Walter Besteher, ‹Unterirdischer Dämon›, 1927, Aquarell auf Papier, 45,8 × 31,9 cm, Privatsammlung. KARL-HEINZ TRITSCHLER Die Abkehr von ästhetischer Gesetzgebung Zum Ausstellungskatalog: ‹Aenigma. Hundert Jahre anthroposophische Kunst› Nach der großen Werkschau zum 150. Geburtstag von Rudolf Steiner im Vitra Design Museum in Weil am Rhein¹ waren es die Ausstellungen der schwedischen Malerin Hilma af Klint (1862–1944), die in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit erregten.² Über den anthroposophischen Kunststil wird nun erstmals in der Monografie ‹Aenigma. Hundert Jahre anthroposophische Kunst› umfassend berichtet.³ Dabei stellt sich die Frage nach den Beurteilungskriterien dieser Kunstrichtung. Die Anfänge der Bewegung gehen zurück auf den Theosophischen Kongress in München (1907), wo der Entschluss gefasst wurde, für die Mysteriendramen von Rudolf Steiner einen entsprechenden Bau zu verwirklichen.⁴ An der Schwelle zum Ersten Weltkrieg haben sich dann in Dornach Künstler aus Ost- und Westeuropa, Skandinavien und Russland zusammengefunden, die während der Bauzeit des Ersten Goetheanum von Steiner vielfältige Anregungen erhielten. Dass Steiner selbst mit der Arbeit der Künstler nicht immer zufrieden war, ist dabei kein Geheimnis.⁵ Die Monografie konzentriert sich in ihrem Rückblick auf die Künstler um Rudolf Steiner und jene in seiner direkten Nachfolge. Nur wenige zeitgenössische Positionen sind unter den 125 Künstlerpersönlichkeiten vertreten, die im Zeitraum von 1913–2013 auf vielen Gebieten tätig waren: Architektur, Bildhauerei, Malerei, Grafik, Kunsthandwerk und Design, Textilkunst, Buchgestaltung, Bühnenkunst, Eurythmie, Poesie und moderne Musik. Es gibt kaum einen Bereich, in dem der von Rudolf Steiner ausgehende Gestaltungsimpuls von seinen Schülern nicht angewendet wurde. Jetzt, nach 100 Jahren, scheint die Zeit reif, den kulturgeschichtlichen Hintergrund dieser Kunstrichtung in der Öffentlichkeit zu hinterfragen. Was ist anthroposophische Kunst? Die Frage mag abgedroschen klingen. Doch liegen bis heute dazu keine eindeutigen Antworten vor. Das Thema wird kontrovers diskutiert. – Geht man von der Beschreibung aus, dass die Anthroposophie ein Erkenntnisweg ist, «der das Geistige im Menschenwesen zum Geistigen im Weltall führen möchte», dann kommt man nicht umhin, sich im Zusammenhang mit der Kunst Gedanken über die Idee des Menschen zu machen.⁶ Wo das ursächlich geschah, wie zum Beispiel bei Schelling, wurde die Frage nach der Bedeutung der Mysterien für den Menschen aktuell. Was in den alten Mysterien mit seinen grandiosen Baustilen durch die Eingeweihten bewirkt wurde, war für Schelling die Begegnung mit der unsterblichen Idee, die heute zu einer Angelegenheit des reinen Denkens geworden ist.⁷ Der Künstler im Sinne von Friedrich Schiller hat zwischen ‹Stoff-› und ‹Formtrieb› sein Ich als die Idee des Menschen zur Anwesenheit zu bringen. Dann erst, wenn sich im ‹Spieltrieb› der höhere ‹idealische› Mensch zu erkennen gibt, entsteht die Kunst als eine Notwendigkeit, die sich im Denken der Gesetzmäßigkeit der Natur enthebt.⁸ – Den Künstler, der sich an den großen Entwicklungslinien der Ideengeschichte orientiert – und auf ihn kommt es in der Anthroposophie an – führt dieser Weg über den Mythos zum Logos. Zeigt sich dann der Begriff von der Idee des Menschen, ist ein Umstülpungspunkt erreicht. Während der Begriff in seiner Naturnotwendigkeit an die Sinneswahrnehmung sich anschließt, erscheint nun im Bewusstsein die Idee als Bild.⁹ Das wird deutlich, wenn man das Werk von Joseph Beuys und Hilma af Klint als Ganzes überschaut und die ihm zugrunde liegende rosenkreuzerische Intention erkennt.¹⁰ Der erweiterte Kunstbegriff bewegt den Begriff der Kunst in die Welt der Imagination. Dadurch wird er zu einer Erkenntnisangelegenheit, die das künstlerische Mittel als ein Heilendes integriert.¹¹ Was als Schulung im Seelenleben beginnt, führt im Erfassen der Idee zur autonomen Kunst, die Steiner wie folgt beschreibt: «Ein Kunstwerk ist umso bedeutender, je mehr es von dem an sich trägt, was sich nicht wiederholt, was nur in einem einzigen Menschen vorhanden ist […]. Es kann keine allgemeinen Künstlergesetze, keine allgemeine Ästhetik geben. Jedes Kunstwerk fordert seine eigene Ästhetik.»¹² – Steiners Freiheitsbegriff bietet hier eine theoretische Basis für die radikale Abkehr von jeglicher ästhetischen Gesetzgebung, welche seinen Ausführungen zum ‹ethischen Individualismus› in der ‹Philosophie der Freiheit› widersprechen würde.¹³ Erheblich schwieriger gestaltet sich dagegen die Darstellung der Idee, die zur Bildung eines neuen Kunststils führen sollte, für die Dornach zu Steiners Zeit ein Modell war. – Die Frage, die sich hier stellt, ob nicht der anthroposophische Stil ursächlich mit Steiners Auffassung von Ästhetik in einem Zusammenhang steht, lässt die Orientierung seiner Mitarbeiter in einem neuen Licht erscheinen. DAS GOETHEANUM Nr. 42 · 16. Oktober 2015 · ZUSAMMENHÄNGE 7 Die Anthroposophie ist die Idee der Menschheit. Damit im Zusammenhang steht ein neues Mysterienverständnis, das, wie schon in der Vergangenheit, in seiner Verwirklichung auf die Menschen angewiesen ist. – In der anthroposophischen Kunst, die wie der Impressionismus oder Expressionismus eine Tatsache ist, wird man den Einfluss durch die von Steiner vorgegebenen Formen und Vorstellungen erkennen. Ihnen liegt, was zum Wesen der Mysterien gehört, eine erziehende und therapeutische Haltung zugrunde. Der heilende Umgang mit Farben und Formen hat seine Berechtigung. Künstler wie Hilma af Klint und Joseph Beuys vertreten dagegen mit ihrer Kunst ihre eigene Ästhetik. Ihre Arbeiten versetzen den Betrachter vielfach ins Staunen, mit dem der Erkenntnisweg seinen Anfang nimmt.¹⁴ Der Ausstellungskatalog ‹Aenigma›, der die beiden sich an der Idee der Anthroposophie orientierenden Ansätze in einer Art von ‹Parallelprozess› beinhaltet, eröffnet in der Auseinandersetzung ein neues Feld. Es ist der Schwellencharakter der Kunst, der bisher weitgehend von der akademischen Kunstgeschichte ausgeblendet wird. Er ist in einem zweifachen, sich gegenseitig ergänzenden Prinzip festzuhalten. Einerseits in der pädagogisch-therapeutischen Handhabung der künstlerischen Mittel. Andererseits im Verhältnis des Künstlers gegenüber dem ‹ethischen Individualismus›. Es sind das die zwei Seiten eines neuen Mysterienprinzipes. Literaturhinweis 1 Vitra Design Museum ‹Rudolf Steiner – Die Alchemie des Alltags›, 2010. 2 Moderna Museet Stockholm ‹Hilma af Klint – Eine Pionierin der Abstraktion›, 2013. 3 Reinhold Fäth u. David Vota ‹Aenigma – Hundert Jahre anthroposophische Kunst›, 2015. 4 Roland Halfen ‹Das Sichtbare und das Unsichtbare – Vom Münchner Kongress zum Dornacher Bau›, in: Karl Lierl u. Florian Roder ‹Anthroposophie wird Kunst: Der Münchner Kongress (1907) und die Gegenwart›, 2008, S. 36. 5 Rudolf Steiner ‹Aufbaugedanken und Gesinnungsbildung›, gesprochen zu den Generalversammlungen des Vereins des Goetheanums, 1942, S. 49ff. 6 Rudolf Steiner, ‹Anthroposophische Leitsätze› GA 26, 1982, S. 14. 7 F. W. J. Schelling ‹Bruno oder über das göttliche und natürliche Prinzip der Dinge›, 1989, S. 23f. 8 Friedrich Schiller ‹Über die ästhetische Erziehung des Menschen›, 2004, S. 27 9 Rudolf Steiner ‹Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung›,1984, S. 131ff. 10 K.-H. Tritschler ‹Joseph Beuys und die Rosenkreuzer – Arbeit am Plasma der Erde›, in ‹Goetheanum› 33/34, 2008. 11 Joseph Beuys ‹Das Geheimnis der Knospe zarter Hülle – Texte 1941–1986›, 2000, S. 383 12 Rudolf Steiner ‹Moderne Kritik›, in: ‹Magazin für Literatur›, GA 30, S. 540f. 13 Rudolf Steiner ‹Philosophie der Freiheit›, 1987, GA 4, S. 145ff. 14 K.-H. Tritschler ‹Hilma af Klint – Ein geheimnisvoller Strang›, in ‹Goetheanum› 26, 2013. Katalog Reinhold J. Fäth und David Voda (Hg.) ‹Aenigma. Hundert Jahre anthroposophische Kunst›, Arbor vitae 2015, 399 Seiten, 474 farbige Abbildungen, € 68 MR Walter Besteher, Ohne Titel aus Tryptychon, 195 8 DAS GOETHEANUM Nr. 42 · 16. Oktober 2015 · ZUSAMMENHÄNGE ‹Anthroposophische Kunst› nur aus der Distanz? RONALD RICHTER Vortrag und Debatte ‹Aenigma – Ein Rätsel der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts›, 27. August, Prof. Dr. Reinhold J. Fäth, Apolda. ‹Hans-Hasso von Veltheims Grabkapelle. Eine Gemeinschaftsarbeit von Maria Strakosch-Giesler und Felix Kayser›, 10. September, John Palatini, Halle (Saale). – Den beiden ersten Vorträgen der begleitenden Reihe zur Ausstellung ‹Aenigma. 100 Jahre anthroposophische Kunst› in Halle (Saale) gelingt es, eine gemeinsame Antwort auf die meistgestellte Frage zu geben. Anscheinend kann die Antwort auf die Frage, was denn nun ‹anthroposophische Kunst› sei, am ehesten aus der Distanz und nicht etwa aus dem Zentrum erfolgen, sprich: kann sie eigentlich nur ein Nicht-Anthroposoph wie John Palatini geben, der allerdings seit Jahren sich für eine anthroposophische Sache erfolgreich starkmacht: für das Schloss Ostrau, den früheren Wohnsitz des Privatgelehrten Hans-Hasso von Veltheim, in dessen unmittelbarer Nähe sich die Grab-Altar-Kapelle befindet, gestaltet vom Architekten Felix Kayser und von der Künstlerin Maria Strakosch-Giesler. Schloss und Grabkapelle sind, da nahe bei Halle (Saale) gelegen, Teil der dortigen Ausstellung. Ebene der Kunst – also nicht auf der Ebene der einzelnen Künste – fragt: Was ist anthroposophische Kunst?, dem antworte ich in abstrakter Kürze mit einem modifizierten Steiner-Zitat: Anthroposophische Kunst ist von Anthroposophie getragene Kunst.» Doch verschwimmt einem der weiterführende Sinn hinter seiner Aussage rasch. Letztlich deutet Reinhold Fäth eine andere – notwendige – Antwort an, nämlich die, wozu wir ‹anthroposophische Kunst› brauchen. Dafür holt er weit aus in seiner Biografie. Wir sehen zwei Hippie-Bilder von ihm: der junge, langhaarige Reinhold Fäth in einer Gruppe von ebenso Langhaarigen vor einem vw-Bus, mit dem es auf große Fahrt ging. Es war die kommunistisch-atheistische Phase in seinem Leben, nachdem er durch die Großeltern sehr religiös aufgewachsen war. Und wie alle richtigen und guten Antworten ist sie so einfach, kurz und unerhört im doppelten Sinn, dass der Donnergott dazwischenfährt und die Worte von John Palatini unerhört machen will. Was ihm nicht gelingt. Eher setzt der eloquente Lehrer und Autor ein zweites Mal an. Dennoch waren zu den damaligen Zeiten die Grenzen durchlässiger. Es gab im linksintellektuellen ‹Kursbuch› beispielsweise 1979 eine Auseinandersetzung aus soziologischer Sicht, welches denn der bessere Weg zur sozialen Gerechtigkeit sei. Titel dieses Aufsatzes war ‹Astral-Marx›. Damit war Rudolf Steiner gemeint, dessen Dreigliederung sich in der Analyse hinter den Ideen des Kommunisten-Marx nicht zu verstecken brauchte – im Gegenteil. «Mir persönlich ging es mit der Anthroposophie wie im Märchen vom Igel und dem Hasen», zitiert Reinhold Fäth den Autor Joseph Huber. «Als linke Hasen rennen wir uns nach den sozialistischen Träumen die Hacken ab. Und wenn wir wohin kommen, steht da oft ein anthroposophischer Igel.» Reinhold J. Fäth hatte die Frage im ersten Vortrag an einem noch schwüleren Abend vor einem aus allen Nähten platzenden Auditorium in der Moritzburg erneut aufgeworfen. Kein Wunder, wird sie doch von allen Seiten seit der Ausstellung in Olmütz an ihn gerichtet. Und wahrscheinlich stellt er sie sich manchmal selbst. Seine Teilantworten sind unbestritten: Diese Kunst existiert, was einfach die Tatsache der Ausstellung beweise. Oder: «Wer auf der abstrakten Steiners ‹Berühmtheit› in der Kunstwelt dürfe man heute annehmen, meint Fäth. Was aber gängiges wissenschaftliches Verstehen oder Missverstehen anbelangt, da scheiden sich die Geister. «Man ‹sieht› sie, oder man sieht sie nicht», resümiert Fäth. Wo liest man heute Vergleichbares in intellektuellen Publikationen, selbst wenn die gls-Bank, die Waldorfschule und die Heilpädagogik seitdem echte Erfolgsgeschichten geworden sind. 56, Aquarell auf Papier, 73 x 51 cm, Privatsammlung DAS GOETHEANUM Nr. 42 · 16. Oktober 2015 · GESPRÄCH 9 Vielleicht ist aber gerade die Kunst und erst recht die ‹anthroposophische Kunst› das Feld, auf dem u nvo r e i n g e n o m m e n E r ke n n tnis wirken kann? In einer durchrationalisierten, digitalisierten Welt ist sie die zeitgemäße Spielart von Philosophie und Religion. Dies lesen wir als Antwort hinter den Ausführungen des Kurators und Sammlers Reinhold Fäth. John Palatinis Antwort auf die Ausgangsfrage rundet sie ergänzend ab. Palatini führte gegen Ende seines Vortrags aus, dass sich selbstverständlich von der Kunst der ddr sprechen lasse, von Jugendstil, Expressionismus, Neuer Sachlichkeit. Selbstverständlich könne ein Werk in unterschiedlich ausgerichtete Kunstgeschichten eingehen. Kunstgeschichte sei immer Rekonstruktion von Vergangenheit. Entsprechend seien unendliche Geschichten möglich, wobei es auf die Triftigkeit der Konstruktionsprinzipien und entscheidend auf die Anschlussfähigkeit auf bestehende Diskurse ankommt. Was wären nun Kriterien einer anthroposophischen Kunst? Mit Rudolf Steiner gäbe es einen zentralen Fixpunkt, seine Vorstellungen von Kunst waren für zahlreiche Künstler prägend. Wesentlich an diesem Lehrer-Schüler-Verhältnis sei, dass es sich nicht um Nachahmungsversuche der Meister-Gruppe handle und sie nicht allein dem ‹Kompass Steiners› in ihrer Umsetzung vertrauten. Daher erleben die Betrachter in der Ausstellung eine erstaunliche Diversität. Wird nun gesagt, es gäbe ja kaum Gemeinsamkeiten, offenbare dies ein sehr enges Verständnis von Kunstgeschichte als Stilgeschichte. Die jeweiligen Bedingungen, unter denen Kunst sich ereigne, wären ein weiteres Prinzip. Palatinis Antwort formulierte sich als Frage: Was entstand und entsteht also in der Anthroposophie unter den Bedingungen einer gemeinsamen Weltanschauung an Kunst? Diese Antwort findet sich noch bis zum 25. Oktober in den Exponaten der ‹Aenigma›-Ausstellung. So auch in der Grab-Altar-Kapelle, welche allerdings eine Finanzspritze gebrauchen könnte. Die Farbe blättert von der Decke, auch sind Farben und Bodenbelag nicht mehr originalgetreu. Welch ein Glück, dass dieser einzigartige Raum mit seinen kunstvollen Glasfenstern und dem das Goetheanum zitierenden Altar die Zeitläufe seit 1933 MR bis heute überdauert hat. 10 Ausblick: ‹Aenigma›-Initiative Was geschieht in Zukunft mit der anthroposophischen Kunstsammlung? RONALD RICHTER IM GESPRÄCH MIT MATTHIAS MOCHNER Jetzt strömen die Menschen nach Halle, um ‹Aenigma. 100 Jahre anthroposophische Kunst› zu sehen. Warum führte die anthroposophische Kunst so viele Jahre ein Mauerblümchendasein? Matthias Mochner: Also, wenn sie ein Mauerblümchendasein geführt hat – das kommt auf den Blickwinkel an. Die Frage kann ich nur mit einem eigenen Erlebnis beantworten. Ich bin durchaus im Bewusstsein aufgewachsen, dass es Kunst von Menschen gibt, die mit der Anthroposophie verbunden sind. Obwohl ich Arbeiten gesehen habe, konnte ich meine Aufmerksamkeit erst in den letzten drei Jahren darauf lenken. Warum? Es war mit meinen Sehgewohnheiten nicht so gefällig anzuschauen wie das, was ich über die traditionelle Kunstgeschichte kennenlernte. Die anthroposophische Kunst hat sich nicht als Kanon dem naiven jungen Menschen entgegengestellt. In gewisser Weise ist es ähnlich wie bei der organischen Architektur. Ich habe Bauten gesehen, die zur organischen Architektur zählen, habe aber nicht gemerkt, was die in sich tragen oder wie sie wirken. Plötzlich bemerkte ich es. Anthroposophische Kunst drängt sich nicht auf, ihre Wahrnehmung aber setzt innere Aktivität voraus. Das ist ein Merkmal: Sie ist da, egal, was die Welt dafür oder dagegen sagt. Und jetzt will nach der Ausstellung eine Initiative noch einen Schritt weiter gehen? Diese ‹Aenigma›-Initiative geht auf das Jahr 2014 zurück. Der Architekt Egon Tietz hatte mich angesprochen, ob ich die Sammlung Reinhold Fäth in Apolda kenne. Ich kannte sie und war von ihr angetan. In den folgenden Gesprächen in Apolda und Berlin ging es um die Frage, in welche Richtung man nach der ‹Aenigma›-Ausstellung mit dem, was in fünfzehn Jahren Forschungsarbeit angesammelt worden ist, weiter in die Öffentlichkeit gehen könnte. Wie kann man sich die aktuelle Arbeit vorstellen? Zum Beispiel der Nachlass von Hans Nohl, ein anthroposophischer Künstler, der Steiner noch erlebt hat. Da habe ich die Nachfahren kontaktiert und gesagt, dass es eine Gruppe gibt, die versucht, einen Ort zu schaffen – kein Museum, sondern DAS GOETHEANUM Nr. 42 · 16. Oktober 2015 · GESPRÄCH einen Ort, wo man anthroposophische Kunst permanent sehen und erforschen kann. So sind wir zum ersten Nachlass mit über hundert Werken gekommen. In den nächsten Wochen werden wir weitere Arbeiten in Empfang nehmen. Die Initiative ist also ausgelöst einerseits durch die Ausstellung, anderseits durch die dringliche Frage: Wohin kann ein Großteil dieser Werke aus der Sammlung Fäth gestiftet werden? Die Frage ist unbeantwortet, solange es keinen Ort gibt, an dem die Werke bewahrt werden können. In der Geschichte der anthroposophischen Bewegung sind bereits zu viele qualitätsvolle Arbeiten buchstäblich auf dem Müll gelandet. Ein Ort, wo wir damit umgehen können – woran denkt die Initiative da? Zunächst an eine Art Schaudepot. Das könnte man in ein bis drei Jahren stemmen. Das Fernziel ist ein Ort, bei dem man im besten Fall ein eigenes, im anthroposophischen oder organischen Stil entworfenes Gebäude hat, in dem Veranstaltungen stattfinden, die heilende Wirkung von bestimmten Gemälden aufgenommen werden, wo geforscht werden kann, Seminare stattfinden, man jederzeit die Möglichkeit hat, dem anthroposophischen Kunstimpuls zu begegnen, der ja Möbel, Bilder, Grafik, Skulpturen, Kleinodienkunst, Gebrauchsgegenstände und viel mehr noch umfasst. Das Primäre ist aber die Frage: Was können wir tun, damit die Werke, die bei Menschen sind, die sie abgeben möchten, erhalten bleiben? Bevor es zu spät ist. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass eine geistige Strömung das, was in ihrer zeitlichen Entwicklung an Schöpferischem geschaffen wurde, würdigt. Das Vorhaben klingt nach hohen Kosten? Man kann über die Initiative der Gruppe und über ihr Anliegen sagen: Das steht in den Sternen. Dass man eine starke Finanzierung braucht, ist klar. Und es wird darauf ankommen, ob die Menschen, die es aus verschiedensten Motiven für richtig halten, sich der Initiative anzuschließen, so wahrnehmungsfähig sind, das, was in den Sternen steht, auch ‹lesen› zu können. Das meine ich nicht poetisch, sondern konkret, denn das Ganze ist ein gewaltiges Vorhaben. Es geht nur, wenn sich alle Beteiligten auf die Sache konzentrieren: Menschen, die das wirklich wollen. Kontakt zum Sprecher der Gruppe: Matthias Mochner, Tel. +49 30 440 469 10, mochner. MR [email protected]
© Copyright 2024 ExpyDoc