Interview - Franziskanerinnen von Sießen

16 Diözese aktuell
DAS INTERVIEW
Sonntagsblatt
Schwester Marie-Sophie Schindeldecker über ein interfranziskanisches Noviziatsprojekt
»Wachstum im franziskanischen Charisma«
Schwester Marie-Sophie, wenn
franziskanische Gemeinschaften im Noviziat kooperieren –
ist das eher der NachwuchsNot geschuldet, oder sind
einfach die Unterschiede zwischen den Gemeinschaften
heute nicht mehr so wichtig?
In vielen Gemeinschaften gibt
es heute nur eine Novizin. Da ist
es sinnvoll, dass man die sogenannten »Einzelkinder« in Kontakt mit anderen Novizinnen
bringt. In der gleichen Ausbildungsphase bewegen noch einmal andere Themen, als wenn
man mit älteren Mitschwestern
zusammenlebt. Zugleich geht es
darum, sich frühzeitig zu vernetzen. Das Projekt hat auch
zum Ziel, die franziskanische
Spiritualität zu vertiefen.
Wie sieht der Tagesablauf aus?
Wir beginnen – wie in den heimischen Ordensgemeinschaften – den Tag mit Betrachtung
und gemeinsamem Morgengebet. Wir feiern täglich die
Eucharistie und beten abends
gemeinsam die Vesper. Dazu
kommen Studienzeiten und an
zwei Tagen in der Woche ein
Sozialpraktikum. Es gibt verschiedene Dienste: Küchendienst, Wäschedienst, Vorbereitung der Gebetszeiten. Die
wechseln wöchentlich.
36/2015
Was sind die Inhalte der Studienzeiten?
Wir haben jede Woche ein
Thema, das wir vor allem im
Hinblick auf die franziskanische
Dimension beleuchten. Zunächst gab es Exerzitien im Alltag, um anzukommen. Weitere
Themen sind Menschwerdung,
Sendung, Armut, Ehelosigkeit
und Gehorsam, Einführung in
die franziskanischen Quellenschriften, Bibelarbeit mit kreati-
»Warum hast du das Kleid an?
Was bedeutet dir dein Glaube?«
Wenn sie vom Praktikum heimkommen, ist erst einmal Erzählrunde.
Gibt es da auch mal Probleme?
Das, was es eben gibt, wenn
man Gemeinschaft lebt. Natürlich muss man Sachen besprechen. Aber ich finde, die Gruppe
ist echt gut unterwegs.
15 Novizinnen aus elf Gemeinschaften haben sich zusammengefunden – wie unterschiedlich sind die
Gewohnheiten?
Zu Beginn haben sich die einzelnen Gemeinschaften vorge-
Das Noviziat ist ja eine Eingewöhnungszeit in die Gemeinschaft. Wie sinnvoll ist es, die
jungen Schwestern da drei
Monate herauszunehmen?
Das Noviziat ist eine Probezeit,
in der man sich auseinandersetzt: Ist das mein Leben, meine
Spiritualität, meine Gemeinschaft? Ich erlebe es so, dass
dieses Herausgenommensein
noch einmal klärt: Da gehöre
ich hin, da ist mein Platz.
Wie sind die Rückmeldungen
der jungen Frauen?
Positiv. Das Kennenlernen der
verschiedenen Ordensgemeinschaften, die Gemeinschaft und
die Abwechslung zwischen
Unterricht und Praktikum.
Foto: pm
Seit dem 22. Juni leben 15
Novizinnen aus elf franziskanischen Gemeinschaften gemeinsam in Münster, fünf von
den Sießener Franziskanerinnen. Die Leitung dieser Noviziatsgemeinschaft haben die
Sießener Franziskanerinnen
Schwester Marie-Sophie
Schindeldecker und Schwester Christina Mülling, die
Geschäftsführerin der Interfranziskanischen Arbeitsgemeinschaft (Infag) ist. Worauf das dreimonatige Projekt
der Infag zielt, und welche Erfahrungen die jungen Schwestern machen, erzählt Schwester Marie-Sophie im Interview.
So unterschiedlich die Gemeinschaften sind,
man merkt: Jede hat sich für die
entschieden, wo sie gut hinpasst.
Schwester Marie-Sophie Schindeldecker
ven Methoden und Kontemplation. Dazu kommt jeweils ein
Referent.
Welche Erfahrungen machen
die Schwestern in ihren sozialen Einsätzen?
Die Schwestern sind in der
Bahnhofsmission, in der Obdachlosenarbeit, im Altenheim,
auf der Säuglingsstation, im
Kindergarten – an verschiedensten Stellen in Münster eingesetzt. Da kommen sie mit
menschlicher Not in Berührung, mit vielen Lebensgeschichten, und das bewegt die
jungen Schwestern natürlich.
Da sind sie auch herausgefordert, Fragen zu beantworten.
stellt. Und dann erleben wir einfach im Alltag die Unterschiede:
Wie lebt ihr Gemeinschaft, wie
habt ihr das mit dem gemeinsamen Gebet, wie macht ihr das
mit dem Geld? Dieser Austausch ist spannend und bereichernd.
Was können die jungen Schwestern voneinander lernen?
Dieses: Aha, so kann man’s
auch machen, auch so kann ich
das franziskanische Leben verstehen. Da kommt eine Weite
hinein. Und so unterschiedlich
die Gemeinschaften sind, man
merkt: Jede hat sich für die Gemeinschaft entschieden, wo sie
gut hinpasst.
Gibt es einen konkreten Impuls
für die Sießener Franziskanerinnen, der sich aus der Kooperation der Gemeinschaften
ergeben hat?
Für die Ordensausbildung ist
es eine wertvolle Erfahrung,
die Ausbildung miteinander
zu vernetzen. Dass die jungen
Ordensleute sich kennenlernen,
ist etwas, das in die Zukunft
führt. Wir müssen schauen:
Wie gehen wir als franziskanische Familie gemeinsam in
die Zukunft? Welche Projekte
könnten wir gemeinschaftsübergreifend in den Blick
nehmen?
Was werden Sie persönlich aus
diesem Projekt mitnehmen?
In diesem Projekt ging es vor
allem um Menschwerdung
und Wachstum im franziskanischen Charisma, um die jungen Schwestern für die Herausforderungen des Ordenslebens
zu befähigen. Ich bin dankbar,
dass ich sie in dieser Zeit
begleiten durfte, und ich habe
wieder mal spüren dürfen, wie
viel Freude es mir macht, Leben
zu fördern.
Interview: Cornelia Klaebe