1 Predigt im Gottesdienst zu meiner Verabschiedung Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen! Amen. Liebe Schwestern und Brüder! Im St. Veits-Dom zu Prag wird der alte böhmische Königsschatz in einer siebenfach verschlossenen Kronkammer verwahrt. Die verschiedenen Schlüssel zu den einzelnen Schlössern sind jeweils bei einem anderen Würdenträger der tschechischen Republik deponiert, einer beim Präsidenten, einer beim Erzbischof, einer beim Bürgermeister von Prag und so fort. Ein strenges Protokoll wacht darüber, dass dieser wertvolle Schatz wohl und sicher erhalten bleibt. Lediglich Auserwählte haben Zugang zur Schatzkammer. Der normale Besucher erfährt nur aus dem Reiseführer, dass es diesen Schatz gibt und dass er im St. Veits-Dom hinter siebenfachem Schloss und Riegel verborgen ist. Warum erzähle ich davon? Nun – liebe Schwestern und Brüder – ich hatte als Pfarrer auch über einen Schatz zu wachen. Nein – unsere Gemeinde hat keinen Königsschatz unter dem Altar versteckt und auch keine SAP - Aktienpapiere gebunkert. Dieser Schatz liegt auch nicht hinter Schloss und Riegel, sondern er ist öffentlich zugänglich. Auch muss man kein besonderer Würdenträger sein, um einen Zugang zu bekommen. Jeder, ja jeder von uns kann an diesen Schatz gelangen. Er ist offen zugänglich und liegt aufgeschlagen hier auf unserem Altar: Es ist die Bibel. Nun ich gebe zu, in einem Schatz befinden sich normalerweise Gold und kostbare Edelsteine. Wer hat nicht schon einmal davon geträumt, auf einen solchen Schatz zu stoßen? Dieser Schatz freilich ist von ganz anderer Art. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ (Kol. 2, 3) So heißt es einmal im Kolosserbrief. Im Evangelium Christi also liegt dieser Schatz. Solcherart Schatz, der reich an Weisheit und Erkenntnis ist, sollten wir wahrlich nicht geringschätzen. Denn wir sehen ja, wie die soziale Ungleichheit zunimmt, wenn in unserer Welt nur der Gewinn zählt und Menschen und Märkte - vom Turbokapitalismus erfasst - nur nach Geld gieren. Ja, diesen Schatz, der reich an Weisheit und Erkenntnis ist, sollten wir nicht geringschätzen. Nun - Erkenntnisse sind ja in Politik und Wirtschaft hoch begehrt, insbesondere wenn es sich um digitale Daten handelt. 2 Die Geheimdienste setzen alles daran, diese Daten zu erfassen. Erkenntnisse durch Spionage: Wer kann wem noch in dieser vernetzten Welt vertrauen? Ein Vertrauen ganz anderer Art beinhaltet nun der Schatz, der in Christus verborgen liegt. Es ist das Vertrauen in Gott. Aus diesem Vertrauen in Gott gewinnen wir den Schatz der Erkenntnis von der Liebe Gottes, und den Schatz der Erkenntnis von der Gerechtigkeit Gottes. Diese Gerechtigkeit Gottes öffnet uns immer wieder neu die Augen für die Ungerechtigkeit in der Welt. Und diese Gerechtigkeit Gottes liegt nun – wie es in jenem Vers heißt – in Christus verborgen. D.h.: wir müssen die Worte und Verheißungen des Evangeliums für unsere Zeit erschließen, wir müssen sie sozusagen ent- schlüsseln, wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen, uns von ihnen ergreifen lassen, sie für uns und unsere Zeit neu entdecken. Dann werden sie für uns zu einer Überzeugung, dann werden die Erkenntnisse für uns zu einem Schatz. „Denn wo dein Schatz ist, ist auch dein Herz“, um Luther zu zitieren. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ (Kol. 2, 3) Aber dieser Schatz des Evangeliums Christi will sich öffnen, will öffentlich werden, damit er auch in der ge- sellschaftlichen Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Nein – dieser Schatz des Evangeliums ist eben nicht siebenfach verschlossen und verriegelt, er liegt offen zu Tage. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ (Kol. 2, 3) In unserer Zeit, in der wir ständig rund um die Uhr mit Informationen überflutet werden, wo eine Nachricht die andere jagt, wo morgen schon Ereignisse von heute Schnee von gestern sind, da ist es so wichtig – gerade im Blick auf unser gesellschaftliches Zusammenleben und vor allem im Blick auf die krisenhaften Entwicklungen unserer Welt – tiefgehender nachzudenken, die Zusammenhänge und Hintergründe zu erforschen, um nicht flüchtigen Meinungen auf den Leim zu gehen. Desgleichen verhält es sich auch mit den Erkenntnissen des Evangeliums, die – wie der Kolosserbrief hier sagt - in Christus verborgen sind. D.h. wir sollten uns immer wieder ins Evangelium Christi vertiefen, um den Schatz seiner Erkenntnisse neu zu ergründen. Freilich stoßen wir dabei auch auf Erkenntnisse, die uns zum Umdenken, zur Umkehr herausfordern. Wir können dabei auf Erkenntnisse stoßen, die mitunter dem Mainstream widersprechen. Oder: Wir können dabei 3 auf Erkenntnisse stoßen, die angesichts des Klimawandels unseren eigenen Lebensstil in Frage stellen. Aber alles in allem stoßen wir dabei auf Zusprüche neuer Lebenshoffnung, auf Worte der Versöhnung, auf die Liebe Gottes zu uns Menschen. Das ist die Kostbarkeit, die in diesem Schatz verborgen liegt. Ein Schatz, der unser Herz bereichert. Ein Schatz, der uns reich macht an Liebe. Was hindert uns, liebe Schwestern und Brüder, diesen Schatz zu suchen? Denn er ist ja nicht siebenfach verschlossen und verriegelt wie der Kronschatz im VeitsDom zu Prag? Der Schatz des Evangeliums Christi ist offen zugänglich, immer und überall. Wir müssen uns nur selbst auf die Suche machen. Von dieser besonderen Schatzsuche erzählt uns einmal ein Gleichnis Jesu: Mt. 13, 44-46 „Das Himmelreich gleicht einem Schatz, verborgen im Acker, den ein Mensch fand und verbarg; und in seiner Freude ging er hin und verkaufte alles, was er hatte, und kaufte den Acker. Auf einen Schatz im Acker zu treffen, war damals keineswegs unmöglich. Es kam vor, dass Widerstandskämpfer römische Geldtransporte überfielen. Auf der Flucht wurde die Schatztruhe schnell in einem Acker vergraben. So war es nicht gänzlich unwahrscheinlich, dass ein galiläischer Bauer beim Pflügen auf einen Schatz stoßen konnte. Aber eigentlich konnte die galiläische Bevölkerung von einem Schatz nur träumen. Dennoch erzählte Jesus davon, obwohl er dergleichen überhaupt nicht anzubieten hatte. Auch die Jünger besaßen keinerlei Schätze und Wertsachen. Hatten sie doch Hab und Gut verlassen, um Jesus nachzufolgen. Indessen war ihnen die Lebenshoffnung, die Jesus ausstrahlte, wichtiger als alle Reichtümer. Es liegt in der Natur eines Gleichnisses Jesu, dass es den Hörer zum Nachdenken herausfordert. Man ist herausgefordert, dieses Gleichnis zu entschlüsseln. In diesem Gleichnis Jesu liegt gleichsam eine Weisheit, eine Erkenntnis verborgen. Welcher Schlüssel passt zu diesem Schatz? Der Acker, den der Landarbeiter beackert ist ein Bild für unsere Lebenswelt. Und der Landarbeiter steht für einen Menschen, der in seinem Lebensalltag beschäftigt ist und auch darin aufgeht, aber in dessen Leben der Glaube an Gott keine besondere Rolle spielt. Bis er ganz unerwartet darauf gestoßen wird - durch ein Gespräch, durch eine Begegnung, durch eine Lebensfra- 4 ge, die ihn umtreibt. Der gefundene Schatz ist ein Bild für den neu gefundenen Glauben an Gott. des Evangeliums ist der Schatz im Acker, auf den auch wir stoßen sollen. Mitunter geht es uns doch ähnlich wie dem Landarbeiter im Gleichnis. Was müssen wir tagtäglich nicht alles beackern? Manchmal werden wir so sehr in Beschlag genommen, dass wir nur funktionieren. Aber da gibt es dann und wann Einschnitte, Ereignisse in unserem Leben, die sich plötzlich (aber wohl nicht zufällig) ereignen und unser Leben dadurch grundlegend verändern. Da reicht mir jemand die Hand zur Versöhnung, da eröffnet sich in einer Krise hoffnungsvoll ein neuer Weg, da erlebe ich ungeahntes Glück durch Liebe, die mir ein Mensch schenkt. In all diesen Erfahrungen finden wir gleichsam einen neuen Schatz, weil diese Erfahrung für uns ein unschätzbarer Gewinn ist für die Hoffnung und den Sinn unseres Lebens. Und dabei können wir auch Gott neu erfahren, als einen, der uns durch einen vertrauten Menschen Liebe und Hoffnung schenkt. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ (Kol. 2, 3) Auf solche Schätze des Lebens, auf den unermesslichen Reichtum der Liebe Gottes, wollte Jesus hinweisen und durch sein Leben und Wirken erfahrbar machen. So können wir auch sagen: Die Lebenshoffnung Liebe Schwestern und Brüder, die Erkenntnisse des Evangeliums neu zu erschließen, zu entschlüsseln, das war mein Amt, das war meine vornehmste Aufgabe als Pfarrer. Dafür wurde mir sozusagen die Schlüsselgewalt übertragen. Nun eine Schlüsselgewalt hatte ich ohnehin schon. Diese Schlüsselgewalt (Schlüsselbund zeigen)! Diese Schlüssel werde ich in wenigen Tagen an die Gemeinde zurückgeben. Ich werde dann diesen Schlüsselbund meiner Nachfolgerin Pfarrerin Marina von Ameln übergeben. Mit diesen Schlüsseln hatte ich die Befugnis, unsere Gebäude zu öffnen und zu schließen. Aber die Schlüsselgewalt über den Schatz des Evangeliums Christi ist freilich von ganz anderer Art. Nun sagte ich zu Beginn, dass ich als Pfarrer zwar nicht über einen siebenfach abgeriegelten böhmischen Königsschatz zu wachen hatte, wohl aber über den Schatz des Evangeliums Christi. Das war natürlich ein 5 Wächteramt der besonderen Art. Denn ich habe mich nie als Glaubenswächter verstanden. Nach evangelischem Verständnis vom „Priestertum aller Getauften“ ist jeder von uns als Christ dazu berufen, Erkenntnisse des Glaubens zu gewinnen. Nein, das Amt des Glaubenswächters war mir zutiefst fremd. Deshalb möchte ich sagen: Dieser Schatz des Evangeliums Christi war mir in besonderer Weise anvertraut. Ich war beauftragt, diesen Schatz zu öffnen, um im Austausch mit euch, liebe Schwestern und Brüder, zu verstehen, wie Christus zu uns heute spricht. In diesem Sinne habe ich nicht über das Evangelium gewacht, sondern ich wollte mit wachen Augen immer wieder neu mit euch auf das Evangelium blicken, um es zu entschlüsseln, damit sich uns das Wort Gottes selbst erschließt. Fürwahr, diese Entschlüsselung war mitunter auch ein schweres Ringen. Für diese Entschlüsselung gibt es eben nicht so passende Werkzeuge, wie es diese Schlüssel hier sind. (Schlüsselbund zeigen) Mancher Schatz des Evangeliums Christi liegt begraben im Boden der Geschichte und man findet erst dann den richtigen Zugang, wenn man diesen Schatz gleichsam historisch-kritisch ausgräbt. Manche Schätze liegen eben in Christus verborgen, wie es der Kolosserbrief sagt. Und es gibt auch Fragen aus unserer modernen Welt, auf die es im Schatz des Evangeliums keine direkte entsprechende Antwort gibt. Dann gilt es, zu entschlüsseln, was „Christum treibet“, wie Luther einmal sagt, um eine Antwort zu finden im Geiste seiner Botschaft. Dann und wann gibt es auch die Erfahrung, dass Christus einem selbst verborgen bleibt. Da braucht es das Gespräch mit Vertrauten, das Gebet und die Bitte um den Heiligen Geist, um Verstand und Herz zu öffnen. „In Christus liegen verborgen alle Schätze der Weisheit und der Erkenntnis.“ (Kol. 2, 3) Ja, liebe Schwestern und Brüder, es war spannend, sich immer wieder auf diese Schatzsuche zu begeben. Bei dieser Schatzsuche behilflich zu sein, das war zuerst und vor allem meine Aufgabe, mein Amt. Bei dieser Aufgabe, den Schatz des Evangeliums zu suchen und zu öffnen, habe ich von euch viel Wertschätzung erfahren. Dafür bin ich zu tiefst dankbar. „Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen“, so schreibt einmal Paulus. Das irdene Gefäß ist ein Bild für unseren Glauben. Unser Glaube ist gleichsam die Schatzkammer, in der Christus sein Evangelium legen will. Und diese Schatzkammer ist nicht siebenfach ver- 6 riegelt wie jener Königsschatz im Veits-Dom zu Prag, sondern ist offen und frei zugänglich. Welch eine Kostbarkeit ist doch diese Schatzkammer des Glaubens? Wir sollten uns deshalb nicht selbst davor verschließen, sondern uns neu dafür öffnen. Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. + Amen + Pfarrer Bernd Höppner
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