eingeschlagen, der eigentlich sehr modern ist, wo die Kunst eben nicht auf einem elitären Elfenbeinturm lebt und selbstreferentielle Codes produziert, sondern wo Kunst eine volkspädagogische, evolutionäre Kraft hat. Hier können Sie das, was zunächst als Kitsch erscheint, umwerten und positiv sehen anstatt negativ. Ab Mitte August ist die Ausstellung in Halle. Das ist ja auch etwas Neues für Halle und den Osten von Deutschland. Ich habe gehört, dort werden noch andere Schwerpunkte gesetzt? Unweit von Halle liegt das Örtchen Ostrau. Dort gibt es das ehemalige Schloss von Hasso von Veltheim, einem Freund Rudolf Steiners. Der hat sich seine Grabkapelle von zwei anthroposophischen Künstlern gestalten lassen – von Felix Kayser die Raumgestaltung, einen Altar, der ein wenig aussieht wie ein zweites Goetheanum en miniature mit einem geschnitzten Leuchter, und ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG SEP TEMBER 2015 INFO3 26.08.2015 12:29:26 Zur Aenigma-Ausstellung über anthroposophische Kunst dann noch zwei Glasfenster von Maria Strakosch-Giesler, einer der prominentesten anthroposophischen Künstlerinnen. Das ist eine einmalige Sache, dass es dieses Gesamtkunstwerk noch in situ dort gibt. Es wird in die Hallenser Ausstellung integriert sein. Man kann sowohl die Exponate-Ausstellung in den Räumen des Kunstmuseums besichtigen als auch die Exkursion nach Ostrau unternehmen. Dort wird zudem noch eine kleine FelixKayser-Ausstellung arrangiert sein. Und zum zweiten sind es natürlich andere Räume, die anders bespielt werden. Halle hat ein sehr großzügiges, modernes, in den alten Komplex der Moritzburg integriertes Museumsgebäude, das andere Möglichkeiten bietet. Das heißt, Halle wird einige andere Exponate zeigen, die in Olmütz nicht zu sehen waren. Die Farbgestaltung, die ja außergewöhnlich war in Olmütz, wird in dieser Form in Halle nicht wiederkehren, nur zu Teilen. Es wird also da auch ein anderes Erlebnis sein. Zum Schluss die Frage: Es soll – hört man – ein Museum aus dieser Ausstellung entstehen, für das Sie noch nach dem geeigneten Ort suchen? Kann man schon darüber sprechen? Es ist noch ein frommer Wunsch, aber dennoch gibt es eine Initiative, die in Berlin sitzt und tatsächlich auf ein zukünftiges Museum in Berlin zielen wird. Man möchte möglichst die meisten Exponate zusammenhalten, durch weitere Sammeltätigkeit ergänzen und auch für Nachlässe zugänglich machen, um zunächst einmal ein Kunstdepot der anthroposophischen Kunstgeschichte in Deutschland zu etablieren mit Besichtigungsmöglichkeit – was dann möglicherweise durch die Gunst des Schicksals auch zu einem anthroposophischen Museum in Berlin führen könnte oder führen soll. /// INFO3 SEP TEMBER 2015 S047-051-ZA-Interview Faith.indd 51 ANTHROPOSOPHIE IM DIALOG aenigma – 100 jahre anthroposophische kunst 17.08.-25.10.2015, Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) mit Korrespondenzstandort Schloss, Park und Grabkapelle Ostrau. Ein Ausstellungsprojekt in Kooperation mit dem Kunstmuseum Olmütz, Tschechien. Stiftung Moritzburg Halle (Saale) Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt Friedemann-Bach-Platz 5 06108 Halle (Saale) Telefon +49 (0)345 212 59-0 Fax +49 (0)345 20 29 990 [email protected] http://www.kunstmuseum-moritzburg.de Ronald Richter im Gespräch mit Reinhold Fäth über die Aenigma-Ausstellung, hier als Info3-Podcast: http://www.kultradio.eu/7FW15 51 26.08.2015 12:29:27
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