Privatrechtliche Übungen – Fall 12 „Das revolutionäre Elektro-Stadtklapprad“ Falllösung Prof. Dr. Alexander R. Markus Besprechung vom 2./3. Dezember 2015 Denise Weingart Dr. iur., Rechtsanwältin Privatrechtliche Übungen Falllösungen Allgemeines Vorgaben einhalten: Umfang, Gliederung/Aufbau, Gestaltung, Zitierweise − Richtlinien Falllösungen der RW Fakultät − Angaben auf der Aufgabenstellung − FORSTMOSER/OGOREK/SCHINDLER, Juristisches Arbeiten, Eine Anleitung für Studierende, 5. Aufl. Zürich 2014 2./3. Dezember 2015 2 Privatrechtliche Übungen Falllösungen Allgemeines Häufige Fehler: − falsche Zitierweise (bspw. Staehlin anstatt Staehelin oder Wintergart statt Weingart) − Wenn Rechtsprechung zitiert wir, muss auch die entsprechende Quelle aus der Rechtsprechung und nicht aus der Literatur angegeben werden (und umgekehrt) − Aktuelle Werke zitieren (keine alten Auflagen oder Kommentare zu Gesetzen, die nicht mehr in Kraft sind) − Paginierung Deckblatt − Neue Selbstständigkeitserklärung − Etc. 2./3. Dezember 2015 3 Privatrechtliche Übungen Sachverhalt Loris Rassig (Bern) 2./3. Dezember 2015 Kaufvertrag Walter Rota (Solothurn) 4 Privatrechtliche Übungen Sachverhalt Zeitraster (1/2) • • • • • • • • • • Freitag, 9. Januar 2015: Kauf des E-Bikes Samstag, 10. Januar 2015: Bestätigung Bestellung Samstag, 17. Januar 2015: Besichtigung altes Stadtrad (CHF 200.00) Samstag, 24. Januar 2015: Abholung neues Rad (durch Maria Rassig) Samstag, 24. Januar 2015: 1. Testfahrt und Rüge Rassig Dienstag, 27. Januar 2015: Fahrrad zurück zu Rota, Wechsel Akku Dienstag, 3. März 2015 (5 Wochen später): Nachfrage Rassig Donnerstag, 5. März 2015: Abholung Maria Rassig Freitag, 6. März 2015: Anruf Rassig an Rota (Festhalten am Vertrag) Dienstag, 10. März 2015: Jan Expertson und Anruf an Maria Rassig (Festhalten am Vertrag) 2./3. Dezember 2015 5 Privatrechtliche Übungen Sachverhalt Zeitraster (2/2) • • • • • • • • • Samstag, 18. April 2015: 2. Testfahrt Montag, 20. April 2015: Einschreiben Rassig (Vertragsrücktritt und Rückerstattung Kaufpreis) Dienstag, 21. April 2015: Empfang Einschreiben Rota und Schreiben RA Erb (Verweis auf AGB; Ablehnung der Rückgängigmachung) Donnerstag, 24. April 2015: Festhalten am Vertragsrücktritt Mittwoch, 20. Mai 2015: E-Mail Rota (Software) Montag, 25. Mai 2015: Festhalten Vertragsrücktritt Dienstag, 2. Juni 2015: Terminvorschlag zur Installation (6. Juni 2015) Dienstag, 16. Juni 2015: Empfang Software durch Rassig Montag, 22. Juni 2015: Schlichtungsgesuch Berner Jura-Seeland 2./3. Dezember 2015 6 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren Teil A: Schlichtungsgesuch und Antrag auf Entscheidung > Örtliche Zuständigkeit — Beurteilung nach ZPO (insb. kein internationaler SV) — ZPO-Bestimmungen auch für Schlichtungsbehörde massgebend? — Massgebendes Rechtsverhältnis i.c.: Kaufvertrag (Art. 31 ff. ZPO) — Konsumentenstreitigkeit nach Art. 32 ZPO? — Keine Einlassung im Schlichtungsverfahren — Alternative Gerichtsstände i.c.: Solothurn (Wohnsitz Rota) Bern (Wohnsitz Rassig) 2./3. Dezember 2015 7 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren > Örtliche Zuständigkeit Problem: — Schlichtungsbehörde Berner Jura-Seeland ist i.c. nicht zuständig — Fällen eines Nichteintretensentscheids? Umstritten! Schlichtungsbehörde Bern: Nichteintretensentscheid ist möglich 2./3. Dezember 2015 8 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren > Sachliche Zuständigkeit — Solothurn: Friedensrichter / Bern: Schlichtungsbehörde — Solothurn: Amtsgerichtspräsident / Bern: Einerbesetzung > Funktionelle Zuständigkeit/Schlichtungsobligatorium — Schlichtungsobligatorium nach Art. 197 ZPO — Hier keine Ausnahme nach Art. 198 ZPO 2./3. Dezember 2015 9 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren > Entscheid trotz Säumnis des Beklagten? Säumnis = Nichterscheinen zum Termin — Säumnis des Klägers (Art. 206 Abs. 1 ZPO): Rückzug des Schlichtungsgesuchs — Säumnis des Beklagten (Art. 206 Abs. 2 ZPO): – – – Erteilung der Klagebewilligung oder Urteilsvorschlag oder Entscheid 2./3. Dezember 2015 10 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren 2./3. Dezember 2015 11 Privatrechtliche Übungen Teil A: Schlichtungsverfahren > Entscheid trotz Säumnis? Entscheidfällung nach Art. 212 ZPO setzt voraus: — Antrag des Gesuchstellers — Streitwert CHF 2’000.00 – – Zulässigkeit eines Teilrückzugs? Grundsätzlich möglich (Art. 227 Abs. 3 ZPO) Zum Zwecke der Erlangung eines Entscheids: Umstritten! Problem i.c.: rechtliches Gehör; vorgängige Androhung der Säumnisfolgen durch Behörde 2./3. Dezember 2015 12 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Formelles Teil B (Hauptprozess): > Örtliche Zuständigkeit — Analog Teil A: Solothurn und Bern > Sachliche Zuständigkeit — Keine Zuständigkeit des Handelsgerichts (Streitwert CHF 2‘090.00 zzgl. Zins) — Bern: Regionalgericht Bern-Mittelland / Solothurn: Amtsgericht Solothurn-Lebern — Bern: Einzelrichter/Gerichtspräsident / Solothurn: Einzelrichter/ Amtsgerichtspräsident 2./3. Dezember 2015 13 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Formelles > Funktionelle Zuständigkeit — Schlichtungsobligatorium (Art. 197 ZPO) — keine Ausnahme nach (Art. 198 ZPO) — Schlichtungsverfahren i.c. durchlaufen 2./3. Dezember 2015 14 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Formelles > Prozessvoraussetzungen — Klagebewilligung als Prozessvoraussetzung Aber: Die Klagebewilligung einer sachlich unzuständigen Schlichtungsbehörde ist ungültig (BGE 139 III 273) Gilt das auch bei örtlicher Unzuständigkeit? Strittig! I.c. wohl Nichteintreten 2./3. Dezember 2015 15 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Rechtsbegehren I von Rassig: «Der Beklagte sei zu verurteilen, dem Kläger CHF 2090.00 zzgl. Zins seit dem 9. Januar 2015 zu bezahlen.» 2./3. Dezember 2015 16 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Anspruchsgrundlage: Vertrag — Qualifikation des Vertrags: Kaufvertrag (Kauf/Tausch, „an Zahlungs statt“) — Zustandekommen des Vertrags (Antrag/Annahme) — Vertragserfüllung: Zahlung Kaufpreis (Stellung Mutter: Hilfsperson), Übergabe bzw. Übereignung der Kaufsache 2./3. Dezember 2015 17 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Sachmängelgewährleistung — Sachmangel (Art. 197 Abs. 1 OR) – – Fehlen einer zugesicherten Eigenschaft, oder erheblicher körperlicher/rechtlicher Mangel — Sachmangel im Zeitpunkt des Gefahrübergangs — Prüfungs- und Rügeobliegenheit (Fristen eingehalten; genüngend substantiiert) Sachmängelgewährleistung ist grundsätzlich möglich 2./3. Dezember 2015 18 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Einbezug der AGB (Garantieklausel) Quelle: Referat Thomas Koller, HAVE-Tagung vom 28. Oktober 2010 (www.have.ch) 2./3. Dezember 2015 19 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Einbezug der AGB (Garantieklausel) 1. Konsens/Geltungskontrolle: Globalübernahme („Klick-Theorie“: BGE 139 III 345) 2. Auslegungskontrolle: Unklarheitsregel; Problem Garantie/Sachgewährleistung (modifizierte Gewährleistung) 3. Konsens/Geltungskontrolle (2. Stufe): Ungewöhnlichkeitsregel 4. Inhaltskontrolle (Zulässigkeit gem. Art. 100/199 OR; UWG 8) AGB einbezogen Garantieklausel als Vertragsbestandteil Wandlung wurde rechtsgültig wegbedungen Nachbesserung wurde rechtsgültig vereinbart 2./3. Dezember 2015 20 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Problemstellung: Hat Rassig im Rahmen der Durchsetzung seines Nachbesserungsanspruchs ein Recht auf Wandlung oder Rücktritt? 2./3. Dezember 2015 21 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Herrschende Meinung: nicht wegbedungene Sachgewährleistungsrechte bestehen neben der Nachbesserung — Durchsetzung des Nachbesserungsanspruchs (Art. 102 ff. OR) — Notwendigkeit einer Nachfristansetzung (Art. 108 OR) / Verzicht auf Nachbesserung? — Anzahl der Nachbesserungsversuche: Art des Mangels, Interessensabwägung (Bei weniger gravierenden Mängeln sind zwei Nachbesserungsversuche zu gewähren) — Nach fehlgeschlagener Nachbesserung leben nicht gültig wegbedungene gesetzliche Sachgewährleistungsansprüche wieder auf (BGE 91 II 344 E. 2.a) — Die Wandlung wurde i.c. gültig wegbedungen > Fazit: Aufleben des Rechts auf Minderung/Ersatzleistung bzw. Durchsetzung nach Art. 98 OR (Ersatzvornahme) 2./3. Dezember 2015 22 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Mindermeinung: Nachbesserung als selbständige Leistungsverpflichtung; keine Vertragsergänzung − Durchsetzung der Nachbesserung nach Art. 97 ff. OR (dabei gelten insb. Art. 102 OR [Inverzugsetzung] und Art. 107/108 OR [Nachfristansetzung]) − Die Ansprüche aus Sachgewährleistung leben nicht wieder auf und es ist lediglich ein Rücktritt nach Art. 109 OR möglich − Mit dem Anspruch auf Wandlung wurde auch das Rücktrittsrecht ausgeschlossen (BGE 107 II 161 E. 7.a) > Fazit Mindermeinung: Kein Rücktrittsrecht. Der Nachbesserungsanspruch kann nur nach Art. 98 OR durchgesetzt werden (Ersatzvornahme). 2./3. Dezember 2015 23 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Zusammenfassung: Herrschende Meinung Mindermeinung Nachbesserung geschuldet Nachbesserung nicht möglich/zumutbar Im Allgemeinen: Sachmängelgewährleistung lebt wieder auf: Wandelung und Minderung neben Nachbesserung möglich Im Allgemeinen: Kein Aufleben der Sachmängelgewährleistung: Nachbesserung oder Rücktritt möglich Folge in casu: Nur Nachbesserung oder Minderung möglich (Wandelung rechtsgültig wegbedungen) Folge in casu: Nur Nachbesserung möglich (Rücktritt rechtsgültig wegbedungen) 2./3. Dezember 2015 24 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Beurteilung Vorbringen Erb: «Rassig steht auch ohne Ausschluss der Gewährleistungspflicht weder ein Wandlungs- noch ein Rücktrittsrecht zu, da die Störung durch das zugesandte Software-Update behoben wurde.» − Rassig ist im Gläubigerverzug kein Recht auf Wandlung oder Rücktritt 2./3. Dezember 2015 25 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Beurteilung Vorbringen Erb: «Wandlung ist nicht zulässig, da der Kaufgegenstand nicht zurückgegeben wurde» − Durchführung der Wandlung erfolgt Zug-um-Zug (Art. 82 OR); Angebot der Rückgabe, Holschuld (Art. 74 Abs. 2 Ziff. 2 OR analog) − Ein unterlassenes Angebot führt jedoch nicht zu einer Klageabweisung, sondern bloss zu einer Verurteilung Zug-umZug (BGE 111 II 463 E. 3). 2./3. Dezember 2015 26 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Zins: Bei Wandlung und Rücktritt wäre ein Zins von 5% (Art. 73 OR), ab Zeitpunkt der tatsächlichen Geldübergabe (i.c. erst am 24. Januar 2015) geschuldet. 2./3. Dezember 2015 27 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Fazit Rechtsbegehren I von Rassig: Nichteintreten wegen ungültiger Klagebewilligung, ansonsten wäre das Rechtsbegehren I von Rassig abzuweisen 2./3. Dezember 2015 28 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Rechtsbegehren II von Rassig: «Der Beklagte sei zu verpflichten, dem Kläger die Schlichtungsgebühr sowie die klägerischen Parteikosten des Schlichtungsverfahrens vor der Schlichtungsbehörde Berner Jura-Seeland im Umfang von insgesamt CHF 500.00 zu bezahlen.» 2./3. Dezember 2015 29 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles Prozesskosten: Parteikosten und Gerichtskosten (Art. 95 Abs. 1 ZPO) > Gerichtskosten: werden ersetzt (Art. 95 Abs. 2 lit. a und Art. 207 Abs. 2 ZPO) > Parteientschädigung: Keine Parteientschädigung im Schlichtungsverfahren (Art. 113 Abs. 1 ZPO) > Zulässigkeit der nachträglichen Liquidation der Parteikosten im nachfolgenden Erkenntnisverfahren? Strittig nach BGE 141 III 20: zulässig > 2./3. Dezember 2015 30 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Fazit Rechtsbegehren II von Rassig: Nichteintreten wegen ungültiger Klagebewilligung, ansonsten wäre das Rechtsbegehren II von Rassig gutzuheissen 2./3. Dezember 2015 31 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Rechtsbegehren III von Rassig: «Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen» 2./3. Dezember 2015 32 Privatrechtliche Übungen Teil B: Hauptprozess Materielles > Fazit Rechtsbegehren III von Rassig: Prozesskosten gehen zu Lasten von Rassig 2./3. Dezember 2015 33
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