September 2015 - dbb beamtenbund und tarifunion

Postvertriebsstück • Deutsche Post AG „Entgelt bezahlt“
9
dbb magazin
September 2015 – 66. Jahrgang
Seite 4 <
Interview:
Dr. Eva Lohse,
Präsidentin
des Deutschen
Städtetages
Seite 8 <
Flüchtlinge und
Asylbewerber:
Dem öffentlichen
Dienst fehlen
10 000 Stellen
dbb
Eine ausgewogene Infrastruktur und ein Serviceangebot, das
den Bürgern die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bietet,
­machen Städte und Gemeinden lebenswert. Das ist leichter festgestellt als umgesetzt, denn jede Maßnahme kostet Geld, das im
Zweifel im kommunalen Haushalt nicht vorhanden ist. Der Deutsche Städtetag spricht gar von einem Teufelskreis: abnehmende
Standortattraktivität und schlechter werdende Infrastruktur aufgrund der sich selbst verstärkenden Spirale von schlechter Wirtschaftslage, schwie­
riger Sozialstruktur,
hohen Sozialausgaben
und niedrigen Einnahmen. Folgerichtig fordern die Kommunen
Finanzhilfen vom Bund
und von den Ländern
ein, die indes nicht den
Charakter von Einmalzahlungen haben dürfen. Sie müssen nachhaltig sein. Denn nur
dann lassen sich Rücklagen für aufwendige Bau- und Sanierungsmaßnahmen bilden
und können Altschulden abgebaut werden. Das wird aber nur gelingen, wenn die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und
Kommunen von Grund auf neu geregelt werden.
<< Schwerpunkt: Bürgerservice – Dienstleister Kommune
4
aktuell
<<
Interview mit Dr. Eva Lohse, Präsi­
dentin des Deutschen Städtetages 4
<<
Tarifeinheitsgesetz:
Verfassungsbruch mit Ansage
6
<<
Flüchtlinge und Asylbewerber:
10 000 Stellen fehlen
8
<<
Zweites Pflegestärkungsgesetz:
­P flegebedürftigkeitsbegriff wird
­reformiert
9
Fachmesse für Arbeitsschutz
und ­Arbeitssicherheit:
dbb Messestand in Halle 10
9
<<
8
12
Die Entlastung der Kommunalfinanzen durch den Bund um jährlich fünf Milliarden Euro ab 2018 muss konkretisiert und umgesetzt werden. Ferner würde eine Erhöhung des Umsatzsteueranteils für die Kommunen und eine bedarfsgerechte Verteilung nach
Maßgabe der Höhe der vom Bund veranlassten Sozialausgaben
eine gerechte Lösung darstellen. Möglich wäre auch ein Komponentenmix aus erhöhter kommunaler Umsatz- und Einkommenssteuerbeteiligung, wie der Deutsche Landkreistag vorschlägt. Des
Weiteren muss sich der Bund an der Reduzierung der Altschulden
beteiligen, die allein für die Kassenkredite etwa 50 Milliarden Euro
betragen. Das Argument der leeren Kassen sticht nicht, denn Geld
auszugeben, um letztlich zu sparen, ist kein Widerspruch. Jetzt zu
investieren rechnet sich spätestens für die kommenden Generationen. Dafür muss in Bund und Ländern allerdings in größeren
Zeiträumen als in Wahlperioden gedacht werden. sm
17
Impressum:
32
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Fried­richstraße 169/170, 10117 Berlin. Telefon: 030.4081-40. Telefax: 030.4081-5599.
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Erscheinen. Gedruckt auf Papier aus elementar-chlorfrei gebleichtem Zellstoff.
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird der Einfachheit halber nur die männliche Form verwendet.
Sämtliche Personen- und Berufsbezeichnungen gelten jedoch gleichermaßen für alle Geschlechter.
ISSN 0941-8156
<
<
35
40
<<
Achtstundentag:
Prinzipielle ­Schutzfunktion
<<
Staatsaufgaben klar definieren:
­Beschäftigte besser unterstützen 11
<
<
fokus
<<
Bauwerksprüfung:
Drunter, drinnen & drüber
12
<<
die andere meinung:
Kommunen in der Klemme
16
<<
Kommunale Dienstleistungen:
Alles für die Bürger?
17
<<
Kfz-Zulassung:
Ich bin dann mal weg ...
20
<
<
spezial
<<
Amtsdeutsch: Rauhfutterverzehrende Großvieheinheit …
24
<<
Sozial- und Erziehungsdienst:
Kein Verhandlungsfortschritt
26
<<
Der Fall des Monats
27
<<
dbb jugend beim Bürgerdialog der
Bundesregierung: Bildung, Familie
und Sicherheit im Fokus
28
<<
Fünf Fragen an den Europapolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Stübgen 30
<<
EU-Mutterschutzreform:
Vertrauen wieder herstellen
31
<<
Generation 65plus:
Mitten drin statt außen vor
32
<<
Führungspositionengesetz: Neues
Stimmungsbarometer vorgestellt 34
<<
Rente mit 63:
Vor allem Männer ­profitieren
34
<<
Urteil zum Betreuungsgeld:
Was brauchen Familien jetzt?
35
<
<
finale
<<
Glosse: Nur mit Nummer
39
<<
Digitaler Personalausweis:
Ungenutztes Potenzial
40
<<
Mitgliedsgewerkschaften42
<<
Kulisse: Beinhart
10
47
> dbb magazin | September 2015
3
aktuell
©3dkombinat – Fotolia.com
Klamme Kommunen
dbb
Interview mit Dr. Eva Lohse, Präsidentin des Deutschen Städtetages
Kosten der Kommunen für Flüchtlinge und
Asylbewerber bundeseinheitlich erstatten
<<
dbb magazin
Die Finanzbeziehungen zwischen Bund, Ländern und
­Kommunen sollen 2019 neu
geregelt werden und künftig
weniger eine Verteilung zwischen West und Ost, sondern
zwischen Arm und Reich berücksichtigen. Am Ende wird
ein Kompromiss stehen. Wo
sehen Sie bei diesen Bemühungen die Stellung der Kommunen?
aktuell
4
Eva Lohse
Aus Sicht der Städte kann eine
Reform der Finanzbeziehungen
am Ende nur dann als gelungen
gelten, wenn sie den Kommunen ermöglicht, die berechtigterweise von den Menschen
gestellten Anforderungen besser zu erfüllen. Die Kommunen
prägen mit ihren Entscheidungen und finanziellen Handlungsmöglichkeiten die Lebenswirklichkeit der Menschen
in besonderem Maße. Deshalb
muss die Reform zumindest für
die drängendsten kommunalen Probleme Lösungen ermöglichen. Dazu gehören die Entlastung der Kommunen von
Sozialausgaben, die Stärkung
der kommunalen Investitionskraft, die Förderung strukturschwacher Regionen und nicht
zuletzt Hilfen für die Bewältigung des Altschuldenpro­
blems.
CDU/CSU
<<
<
< Dr. Eva Lohse, Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen am Rhein
den-Paket für Investitionen
­unter anderem in die öffentliche Infrastruktur und in den
Städtebau zur Verfügung stehe. Brechen goldene Zeiten für
die Kommunen an?
<<
<<
dbb magazin
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat im Interview mit dem dbb magazin
(Juli/August-Ausgabe) erklärt,
dass den finanzschwachen
Kommunen mit zusätzlichen
fünf Milliarden Euro geholfen
werde und ein Zehn-Milliar-
> dbb magazin | September 2015
Eva Lohse
Die Bundesregierung hat erkannt, dass die kommunale
­Finanznot groß ist, und sie ist
ganz offensichtlich bereit, trotz
der besonderen Verantwortung der Länder für die Kommunen ihnen ebenfalls unterstützend zur Seite zu stehen.
Uns freuen die zusätzlichen Fi-
nanzhilfen. 3,5 Milliarden Euro
erleichtern finanzschwachen
Kommunen Investitionen und
sind damit eine sehr gezielte,
wenn auch einmalige Hilfe, die
es so bisher nicht gab. Auch die
um 1,5 Milliarden Euro erhöhte
Soforthilfe begrüßen wir. Das
Zehn-Milliarden-Paket für Investitionen ist allerdings nur zu
einem sehr kleinen Teil für die
Kommunen gedacht.
Kommunen auch die im Koa­
litionsvertrag zugesagte Entlastung von Soziallasten. Denn
das ist genau das, was wir vom
Bund fordern und brauchen:
dauerhafte, verlässliche Vereinbarungen zur Kostenübernahme oder Kostenbeteiligung
im Sozialbereich und Maßnahmen zur Dämpfung des Kostenanstiegs.
<<
Zielgenau und dauerhaft geholfen hat die Übernahme der
Kosten der Grundsicherung im
Alter durch den Bund. Und
ernsthaft helfen wird den
dbb magazin
Die Kommunen sind angesichts der großen Zahl von
Asylbewerbern zunehmend
überlastet und stoßen an ihre
dbb
Eva Lohse
Die Kommunen sind mit Hochdruck dabei, die ihnen zugewiesenen Flüchtlinge und Asylbewerber unterzubringen und
zu versorgen. Die Städte stehen zu dieser akuten humanitären Hilfe. Aufgabe der Kommunen wird es künftig jedoch
vor allem sein müssen, sich
verstärkt um die Flüchtlinge
und anerkannten Asylbewerber zu kümmern, die lange
Zeit bleiben. Das bestätigte
auch der Beschluss des BundLänder-Flüchtlingsgipfels im
Juni. Damit diese Menschen in
unsere Gesellschaft integriert
werden, sind viele Hilfsangebote nötig, beispielsweise
Sprachkurse, Kitaplätze, Wohnungsvermittlung und Angebote für den Übergang der
Menschen in Arbeitsverhält­
nisse. Dafür brauchen die
­Kommunen Geld. Eine gute
Möglichkeit der stärkeren Unterstützung durch den Bund
wäre eine Pro-Kopf-Pauschale
des Bundes pro Asylbewerber,
eine andere die Kostenübernahme durch den Bund bis
zum Abschluss des Asylver­
fahrens, und auch über die
­Gesundheitskosten muss gesprochen werden. Die Länder
wiederum sollten unbedingt
rasch ihre sehr unterschiedliche Kostenerstattung gegenüber den Kommunen für die
Aufnahme und Versorgung von
Flüchtlingen bundesweit auf
ein angemessenes Niveau vereinheitlichen. Denn es gibt immer noch Länder, die den Kommunen nicht einmal die Hälfte
der Ausgaben ausgleichen.
Und auch bei der Förderung
des sozialen Wohnungsbaus
werden sich Bund und Länder
stärker engagieren müssen,
­damit mehr bezahlbare Wohnungen entstehen. Denn der
knappe Wohnraum für Familien mit niedrigen Einkommen,
aber auch für Flüchtlinge ist
<<
dbb magazin
In der Mitte Juni 2015 verabschiedeten „Dresdner Erklärung“ hat der Deutsche Städtetag die ihm angehörenden
Kommunen in die Pflicht genommen: Die Städte seien gefordert, ihre verfügbaren Ressourcen so einzusetzen, dass
sie möglichst große Effekte für
die eigene Zukunftsfähigkeit
erzielen können. Was bedeutet
das konkret?
<<
Eva Lohse
Hinter diesen Aussagen der
„Dresdener Erklärung“ steckt
der Gedanke, mit den oftmals
knappen Ressourcen in den
Städten den größtmöglichen
Nutzen für den Bürger vor Ort
zu erzielen und zeitgleich kostensparende, aber zukunftsfähige Infrastrukturen schaffen
zu wollen. Nicht alles, was
heutzutage möglich ist, bringt
auch den größten Nutzen für
die Allgemeinheit. Dies bedeutet ausdrücklich keine Abkehr
von technologischen Innovationen. Gemeint ist ein sorgfältiges Abwägen zwischen dem
technisch Machbaren und einfacheren, bewährten Techno­
logien und langlebigeren Ausstattungen der Infrastruktur.
<<
dbb magazin
Die demografische Entwicklung macht auch vor den
­Kommunen nicht halt: Die
­Bevölkerung altert und benötigt entsprechende Einrichtungen und Hilfen, um Mobilität
und Lebensqualität in ihrem
unmittelbaren Wohnumfeld zu
erhalten. Sind die Kommunen
dafür gerüstet?
<<
Eva Lohse
Kaum eine Entwicklung
wird Deutschland und seine
Städte und Gemeinden in den
kommenden Jahren und Jahrzehnten so prägen wie der
­demografische Wandel. Die
Auswirkungen stellen die Kommunen vor neue Aufgaben
und große Herausforderungen.
Die Städte müssen mit stag­
nierenden und abnehmenden
Einwohnerzahlen und Veränderungen in der Zusammensetzung der Bevölkerung umgehen und sich auf neue Anforderungen, neue Standards und
neue technische und soziale
Infrastrukturen einstellen. Sie
müssen Anpassungen der städtischen Infrastruktur vornehmen und gute Bedingungen für
die Menschen schaffen – ich
nenne hier nur beispielhaft die
Wohnungsmärkte, die Arbeitsmärkte und den Bereich Medizin und Pflege.
Aus dem demografischen
Wandel ergeben sich aber
auch Gestaltungsspielräume
und Zukunftschancen, die wir
nutzen und ergreifen sollten!
Wir werden mehr Raum in un-
seren Städten haben und mehr
Lebenszeit bei guter Gesundheit für Familie, Bildung, Arbeit, Ehrenamt, Freizeit und
Ruhestand. Ich bin zuversichtlich, dass es gelingen wird, beispielhafte Lösungen im Umgang mit dem demografischen
Wandel in den unterschiedlichen Lebensbereichen zu finden. Wir haben ideenreiche
und engagierte Menschen in
unseren Städten, die Initiativen und Projekte kreieren und
diese auch erfolgreich und vorausschauend verwirklichen
können. Unerlässlich für eine
aktive Gestaltung dieses gewaltigen Veränderungspro­
zesses ist aus meiner Sicht,
­diesen Wandel als gesamt­
gesellschaftliche Aufgabe zu
begreifen, der sich Bund, Länder und Kommunen gemeinsam stellen und in die sie viele
weitere Akteure mit einbinden
müssen.
5
<< Dr. Eva Lohse …
… Jahrgang 1956, wurde in Ludwigshafen geboren. Von 1976
bis 1982 studierte sie Rechtswissenschaften an den Universitäten Heidelberg, Genf und Freiburg. Im Anschluss absolvierte
sie ein Referendariat im Bezirk
des OLG Zweibrücken und nahm
ein Aufbaustudium an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer
auf. 1985 legte sie ihr zweites
juristisches Staatsexamen ab.
Ihre berufliche Laufbahn als Verwaltungsjuristin führte Eva Lohse zur Kreisverwaltung Bad Dürkheim, zum Innenministerium des Landes Rheinland-Pfalz in Mainz
und zum Polizeipräsidium Rheinpfalz in Ludwigshafen. 1995 promovierte sie im Bereich Arbeitsrecht. Darauf folgte ein beruflicher
Wechsel an die Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Arbeitsverwaltung in Mannheim. 1994 wurde
sie in den Stadtrat von Ludwigshafen gewählt. 1999 war sie Spitzenkandidatin der CDU in der Kommunalwahl. Bei der ersten
­Direktwahl der Oberbürgermeisterin setzte sie sich 2001 mit
55,5 Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang durch. Seit 1. Januar 2002 hat sie das Amt der Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen inne. Im Jahre 2009 wurde sie als Oberbürgermeisterin wiedergewählt. Seit 2005 ist Lohse Mitglied im Präsidium des Deutschen
Städtetages. Von 2013 bis 2015 war sie Vizepräsidentin und ist
nun seit 2015 Präsidentin des Deutschen Städtetages. Seit 1981 ist
sie mit dem Arzt Dr. Gustav Lohse verheiratet und hat zwei erwachsene Töchter.
> dbb magazin | September 2015
aktuell
<<
vor Ort häufig ein drängendes
Problem.
Stadtverwaltung Ludwigshafen
(Kapazitäts-)Grenzen. Es muss
dringend Abhilfe geschaffen
werden. Wie können die Kommunen entlastet werden, Frau
Lohse?
dbb
Tarifeinheitsgesetz:
Verfassungsbruch mit Ansage
Als verfassungswidrigen Murks hat dbb Chef
Klaus Dauderstädt das seit 10. Juli 2015 geltende
Tarifeinheitsgesetz erneut kritisiert und die ersten
Verfassungsbeschwerden und Anträge auf einstweilige Anordnung zur Aussetzung des Gesetzes
zahlreicher Branchengewerkschaften in Karlsruhe
begrüßt.
<<
gungen Vereinigungen zu
­bilden‘ und zur Not auch zu
­Arbeitsniederlegungen als
­‚Ultima ratio‘ zu greifen“, so
Dauderstädt. „Abreden, die
dieses Recht einschränken
oder zu behindern suchen,
sind nichtig, hierauf gerichtete
Maßnahmen sind rechtswidrig“, heiße es im Grundgesetz
Der dbb Bundesvorsitzende
weist zudem auf die zahlreichen praktischen Probleme bei
der Umsetzung „dieses hanebüchenen Gesetzes“ hin: „Wer
Hanebüchenes Gesetz
Mit dem Tarifeinheitsgesetz,
nach dem in einem Betrieb nur
noch der Tarifvertrag der mitgliederstärksten Gewerkschaft
gelten soll, habe die Große
­Koalition einen „Verfassungsbruch mit Ansage“ durchgewunken, macht der dbb Chef
deutlich: „Mit dieser Regelung
sind die kleineren Gewerkschaften, also überwiegend die
spezialisierten Berufs- und
Spartenvertretungen, massiv
in ihrer Existenz bedroht. Denn
die kleinere Gewerkschaft darf
mit ihren Mitgliedern nicht
mehr in den Arbeitskampf ziehen – der Streik wäre auf ein
nie zu erreichendes Ziel, nämlich einen eigenen Tarifvertrag,
gerichtet. Damit aber werden
die kleinere Gewerkschaft und
ihre Mitglieder unmittelbar in
ihrem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit aus Artikel 9 ein­
geschränkt. Sie haben damit
nicht mehr das jedermann
­zugestandene ‚Recht, zur
­Wahrung und Förderung der
Arbeits- und Wirtschaftsbedin-
> dbb magazin | September 2015
©fotomek – Fotolia.com
aktuell
6
Es sei gut, „dass sich die ersten
Verfechter von Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie auf
den Weg nach Karlsruhe gemacht haben. Wenn das Parlament die Koalitionsfreiheit der
Bürgerinnen und Bürger nicht
mehr verteidigt, müssen die
Richter des Verfassungsgerichts diese Rolle übernehmen“, schreibt Dauderstädt
in einem Gastkommentar für
den Bremer „Weser-Kurier“
(2. August 2015).
solches Gesetz? Hält dieses
Land, dessen Wirtschaft und
Gemeinwesen bislang sehr gut
mit der Tarifautonomie der Sozialpartner gefahren ist, keine
Streiks aus, die zahlenmäßig
deutlich unter dem europäischen Durchschnitt liegen?
­Warum mischt sich der Gesetzgeber nun plötzlich überflüs­
sigerweise ein, zerstört den
­Betriebsfrieden und treibt die
Gewerkschaften in einen harten
Konkurrenzkampf?“, heißt es in
dem Gastkommentar weiter.
weiter – „und das Tarifeinheitsgesetz erfüllt diesen Tatbestand“, so Dauderstädt.
„Genau das hatte den Verfassern dieses unmöglichen Ge­
setzes bereits im Vorfeld eine
überwältigende Zahl namhafter
Sachverständiger ins Stammbuch geschrieben. Nun ist der
Murks in Kraft und lässt im
Grunde alle Fragen offen: Warum überhaupt brauchte es ein
ermittelt die Gewerkschaftszugehörigkeit, auf welcher rechtlichen Grundlage überhaupt?
Wer definiert die Betriebsmehrheit? Alles ungeklärt. Die
Arbeitsgerichte stehen vor unlösbaren Aufgaben, die Berufsgewerkschaften sind in Gefahr,
weil ihre ureigenste Daseins­
berechtigung infrage gestellt
wird. Das ist nicht hinzunehmen“, betonte Dauderstädt,
der für den dbb als gewerk-
schaftlicher Dachverband
­unabhängig von den Eilver­
fahren ebenfalls Verfassungsbeschwerde angekündigt
­hatte.
<<
An der Wirklichkeit
­vorbei
Mit deutlichen Worten hat
auch der Zweite Vorsitzende
und Fachvorstand Tarifpolitik
des dbb, Willi Russ, erneut das
am 10. Juli 2015 in Kraft ge­
tretene Tarifeinheitsgesetz
­kritisiert. „Noch selten ist ein
Gesetz so an der Wirklichkeit
vorbeigeschrammt wie dieses“,
sagte Russ auf dem 21. Pressefest des Beamtenbundes Baden-Württemberg (BBW) am
16. Juli 2015 in Stuttgart. Das
Gesetz, so der dbb Vize weiter,
sei „feige im Ansatz, handwerklich schlampig in der Ausführung und überflüssig wie
ein Kropf“. Russ’ Fazit: Das
­Tarifeinheitsgesetz sei „das
überflüssigste Gesetz dieser
Legislaturperiode“.
Die Politik glaube wohl selbst
nicht allzu sehr daran, dass das
umstrittene Gesetz unter den
strengen Augen der Karlsruher
Verfassungsrichter Bestand
haben werde, fügte Russ hinzu. „Deshalb hat sie schon
jetzt einen Antrag im Bundesrat über das Land Bayern eingebracht, der Streiks im Bereich der Daseinsvorsorge in
Zukunft drastisch regulieren
soll. Zwangsschlichtung soll
demnach die Lösung aller Probleme sein. Diesen Versuch,
jetzt noch einmal nachzulegen, lehnen wir kategorisch
ab. Wer Streiks in der Daseinsvorsorge nicht will, hätte nicht
im großen Stil privatisieren
dürfen – siehe Post, Bahn, Telekom“, so Russ. „Der Garant
für einen streikarmen öffentlichen Dienst ist ausschließlich
in der Verbeamtung in den
entsprechenden Sektoren zu
suchen.“
dbb
Flüchtlinge und Asylbewerber:
Dem öffentlichen Dienst fehlen 10 000 Stellen
Angesichts der steigenden Asylbewerberzahlen fehlen dem öffentlichen
Dienst mehr als 10 000 Stellen. Das sagte der dbb Bundesvorsitzende Klaus
Dauderstädt gegenüber der „Welt“ (Ausgabe vom 20. August 2015). „Wir haben eine Situation, auf die die Republik nicht eingestellt ist und die den öffentlichen Dienst weit über das Normalmaß hinaus belastet.“ Das Bundesinnenministerium rechnet im laufenden Jahr mit rund 800 000 Asylsuchenden.
aktuell
©goldencow_images – Fotolia.com
8
Nicht nur das Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge
(BAMF) sei jetzt gefordert,
­sondern auch Polizei, Kommunen, Gesundheitsbehörden,
Schulen, Sozialdienste und
­Justiz, so der dbb Chef. „Viele
Bereiche des Staatsdienstes
kommen schwer klar mit der
jetzigen Belastung.“ Noch sei
die Motivation zwar groß, aber
das „könnte sich ändern, wenn
es nicht bald eine deutliche
Entlastung gibt“.
<<
Hilferuf aus allen
­Verwaltungsbereichen
Der öffentliche Dienst gebe
Gas, „aber er fährt nur noch
auf Reservetank“, so Dauderstädt weiter. Die ohnehin
schon problematische Unterbesetzung in Ämtern und Behörden verschärfe sich jetzt.
> dbb magazin | September 2015
„Es knirscht gewaltig. Die Zeit
der Improvisation ist vorbei.“
Eine Befragung von dbb Mitgliedsgewerkschaften, die
­besonders mit Aufgaben im
Zusammenhang mit der
Flüchtlingsthematik befasst
sind, hatte ergeben, dass unter
anderem mehr Personal bei
der Bundespolizei notwendig
sei, um der Schleuserkrimina­
lität entgegenzuwirken. Das
Pro­blem fehlender Amtsärzte
­verschärfe sich, da durch die
Flüchtlinge auch besondere
Krankheiten zu behandeln
­seien. Auch auf die Schulen
­kämen mit der Integration von
Flüchtlingskindern komplexe
Herausforderungen zu. Die
Zahl der Klageverfahren von
abgewiesenen Flüchtlingen an
Verwaltungsgerichten steige
ebenfalls dramatisch an. Dauderstädt mahnte: „Wir müssen
im Interesse der Asylbewerber
die Justiz in die Lage versetzen,
schnellstmöglich Entscheidungen zu treffen und umzusetzen.“ Die Kommunen bräuchten zudem dringend neue
Lösungen für die Unterbringung der Asylbewerber im
kommenden Winter.
Dauderstädts Fazit: Der Personalnotstand im öffentlichen
Dienst muss behoben werden.
„Wir erwarten noch weitere
Hunderttausende Flüchtlinge.
Dieser Zustrom wird die kommenden Jahre bestehen bleiben.“
<<
Kein Rückgriff auf
­Pensionäre
Dabei sollte der öffentliche
Dienst seine Aufgaben erfüllen
können, ohne auf Reserven
aus dem Ruhestand zurückgreifen zu müssen. Das hatte
der dbb Chef Klaus Dauderstädt am 19. August 2015 im
Gespräch mit dem Radiosender NDR Info ­betont. Hintergrund sind die Bestrebungen
in einzelnen Bundesländern,
für die Bearbeitung der mit
dem Flüchtlingsansturm verbundenen Aufgaben pensionierte Beamte zu reaktivieren.
Der dbb Chef verwies auf
die insgesamt 2 000 Neueinstellungen in diesem und im
nächsten Jahr im Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge
(BAMF). Dafür gebe es offenbar genügend Bewerber: „Der
Markt gibt das her“, sagte
­Dauderstädt. Dies sei der bessere Weg, als Beamte aus ihrem verdienten Ruhestand
wieder zurück in den Dienst
zu rufen. Dies komme ohnehin
nur infrage, wenn sich die Betroffenen freiwillig dazu bereit
zeigten.
Im Übrigen gehe es bei diesem
Problem nicht um Dienstplangestaltung, „sondern das ist
auch eine Frage der Stellenstrukturen und der Bezahlung“,
sagte der dbb Chef. Das Problem der Unterbesetzung in vielen Bereichen des öffentlichen
Dienstes „ist nicht erst 2015
entstanden“. Es werde aber
nun, etwa aufgrund notwen­
diger Untersuchungen der
Flüchtlinge durch den öffentlichen Gesundheitsdienst, durch
erhöhte Aufgaben auch für Justiz und Verwaltung klar, dass es
„massive Defizite gibt, die auch
nicht von heute auf morgen geschlossen werden können“. Der
dbb habe seit Langem davor
gewarnt, dass Deutschland
aufgrund von Personalmangel
für solche Herausforderungen
nicht gerüstet sei. „Und wer
mit permanenter Unterbesetzung kämpft, kann Mehrbelastungen nur schwer aushalten“,
so Dauderstädt.
dbb
Zweites Pflegestärkungsgesetz:
Pflegebedürftigkeitsbegriff wird reformiert
Der stellvertretende dbb
­Bundesvorsitzende Ulrich
­Silberbach sagte auf der Verbändeanhörung des Bundes­
ministeriums für Gesundheit
am 9. Juli 2015 in Berlin: „Endlich löst der Gesetzgeber sein
Versprechen ein, die bisher
zu großen Teilen an der Mobilität bemessene Pflegebedürftigkeit neu zu definieren. Künftig spielen Selbstversorgung,
Gestaltung des Alltagslebens
und soziale Kontakte, kognitive Fähigkeiten sowie psychische Problemlagen ebenfalls
Zustimmung signalisierte
­Silberbach auch mit Blick auf
die Entkopplung der Eigenbeteiligung bei stationärer Pflege
Für die vorgesehenen Übergangsregelungen und den Bestandsschutz bei Überführung
in die neue Systematik der
künftig fünf statt bisher drei
Pflegegrade wird viel Geld in
die Hand genommen. „Dies
ist richtig und wird vom dbb
mitgetragen“, versicherte
­Silberbach. Die damit verbundene Beitragssatzanhebung
zum 1. Januar 2017 in Höhe
von 0,2 Prozentpunkten soll
laut Gesetzentwurf bis zum
Jahr 2022 ausreichen. „Hier
sind aber wohl Zweifel angebracht, ob diese Annahme vor
dem Hintergrund des demografischen Wandels und der
vielen aktuellen Probleme in
Europa realistisch ist“, so der
dbb Vize. Das Bundeskabinett
hat den Entwurf des Zweiten
Pflegestärkungsgesetzes am
12. August 2015 beschlossen.
Das Gesetz soll am 1. Januar
2016 in Kraft treten. Fachmesse für Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit (A+A):
dbb Messestand in Halle 10
Als aktives Mitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft für
­Sicherheit und Gesundheit bei
der Arbeit e.V. (Basi) ist der dbb
nun zum dritten Mal auf der
Messe vertreten, um an seinem Stand in Halle 10, Nr. A 63,
über Arbeitsschutz im öffentlichen Dienst zu informieren.
Darüber hinaus bietet der dbb
zusammen mit der dbb akademie am 29. Oktober auf dem
begleitenden Kongress einen
Vortrag zum Thema „Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen an Arbeitsplätzen
im öffentlichen Dienst“ an. Am
gleichen Tag wird es in Halle 10
im Bereich „Corporate Health“
auch einen Kurzvortrag des
Messe Duesseldorf/ctillmann
Die A+A ist die weltweit größte und wichtigste Fachmesse für Arbeitsschutz
und Arbeitssicherheit. Sie findet vom 27. bis 30. Oktober 2015 in Düsseldorf
statt. Besonders hinzuweisen ist auf den Tag der Betriebs- und Personalräte
am 29. Oktober 2015. Dort wird auch die dbb akademie vertreten sein.
dbb zum Thema „Gesundheitsförderndes Führen im öffentlichen Dienst“ geben.
Zum Messeauftakt wird am 27.
Oktober erstmals eine Veranstaltung angeboten, die sich
speziell an Führungskräfte aus
dem öffentlichen Dienst richtet. Der dbb hat dieses „Führungskräftetreffen öffentlicher
Dienst“ maßgeblich mitgestaltet. Unter dem Motto „Gesund
und sicher führen – sich selbst
und andere“ werden unter anderem Aspekte der kommunalen Personalpolitik sowie Gewalterfahrungen im Alltag von
kommunalen Beschäftigten
aufgegriffen. Der dbb konnte
9
aktuell
eine wichtige Rolle.“ Davon
würden vor allem von Demenz
betroffene Menschen profitieren, die aufgrund ihrer kogni­
tiven Defizite zwar hilfebedürftig sind, nach bisherigem
Recht aber aufgrund ihrer
­Mobilität mitunter nicht oder
nur eingeschränkt zum Kreis
der Anspruchsberechtigten
zählen.
vom festgestellten Grad der
Pflegebedürftigkeit. „Damit
erhalten Betroffene und ihre
Angehörigen künftig finan­
zielle Planungssicherheit, da
bei steigendem Hilfebedarf
zwar entsprechend des neu
festgestellten Pflegegrades
die Leistungen der Pflegeversicherung ansteigen, die Selbstbeteiligung in Höhe der nicht
durch die Pflegekasse gedeckten Kosten jedoch konstant
bleibt. Dies schafft mehr Transparenz, auch im Hinblick auf
die Vergleichbarkeit von sta­
tionären Einrichtungen“, sagte
Silberbach.
Der dbb begrüßt, dass mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz die lange geforderte Reform des
Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des Begutachtungsverfahrens angegangen wird.
mit Professor Bernhard Frevel
einen renommierten Referenten gewinnen, der sich dem
Thema „Bürgernähe und aggressive Kunden: Anforderungen an die Beschäftigten, Verantwortung des Arbeitgebers“
widmen wird. << Info
Die Dauerkarten für den
Kongress werden bis zum
30. September 2015 zum
Frühbucherrabatt angeboten
und kosten 210 Euro statt
250 Euro. Tageskarten für
den Besuch der Messe kosten
im Onlineverkauf 22 Euro,
vor Ort später 31 Euro.
Weitere Information zur
A+A im Internet unter
www.aplusa.de. Informa­
tionen des dbb zum Arbeitsschutz: www.dbb.de unter
„Themen“, „A bis Z“.
> dbb magazin | September 2015
dbb
Achtstundentag:
Prinzipielle Schutzfunktion
boomt. Daran ändern auch die
52 Sonntage und die Feiertage
nichts, die den Arbeitgebern
ebenfalls ein Dorn im Auge
sind.“
Er sehe durch die Digitalisierung der Arbeitswelt durchaus
Herausforderungen für die Tarifpartner, auch im öffentlichen
Dienst, räumte Russ ein. „Aber
Arbeitnehmerschutz bleibt Arbeitnehmerschutz – und der ist
digital nicht weniger wichtig
als analog.“
Debatten
um die Zukunft der
Arbeitswelt seien wichtig,
und „klar ist natürlich auch,
dass solche Debatten kontrovers verlaufen. Das macht die
Stärke unserer Gesellschaft
aus“, fügte der dbb Vize hinzu.
Gleichwohl sei es gefährlich,
mit schöner Regelmäßigkeit
„eine Sau durchs Dorf zu jagen“
und so immer wieder Verunsicherung herbeizuführen. „Unsere ­Position ist klar: Neben
Diskussion und Innovation sind
auch Verlässlichkeit und Sicherheit wichtig und die entstehen
nicht dadurch, dass die BDA
funktionierende Systeme in­
frage stellt. Die Arbeitszeit ist
in Deutschland durch Gesetzgeber und Tarifpartner gut geregelt und lässt schon heute
die Reaktion auf besondere
­Arbeitsprozesse zu.“
Befristete Arbeitsverträge:
Staat verspielt Chancen auf dem Arbeitsmarkt
Aktuelle Daten des Statistischen Bundesamtes stellen dem öffentlichen Dienst in Sachen Personal­
politik ein schlechtes Zeugnis aus. 2014 hat sich die Zahl der Beschäftigten mit befristeten Arbeits­
verträgen im Bund (12,9 Prozent), bei den Ländern (27,3 Prozent) und bei den Kommunen (7,9 Prozent)
gegenüber 2013 deutlich erhöht. In der Privatwirtschaft ist der Trend zum Zeit-Job ­indes rückläufig.
©seen – Fotolia.com
aktuell
10
Das Arbeitgeberargument,
in einer globalen Arbeitswelt
müsse global kommuniziert
werden, und das sei angeblich
an einem Achtstundentag
nicht möglich, wertete Russ
als Vorwand. Auf diese Weise
würden geltende Normen ausgehebelt, die vor allem einen
Schutzcharakter hätten. Russ
weiter: „Wieder einmal wird
die Zukunftsfähigkeit der deutschen Wirtschaft infrage gestellt und das, obwohl eben
diese Wirtschaft seit Jahren
> dbb magazin | September 2015
Gegenüber der FAZ (Ausgabe
vom 8. August 2015) erklärte
der dbb Bundesvorsitzende
Klaus Dauderstädt: „Der öffentliche Dienst verspielt mit
der weiter steigenden Befristungsquote seine Chancen auf
dem Arbeitsmarkt.“ Im Gegensatz zum öffentlichen Dienst
habe die Privatwirtschaft erkannt, dass die Gewinnung
von Fachkräftenachwuchs mit
Zeitverträgen nicht realisiert
werden könne.
„Der Staat hinkt mal wieder
hinterher“, kritisierte Dauderstädt. Die Zeit-Job-Quote
­müsse deutlich zugunsten
­unbefristeter Arbeitsver­
hältnisse zurückgefahren
­werden. Sie schade nicht nur
den Beschäftigten, sondern
gefährde auch zunehmend
die Aufgabenerfüllung des
­öffentlichen Dienstes, der
­flächendeckend und rund um
die Uhr für die Bürger präsent
sein müsse.
©rdnzl – Fotolia.com
Als „netten, aber durchsichtigen Versuch“ hat der
dbb den Vorstoß der Arbeitgeber gewertet, den
bewährten Achtstundenarbeitstag durch eine
­wöchentliche Höchstgrenze zu ersetzen. „Das
klingt harmlos, würde jedoch den Arbeitgebern
enorme Vorteile und den Arbeitnehmern spür­
bare Belastungen bringen“, sagte der Zweite
Vorsitzende und Fachvorstand Tarifpolitik
Willi Russ am 24. Juli 2015.
dbb
Staatsaufgaben klar definieren:
Beschäftigte besser
unterstützen
Der Staat darf sich nicht aus seinen Verantwortungsbereichen zurückziehen. Das hat dbb Chef
Klaus Dauderstädt in einem Gastbeitrag zum
30-jährigen Bestehen des „Behörden Spiegel“
­unterstrichen. „Warum braucht der Staat Beamte?“
Diese Frage beantwortet Dauderstädt und verweist auf Entwicklungen im Zusammenhang mit
Sicherheitsüberprüfungen an den Flughäfen.
„Gerade musste die Bundes­
regierung einräumen, dass
die Klage der Europäischen
Kommission berechtigt ist.
Sie hatte moniert, dass die Sicherheitsüberprüfungen an
deutschen Flughäfen seit Jahren nicht in vollem Umfang
und wie von der EU gefordert
durchgeführt werden. Die Qualitätskontrolle im Rahmen der
Bundesauftragsverwaltung sei
unzureichend gewesen. Der
Hauptgrund: Personalmangel.
Mögliche Auswirkungen stellt
man sich als Bürger, nicht nur
in der Urlaubshochsaison,
nicht so gern vor. Und viele
­sehen das bei Fluglotsen und
Lokomotivführern ebenso“,
so Dauderstädt.
Der Bundesvorsitzende erinnerte daran, dass der dbb stets
vor „Privatisierungseuphorie“
gewarnt habe. „Den weitaus
meisten Bereichen des öffentlichen Dienstes schaden Kostendruck und Profitstreben wie sie
in der Privatwirtschaft gang
und gäbe sind. Die Rechnung,
mit immer weniger Personal
immer mehr Aufgaben in
gleichbleibend hoher Qualität
erfüllen zu können, geht eben
nicht auf. Diese Erfahrung haben auch die Bürgerinnen und
Bürger gemacht, etwa bei der
Müllentsorgung, im öffentlichen Nahverkehr oder bei der
Energieversorgung, wie aus der
‚Bürgerbefragung öffentlicher
Dienst‘ hervorgeht, die der dbb
in diesem Jahr bereits zum
neunten Mal in Auftrag gegeben hat. Nach unserer Überzeugung ist es gerade ein modernes Berufsbeamtentum,
das den besonderen Anforderungen an staatliche Leistungen und Aufgaben genügt. Es
sichert die staatliche Handlungsfähigkeit.“
Auch wenn sich das Beamtenverhältnis in den vergangenen
Jahren stetig fortentwickelt
und an die modernen Bedingungen des Arbeitslebens angepasst hat, gebe es noch viel
Handlungsbedarf. Der dbb fordere „mehr Rückendeckung“
von der Politik für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
im öffentlichen Dienst: „Wenn
es um angemessene und konkurrenzfähige Bezahlung geht
oder um wirksame Schritte
zur Bekämpfung des Mangels
an Fachkräften und geeignetem Nachwuchs, wird viel zu
wenig getan“, so Dauderstädt.
Auch bei Maßnahmen gegen
die zunehmende Gewalt gegen Staatsbedienstete bei
der Polizei, in Jobcentern und
Schulen wünsche sich der dbb
noch mehr Unterstützung
vonseiten der politisch Verantwortlichen: „Insgesamt vermissen wir eine klare Positionierung: Welche Leistungen
soll der öffentliche Dienst,
­sollen seine Beamtinnen und
Beamten in Zukunft für die
Gesellschaft erbringen? Und
was sind uns allen diese Leistungen wert?“
> dbb magazin | September 2015
dbb
Bauwerksprüfung:
Drunter, drinnen & drüber
fokus
12
Der Beitrag der Straßenbauverwaltung zur (kommunalen) Daseinsvorsorge wird häufig auf das Offensichtliche, etwa die Reparatur von Fahrbahnschäden, reduziert. Ohne regelmäßige Überprüfung der
zum Straßen- und Wegenetz gehörigen Brücken und Übergänge ginge verkehrstechnisch aber sehr
schnell gar nichts mehr. Deshalb befassen sich zum Beispiel in Leipzig 23 Beschäftigte des Verkehrsund Tiefbauamtes mit dem Zustand der mehr als 350 Brücken und Fußgänger-Stege sowie der weiteren rund 500 zum Verkehrssystem gehörenden Ingenieurbauwerke. Doch nicht immer bekommen die
Leipziger viel zu sehen von der Arbeit der Abteilung Brückenbau und -unterhaltung. Bauwerksprüfung
ist sorgfältige Ingenieurskunst, die im Verborgenen ausgeübt wird und, wenn die Umstände es erfordern, sogar mitten in der Nacht.
A = Blau, B = Rot, C = Gelb. Leipzigs Technisches Rathaus, dessen drei Gebäude in beeindruckender Länge stadtauswärts
rechts die Prager Straße säumen, lenkt seinen Publikumsverkehr mit einer ebenso ein­
fachen wie verständlichen
Farbenlehre in die richtigen
Ämter. Die Abteilung Brückenbau und -unterhaltung hat ihren Sitz in Haus C und gehört
– so weist es der Belegungsplan im Eingangsbereich aus
– zum städtischen Tiefbauamt.
Ein Irrtum? Das Lächeln, mit
dem Klaus Barthel seine Antwort begleitet, lässt darauf
schließen, dass ihm diese Frage
schon oft gestellt wurde:
„Nein, das hat alles seine Richtigkeit“, sagt der Abteilungs­
leiter Brückenbau und -unterhaltung. „Nach der Logik der
Bauverwaltung gehören Brücken, obwohl sie für jeden erkennbar über der Erdoberfläche liegen, zum Tiefbau, weil
sie dem überführenden Verkehrsweg zugerechnet werden.“ Barthel breitet einige
­Papiere aus und legt sie zum
> dbb magazin | September 2015
<
< Klaus Barthel, der Abteilungsleiter Brückenbau und -unterhaltung (rechts)
und sein Sachgebietsleiter „Entwurf/Ausführung“ Detlef Böttcher informieren im Technischen Rathaus über die ihnen übertragenen Aufgaben.
Organigramm von Amt 66,
dem Verkehrs- und Tiefbauamt. Dann nippt er an seinem
Kaffee und wechselt einen kurzen Blick mit Detlef Böttcher,
seinem Sachgebietsleiter „Entwurf/Ausführung“. Mit vereinten Kräften machen sich die
beiden Diplom-Ingenieure
dann daran, die Wesenszüge
ihres Arbeitsbereiches zu erläutern. Wegen der vielen sperrigen Fachbegriffe sowie der
Vielfalt und Anzahl der anfallenden Aufgaben ist das nicht
unbedingt eine leichte Übung.
<<
DIN 1076 regelt
das Verfahren
„Die staatliche Brückenprüfung
ist für die Baulastträger Bund,
Länder und Kommunen einheitlich durch DIN-Vorschrift
1076 geregelt“, erklärt Klaus
Barthel. „Die Straßenbauver-
waltung hat im Rahmen der
öffentlichen Daseinsvorsorge
unter Beachtung der Wirtschaftlichkeit für die Standsicherheit, Verkehrs­sicherheit
und Dauerhaftigkeit der Inge­
nieurbauwerke im Zuge von
Straßen und Wegen einzustehen. Hierfür ist ein Qualitätsmanagementsystem erforderlich, das die Ingenieurbauwerke
von der Planung über den Bau
und die Erhaltung bis zu ihrem
Nutzungsende einschließlich
ihres Abbruches beziehungsweise Ersatzneubaus erfasst“,
zitiert er „DIN 1076“ und konkretisiert das Ausmaß der Bauwerksprüfung in Leipzig: 869
Bauwerke verzeichnet die Ende
April 2015 aktualisierte Bestandsliste insgesamt: Darunter „Ingenieurbauwerke“ wie
zum Beispiel 294 Brücken im
klassifizierten Straßennetz, 48
Brücken in Park- und Forstbetrieben, 116 Verkehrszeichenbrücken, 101 Stützwände, 45
Lärmschutzwände, 12 Trogbauwerke und „Sonderbauwerke“
wie zum Beispiel 98 Durchlässe, 79 Treppen oder 14 Gelän-
dbb
„Dass Bau und Unterhaltung
von Straßen hoheitliche Tätigkeiten sind, ist durchgängig im
Straßengesetz enthalten. Auch
die Einhaltung der Verkehrs­
sicherheit wird in fast allen
Straßengesetzen als hoheit­
liche Tätigkeit genannt“, sagt
Barthel mit Blick auf die föderalistische Ausgestaltung der
Verkehrspolitik, die in 16 Ländergesetzen und einem Bundesgesetz zum Ausdruck
kommt. „Die Bauwerksprüfung
nach DIN 1076 selbst ist keine
hoheitliche Tätigkeit. Wohl
aber die daraus resultierenden
Entscheidungen des Baulastträgers“, fährt Barthel fort und
pariert die Statusfrage ohne
erkennbare Wertung. „Die Mitarbeiter der Abteilung Brückenbau und -unterhaltung
sind nicht verbeamtet.“
23 Mitarbeiter zählt Barthels
Team, sieben Praktiker im Bauhof und 16 Sachbearbeiter,
verteilt auf das Büro des Abteilungsleiters und die Sachgebiete „Entwurf/Ausführung“ und
„Betrieb/Unterhaltung“. Sie
kümmern sich um Genehmigungsplanung, Kosten- und
Vertragsmanagement, Bauvorbereitung und Bauwerksprüfung und das jeweilige Reali­
sierungsmanagement.
<<
<
< Die „Prager Brücke“ (oben) wurde vor knapp zehn Jahren neu errichtet.
Norbert Thiede, der für die Brückenprüfung zuständige Sachgebietsleiter
„Betrieb/Unterhaltung“ und sein Kollege Heiko Zöttler (rechts) sind mit
dem Zustand der Unterseite zufrieden.
Ingenieure mit
Spezialwissen
„Wir steuern und überwachen
alle für die Bauwerksprüfung
erforderlichen Maßnahmen.
Jeder meiner Mitarbeiter hat im
Schnitt ständig fünf bis sechs
Projekte auf dem Schreibtisch“,
sagt Klaus Barthel. „Unsere
Handwerker vom Bauhof legen
schon selbst Hand an, sichern
und reparieren beispielsweise
Holzstege oder Zaunanlagen,
Treppen und Geländer. Die sehr
aufwendigen Prüfungen und
Baumaßnahmen übergeben
wir an Firmen und Ingenieur­
büros, die sich auf derartige
Aufgaben spezialisiert haben.“
Die Fähigkeiten seiner Mitstreiter, die der Abteilungsleiter
­Brückenbau und -unterhaltung
bescheiden mit dem Begriff
Verwaltung umschreibt, erweisen sich bei genauer Betrachtung als hoch spezialisiertes
­Ingenieurs-Know-how: Wie
­Barthel und Böttcher sind die
meisten Diplom-, Maschinenbau oder Bau-Ingenieure mit
Ausbildungsschwerpunkt
13
fokus
der und nicht zuletzt „Bau­
werke Dritter“ wie Bahn- und
Autobahnüberführungen.
„Baulastträger ist immer der,
dem der überführende Verkehrsweg g
­ ehört“, erläutert
Detlef Böttcher. „Führt eine
Straße über die Schienenstrecke der Deutschen Bahn, ist in
unserem Fall die Stadt Leipzig
Träger der Baulast, überbrückt
die Deutsche Bahn eine Straße,
ist es umgekehrt.“ Und wie ist
es bei Bundesstraßen im Stadtgebiet? Laut Verkehrsgesetzgebung werden diese doch mit
Mitteln des jeweiligen Bundeslandes beziehungsweise des
Bundes erhalten. „Auf Leipziger
Stadtgebiet sind wir auch für
diese Bauwerke zuständig, weil
eine bundesgesetzliche Regelung verfügt, dass die Erhaltung des gesamten Straßennetzes in Städten ab 300 000
Einwohnern zulasten der Kommunen geht“, führt Detlef
Böttcher weiter aus, während
Klaus Barthel einen Moment
länger zu überlegen scheint,
wie er die Frage nach dem hoheitlichen Auftrag seines
Teams und die unbedarft vorgetragene Unterstellung, die
mit Prüfaufgaben betrauten
Beschäftigten seien doch sicher
verbeamtet, zufriedenstellend
beantwortet.
<
< Als nächstes steht der Besuch im Brückenkasten der „Hofer Brücke“ an.
„­ Brücke“. Und Brücken sind –
­allen anderen Bauwerken, deren Sicherheit sie von Amts wegen zu prüfen haben, zum Trotz
– ihr Kerngeschäft. „Die Brücke
ist ein sensibles Bauwerk eines
Verkehrsweges“, schließt Klaus
Barthel seine „Anfängerlektion“ in Sachen Bauwerksprüfung. „Ein Schlagloch kann man
umfahren, aber wenn die Brücke weg ist, geht nichts mehr.“
<<
Drunter und drüber
Um die besondere Rolle der
Brücken innerhalb der städtischen Infrastruktur anschaulich
zu machen, laden Norbert
­Thiede, der Sachgebietsleiter
„Betrieb/Unterhaltung“, und
sein Mitarbeiter Heiko Zöttler
zur Brückeninspektion, DiplomIngenieur der eine, Maschinen­
bauingenieur der andere –
­beide natürlich auf Brücken
spezialisiert. Erste Station: die
„Prager Brücke“, mit der die Prager Straße eine Bahnlinie samt
S-Bahnhof überquert. Die Brückenprüfer steigen die Treppen
zum Gleisbett hinunter und betrachten die Unterseite des vor
knapp zehn Jahren ­errichteten
Bauwerks. Keine Auffälligkeiten
in der Stahlbaukonstruktion,
> dbb magazin | September 2015
dbb
die Versorgungsleitungen für
Wasser, Gas und Telefon, die
nahezu jede städtische Brücke
mitführt, sind ordentlich verlegt. Der Straßenbelag auf der
Oberseite ist intakt. Der aus
massiven ­Glas­elementen bestehende ­„E-Schutz“, der Fußgänger und Radfahrer vor einem
tödlichen Stromschlag schützt,
sollte ein Oberleitungskabel der
Bahn ­abreißen, ist an einer Stelle ­beschädigt. „Vandalismus“,
kommentiert Norbert Thiede
lakonisch. „Der E-Schutz wurde
aus Glas gebaut, weil das einfach schöner aussieht. Da der
Austausch einer Scheibe an die
1 500 Euro kostet, darf sich aber
niemand beschweren, wenn wir
aus Kostengründen dann weniger ansehnliche Schutzvorrichtungen bauen.“
<<
fokus
14
Drinnen und durch
„Hofer Brücke“: Bei der zweiten
Station der simulierten Prüfung
setzt Norbert Thiede die lange
Leiter an. Heiko Zöttler entfernt ein Eisengitter. Dann geht
es ins Innere der 1994 als Ersatz für einen V
­ orgängerbau
von 1934 er­richteten vierspurigen Straßenbrücke, die ebenfalls B
­ ahnschienen überquert.
17,5 Millionen D-Mark hat
der Neubau einschließlich der
Behelfsbrücken für Fußgänger
und Radfahrer gekostet, erinnert sich Thiede, der seit 1991
für die Abteilung Brückenbau
und -unterhaltung tätig ist.
„Obwohl wir bei Brücken eine
Lebensdauer von bis zu 100
Jahren einkalkulieren, war das
alte Bauwerk nicht mehr zu ertüchtigen“, sagt er und weist
zufrieden auf den guten Zustand der modernen Spann­
betonbrücke hin. Zöttler und
Thiede erläutern die Funktion
der gewaltigen Widerlager,
auf denen die Konstruktion
ruht, erklären, wie die Brücke
schwingt und wie Dehnungs­
fugen Ausdehnungen des Brückenkörpers bei Temperaturschwankungen abfangen. Und
sie erläutern das vorgeschriebene Intervall der Bauwerksprüfung: Einfache erweiterte
Sichtprüfung alle drei Jahre,
„handnahe“ Hauptprüfung alle
sechs Jahre.
Unter der Brücke führt eine bewegliche Vorrichtung auf die
andere Seite. „Damit können
wir den Zustand der Brückenunterseite ohne Bahnsperrung
prüfen“, erklärt Heiko Zöttler.
„Bahnsperrungen müssen bei
regulären Prüfvorgängen circa
ein Jahr im Voraus angemeldet
werden, damit die Bahn Umleitungsstrecken einrichten kann.
Deshalb ist es notwendig, dass
wir unsere Arbeitsplanungen
sehr langfristig anlegen. Übliche Sperrzeiten sind zwischen
Mitternacht und vier Uhr morgens.“ Und zahlen muss die
Abteilung für diese unchristlichen Arbeitszeiten auch noch.
„Eine Bahnsperrung kostet
4 500 Euro“, sagt Norbert Thiede. „Da wir im Sachgebiet nur
drei Kollegen sind, vergeben
wir etwa 50 Prozent der Prüfaufträge an externe Ingenieurbüros. Das kostet je nach Aufwand um die 7 000 Euro und
der Einsatz eines Untersichtgerätes weitere 4 000 Euro. Die
Frage, ob die drei Amtsprüfer
<
< Der Koordinator des Neubaus der „Antonienbrücken“, René Wenzel,
­erläutert die Maßnahme mithilfe des Bauplans …
<
< … und beschreibt die Belastung der Behelfsbrücke, die nach dem Abriss
der maroden Brücken von Straßenbahnen, Autos, Radfahrern und Fußgängern genutzt werden muss.
wenigstens gemütlich im Bett
bleiben dürfen, wenn Externe
so einen Nacht-und-NebelAuftrag ausführen, sorgt für
Heiterkeit: „So ist das leider
nicht vorgesehen“, lacht Heiko
Zöttler, „es geht immer einer
vom Amt mit.“
Norbert Thiede schließt eine
Metalltür auf, macht Licht und
betritt den etwa zweieinhalb
Meter hohen, gut zwei Meter
breiten rechten Brückenkasten,
durch den neben Versorgungsleitungen für Strom und Gas
auch ein 80 Zentimeter im
Durchschnitt messendes Rohr
geräuschlos Wasser führt. Der
Beton verfremdet die Stimmen,
das Rumpeln der Autos, die
oben über die Brücke fahren,
klingt fern, ebenso das Rauschen der Eisenbahn darunter.
Ein Ort ohne Geruch, in dem
weder eine Flechte noch das
kleinste Insekt leben. Zurück
durch den linken Brückenkasten dieselbe Prozedur: Tür aufschließen, Licht an – dann
macht sich Erstaunen breit.
An der Betonwand prangt ein
Graffito. Die Prüfer schütteln
den Kopf. Bei der letzten Begehung war das noch nicht da –
und überhaupt: Was soll der
ganze Aufwand, hier einzu­
steigen, wo niemand dieses
„Werk“ sehen kann?
<<
<
Durch die beiden mit Schlössern und Stahltüren gesicherten Brückenkästen der „Hofer Brücke“ führen, wie bei
allen städtischen Brücken, Versorgungsleitungen. Das
Wasserrohr rechts hat einen Durchmesser von 80 Zen­
timetern. Das im Bild eingeklinkte Graffito entdeckten
die erstaunten Brückenprüfer im linken Brückenkasten.
> dbb magazin | September 2015
Zwei neue Brücken
und 62 Eidechsen
Zurück im Technischen Rathaus
wartet bereits René Wenzel.
Der Brücken-Bauingenieur ist
im Sachgebiet „Entwurf/Aus-
dbb
<
< Die Spundwände am Brückenkörper werden zur Aushärtung ihrer
Betonfüllung gestützt und später bewässert. Aus Sicherheitsgründen
können viele Arbeiten nur während Bahnsperrzeiten in den frühen
Morgenstunden durchgeführt werden.
führung der Maßnahme be­
auftragte Baufirma bei den
Tiefbauarbeiten zum Errichten
der Spundwände bis acht Meter
tief in den Boden gräbt“, erklärt
Wenzel.
Vor Ort auf der Baustelle wird
deutlich, dass hier an einer sehr
lebhaften Verkehrsader „operiert“ werden muss. Die Antonienstraße verbindet den dicht
bevölkerten Leipziger Stadtteil
Grünau mit der Innenstadt. Seit
Anfang Dezember 2014 wird
der Straßenverkehr stadtauswärts einspurig zusammen mit
der eingleisig in beide Richtungen im Pendelverkehr fahrenden Straßenbahn und einem
Weg für Fußgänger- und Radfahrer über eine Behelfsumfahrung geführt. Allein Bau und
Einrichtung dieses intensiv genutzten Provisoriums hat mehr
als ein Jahr gedauert. Zugleich
wird das Rangierbahngelände
von ehemals 16 auf vier Gleise
zurückgebaut. Die Bahn benötigt die Anlage nicht mehr mit
dem Effekt, dass zusammen
mit dem Neubau der Antonienbrücken „oft der Wunsch entsteht, das Baufeld zu erweitern“, wie René Wenzel es
ausdrückt. „Erst kürzlich haben
sich die Verkehrsbetriebe entschlossen, hier eine neue Straßenbahnhaltestelle zu bauen.“
Das geschehe zwar auf eigene
Kosten, wie auch bei einem besonderen Oberleitungsschutz
der Bahn oder den Leitungen
der Versorgungsbetriebe, die
mit über die Brücken geführt
werden sollen. „Aber abstimmen müssen wir uns trotzdem“, sagt Wenzel, dessen
­Anwesenheit auf der Baustelle mindestens einmal in der
­Woche gefordert ist.
Im März 2017 wird die Baumaßnahme nach drei Jahren
beendet sein – wenn alles
­weiter gut läuft. Die Kosten
belaufen sich einschließlich
Planung auf 15,5 Millionen
Euro. Da fällt der Bauzaun
kaum mehr ins Gewicht, der
auf Anweisung der Umwelt­
behörde am Gleisbett errichtet werden musste, um rund
62 seltene Eidechsen zu schützen, die dort ausfindig gemacht wurden. Der Zaun hat
nur 15 000 Euro gekostet.
Text: Christine Bonath
Fotos: Jan Brenner
> dbb magazin | September 2015
15
fokus
führung“ unter anderem für
den Neubau der „Antonienbrücken“ zuständig und erklärt die
Baumaßnahme zunächst am
Plan: Für zwei 1970 errichtete
marode Spannbetonfertigteilbrücken, deren Sanierung aus
Wirtschaftlichkeitsgründen
nicht mehr möglich war, entstehen auf dem Gelände des ehemaligen Rangierbahnhofes im
Südwesten Leipzigs zwei Neubauten. Ein Vorhaben, das hohe
Anforderungen an das Sachgebiet stellt. „Wir sind zuständig
für die Projektleitung, haben
die Ausschreibungen durchgeführt und die Beauftragung der
Planungsbüros vorgenommen,
machen aber keine eigenen Planungsarbeiten“, erklärt René
Wenzel. „Neubaumaßnahmen
sind zeitlich sehr aufwendig.
Als ich das Projekt Ende 2014
übernahm, hatte eine Kollegin
bereits zwei Jahre in die Vorbereitung investiert.“ Zeitfresser
sind nicht nur die Bahn-Sperrzeiten, die den Baubetrieb etwa
beim Abriss der alten ­Brücken
sowie beim Einheben der neuen
Brückenkonstruktionen in die
Nachtstunden zwingen (Wenzel: „Und die Leute schimpfen
dann und sagen, wieder so eine
Baustelle, wo sich der Verkehr
staut, aber kein Arbeiter zu sehen ist!“). Es mussten auch
Kampfmittel-Sondierungsmaßnahmen durchgeführt werden.
„Wir mussten nach Blindgängern ­suchen lassen und haben
Probebohrungen vorgenommen, weil die mit der Durch­
dbb
die andere meinung:
Kommunen
in der Klemme
fokus
16
Dabei ist es billig, den Protest
gegen unterlassene Straßen­
instandsetzung oder städtischen Steuerwucher alleine vor
die nächste Rathaustür zu kippen. Kommunen stecken aktuell immer noch tief in der Finanzklemme. Bei Weitem nicht
alle. Aber viele. Die Kluft zwischen Arm und Reich in der Gesellschaft reißt auch die kommunale Familie auseinander.
Die gute Kassenlage in Wolfsburg, Ingolstadt und Düsseldorf
hebt sich von der in Bremen,
Oberhausen oder Bottrop ab.
<<
Wer bestellt, bezahlt
Was hilft nun in Bremen, Oberhausen und Bottrop? Die Großzügigkeit des Bundesfinanz­
ministers, der fünf Milliarden
Euro aus seinen derzeit gut
­gefüllten Taschen überweist?
Tatsächlich begleicht Wolfgang
Schäuble damit meist Dinge,
die der Bund selbst bei den
­Gemeinden bestellt hat. Die
Aufnahme von Asylbewerbern.
Die Zahlung von Sozialausgaben, die 2015 bundesweit die
50-Milliarden-Grenze hinter
sich lassen werden. Den Umbau von Bushaltestellen, die
künftig behindertengerecht
> dbb magazin | September 2015
sein müssen. Auch: Das Stopfen der Schlaglöcher und den
neuen Putz für die Schulen gerade im Westen. Den Westen
nämlich konnte der Gesamtstaat, als Preis der Einheit
nachvollziehbar, zwei Jahrzehnte lang nur spärlich be­
dienen. Die Kreditanstalt für
Wiederaufbau schätzt den
kommunalen Investitionsrückstand auf 118 Milliarden Euro.
Heikel ist die Quelle des Geldsegens. Es sind Schäubles ei­
gene sprudelnde Steuerein­
nahmen. Was ist, wenn die
versiegen? Klagt man dann
wieder, dass immer noch keine
Strukturreformen angefasst
wurden, die kommunale Kassenlöcher auf Dauer zum Ausnahmefall machen? Für eine
wirksame Gesundung der Not
leidenden Städte und Gemeinden – und damit sie ihren gesetzlichen Auftrag als wichtigster Dienstleister der Nation
vom Nahverkehr über die Müllabfuhr bis zum Friedhofserhalt
erfüllen können – reicht eine
gelegentliche Spendierlaune
der Bundesregierung nicht.
Drei andere Dinge sind nötig:
Den Grundsatz festzuschrei-
©WoGi – Fotolia.com
Dass unsere Stadt pleite ist – das merken wir
erst, wenn es uns trifft. Durch das Tempo
30-Schild vor der Haustür mit dem Zusatz
„Straßenschäden“, das nach der letzten Frostperiode aufgestellt worden war und ein Jahr
später immer noch steht. Oder an dem dreisten
Brief mit der Mitteilung, „rückwirkend“ habe
der Rat die jährlich zu zahlende Grundsteuer
von 560 auf 633 Euro erhöht. Steuererhöhung
um 15 Prozent? Im Bund würde über die
­Debatte jede Koalition platzen.
ben, dass der, der einen Gesetzesvollzug ordert, ihn auch bezahlt. Dass die Länder als Paten
der Kommunen für einen vernünftigen Ausgleich der Inte­
ressen sorgen müssen. Und
dass die Rathäuser selbst
­pragmatisch haushalten.
<<
Risikoanleihen meiden
Letzteres ist ein wunder Punkt.
Was sich für Stadtmütter und
-väter, zum Beispiel, verbietet:
Jedes riskante Stochern mit
Steuerzahlers Kapital in der
Privatwirtschaft. Gemeinden
bedauern heute die berüchtigten Cross-Border-Geschäfte,
bei denen das Kanalnetz wegen kurzlebiger Vorteile in die
USA verscherbelt und zurückgeleast worden war. Müssen
Rathäuser defizitäre Flughäfen
quersubventionieren? Dürfen
kranke Ruhrgebietskommunen
mit 600 Millionen Euro in den
Energiekonzern STEAG einsteigen? Jetzt bangen sie ums
Geld. Pokern ist keine sichere
Bank.
Experten der Gemeindeprüfung NRW und der Utrecht
School of Governance haben in
einer aktuellen Auswertung
von 1 268 Sanierungsmaßnahmen diesseits und jenseits der
Grenze herausgefunden, dass
niederländische Städte, die
nicht weniger arm dran sind als
deutsche, Sparstrategien weit
breiter anlegen. Sie reduzieren
Angebote, verändern die eigene Organisation. In NRW – das
gilt auch für andere Bundesländer – beschränkt sich das
Konsolidieren zu oft auf Kürzen oder Kassieren. Es ist der
bequemste Weg, wenn die
Schlaglöcher bleiben und die
Grundsteuern steigen. Es ist
aber der falsche. Mut und gutes Haushalten sind solider.
Dietmar Seher
<< Info
Der Autor, 61, ist freier
­Journalist und wohnt in
Dortmund. Er hat 40 Jahre
bei Tageszeitungen der
­Konzerne WAZ/Funke und
Gruner + Jahr als Nachrichtenredakteur, politischer
Reporter, Korrespondent in
Bonn, Brüssel und Düsseldorf, Ressortleiter und stellvertretender Chefredakteur
gearbeitet.
dbb
Kommunale Dienstleistungen:
Alles für die Bürger?
Schlaglöcher auf der Landstraße, verwaiste
Schwimmbäder, ­geschlossene ­Theater, Warte­
zeiten auf Ämtern: Bürgerinnen und Bürger
­bekommen immer stärker zu spüren, dass es
in vielen Kommunen nicht rosig aussieht, was
die D
­ aseins­vor­sorge betrifft. Ein Grund sind die
notorisch klammen Haushalte.
Die Kern- und Extrahaushalte
der Gemeinden und Gemeindeverbände gaben im Jahr 2014
insgesamt rund 217,6 Milliarden Euro aus, das waren 11,3
Milliarden Euro oder 5,5 Prozent mehr als im Vorjahr. Den
bereinigten Ausgaben standen
bereinigte Einnahmen in Höhe
von rund 217,0 Milliarden Euro
gegenüber, das war im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung von 4,4 Prozent oder 9,2
Milliarden Euro.
Abgesehen von den Zinsausgaben, die wegen gegenwärtig
niedriger Zinssätze um 5,5 Prozent auf 3,9 Milliarden Euro gesunken sind, war das Jahr 2014
durch höhere kommunale Ausgaben geprägt. So stiegen die
Personalausgaben unter anderem wegen der Ergebnisse der
Tarifrunde im öffentlichen
Dienst im Jahr 2014 um 5,2 Prozent auf 58,3 Milliarden Euro.
Die laufenden Sachaufwendungen beliefen sich auf 51,0
Milliarden Euro (+ 6,1 Prozent).
<<
Mehr Sozialleistungen
Die sozialen Leistungen nahmen um 2,7 Milliarden Euro auf
49,7 Milliarden Euro (+ 5,8 Pro-
Durch die günstige Einnahmesituation der letzten Jahre und
die ebenfalls günstigen Finanzierungsbedingungen konnte
die kommunale Investitionstätigkeit ausgeweitet werden. Im
Jahr 2014 wurden 24,6 Milliarden Euro für Sachinvestitionen
men. Allerdings stieg die wichtigste kommunale Steuer, die
Gewerbesteuer (netto), gegenüber 2013 nur um 1,3 Prozent
auf 33,1 Milliarden Euro. Stärker
erhöhte sich der Gemeindeanteil an der Einkommensteuer,
und zwar um 6,4 Prozent auf
30,3 Milliarden Euro.
<<
Länder im Boot
Die Länder beteiligten sich im
Jahr 2014 verstärkt an der Finanzierung kommunaler Aufgaben, indem sie 2,1 Milliarden
Euro mehr an Schlüsselzuweisungen an ihre Kommunen
zahlten. Insgesamt nahmen die
Kommunen 31,5 Milliarden
fokus
17
©Christian Delbert – Fotolia.com
Ein Blick auf die Entwicklung
der kommunalen Finanzen verdeutlicht die Probleme. Nach
Angaben des Statistischen
Bundesamtes (Destatis) wiesen die Gemeinden und Gemeindeverbände (ohne Stadtstaaten) im Jahr 2014 nach
Ergebnissen der vierteljährlichen Kassenstatistik in den
Kernhaushalten und in ihren
Extrahaushalten ein Finanzierungsdefizit von insgesamt
rund 0,7 Milliarden Euro aus.
Im Jahr 2013 hatte sich noch
ein Finanzierungsüberschuss
von 1,5 Milliarden Euro ergeben.
cherung für Arbeitsuchende
nach SGB II (insbesondere Kosten für Unterkunft und Heizung) nur leicht um 1,3 Prozent
auf 12,0 Milliarden Euro erhöhten. Die Ausgaben für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz lagen 2014
bereits mit 1,6 Milliarden Euro
um 0,5 Milliarden Euro über
dem Niveau des Vorjahres.
zent) zu. Dies ist vor allem auf
die gestiegenen Leistungen der
Sozialhilfe nach SGB XII zurückzuführen. Dafür wurden im
Jahr 2014 insgesamt 25,5 Milliarden Euro und damit 1,5 Milliarden Euro oder 6,1 Prozent
mehr als im Vorjahr ausgegeben, unter anderem wegen einer Erhöhung der Regelsätze
zum 1. Januar 2014. Darüber
hinaus sind die Ausgaben für
die Kinder- und Jugendhilfe um
7,3 Prozent auf 8,3 Milliarden
Euro gestiegen, während sich
die Ausgaben für die Grundsi-
ausgegeben, das waren 9,5
Prozent mehr als im Vorjahr.
Den größten Anteil an den
­Sachinvestitionen hatten die
Baumaßnahmen mit 18,7 Mil­
liarden Euro.
Auf der Einnahmenseite war die
Entwicklung der Steuereinnahmen (netto, also nach Abzug
der Gewerbesteuerumlage) mit
+ 3,5 Prozent gegenüber dem
Vorjahr im Berichtsjahr 2014
weiterhin positiv. Es wurden
insgesamt 79,5 Milliarden Euro
an Steuern (netto) eingenom-
Euro an Schlüsselzuweisungen
ein (+ 7,0 Prozent). Ausnahmen
bildeten die fünf neuen Länder,
sie reduzierten die Schlüsselzuweisungen um 1,0 Prozent. Alle
Länder zahlten im Jahr 2014
um 2,8 Prozent höhere Zuweisungen für Investitionen an die
Kommunen, sie beliefen sich
auf 7,3 Milliarden Euro. Die Einnahmen der Kommunen aus
Verwaltungs- und Benutzungsgebühren betrugen 23,7 Milliarden Euro (+ 3,8 Prozent),
wozu die Extrahaushalte mit
26,3 Prozent beitrugen.
> dbb magazin | September 2015
<<
Wandel, der gerade Flächengemeinden in ganz Deutschland
hart trifft, ein Kriterium für die
Verteilung der Mittel auf der
Landesebene sein.“ Weiter begrüßt der DStGB, dass die zusätzlichen Mittel des Bundes
im Jahr 2017 in Höhe von 1,5
Milliarden Euro zu zwei Dritteln
über einen erhöhten gemeindlichen Umsatzsteueranteil an
die Gemeinden fließen werden
und zu einem Drittel über einen erhöhten Bundesanteil an
den Kosten der Unterkunft.
Zudem dürfe es bei der Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen nicht nur um das
Verhältnis zwischen Bund und
Mittel vom Bund
Daher begrüßt der DStGB die
bereitgestellten Finanzhilfen
des Bundes zur Entlastung der
Kommunen: „Die Verteilung
der zusätzlichen 3,5 Milliarden
Euro des Bundes in den Jahren
2015 bis 2018 soll auf besonders finanzschwache Kommunen konzentriert werden und
Investitionen ermöglichen. Dies
ist dringend nötig, der kommunale Investitionsrückstand ist
immens“, so Dr. Gerd Landsberg. Andererseits müssten
auch andere benachteiligte Regionen von den Hilfen profitieren. „Aus unserer Sicht sollte
dabei auch der demografische
> dbb magazin | September 2015
Kinder, eine Qualitätsoffensive
bei der Kinderbetreuung und
ein schnelles Internet vor Ort.
Dies ist den Menschen wich­
tiger als eine geringfügige
Steuerentlastung, die am Ende
doch nur durch neue Schulden
gegenfinanziert werden muss.“
Der DStGB hat seine Forderungen zur Reform der Kommunalfinanzen in der „Agenda
2020“ zusammengefasst.
<<
Entwicklungschancen
Ähnlich äußert sich auch der
Deutsche Städtetag, der zuletzt auf seiner Hauptversammlung im Juni 2015 in
Kostas Koufogiorgos/tooonpool.com
fokus
18
Dennoch bleiben die Kommunalfinanzen stark unter Druck,
wie der Deutsche Städte- und
Gemeindebund (DStGB) kritisiert. „Trotz guter wirtschaftlicher Entwicklung in Deutschland bleibt die Finanzlage
vieler Städte und Gemeinden
weiter angespannt und dramatisch. Obwohl die Arbeitslosigkeit niedrig ist, sind die Sozialausgaben der Kommunen
ge­stiegen und werden die
Schallgrenze von 50 Milliarden
Euro 2015 überschreiten. Ein
Ende ist nicht abzusehen“,
­sagten Ralph Spiegler, Vize­
präsident des DStGB und Verbandsbürgermeister der Verbandsgemeinde Nieder-Olm,
und DStGB-Geschäftsführer
Dr. Gerd Landsberg im Februar
2015. „Die Dramatik der kommunalen Finanzlage zeigt sich
insbesondere an den erneut
gestiegenen Kassenkrediten,
die sich bundesweit auf 48,6
Milliarden Euro belaufen. Die
Kommunen in Rheinland-Pfalz
müssen insoweit die zweithöchste Verschuldung aller
Länder tragen. Ende 2013 waren es bereits 6,225 Milliarden
oder 1 561 Euro pro Einwohner.
Darin liegt ein hohes Risiko,
insbesondere dann, wenn die
Zinsen wieder steigen. Gleichzeitig verhindern diese Belastungen die notwendigen kommunalen Investitionen in
Infrastruktur, Bildung und
Breitbandausbau“, so Spiegler.
©ferretcloud – Fotolia.com
dbb
Ländern gehen. Ziel müsse es
sein, auch die kommunale Finanzlage nachhaltig zu stärken
und damit Investitionen zu ermöglichen. Spielräume, das
Aufkommen des Solidaritätszuschlages von 15 Milliarden
Euro pro Jahr auch nur teilweise für Steuerentlastungen zu
nutzen, sieht Landsberg nicht:
„Die Mehrheit der Bürgerinnen
und Bürger erwartet bessere
Schulen, Straßen, Wege und
Plätze, mehr Bildung für die
Dresden an Bund und Länder
appelliert hat, gleichwertige
Lebensverhältnisse in der Bundesrepublik zu sichern und bei
der Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund,
Ländern und Kommunen finanzielle Gestaltungsspielräume
für alle Städte zu schaffen.
Die neu gewählte Präsidentin
des Deutschen Städtetages,
Oberbürgermeisterin Dr. Eva
Lohse aus Ludwigshafen, sagte:
„Wir wollen Entwicklungschancen für alle Städte in Deutschland. Wir wollen gleichwertige
Lebensverhältnisse, damit die
Menschen in jeder Stadt gute
Chancen zur Teilhabe am Arbeitsleben, an Bildung, an sozialen und kulturellen Angeboten vorfinden. Um das wieder
zu erreichen, müssen sich Bund
und Länder auf ihre Verantwortung für strukturschwache
Städte und Regionen besinnen
und sie nach 2019 gezielt fördern.“ Städte mit einem hohen
Anteil an finanziell schwachen
und bildungsfernen Haushalten müssten anhand objektiver
Kriterien ebenso unterstützt
werden wie Städte, deren
­Wirtschaftskraft pro Einwohner deutlich unter dem Durchschnitt aller Städte liege.
„Die derzeitige Bund-LänderGemeinschaftsaufgabe zur
­Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur sollte den
Ausgangspunkt für ein gesamtdeutsches Fördersystem für
strukturschwache Regionen
bilden“, so Lohse.
Alle Städte müssen nach Auffassung des Deutschen Städtetages in der Lage sein, die erforderlichen Dienstleistungen
für die Menschen in ihrer Stadt
zu gewährleisten. In erster Linie müssten die Länder für eine
adäquate Finanzausstattung
ihrer Städte Sorge tragen, so
Lohse. Aber auch der Bund stehe in der Verantwortung, die
hohe Dynamik bei den kommunalen Sozialausgaben zu
stoppen: „So unzureichend die
Investitionsausgaben der Städte sind, so ungebremst steigen
deren Ausgaben für soziale
Leistungen – in diesem Jahr
dbb
erstmals auf über 50 Milliarden
Euro. Deshalb müssen die Städte durch den Bund weiter bei
den Sozialausgaben entlastet
werden, und zwar wie im Koalitionsvertrag vereinbart um
fünf Milliarden Euro jährlich.
Auch das ‚Wie‘ muss der Bund
noch in dieser Legislaturperiode beschließen. Und die Länder
fordern wir nachdrücklich auf,
die Kommunen bei den Leistungen für Flüchtlinge und
Asylbewerber zu entlasten.“
<<
Investitionsrückstand
Handlungsbedarf sehen die
Städte außerdem bei der kommunalen Infrastruktur. Die Ergebnisse des KfW-Kommunalpanels 2015 bestätigen die
Einschätzungen des DStGB
zum teilweise schlechten Zustand und zu regionalen Unterschieden und beziffern den
kommunalen Investitionsrückstand auf rund 132 Milliarden
Euro. Unter dem über Jahrzehnte aufgewachsenen Investitionsstau leiden insbesondere finanzschwächere Städte.
„So hilfreich das Investitionspaket des Bundes von 3,5 Milliarden Euro für finanzschwache
Kommunen ist: Wir brauchen
eine nachhaltige Reform der
föderalen Finanzbeziehungen,
die auch die Investitionskraft
der Kommunen auf Dauer
stärkt. Nur wenn alle Kommunen wieder in die Lage versetzt
werden, ihrem Bedarf gemäß
vor Ort zu investieren, können
sie aktiv das Lebensumfeld der
Menschen gestalten. Investitionen sind der Schlüssel, um Lebensqualität und kommunale
Wettbewerbsfähigkeit zu sichern oder auszubauen. Etwa
60 Prozent der öffentlichen Investitionen sind kommunal.
Wer kommunale Investitionen
stärkt, stärkt deshalb auch den
Standort Deutschland“, sagte
der neue Vizepräsident des
DStGB, der Nürnberger Oberbürgermeister Dr. Ulrich Maly.
Die Forderungen des Deutschen Städtetages haben dessen Mitglieder in der „Dres­dner
Erklärung“ formuliert.
Aus Sicht des dbb weisen
DStGB und Städtetag berechtigterweise auf die prekäre
­Situation der kommunalen
Haushalte hin. Besonders vor
dem Hintergrund des demo­
grafischen Wandels wird sich
die Situation eher verschlechtern denn verbessern. Die steigenden Ausgaben für soziale
­Leistungen gehen besonders
zulasten von Investitionen in
Infrastruktur, Bildung und Kinderbetreuung. Insofern ist es
auch aus Sicht des dbb dringend geboten, den Blick auch
vor Einsparungen bei den
Sozialaus­gaben nicht zu verschließen: „Wir dürfen uns von
den sich abzeichnenden Entwicklungen in der Altersstruktur unserer Gesellschaft nicht
ins Bockshorn jagen lassen,
sondern müssen den demografischen Wandel als Innovationsprozess begreifen, der uns
zahlreiche neue Chancen und
Potenziale bietet“, sagt dbb
Vize Ulrich Silberbach, der zugleich Bundesvorsitzender der
komba gewerkschaft ist. Lebenswerte Kommunen seien
nur mit einer ausreichend guten finanziellen Ausstattung
und nachhaltigen Strategien
handlungsfähig für die Zukunft. Mit der Neuordnung
der Bund-Länder-Finanzen
könnten althergebrachte Stellschrauben neu justiert werden.
„Dazu zwingen uns der demografische Wandel wie auch die
Folgen der Globalisierung regelrecht.“ Bereits 2013 hatte
die komba gewerkschaft gemeinsam mit dem DStGB und
der Bertelsmann Stiftung ein
Symposium zur Zukunft der
Kommunen in Berlin veran­
staltet. br
<< dbb Webtipps
Dresdner Erklärung des
Deutschen Städtetages:
http://goo.gl/WLE1Q6
Agenda 2020 des DStGB:
http://goo.gl/T1PzQI
Symposium
„Kommune der Zukunft“:
http://goo.gl/Xe32sK
> dbb magazin | September 2015
dbb
Kfz-Zulassung:
Ich bin dann mal weg ...
... schnell in der Mittagspause das Auto zulassen – dieses Vorhaben kann in Deutschland zu großem
Frust führen, denn „mal schnell“ geht in vielen Kommunen definitiv nicht. Im Gegenteil sind Warte­
zeiten von mehreren Wochen möglich, bis Fahrzeughalter überhaupt einen Termin bekommen. Dann
beginnt das Warten auf der Zulassungsstelle – und das kann schlimmstenfalls damit enden, unver­
richteter Dinge wieder abziehen zu müssen. Bei der Kfz-Zulassung herrscht akuter Notstand.
Jan Brenner (2)
fokus
20
<
< Ein extrem ruhiger Tag vor der Kfz-Zulassungsstelle Berlin Kreuzberg – an manchen Tagen stehen die Wartenden bis auf die Straße ...
313 539 Personenkraftwagen
(Pkw) wurden nach Angaben
des Kraftfahrt-Bundesamtes im
Juni 2015 neu zugelassen. Dieses Ergebnis lag mit plus 12,9
Prozent deutlich über dem
Wert des Juni 2014. Die Bilanz
der ersten Jahreshälfte zeigte
sich mit 1,6 Millionen Neuwagen und damit einem Zuwachs
von plus 5,2 Prozent ebenfalls
positiv. Ein Anteil von rund 65
Prozent aller Neuzulassungen
des ersten Halbjahrs entfiel auf
gewerbliche Halter. Beispiel
Berlin: Wie das Amt für Sta­tistik
Berlin-Brandenburg berichtet,
stieg die Anzahl der zugelassenen fabrikneuen Kraftfahrzeu-
> dbb magazin | September 2015
ge in Berlin im ersten Halbjahr
2015 um 6,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Der Anstieg beträgt insgesamt
2 786 Kraftfahrzeuge.
Zugelassen können die Autos in
Berlin – einer Stadt mit immerhin rund 3,4 Millionen Einwohnern – bei lediglich zwei Zulassungsstellen in FriedrichshainKreuzberg und Lichtenberg. Am
13. August 2015 in die Onlineterminvorschau für eine Neuzulassung geschaut, wäre aktuell
erst am 7. September ein Termin buchbar. Daher lassen die
meisten Käufer eines Neuwagens ihr Auto direkt vom Händ-
ler anmelden. Die Idee, damit
am folgenden Tag vom Hof zu
fahren, können die meisten
aber ebenfalls vergessen: Auch
bei Händlerzulassungen sind
Wartezeiten von bis zu mehreren Tagen mittlerweile die Regel und das nicht nur in Berlin.
Fast alle größeren Kommunen
klagen seit mindestens 2010
über Dauerstau in den Zulassungsstellen. Das führt nicht
nur zu Unmut unter Händlern
und Privatleuten, sondern auch
zu einem regelrechten Schwarzmarkthandel mit Terminen: Neben sogenannten Zulassungsdiensten, die ein Auto für rund
40 Euro anmelden, damit Kun-
den sich nicht selbst in die endlosen Schlangen stellen müssen, vor denen übrigens auch
ein online gebuchter Termin
nicht schützt, haben auch Geschäftemacher neues Terrain
entdeckt. Sie buchen reihenweise Termine, um sie zu verkaufen. Bis zu 120 Euro werden
für ein solches Schwarzmarkt­
ticket fällig – eine Erfolgsgarantie gibt es nicht.
<<
Schwarzmarkt
eindämmen
Der Berliner Senat sieht darin
zwar keine Straftat, missbilligt
das Geschäftsmodell aber. Da-
dbb
her hat es bereits Änderungen
im Buchungssystem gegeben,
die den Terminhandel eindämmen sollen – bislang mit eher
mäßigem Erfolg, denn schnell
finden Nepper neue Schlupf­
löcher.
Zeit, sich ein Bild vor Ort zu
machen. In Erwartung tumultarischer Szenen macht sich
unser Reporter auf zur Zulassungsstelle Berlin Friedrichshain-Kreuzberg und wird ­bitter enttäuscht: Keine Warteschlangen, wenige Besucher in
den Warteräumen, entspannte
Atmosphäre. Sogar die zahlreichen Schilderhändler auf dem
bunten Basar vor der Zulassungsstelle langweilen sich,
halten Schwätzchen und trinken Tee. Wie kann das sein, wo
doch alle Medien permanent
Alarm schlagen? Der freundliche Helfer vor dem Haupteingang weiß Bescheid: „Ferienzeit, Mittagszeit und langer
Dienstleistungsdonnerstag,
heute ist wirklich nicht viel
los“, sagt er und erklärt, dass
es darüber hinaus eine weitere
Umstellung ge­geben habe.
Während früher bis zu 90 Prozent der Termine online ver­
geben worden seien, wären
es jetzt nur noch 30 Prozent.
„Wenn Sie jetzt reingehen,
­bekommen Sie spätestens in
zwei Tagen einen Termin und
Ihr Auto ist zugelassen!“
<<
Mehr Personal
erforderlich
Trotzdem sind Wartezeiten
auch in anderen Berliner Behörden zum Problem geworden. So
sollten Urlauber, deren Reisepass abzulaufen droht, sich
nicht auf einen schnellen Gang
zum Bürgeramt verlassen. Auch
hier können je nachdem lange
Wartezeiten auf einen Termin
die Reise vereiteln. Statt also an
immer ausgefeilteren Onlinebuchungssystemen zu arbeiten, sollte der ­Senat vielleicht
besser genügend Leute einstellen, um dem Ansturm der Kunden gewachsen zu sein. Bürgerinnen und Bürger bezahlen
immerhin mit üppigen Steuer-
<
< ... um dann im Gebäude weiter zu warten und auf Nummern zu starren.
geldern für ihre Daseinsvorsorge und haben einen Anspruch
auf entsprechenden Service.
Nach jahrelangem Personal­
abbau zog der Berliner Senat
Ende 2014 die Reißleine, um
den Personalabbau im öffentlichen Dienst zu beenden. „Endlich folgt der Senat den Forderungen des dbb und verwirft
sein Ziel, die Vollzeitstellen im
Berliner Landesdienst auf
100 000 zu reduzieren. Für uns
war diese Zahl ohnedies eine
utopische, eher ausgewürfelte
Vorgabe und keine am Bedarf
festgemachte Zielgröße“, kommentierte der Landesvorsitzende des dbb berlin, Frank Becker, den Beschluss des Senats.
Flankiert werden soll das Vorhaben von einem Elf-PunkteProgramm für ein nachhaltiges
Personalmanagement, das
2015 vorgelegt wurde. Es beinhaltet unter anderem die bedarfsgerechte Ausbildung junger Nachwuchskräfte und
deren Übernahme in ein un­
befristetes Beschäftigungs­
verhältnis.
<<
Onlinezulassung
soll kommen
Bis diese Effekte in der Verwaltung ankommen, werden sich
Kunden zu Stoßzeiten weiterhin an den Schaltern der Zulassungsstellen stapeln, denn
auch die Digitalisierung eines
eigentlich einfachen Verwaltungsaktes kommt nicht recht
voran. Immerhin haben Autofahrer bei seit 2015 zugelassenen Fahrzeugen die Möglichkeit, diese digital abzumelden.
Dabei wird vereinfacht gesagt
ein Siegel auf dem Nummernschild abgekratzt, unter dem
sich ein Prüfcode befindet.
Wird dieser online vom Fahrzeughalter eingegeben und mit
dem digitalen Personalausweis
bestätigt, ist das Auto abgemeldet. Eine entsprechende
Neuerung haben Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt und Bundes­innen­minister
Thomas de Maizière auf den
Weg gebracht. Das Projekt
„i-Kfz“, die internetbasierte
Fahrzeugzulassung, soll es Bürgerinnen und Bürgern mithilfe
des neuen Personalausweises
(nPA, siehe auch „online“, Seite
40) künftig zudem ermöglichen, ihr Auto auch ­online
­zuzulassen.
Wann es soweit ist, sagten die
Minister nicht. Immerhin fährt
in einem Werbevideo des Bundesinnenministeriums für den
neuen Personalausweis bereits
heute eine freudige Autokäuferin Minuten nach dem Erwerb glücklich mit ihrem zugelassenen Neuwagen vom Hof
des Händlers. Vielleicht wartet
sie nur darauf, dass Jugendliche einen neuen Streich entdecken: Zulassungsplaketten abkratzen – und schwupps steht
die junge Frau wieder in der
Schlange vor der Zulassungsstelle ...
br
> dbb magazin | September 2015
dbb
Neues Seminarangebot:
Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen – ein Muss
Weil häufig schwierige Arbeitsbedingungen für Stress und Erschöpfung verantwortlich sind und Krankheiten auslösen können, verpflichtet der Gesetz­geber seit Herbst 2013 Arbeitgeber, bei der ohnehin
vorgeschriebenen Gefährdungsbeurteilung nun ausdrücklich auch psychische Belastungen zu erfassen.
Wie aber lassen sich diese messen? Wie können Maßnahmen gegen Fehlbelastungen abgeleitet beziehungsweise umgesetzt werden und wie funktioniert eine Wirksamkeitskontrolle? In ihren Veranstaltungen zeigt die dbb akademie unter anderem Wege zum „Wie“ auf.
<<
Gesetzliche Vorgaben –
aber wie?
Dass es dringend erforderlich
ist, psychische Belastungen
bei der Arbeit zu erfassen und
an deren Vermeidung und Reduzierung zu arbeiten, ist Fakt.
Die gesetzliche Basis hierfür
ist das Arbeitsschutzgesetz,
das unter anderem Gefährdungsbeurteilungen vorsieht.
Seit Oktober 2013 sind Unternehmen und Behörden laut
­§ 5 des Arbeitsschutzgesetzes
bei der Beurtei­lung der Arbeitsbedingungen dazu verpflichtet, explizit auch psychische Belastungen zu erfassen,
zu dokumentieren und gegebenenfalls Maßnahmen ein­
zuleiten.
Zusätzlichen Handlungsbedarf
schafft darüber hinaus die seit
Juni 2015 geltende Betriebssicherheitsverordnung, die den
Umgang mit Arbeitsmitteln
regelt und deutlich mehr Anforderungen an die Gefähr-
> dbb magazin | September 2015
©alphaspirit – Fotolia.com
fokus
22
Psychische Belastungen am
­Arbeitsplatz wie hoher Terminund Leistungsdruck, ständige
Unterbrechungen und Multitasking können krank machen
und verursachen mittlerweile
einen beträchtlichen Anteil an
Arbeitsunfähigkeitstagen. Dies
belegen zahlreiche Studien.
­Bereits heute erfolgt der überwiegende Teil der Frühverrentungen aufgrund psychischer
Erkrankungen.
dungsbeurteilung stellt, indem
zum Beispiel die alters- und alternsgerechte Gestaltung und
psychische Belastungen hervorgehoben werden.
konkrete Umsetzung in der
Praxis herrscht dagegen häufig
noch viel Unsicherheit.
<<
Gefährdungsbeurteilung
– Strategische Chance
statt lästiger Pflicht
Offengelassen hat der Gesetzgeber allerdings, was psychische Belastungen genau sind
und wie diese ermittelt, erhoben und beseitigt werden können; das heißt für die Gefährdungsbeurteilung psychischer
Belastungen gibt es keine
Durchführungsvorschriften.
Die Besonderheit: Psychische
Belastungen sind nämlich
nicht mit Geräten messbar
und verlangen damit anders
ausgerichtete Vorgehensweisen (zum Beispiel Befragungen).
DASS Gefährdungsbeurteilungen durchzuführen sind, ist damit verbindlich vorgeschrieben. Über das WIE und die
Als geeignetes Präventions­
instrument umfasst die vor­
geschriebene Gefährdungs­
beurteilung nicht nur die
Ermittlung psychischer Be­
lastungen, sondern auch
die Maßnahmenableitung
und -umsetzung gegen
Fehlbelas­tungen sowie eine
entsprechende Dokumen­
tation und Wirksamkeits­
kontrolle.
Dabei geht es nicht darum,
die psychische Leistungs­
fähigkeit des Einzelnen zu
überprüfen. Vielmehr muss
­geprüft werden, ob die Arbeitsbedingungen so gestaltet sind, dass die Beschäftigen
leistungsfähig und gesund
bleiben, was sich letztlich
auch in ökonomischer Hinsicht auszahlt.
dbb
<<
Seminarangebote
der dbb akademie
Was sind psychische Belastungen beziehungsweise Fehlbe­
lastungen und was genau ist
Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung? Wie kann die Gefährdungsbeurteilung grundsätzlich ablaufen und wie
wählt man ein geeignetes Verfahren aus? Auf welche Weise
lassen sich die Ergebnisse auswerten und wie kann man die
Wirksamkeit der Maßnahmen
überprüfen?
Damit der Prozess „Hand und
Fuß“ hat, haben sich bestimmte Durchführungsschritte als
sinnvoll herausgestellt.
Die dbb akademie stellt sich
dem Thema mit einem Angebot an Veranstaltungen und
bietet sowohl 2015 als auch
2016 ­verstärkt Seminare zum
Themenfeld „Gefährdungs­
beurteilung psychischer Be­
lastung“ an. Das Angebot
­richtet sich insbesondere an
Führungskräfte und Beschäftigte der ­öffentlichen Ver­
waltung, Personal- und Organisationsverantwortliche,
Gesundheits­manager/-innen,
Personal- und Betriebsräte,
Beschäftigte im Bereich Per­
sonalentwicklung, Organi­
sation, Arbeitsschutz und
­-sicherheit. Die Veranstal­
tungen finden Sie unter
www.dbbakademie.de.
Gerne führen wir auch eine
­Inhouse-Schulung für Sie
durch. Wir beraten Sie gern.
Ihre Ansprechpartnerin (Inhalte):
Brigitte Bojanowsky,
Telefon: 0228.8193125,
[email protected]
Sicherheit im Umgang mit psychischen Störungen am Arbeitsplatz
(2015 Q110 CS)
10. bis 12. November 2015 in Königswinter
Dienstvereinbarung Betriebliches/Behördliches Gesundheits­
management (2015 Q 111 CS)
18. bis 20. November 2015 in Königswinter
Der gelungene Gesundheitstag: Von der Zielsetzung bis zur
­Wirkungskontrolle (2015 Q 112 CS)
1. bis 3. Dezember 2015 in Königswinter
Gelassen und optimal leistungsfähig bleiben (2015 Q 116 CS)
8. bis 10. Dezember 2015 in Königswinter
Preis je Veranstaltung (inkl. Ü/VP): 520 Euro
Auskunft erteilt:
Carina Schulte (Organisation),
Telefon: 0228.8193263, [email protected]
Im Rahmen seines Engagements für den Arbeits- und Gesundheitsschutz ist der dbb auf der weltweit größten Arbeitsschutzmesse mit internationalem Kongress A+A in Düsseldorf (27. bis
30. Oktober 2015) mit einem Stand in Halle 10 (Standnr. 10A63)
vertreten und bietet folgende Vorträge an:
„Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen an Arbeitsplätzen im Öffentlichen Dienst“, im Rahmen des „Forums Öffent­
licher Dienst“, am 29. Oktober 2015, von 14.15 bis 16.30 Uhr, im
Kongresscenter (CCD Süd), Raum 1.
Kurzvortrag „Gesundheitsförderndes Führen im Öffentlichen
Dienst“, am 29. Oktober 2015, ab 11.20 Uhr in Halle 10 auf der
Bühne im Bereich „Corporate Health“.
23
fokus
©Swapan – Fotolia.com
<< Weitere Veranstaltungen im Bereich Gesundheitsmanagement
> dbb magazin | September 2015
dbb
Amtsdeutsch:
©Dudarev Mikhail – Fotolia.com
Rauhfutterverzehrende
Großvieheinheit …
spezial
24
… sagt und schreibt (angeblich) der deutsche Beamte, wenn ein Rind – ob
Kuh, Kalb, Bulle oder Ochse – gemeint ist. Besagte rauhfutterverzehrende
Großvieheinheit frisst auf der Alm auch kein Gras, sondern labt sich an den
Halmen einer Spontanvegetation. Unmissverständlich soll es sein, das oft
geschmähte „Behörden- oder Amtsdeutsch“, damit Gesetze und Verord­
nungen nicht heute so und morgen ganz anders ausgelegt werden können.
Doch Wortungetüme und Bandwurmsätze, die mit Passivformulierungen
und Substantivierungen überfrachtet sind, lassen sich durchaus in gängiges
Deutsch fassen, ohne ihre Eindeutigkeit zu verlieren. Initiativen und Bemühungen, mehr Transparenz in die Kommunikation zwischen Staat und Bürger zu bringen, gibt es schon seit Langem – mit mäßigem Erfolg.
Der Grat zwischen juristisch
korrekter Formulierung und
unfreiwilliger Sprachkomik ist
schmal. Das musste Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus
1999 bei der Einbringung des
Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetzes in den Landtag
erfahren. Zahlreiche Abgeordnete brachen in schallendes
Gelächter aus, und der Minister gestand zu, dass der Titel –
möglicherweise – etwas lang
sei. Genutzt hat weder die
­Heiterkeit noch die weise Erkenntnis: Das Gesetz wurde im
Januar 2000 als „Gesetz zur
> dbb magazin | September 2015
Übertragung der Aufgaben
für die Überwachung der Rinderkennzeichnung und Rind­
fleisch­etikettierung“ verabschiedet, der amtliche Kurztitel
lautete nun – noch länger –
Rinderkennzeichnungs- und
Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz (RkReÜAÜG).
Ende Mai 2013 wurde das Gesetz zwar aufgehoben, doch
der Titel dient noch heute als
abschreckendes Beispiel für die
Auswüchse der Behördensprache. Mit 63 Buchstaben gehört
es zu den längsten zusammengesetzten Substantiven der
deutschen Sprache. Die Gesellschaft für Deutsche Sprache
schlug es sogar 1999 zum Wort
des Jahres vor. Aufgrund der
bevorstehenden Jahrtausendwende und des erwarteten
Computer-GAUS setzte sich
allerdings das Wort „Millennium“ durch. Auch zum Unwort
des Jahres taugte es nicht,
dazu wurde 1999 der „Kollateralschaden“ gewählt.
<<
Stilblüten von Amts
­wegen
Die Bürger selbst haben indes
weniger ihre liebe Not mit verqueren Gesetzestexten als mit
kryptisch formulierten Briefen
vom Finanzamt oder von der
Gemeindeverwaltung. Ein Beispiel aus einem Schreiben an
eine Hundebesitzerin: „Das
Führen von Hunden auf öffentlichen Wegen ist nur mit der
Maß­gabe gestattet, dass die
Hunde an der Leine geführt
werden.“ Warum heißt es nicht
schlicht „Hunde müssen auf
öffentlichen Wegen an der Leine geführt werden“? Das zweite Beispiel stammt aus einem
Polizeibericht: „Der Verunfallte
wurde von einem Rettungswagen erstversorgt und anschließend in das Krankenhaus verbracht. Zur weiteren Absuche
der Einsatzstelle wurden die
Kräfte der Feuerwehr alarmiert.“ Warum heißt es nicht
„Die Besatzung eines Rettungswagens leistete Erste Hilfe und
fuhr das Unfallopfer anschließend ins Krankenhaus. Die Feuerwehr suchte die Unfallstelle
ab“? Interessant wäre es auch
für den Leser zu erfahren, wonach die Feuerwehrleute gesucht haben, aber das geht aus
dem Bericht leider nicht hervor.
Gesetze und Amtsschreiben
haben indes nur dann einen
dbb
<<
Dem verbalen Amtsschimmel Beine machen
Seit über zehn Jahren kümmert
sich beispielsweise die „IDEMA.
Gesellschaft für verständliche
Sprache“ um lesbare Texte von
Ministerien, Behörden und Gemeindeverwaltungen sowie
von Parteien und Organisationen. Der erste große Auftrag
bestand 2008 in der Übertragung der Imagebroschüre des
Bundesinnenministeriums in
eine allgemein verständliche
Sprache. Inzwischen steht
den Beschäftigten der Bundesverwaltung eine Datenbank
„Verständliche Verwaltungssprache“ (IDEMA Bund) zur
Verfügung, deren Nutzung
dazu beitragen soll, Verwaltungstexte verständlicher zu
gestalten.
Auch viele Stadtverwaltungen,
zum Beispiel in Bochum, Kleve,
Lübeck oder Kiel, haben dem
Amtsdeutsch den Kampf ange-
<< Sprach-TÜV für Gesetze
Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien, § 42 Abs. 5: „Gesetzentwürfe müssen sprachlich
richtig und möglichst für
jedermann verständlich
­gefasst sein. Gesetzent­
würfe sollen die Gleich­
stellung von Frauen und
Männern sprachlich zum
Ausdruck bringen. Gesetzentwürfe sind grundsätzlich dem Redaktionsstab
Rechtssprache zur Prüfung
auf ihre sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit
zuzuleiten. Die Zuleitung
soll möglichst frühzeitig
­erfolgen. Das Ergebnis der
Prüfung hat empfehlenden
Charakter.“
<
< Nach einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Demoskopie
­Allensbach aus dem Jahr 2008 haben 86 Prozent der Bevölkerung
Schwierigkeiten, amtliche Schreiben zu verstehen. Der Duden definiert
„Beamtendeutsch“ wie folgt: „Unlebendige, unanschauliche, oft lang­
atmige und verschachtelt konstruierte trockene Ausdrucksweise [in behördlichen Bestimmungen u. Ä.]; Amts-, Behördendeutsch.“
sagt und vertreiben nach und
nach den Amtsschimmel aus
ihren Texten. Für die Stadt Bochum überarbeiten die Sprachwissenschaftler der ­IDEMA die
amtlichen Texte, ­indem sie die
unverständlichen Formulie­
rungen in modernes Deutsch
übertragen. Juristen achten
­darauf, dass die Briefe und
­Mitteilungen dennoch rechtssicher bleiben, und Mitarbeiter
der Bochumer Ämter prüfen
abschließend die fach­liche
Richtigkeit.
Inzwischen wurden auf diese
Weise mehrere Hundert Texte
bearbeitet und Einträge für das
Wörterbuch „Amtsdeutsch –
Deutsch“ entwickelt. Die Ergebnisse finden sich in einer
Datenbank (IDEMA Kommunal), die gegen Gebühr von
­allen Verwaltungen genutzt
werden kann. In Bochum sieht
man die kundenfreundlichen
Texte durchaus auch unter
Kostenaspekten, denn in Zeiten knapper Kassen sei Bürokratieabbau gefragt. Unver-
<< Redaktionsstab Rechtssprache
Der Redaktionsstab Rechtssprache ist neben dem Sprachbüro Teil
der Sprachberatung im Bundesjustizministerium (BMJ). Sprachwissenschaftler bearbeiten Gesetz- und Verordnungsentwürfe und
prüfen sie auf sprachliche Richtigkeit und Verständlichkeit gemäß
§ 42 Abs. 5 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien. Den Redaktionsstab Rechtssprache gibt es seit 2009. Er ist
das Ergebnis des Modellprojekts „Verständliche Gesetze“, das vom
BMJ gefördert und unterstützt wurde. Er wird seit Januar 2013 von
der Lex Lingua Gesellschaft für Rechts- und Fachsprache mbH betrieben und von der Juristin Stephanie Thieme geleitet. Daneben
gibt es den Redaktionsstab der Gesellschaft für deutsche Sprache
beim Deutschen Bundestag, der sprachliche Beratung für die
­Abgeordneten, die Fraktionen und die Ausschusssekretariate
­anbietet.
Quelle: BMJ
ständliche Texte kosten Geld,
denn mancher Einspruch gegen einen Bescheid könnte bereits vermieden werden, wenn
die Briefe verständlicher und
auch kundenfreundlicher verfasst worden wären.
So wurde in Bochum – und
­anderswo – aus dem Fern­
sprecher das Telefon, aus
­fernmündlich telefonisch.
Die Ablichtung heißt nun Kopie, Augengläser Brille. Das
ist nicht weltbewegend, eher
selbstverständlich, doch ein
Schritt in die richtige Richtung
ist es allemal. Dass sich trotzdem viele Behörden und Verwaltungen weiter schwertun,
verständlich zu for­mulieren,
ist nicht zuletzt auch der fö­
deralen Struktur der Bunde­s­
republik geschuldet, die Zusammenarbeit erschwert,
statt sie zu begünstigen. Eine
Amtsmitteilungsbundesformulierungsverordnung (AmiBufoVer) hätte deshalb wohl
keine Chance. Allerdings bleibt
es dem Bürger unbenommen,
den Absender eines unverständlichen Textes um „Übersetzung“ zu bitten. Meistens
wird die „Rechtsbehelfsbelehrung“ sogar ausdrücklich an­
geboten.
sm
> dbb magazin | September 2015
25
spezial
© ArTo – Fotolia.com
Sinn, wenn sie verstanden und
in­folgedessen beachtet werden
können. Das ist in Bund, Ländern und Kommunen seit Langem erkannt, die inzwischen
griffige Formulierungshilfen
anbieten. In der entsprechenden Broschüre des bayerischen
Innenministeriums „Freundlich,
korrekt und klar. Bürgernahe
Sprache in der Verwaltung“
heißt es im Vorwort: „Es ist
nicht immer leicht, behördliche
Schreiben zu formulieren. Sie
sollen einerseits den Sachverhalt und die rechtliche Situa­
tion richtig wiedergeben, an­
dererseits aber verständlich
formuliert und übersichtlich
sein. Es ist ein hoher Anspruch,
all diesen Zielsetzungen gerecht zu werden. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer
Behörde – und auch wir Politiker selbst – gewinnen aber an
Überzeugungskraft und Glaubwürdigkeit, wenn wir auch
schwierige Zusammenhänge
nachvollziehbar machen und
transparent darstellen. Das ist
Service für die Bürgerinnen und
Bürger – aber auch ein Dienst
an uns selbst.“
dbb
Sozial- und Erziehungsdienst:
Kein Verhandlungsfortschritt
spezial
26
Die Arbeitgeber hätten sich in
der Verhandlung zu keinerlei
Verbesserungen über den
Schlichterspruch vom 23. Juni
2015 hinaus bereit gezeigt, obwohl die Beschäftigten diesen
in der vergangenen Woche in
einer Mitgliederbefragung der
beteiligten Gewerkschaften
bereits mit über 60 Prozent abgelehnt hatten. „Die Kolleginnen und Kollegen haben deutlich gemacht, dass sie in dem
Schlichterspruch keine echte
Wertschätzung für ihre Arbeit
sehen“, erklärte Hemsing. Die
geringe Zustimmung zum
Schlichterspruch sei ein klarer
Auftrag für die Verhandlungskommission. Die Vereinigung
der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) müsse sich daher bewegen. „Es ist für sie an
der Zeit zu verstehen, dass die
Beschäftigten sich nicht länger
mit warmen Worten zufrieden­
geben werden. Gerade in der
frühkindlichen Bildung und der
Sozialen Arbeit brauchen wir
motivierte Leute. Das derzeitige Verhalten der Arbeitgeber
ist aber eher dazu geeignet,
das Betriebsklima nachhaltig
zu schädigen.“
Daniela Mortara
Die Tarifverhandlungen für den Sozial- und Erziehungsdienst sind am 13. August 2015 in Offenbach
erneut gescheitert. „Leider konnten wir immer
noch keinen Fortschritt erzielen“, sagte dbb Verhandlungsführer Andreas Hemsing.
<
< Die dbb Verhandlungskommission mit Verhandlungsführer Andreas
Hemsing (Mitte) am 13. August 2015 in Offenbach.
Sollte die VKA sich nicht bewegen, seien Arbeitskampfmaßnahmen in den kommenden
Wochen nicht ausgeschlossen.
Die Geschäftsführung der
dbb Bundestarifkommission
wird zeitnah über das wei-
Rettungsdienst Oberhavel:
<< Betriebsübernahme
Tarifeinigung erzielt
Der Tarifkonflikt bei der Rettungsdienst Ober­havel
GmbH ist beendet. Am 12. August 2015 erreichte
der dbb eine Einigung. Sie sieht Gehaltserhöhungen von insgesamt mehr als 5,6 Prozent vor.
©Texelart – Fotolia.com
Der neue Tarifvertrag hat eine
Laufzeit von 24 Monaten und
tritt rückwirkend zum 1. Januar
2015 in Kraft. Im Einzelnen ei-
> dbb magazin | September 2015
tere Vorgehen ­beraten. „Im Fall
der Fälle ­werden wir flexibel
agieren und alle Maßnahmen
wie gewohnt rechtzeitig ankündigen, damit die betroffenen ­Familien sich darauf einstellen können.“
nigten sich beide Seiten unter
anderem auf Entgeltsteigerungen von 2,9 Prozent zum 1. Januar 2015 und 2,7 Prozent zum
1. März 2016. Für Beschäftigte
oberhalb der Tabelle treten zu
diesen Terminen jeweils Erhöhungen von pauschal 50 Euro in
Kraft. Notfallsanitäter erhalten
ab 1. Mai 2015 monatlich 200
Euro als Zulage, ab 1. März 2016
steigt die Zulage auf 210 Euro.
Dies sei allerdings nur eine
„Übergangslösung“, machte
­Sebastian Wiegandt, Verhandlungsführer des dbb, deutlich.
Verbesserungen gibt es darüber hinaus bei Zeitzuschlägen
und Funktionszulagen sowie
bei den Urlaubsregelungen.
Die erzielte Tarifeinigung, die
einen echten Reallohngewinn
bedeute, steht bis Anfang September 2015 unter Gremienvorbehalt.
Nichts ist so beständig wie
der Wandel. Arbeitsplätze,
die gestern noch dem originären öffentlichen Dienst
zugeordnet waren, sind
morgen vielleicht schon in
einer GmbH, AöR oder in
eine andere Rechtsform
ausgegliedert beziehungsweise wurden privatisiert.
Kommt es zu einem Betriebsübergang, treten viele
Fragen auf.
Erste Antworten und
­Hilfestellung in dieser für
Kolleginnen, Kollegen und
Mitbestimmungsgremien
schwierigen Zeit gibt der
neue dbb Flyer „Betriebsübergänge“, der zum Selbstausdrucken, Weiterleiten
und Verteilen von der dbb
Homepage heruntergeladen
werden kann:
http://goo.gl/1dOIOh
dbb
Der Fall des Monats
Zu unrecht gezahlte Zulagen:
Verjährungsfrist
begrenzt Rückforderung
©diego cervo – Fotolia.com
Zu unrecht gezahlte Zulagen müssen Beamte
nur im Rahmen der dreijährigen Verjährungsfrist
erstatten, wenn der Dienstherr die Überzahlung
schon seit längeren Jahren kennen musste. Das
hat das Verwaltungsgericht Halle in einem Urteil
vom 11. März 2015 festgestellt.
Die vom dbb Dienstleistungszentrum Ost vertretene Klägerin hatte in der Zeit von Mai
2001 bis April 2012 monatlich
Wechselschichtzulage erhalten. Tatsächlich stand ihr die
Zulage jedoch nur für den einen Monat Mai 2001 zu, danach nicht mehr. Die Bezügestelle hatte die Beschränkung
auf einen Monat mangels Kontrolle jahrelang übersehen.
Das Verwaltungsgericht sieht
darin eine „grob fahrlässige
Unkenntnis“ des Dienstherrn,
der die Bezüge erst im April
2013 zurückverlangte. Statt
der geforderten 3 652,91 Euro
muss die Klägerin daher nur
601,33 Euro zurückerstatten.
Wegen weiter zurückliegender
Überzahlungen vor dem 1. Januar 2010 durfte sich die Klägerin auf Verjährung berufen.
Das Urteil des VG Halle (Az.: 5 A
174/13 HAL) ist rechtskräftig.
mn
<< Info
Der dbb gewährt den Einzelmitgliedern seiner Mitgliedsgewerkschaften berufsbezogenen Rechtsschutz. Zuständig dafür sind die Juristen in
den dbb Dienstleistungszen­
tren in Berlin, Bonn, Hamburg,
Nürnberg und Mannheim.
Das dbb m
­ agazin dokumentiert den „Fall des Monats“.
> dbb magazin | September 2015
dbb
dbb jugend beim Bürgerdialog der Bundesregierung:
Bildung, Familie und Sicherheit im Fokus
Christine Bonath
Die Chefin der dbb jugend Sandra ­Kothe diskutierte am 18. Juli 2015 mit Jugendvertretern aus dbb Fach­gewerkschaften im dbb forum berlin, welche
Werte wichtig sind, damit „Gut leben in Deutschland“ funktionieren kann.
<
< Engagierte Diskussion: dbb jugend-Chefin Sandra Kothe (links) in ihrer Arbeitsgruppe
spezial
28
„Wir werden es sein, die unser
Land in den kommenden Jahrzehnten maßgeblich mitgestalten. Wir werden dann aber
auch die Verantwortung für alles Gute und für alles Schlechte
tragen müssen. Unserer Generation stehen so viele verschiedene Möglichkeiten der Lebensgestaltung offen wie niemals
vorher. Deshalb sollten wir Antworten auf die Frage, was ,gut
leben‘ für die Gesellschaft bedeutet, nicht dem Zufall überlassen.“ Mit diesen Worten
­eröffnete dbb jugend-Chefin
Sandra Kothe am 18. Juli 2015
im dbb forum berlin den dritten
vom dbb in Zusammenarbeit
mit der Bundesregierung veranstalteten Bürgerdialog. Der Einladung zur Diskussion, was für
sie „Gut leben in Deutschland“
bedeutet, waren etwa 20 Jugendvertreterinnen und -vertreter aus dbb Mitgliedsgewerkschaften gefolgt.
„Klar ist auf jeden Fall, dass für
viele von uns das Leben nicht
mehr so gradlinig verläuft, wie
es früher noch normal war“,
ergänzte Sandra Kothe mit
Blick auf die auch im öffentli-
dbb jugend magazin
„#jugendgerecht – ein Hashtag, der uns in den
kommenden Jahren immer wieder begegnen und
begleiten wird“, verrät dbb jugend-Chefin Sandra
Kothe im Editorial der Doppelausgabe August/
September des dbb jugend magazins t@cker.
„Er ist quasi die große Überschrift für die neue
Jugendstrategie der Bundesregierung, die Bundesjugendministerin Manuela Schwesig (SPD)
Anfang Juli 2015 in Berlin vorgestellt und gestartet hat. Die dbb jugend als einer der großen gewerkschaftlichen Kinder- und Jugendverbände im Land war natürlich dabei – es
geht um nicht weniger als unsere Kernkompetenz: Deutschland jugendgerecht gestalten –
in jeder Hinsicht und insbesondere mit Blick
> dbb magazin | September 2015
chen Dienst inzwischen verbreiteten schlechten Übernahmechancen nach absolvierter
Ausbildung sowie die häufig
nur befristeten Arbeitsverhältnisse, die jungen Berufseinsteigern die Karriere- und Lebensplanung nicht unbedingt
leichter machen.
Im Verlauf der lebhaft geführten Diskussion, was der jüngeren Generation – als Einzelperson und im gesamtdeutschen
Zusammenhang betrachtet –
wichtig ist, rückten die von der
dbb jugend-Chefin angespro-
chenen Widrigkeiten beim beruflichen Fortkommen zunehmend in den Hintergrund. Im
Fokus des Wertekanons standen die Leitthemen Bildung,
Familie und Sicherheit gefolgt
von Freiheit, Umwelt und
­Freizeit.
Der Bürgerdialog mit der dbb
jugend „Gut leben in Deutschland – Was uns wichtig ist“ war
die letzte von drei dbb Veranstaltungen, auf denen der gewerkschaftliche Dachverband
der Bundesregierung ein Forum
eröffnete, mit Beschäftigten
des öffentlichen Dienstes ins
Gespräch zu kommen. Im Mai
hatten sich in Potsdam Frauenvertreterinnen des dbb zur Sache geäußert, im Juni 2015 in
Leipzig Teilnehmer des von der
dbb akademie organisierten
Kongresses NeueVerwaltung.
Die Veranstaltungen sind Teil
einer Reihe von rund 100 Diskussionsforen mit Verbänden
und Akteuren der Zivilgesellschaft, die bis zum Spätsommer beendet sein wird. Erste
Ergebnisse dieser etwas anderen Bürgerbefragung wird die
Bundesregierung im Laufe des
kommenden Jahres vorstellen.
Weitere Informationen: www.
gut-leben-in-deutschland.de.
online
auf den öffentlichen Dienst.“ t@cker berichtete bereits ausführlich über die Jugendstrategie und das Engagement der dbb jugend in
der Demografie-AG der Bundesregierung
(„Jugend gestaltet Zukunft“) und wird seine
Leser/-innen natürlich auch weiterhin auf
dem Laufenden halten. t@cker-story und ­
t@cker-special widmen sich diesmal einem
der privatisierten Bereiche – es geht um die
Ausbildung bei der Deutschen Telekom. Und es
gibt natürlich wieder allerlei News und Infos
aus den Reihen von dbb jugend und dbb, Buch-,
Musik- und Filmtipp und das Gewinnspiel.
Einfach reinsurfen unter www.tacker-online.de!
Onlineprojekt „Ich mache>Politik“:
29
Demografiepolitik darf nicht ohne Beteiligung
der jungen Menschen in Deutschland gemacht
werden. Das hat dbb jugend-Chefin Sandra Kothe
in einem Blogbeitrag für die Reihe „Stimmen aus
der Politik an euch“ des Onlineprojekts „Ich
mache>Politik“ deutlich gemacht. Dort schreiben
Akteur/-innen aus der AG „Jugend gestaltet Zukunft“ sowie aus dem Kontext der Demografiestrategie der Bundesregierung und erzählen,
­warum sie Beteiligung für wichtig halten, wo
­diese möglich ist und wie das ihrer Meinung
nach aussehen kann.
Kothe geht auf die Nach­
wuchsproblematik des öffentlichen Dienstes ein: „Es entscheiden sich immer weniger
junge Menschen für eine Ausbildung oder ein Studium beim
Staat. Weil das fatale Folgen
für das Land haben kann, gibt
es eine eigene Arbeitsgruppe
in der Demografiestrategie,
die sich ausschließlich dem
Themenblock des öffentlichen
Dienstes unter dem Motto
‚Der öffentliche Dienst als
­ ttraktiver und moderner
a
­Arbeitgeber‘ widmet.“
Diese Arbeitsgruppe, in der
dbb Vize Hans-Ulrich Benra,
Fachvorstand Beamtenpolitik,
neben Bundesinnenminister
Thomas de Maizière den Kovorsitz inne hat, befasse sich
insbesondere auch mit der
­Frage nach beruflichen Perspektiven, und das sei gut so,
schreibt Kothe. „Wir fragen,
wie in der Verwaltung recht-
spezial
Bloggen statt blocken
<
< dbb jugend-Chefin Sandra Kothe bloggt: „Keine Demografiepolitik ohne
die Jugend.“
zeitig für Wissensnachschub
gesorgt werden kann und die
Potenziale aller Beschäftigten
gefördert werden können. Familienfreundliche Arbeitsbedingungen zu schaffen beziehungsweise auszubauen ist
dabei ebenso wichtig wie die
Frage, wie die Arbeitsfähigkeit
in jeder Lebensphase – von der
Ausbildung bis zum Ruhestand
– erhalten werden kann, und
wie es gelingt, heute die jun-
gen Menschen einzustellen, die
wir morgen brauchen. Für junge Menschen ist das Thema
besonders interessant, denn es
betrifft den Weg ihrer beruflichen Entwicklung, und der
muss so attraktiv und sicher
sein wie nur möglich. Da wir
selber alle aus dem öffentlichen Dienst kommen, wissen
wir, wo der Schuh drückt, und
können uns für Verbesserungen stark machen!“
> dbb magazin | September 2015
dbb
Fünf Fragen an den Europapolitischen Sprecher der
CDU/CSU-Bundestagsfraktion Michael Stübgen:
?
Ein aktuelles Thema der europäischen Politik ist die Flüchtlingsproblematik. Ist Europa
hierin gescheitert?
spezial
30
Stübgen: Wir haben noch nicht
die Ergebnisse, die wir uns
wünschen, von einem Scheitern möchte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch
nicht sprechen. Der Europäische Rat hat Ende Juni 2015
ein klares Bekenntnis zur Verbesserung der Seenotrettung
auf dem Mittelmeer abgegeben, die Gefahr, dass weiterhin
Hunderte von Flüchtlingen aus
Afrika auf dem Weg über das
Mittelmeer ertrinken, ist heute geringer als noch vor wenigen Monaten. Aber es gibt
noch keine solidarische Lösung
für die Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten.
Man kann ja der Auffassung
sein, dass die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Verteilungsquoten nachgebessert
werden müssen. Dass sich Mitgliedstaaten aber grundsätzlich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, ist mit den im
Artikel 2 des EU-Vertrages
­verankerten gemeinsamen
Werten, insbesondere dem
­Bekenntnis zu den Menschen­
rechten und dem Grundsatz
der Solidarität unvereinbar. Bei
der Flüchtlingsfrage sind wir
an einem Punkt, wo sich die
Frage stellt, ob das Europa der
28 Mitgliedstaaten noch die
gleichen Ziele verfolgt.
?
Was muss geschehen, damit die
Europäer in der Asylpolitik besser zusammenarbeiten? Wie
soll diese Zusammenarbeit im
Inneren wie an den Außengrenzen aussehen?
Stübgen: Ich habe ja bereits auf
die Notwendigkeit hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten
bereit sein müssen, mehr Solidarität zu üben. Das gilt nicht
> dbb magazin | September 2015
nur für die Flüchtlinge und
Asylsuchenden, die bereits in
den Ländern der Europäischen
Union angekommen sind, es
gilt auch für die Anstrengungen der EU, mitzuhelfen, dass
die Fluchtursachen in den Herkunftsstaaten wirk­samer eingedämmt werden. Dazu gehören Hilfen im Rahmen der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die Unterstützung von Bildungsprogrammen, der Aufbau
demokratischer Strukturen und
funktionierender Verwaltungen und Erleichterungen beim
Zugang zum europäischen Binnenmarkt. Die Flüchtlingswelle
im vergangenen Frühjahr hat
zudem deutlich gemacht, dass
insbesondere Griechenland
und Italien mit der Umsetzung
des Dublin-Abkommens überfordert waren. Wir müssen also
die Dublin-Regeln überarbeiten. Gleichwohl muss auch klar
sein, dass Europa nicht alle
Flüchtlinge dieser Welt bei sich
aufnehmen kann. Wir brauchen daher mittelfristig ganz
sicher auch ein Einwanderungsgesetz, wie dies andere Indus­
triestaaten außerhalb der Europäischen Union auch haben,
zum Beispiel Kanada.
?
Ihre Parteifreundin Ursula von
der Leyen hat in den vergangenen Jahren wiederholt von den
Vereinigten Staaten von Europa
und jüngst auch von einer Europäischen Armee gesprochen.
Was sagen Sie dazu?
Stübgen: Ursula von der Leyen
hat eine Diskussion wiederbelebt, welche wir bereits in den
80er- und 90er-Jahren des vorigen Jahrhunderts geführt haben. Beide Themen, so habe ich
die Bundesverteidigungsministerin verstanden, haben nur in
einer sehr langfristigen Perspektive eine Chance. Gegenwärtig müssen wir eher ­darauf
bedacht sein, die zentrifugalen
Entwicklungen in der Europäischen Union einzudämmen und
den inneren Zusammenhalt zu
sichern. Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind ja nicht nur in
der Währungsunion beschädigt
worden, sie werden auch in anderen Politikfeldern der Euro­
päischen Union in Zweifel ge­
zogen. Wir müssen deshalb
zunächst die Baustellen abarbeiten, welche wir gegenwärtig
haben, und danach darüber
sprechen, wie die Europäische
Union vertieft werden kann.
?
Sollten integrationswillige und
-fähige EU-Staaten weiter voranschreiten, verstärkt zusammenarbeiten und sich nicht von
den Langsamsten im Geleitzug
ausbremsen lassen?
Stübgen: Das ist ja bereits das
Bauprinzip der Europäischen
Union und so auch in den EUVerträgen angelegt. Ein Beispiel ist die Währungsunion,
der nur 19 von 28 EU-Mitgliedstaaten angehören. Ein weiteres Beispiel ist die Innen- und
Rechtspolitik der Europäischen
Union, für die der EU-Vertrag
ausdrücklich eine Öffnungsklausel für eine stärkere Vergemeinschaftung dieser Politiksäule enthält. Und auch die
Europäische Sicherheits- und
Verteidigungspolitik, die in
weiten Teilen intergouvernemental organisiert ist, funktioniert nach dem Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit. Eine
Europäische Union mit 28 Mitgliedern ist heterogener, als es
die Europäische Gemeinschaft
mit 12 Mitgliedern war. Ohne
das Prinzip der verstärkten Zusammenarbeit bliebe der Europäischen Union immer nur die
Verständigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner.
?
Welche weiteren existenziellen
politischen Fragen müssen die
Europäer aus Ihrer Sicht inner-
Dietmar Seidel
Fluchtursachen eindämmen
<
< Michael Stübgen
halb der nächsten fünf Jahre
beantworten?
Stübgen: Wir werden die Frage
beantworten müssen, ob die
28 Mitgliedstaaten der Europäischen Union noch die gleichen
politischen Ziele verfolgen. Ich
habe bereits von den zentrifugalen Kräften gesprochen, die
den Zusammenhalt der Europäischen Union gefährden. Von
der politischen Union Europas
sind wir weit entfernt. Ob das
Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten tragfähig genug ist, eine engere politische
Union zu begründen, wird von
vielen Fachleuten bezweifelt.
Deswegen hat neuerdings
auch wieder der Gedanke eines
„Kerneuropas“ Konjunktur. Die
Krise in der Währungsunion
und die Haltung einer Reihe
von Mitgliedstaaten in der
Asylpolitik wecken Zweifel, ob
sich Europa weiter als Rechtsund Solidargemeinschaft versteht oder die Durchsetzung
nationaler Interessen den Vorrang bekommt. Das wäre der
Anfang vom Ende der Europäischen Union.
<< Info
Das ausführliche Interview
lesen Sie in den dbb europathemen aktuell:
http://www.dbb.de/filead
min/pdfs/europathemen/dbb
_europathemen_150708.pdf
dbb
EU-Mutterschutzreform:
Vertrauen wiederherstellen
„Der neue EU-Vorschlag ist wie
erwartet ausgefallen, sehr defensiv und nicht weitgehend
genug, um die bestehenden
Probleme zu lösen“, kommentierte Kirsten Lühmann den
Vorschlag am 3. August 2015.
Die dbb Vize und Präsidentin
des CESI-Frauenrechtsausschusses FEMM fordert von der
Kommission ambitionierteres
Handeln. „Blockiert haben die
Mitgliedstaaten. Die Kommission darf nun aber nicht ihrerseits dazu beitragen, dass die
von ihr richtig beschriebenen
Ungleichgewichte auf ewig
festgeschrieben werden. Sie
muss verloren gegangenes
Vertrauen wiederherstellen.“
Der aktuelle Fahrplan, der
­weitere Reformvorschläge bis
2016 vorbereiten soll, liefere
eine gute Problembeschreibung, so Lühmann. „Frauen
bilden einen deutlich kleineren
Anteil an der arbeitenden Bevölkerung als Männer, nach
der Geburt eines Kindes schaffen es viele Mütter nicht zurück in eine Vollbeschäftigung,
und Eltern haben nach wie vor
große Probleme, eine gute
­Balance zwischen Beruf und
Familie zu finden. All das ist
aber nicht neu“, erklärt die dbb
Vize. Die Kommission schreibe
selber, dass sich die Situation
auf absehbare Zeit viel zu
langsam zum Besseren wenden würde und deshalb politisch gehandelt werden müsse. „Nach den Diskussionen
der vergangenen Monate und
Jahre ist das das richtige Sig-
©L.Klauser – Fotolia.com
Anfang Juli 2015 nahm die Europäische Kommission
ihren Vorschlag für eine Reform des Mutterschutzes
zurück, der Rat hatte eine Einigung mit dem Europäischen Parlament verweigert. Anfang August legte
die Kommission nun einen „Fahrplan zur besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ vor, der eine
mögliche Kompromisslösung vorbereiten soll.
nal. Es gibt viel zu tun, Resignation ist keine Lösung.“
Lühmann ermutigt die Kommission deshalb, den beschriebenen Weg der verbindlichen europäischen Gesetzgebung zu
gehen. „Unverbindliche Empfehlungen und Vorschläge
­führen zu nichts. Die Mitgliedstaaten haben durch ihre Uneinsichtigkeit bei der Reform
des Mutterschutzes bewiesen,
dass sie keinen Handlungsbedarf sehen. Die Kommission, als
Mittlerin zwischen Parlament
und Rat, kann hier durch klare
Konzepte einen Kompromiss
verhandeln.“ Es bringe nichts,
der gescheiterten Reform hinterherzutrauern, dadurch verbessere sich die Situation von
jungen Müttern nicht, so Lühmann. Die von der Kommission
ins Spiel gebrachte flexiblere
Arbeitszeitgestaltung für junge
Eltern sei zum Beispiel eine
Möglichkeit, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu schaffen. Schnelles Handeln und die Einigung auf ein
umfassendes Maßnahmenpaket sei nun gefragt. „Eine neuerliche Hängepartie über mehr
als ein halbes Jahrzehnt können
wir uns nicht leisten.“
dbb
©Monkey Business – Fotolia.com
<
< Vorurteil widerlegt: Nicht die
Frauen der Generation 65plus
gehen besonders häufig zum
Arzt, sondern die Männer.
Generation 65plus:
Mitten drin statt außen vor
spezial
32
Der demografische Wandel lässt Deutschland vergreisen. Der Bevölkerungsanteil der kranken und pflegebedürftigen Alten steigt seit Jahren kontinuierlich an – mit vielfältigen Konsequenzen für Staat und Gesellschaft. Doch ‚der‘
Generation 65plus wird dieses immer wieder in den Medien beschworene
Bild nicht gerecht. Die Mehrheit der Menschen jenseits des Berufslebens
ist fit, mobil und unabhängig und will politisch mitmischen – ebenfalls
mit vielfältigen Konsequenzen für Staat und Gesellschaft. Das Statistische
Bundesamt hat umfangreiches Datenmaterial zu einem Gesamtbild der
­Lebenswelten älterer Menschen zusammengetragen und am 29. Juli 2015
in Wiesbaden vorgestellt. Die wichtigsten Fakten im Überblick.
Die Wiesbadener Statistiker
haben für ihren 41 Seiten starken Bericht „Die Generation
65+ in Deutschland“ Daten aus
vielen verschiedenen Statistiken und Erhebungen zusammengetragen, unter anderem
aus dem Mikrozensus, Leben in
Europa (EU-SILC), Private Haushalte in der Informationsgesellschaft (IKT), den Zeitverwendungserhebungen sowie
den Statistiken zu Sozialleistungen, Bildung, Verkehrsunfällen, Krankenhäusern und
Pflege. Die Ergebnisse sind
nicht nur bunt, sondern zeigen
eine Fülle politischer Handlungsfelder auf, die – um im
Bild zu bleiben – nicht länger
brach liegen dürfen, ohne zu
> dbb magazin | September 2015
(teuren) gesellschaftlichen
­Verwerfungen zu führen.
<<
Mehr Frauen als Männer
Ende 2013 lebten in Deutschland 17 Millionen Menschen
über 65 Jahren, das sind etwa
21 Prozent der Gesamtbevöl­
kerung. Bis 2060 wird dieser
Anteil auf 33 Prozent ansteigen. 57 Prozent der Lebensälteren sind Frauen, 43 Prozent
Männer. Statistisch gesehen
haben die 65-jährigen Frauen
noch knapp 21 Lebensjahre
vor sich, die Männer noch
17,5 Jahre.
Die Mehrheit der Generation
65plus (62 Prozent) lebte 2014
mit Ehe- oder Lebenspartnern
in einem Haushalt zusammen,
während ein Drittel einen Einpersonenhaushalt führte. Der
Frauenanteil bei den Singles
war mit 45 Prozent über doppelt so groß wie bei den alleinstehenden Männern (19 Prozent). Das ist zum Teil auf die
höhere Lebenserwartung der
Frauen zurückzuführen.
<<
Mehr Senioren im Job
Die Annahme, dass ältere Menschen mit etwa 65 Jahren in
den Ruhestand gehen, trifft
nicht mehr zu: Waren 2005
nur sechs Prozent der 65- bis
69-Jährigen noch berufstätig,
so stieg deren Zahl bis 2014 be-
reits auf 14 Prozent an. Auch
die Zahl der Vorruheständler ist
in den letzten zehn Jahren zurückgegangen: Befanden sich
2005 nur noch 28 Prozent der
Erwerbstätigen zwischen 60
und 64 Jahren im Job, so waren
es 2014 noch 52 Prozent. Der
Männeranteil bei den 65- bis
69-jährigen Erwerbstätigen lag
mit 17 Prozent deutlich höher
als der Frauenanteil (10 Prozent). 39 Prozent der SeniorJobber waren selbstständig.
<<
Weniger Geld für Frauen
Bei den Alterseinkünften ist
ein deutliches Gefälle zwischen Männern und Frauen
auszumachen, was nicht zuletzt der Rollenteilung (Mann
im Job, Frau kindererziehend
zu Hause) der heutigen Gene­
ration 65plus geschuldet ist.
Jede vierte Frau in einer Paargemeinschaft lebte 2014 überwiegend von den Einkünften
des Ehe- oder Lebenspartners.
Fast drei Viertel dieser Frauen
hatten nur ein persönliches
monatliches Nettoeinkommen
von unter 900 Euro. Bei den
Männern lag dieser Anteil
weit darunter bei 13 Prozent.
Von den alleinlebenden Frau-
dbb
<< Info
<<
Länger fit und aktiv
Die Freizeitaktivitäten der Senioren und deren Teilnahme
am gesellschaftlich-politischen
Leben steigen deutlich an. So
gehörten beispielsweise im
Wintersemester 2014/15 etwa
42 Prozent (14 200 von 33 600)
der Gasthörer an den Hochschulen zur Generation 65plus.
Die beliebtesten Fächer: Geschichte (2 700) und Philo­
sophie (1 000). Auch die Volkshochschulen verzeichneten
­einen regen Zulauf älterer
Menschen, die 2014 insgesamt
667 000 Kurse unter anderem
in den Themenbereichen Gesellschaft – Politik – Umwelt,
Gesundheit, Sprachen, Kultur
und Gestalten sowie IT-Kommunikation belegt haben.
Letzeres ist auf die verstärkte
Nutzung von PC und Internet
durch die Generation 65plus
zurückzuführen. 65 Prozent der
Senioren und 36 Prozent der
Seniorinnen waren 2014 bereits online. Hoch im Kurs standen E-Mail-Versand, Einkauf,
Reisebuchungen, Nachrichtenabfragen und Onlinebanking.
Mit zunehmendem Alter, besonders häufig ab 70, greifen
die Senioren eher auf stationäre PCs als auf mobile Geräte
zurück. 92 Prozent der 65- bis
69-Jährigen besitzen ein Handy, bei den 70- bis 79-Jährigen
sind es knapp 85 Prozent.
<<
Viel Zeit für Hobbys
Auch Freizeitaktivitäten stehen
bei der Generation 65plus ganz
hoch im Kurs: 50,5 Wochenstunden haben sie 2012/
2013 für ihre Hobbys aufgewendet, besonders viel Zeit
widmeten sie dabei dem Fernsehen (18,5 Stunden) und dem
Lesen 8,75 Stunden). Doch
auch ehrenamtliches Engagement, Sport und Reisen sind
bei den fitten Alten beliebt.
76 Prozent der Generation
65plus fühlt sich gesundheitlich nicht beeinträchtigt, um
die gewohnten Tätigkeiten
auszuführen. Dabei gibt es nahezu keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen.
Doch mit zunehmendem Lebensalter, besonders bei den
Hochbetagten, lassen die körperlichen Fähigkeiten nach,
und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen nehmen zu.
So waren 2013 bereits 8,3 Millionen Patienten und Patientinnen in den Krankenhäusern
über 65 Jahre alt. Das sind
43,2 Prozent der Behandelten
– 25 Prozent mehr als 2003.
Auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt. Ende 2013
waren es 2,2 Millionen über
65-Jährige, von denen zwei
Drittel zu Hause versorgt werden. Mit zunehmendem Alter
rückt indes die stationäre Pfle-
<
< Seniorinnen und Senioren investieren mehr Zeit als alle anderen Bevölkerungsgruppen in ihre Hobbys. Allein bei der VHS belegten sie im vergangenen Jahr 667 000 Kurse von Politik über Sprachen bis zur IT-Kommunikation.
ge immer stärker in den Vordergrund. Werden zurzeit nur
drei Prozent der 65- bis 69-Jährigen in stationären Einrichtungen gepflegt, so sind es bei den
Pflegebedürftigen ab 90 Jahren bereits 46 Prozent.
<<
Klarer Handlungsbedarf
Die eingangs angesprochenen
Konsequenzen aus dieser Bestandsaufnahme liegen auf
der Hand: Bäderbetriebe und
Sportstätten müssen ihre Se­
niorenangebote erweitern,
Stadtbibliotheken ihre Bücherbusse öfter losschicken. Die
Volkshochschulen sollten das
Kursangebot für die Generation 65plus ausbauen, und die
Telefongesellschaften könnten
mit besseren Seniorentarifen
punkten. Städte und Gemeinden müssen in einen altersgerechten Umbau der Infrastruktur investieren, um den älteren
Bürgern Mobilität und selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Auch zusätzliche stationäre Pflegeplätze müssen
eingerichtet und mehr geschultes Pflegepersonal muss
eingestellt werden. An der
altengerechten Gesellschaft
führt kein Weg vorbei, und die
Senioren werden ihre Rechte
einfordern. Denn auch das ist
ein Ergebnis der Studie: Bereits
bei der Bundestagswahl 2013
war jeder dritte Wahlberechtigte über 65 Jahre alt, mit einer Wahlbeteiligung von 75
Prozent beeinflussten die Senioren den Wahlausgang entscheidet. sm
> dbb magazin | September 2015
33
spezial
Armutsgefährdet waren im
Jahr 2013 knapp 15 Prozent
der über 65-Jährigen. Und hier
wiederum Frauen stärker als
Männer (17 Prozent zu 12,7
Prozent). Ende 2013 bezogen
knapp 500 000 Personen über
65 Jahren Grundsicherung; davon waren 62,7 Prozent Frauen.
Dieser Trend ist rückläufig:
2003 waren es noch 71 Prozent.
<
< Die Bedeutung des Sports für Senioren nimmt zu: Drei Viertel aller Frauen und Männer über 65 Jahren fühlen sich
gesundheitlich gut in Form.
©Sergey Nivens – Fotolia.com
en über 65 Jahren mussten
21 Prozent mit weniger als
900 Euro auskommen, während alleinstehende Männer
2014 über ein deutlich höheres Einkommen verfügten.
©goodluz – Fotolia.com
Die Broschüre „Die Genera­
tion 65+ in Deutschland“,
herausgegeben vom Statistischen Bundesamt, Wiesba­
den 2015, finden Sie unter
www.destatis.de als PDFDatei (nicht barrierefrei).
©Pathfinder – Fotolia.com
dbb
Führungspositionengesetz:
Neues Stimmungsbarometer vorgestellt
Auf dem siebten Forum der Initiative Frauen in die Aufsichtsräte e. V.
(FidAR) wurde am 9. Juli 2015 in Berlin ein neues Stimmungsbarometer
­vorgestellt. Danach lässt der Anstieg des Frauenanteils in Führungsposi­
tionen der Wirtschaft zwar hoffen, verläuft aber verhalten. Die FidAR,
deren Partnerin die dbb bundesfrauenvertretung ist, hatte Unternehmen
befragt, wie sie planen, das neue Gesetz zur gleichberechtigten Teilhabe
von Frauen und Männern an Führungspositionen umzusetzen.
­ eränderung in Gang setzt“,
V
sagte Helene Wildfeuer, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung, die an dem
­Forum teilgenommen hatte.
„Mit großem Interesse habe
ich die Keynote von Bundesministerin Schwesig angehört,
die sich erneut dafür stark­
gemacht hat, dass Führung
auch in Teilzeit möglich sein
muss, sowohl in der Privatwirtschaft als auch im öffentlichen Dienst. Dafür setzt sich
die dbb bundesfrauenvertretung seit Langem ein: Es ist
Die dbb bundesfrauenver­
tretung fordert eine gender­
gerechte Personalpolitik, bei
der Frauen zum Beispiel durch
Mentoring- und Coaching-­
Angebote verstärkt gefördert werden, damit sie bei
der Besetzung von Führungspositionen berücksichtigt
­werden.
Weitere Informationen zum
­FidAR-Stimmungsbarometer:
www.fidar.de.
Rente mit 63:
Vor allem Männer profitieren
Ein Jahr nachdem der Bundestag das Renten­paket
beschlossen hat, liegen die ersten Zahlen zur
­Rente mit 63 vor. Helene Wildfeuer, Vorsit­zende
der dbb bundesfrauenvertretung, kriti­sierte am
6. August 2015 in Berlin: „Von der Rente mit 63
profitieren in erster Linie Männer.“
Diese soziale Schieflage entstehe vor allem deshalb, weil ganz
überwiegend Männer ununterbrochene Erwerbsbiografien
aufweisen. Für Frauen, die
­oftmals wegen der Kindererziehung oder der Pflege von
Familienangehörigen ihre Erwerbstätigkeit unterbrochen
haben oder in Teilzeit arbeiteten, sei es nahezu unmöglich,
die Voraussetzungen für einen
> dbb magazin | September 2015
für langjährig
beschäftigte Männer!
frühen, abschlagsfreien Renteneintritt zu erfüllen.
Laut Bundesagentur für Arbeit
waren bei der Deutschen Rentenversicherung bis Ende April
2015 etwa 320 000 Anträge
auf Rente mit 63 eingegangen.
Wildfeuer: „Diese Zahlen belegen eindrücklich, wie sich
nüchterne und vordergründig
geschlechtsneutrale gesetzli-
© Gabriele Rohde – Fotolia.com
spezial
34
„Zwar befasst sich dieses neue
Stimmungsbarometer nur mit
der Stimmung in Unternehmen, aber ich bin sicher, dass
das Gesetz selbstverständlich
auch im öffentlichen Dienst
und seinen privatisierten Bereichen eine längst fällige
Zeit für eine gendergerechte
Personal­politik, damit Teilzeit
und K
­ arriere sich nicht länger
­ausschließen.“
<
< Soziale Schieflage: Circa 86 Prozent derer, die die Rente mit 63
in Anspruch nehmen, sind Männer.
che Regelungen unterschiedlich auf Männer und Frauen
auswirken. Wichtig ist, bereits
bei der Entstehung von Ge­
setzen möglichst genau zu
überlegen, wer von der geplanten Regelung profitiert, damit
alle Bevölkerungsgruppen
gleichmäßig berücksichtigt
werden.“
dbb
Urteil zum Betreuungsgeld:
Was brauchen Familien jetzt?
Das Gericht hat damit nicht
über den Sinn und Zweck des
Betreuungsgeldes entschieden,
sondern nur darüber, ob der
Bund dieses Gesetz überhaupt
hat einführen dürfen. Die Hansestadt Hamburg hatte gegen
das Gesetz geklagt, weil der
Bund ihrer Meinung nach nicht
zuständig war: Im Bereich „der
öffentlichen Fürsorge“ dürfe
demnach der Bund nur dann
gesetzgeberisch tätig werden,
wenn die „Regelung zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet
erforderlich ist.“ Das sei beim
Betreuungsgeld nicht der Fall.
Das sah auch das Bundesverfassungsgericht so und stellte
fest, dass die entsprechenden
gesetzlichen Regelungen, die
sich in den Paragrafen 4 a bis
4 d des Bundeselterngeldge­
setzes finden und die den Anspruch auf das Betreuungsgeld
begründen, nichtig sind. Das
sogenannte Betreuungsgeld
von je 150 Euro monatlich wurde bis dahin an alle Familien
gezahlt, in denen zwei- bis
dreijährige Kinder zu Hause betreut werden und die deshalb
keine öffentlich geförderten
Angebote wie Kitas nutzen.
Für die Eltern, die jetzt gerade
ihre Kleinkinder zu Hause betreuen, entsteht damit Unsicherheit. In der Regel bleiben
Bescheide, mit denen der Staat
eine Leistung zusagt, in Kraft,
auch wenn das zugrunde liegende Gesetz nichtig ist. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig hat bereits in einer
Presseerklärung angekündigt,
für diese Familien nach einer
Lösung zu suchen, damit sie
das Geld wie geplant erhalten
können. Helene Wildfeuer, Vorsitzende der dbb bundesfrau-
envertretung machte deutlich:
„Wir fordern jetzt eine schnelle
Klarstellung, damit die betroffenen Eltern, die sich ja ganz
bewusst entschieden haben,
für ihr Kind keinen öffentlich
geförderten Kitaplatz in Anspruch zu nehmen, wieder
­Planungssicherheit haben.“
<<
Wahlfreiheit
gewährleisten
Die dbb bundesfrauenvertretung stand dem Betreuungsgeld aus inhaltlichen Gründen
kritisch gegenüber: „Wir setzen
uns für eine echte Wahlfreiheit
junger Eltern ein, wie sie Kinder
und Beruf vereinbaren wollen.
Durch die Einführung des Betreuungsgeldes fehlte beim
dringend notwendigen Ausbau
der Kinderbetreuung das Geld.
Eine qualifizierte und bezahlbare Kinderbetreuung hat für uns
oberste Priorität, denn nur,
wenn es ausreichend Plätze
auch für die Jüngsten gibt, können sich Eltern frei entscheiden, ob sie ihr Kind zu Hause
oder in der Kita betreuen lassen“, erläutert Wildfeuer. Junge
Familien bräuchten ein ausreichendes Angebot gut ausgestatteter Kindertagesstätten
mit qualifizierten und gerecht
entlohnten Erzieherinnen und
Erziehern. Erst wenn solche Angebote im ganzen Bundesgebiet verfügbar seien, könne von
echter Wahlfreiheit überhaupt
die Rede sein. Vor allem Alleinerziehende hätten keine Wahlfreiheit zwischen Betreuungsgeld oder Kita und müssten
oftmals schnell wieder in den
Beruf einsteigen, um sich und
ihr Kind zu finanzieren.
<<
Neubewertung
gefordert
Die dbb bundesfrauenvertretung fordert eine Neubewertung der Erziehungsleistung
von Eltern, etwa durch eine
­geschlechtergerechte Familienbesteuerung, die stärker dem
Vorhandensein von Kindern
gerecht wird. Auch müssten
Kinderbetreuungskosten als
Werbungskosten oder Betriebsausgaben steuerlich absetzbar sein. Zudem sollte das
Existenzminimum der Kinder
steuerfrei belassen werden.
„Dies könnte erreicht werden,
indem anstelle von Kinderfreibeträgen und Kindergeld das
Existenzminimum von Kindern
als Steuerabzug gestaltet wird,
der auch zu einer auszuzahlenden Negativsteuer führen
könnte“, erklärt Wildfeuer. Nötig sei auch eine angemessene
Würdigung von Erziehungsleistungen in der Alterssicherung
– unabhängig von Stichtagsregelungen, die derzeit Mütter
älterer Kinder benachteiligen
– oder ob die Mutter Beamtin
oder Angestellte ist.
seb
> dbb magazin | September 2015
35
spezial
©contrastwerkstatt – Fotolia.com
Das Bundesverfassungsgericht hat am 21. Juli 2015 sein Urteil zum
­Betreuungsgeld verkündet. Das Gericht stellte klar, dass der Bund nicht
die Gesetzgebungskompetenz besaß, das Betreuungsgeld bundesweit
­einzuführen. Das Gesetz wurde für nichtig erklärt.
©stockpics – Fotolia.com
dbb
Sach- und Haftpflichtversicherungen:
Risiken flexibel und zeitgemäß absichern
Das dbb vorsorgewerk bietet über den langjährigen Kooperationspartner DBV Deutsche Beamtenversicherung attraktive Angebote für die
­persönliche Risikoabsicherung und den Schutz
des Eigentums im Rahmen der Produktfamilie
„BOXplus“ an. Diese bisherigen – mehrfach ausgezeichneten – Tarife werden nun durch die
neue Produktwelt „BOXflex“ weiter verbessert.
spezial
38
Der Tarif ist modular aufgebaut. Er bietet einen leistungsfähigen Grundschutz und lässt
sich wunschgerecht um individuelle Bausteine ergänzen –
unter besonderer Berücksichtigung des Bedarfs des öffentlichen Dienstes. Mit den Leistungen zu „Internetschutz“
und „Erneuerbare Energien“
werden ab sofort zwei neue
Bausteine zur zeitgemäßen
­privaten Risikoabsicherung
­angeboten. Der Anspruch von
BOXflex ist es, den Versicherungsschutz wie bisher flexibel
an Kundenanforderungen anzupassen, darüber hinaus aber
ein optimiertes Angebot an
­Zusatzbausteinen sowie zeitgemäßen Deckungssummen
anzubieten. Die Versicherungsbedingungen wurden verbraucherfreundlicher gestaltet. So
haben die Versicherungsnehmer jetzt beispielsweise ein
monatliches Kündigungsrecht
oder güns­tige Selbstbeteiligungstarife. BOXflex besteht
aus den Grundversicherungen
für Hausrat, Wohngebäude,
Glas, Haftpflicht und Tierhalterhaftpflicht. Die wesentlichen Bausteinverbesserungen
sind im Folgenden dargestellt.
Hausratversicherung: Der
schon umfassende Grundschutz (Unterversicherungsverzicht, Einschluss grobe
­Fahrlässigkeit et cetera) kann
erstmalig um den Baustein
­„Internetschutz“ erweitert
werden. ­Dieser umfasst Iden­
titäts­diebstahl, Zahlungsmit-
> dbb magazin | September 2015
teldatenmissbrauch, Konflikte
mit Onlinehändlern, Rufschädigung im Internet und private
Urheberrechtsverstöße.
Außerdem lassen sich ein Versicherungsschutz für unterwegs, eine Risikoabsicherung
gegen Naturgewalten, Hilfeleistungen und Ersatz notwendiger Kosten infolge von Notfallsituationen, eine erhöhte
Absicherung für Wertsachen
und ein umfangreicher Versicherungsschutz für Fahrräder
hinzufügen. Ebenfalls abschließbar ist der PremiumBaustein, der Scheckkartenmissbrauch nach einem
Versicherungsfall, Trickdiebstahl am Versicherungsort und
anderes absichert und erhöhte
Versicherungssummen bei
Diebstahl rund um das versicherte Objekt bietet. Er übernimmt zudem die Kosten für
Datenverlust nach einem Ver­
sicherungsfall.
Wohngebäudeversicherung
für Ein-/Zweifamilienhäuser:
Diese übernimmt unter anderem die Kosten für den altersund behindertengerechten
Wiederaufbau nach einem
Schadenfall sowie für Schäden
durch böswillige Beschädigungen wie Graffiti. Zudem deckt
sie Schäden durch Lawinen,
Schneedruck und naturbe­
dingten Erdrutsch. Mit der Erweiterung des Versicherungsschutzes um das Thema
„Erneuerbare Energien“ können Versicherte zudem bei-
spielsweise ihre Photovoltaikanlage gegen Ertragsausfall
absichern.
Wohngebäudeversicherung
für Mehrfamilienhäuser:
­Bisher über BOXplus nicht
­angeboten, gibt es jetzt mit
„BOXflex für Mehrfamilien­
häuser“ ein neues und umfassendes Produktangebot für
­Eigentümer sowie Vermieter
von Mehrfamilienhäusern. Die
speziellen Bedürfnisse werden
ergänzend mit den Sparten
Glas-, Haus- und Grundbesitzerhaftpflicht-, Gewässerschadenhaftpflicht- sowie Bauherrenhaftpflichtversicherung
abgedeckt.
Privathaftpflichtversicherung:
Sie beinhaltet eine Versicherungssumme von bis zu zehn
Millionen Euro für Personen-,
Sach- und Vermögensschäden
sowie eine Mitversicherung
von Mietsachschäden bei weltweitem Schutz. Zudem sind
auch Schäden, die aus ehrenamtlichen Tätigkeiten resul­
tieren, und Schäden durch Beschädigung, Zerstörung oder
Abhandenkommen von gemieteten, geliehenen, gepachteten
oder gefälligkeitshalber über­
las­senen fremden Sachen bis
10 000 Euro versichert. Versicherungsnehmer können die
Ver­sicherungssumme auf
50 Mil­lionen Euro für Sachund Vermögensschäden erhöhen, Schadenersatzansprüche
bei vermieteten Wohnobjekten s­ owie eine Jagd- oder
Sportboot-Haftpflichtver­
sicherung einschließen.
Diensthaftpflichtversicherung:
Beamte und Tarifbeschäftigte
können bei grober Fahrlässigkeit gleichermaßen haftbar gemacht werden für Schäden, die
sie dem Dienstherrn oder einem
Dritten zugefügt haben, oder
für Schäden, die der Dienstherr
einem geschädigten Dritten
­ eglichen hat (Regressnahme).
b
Der Baustein deckt Personenoder Sachschäden bis zehn Millionen Euro. Enthalten sind (verschiedene Deckungssummen)
Schäden durch Umgang mit
Waffen, Geräten und Fahrzeugen, fiskalische Schäden sowie
Verlust von Ausrüstung.
Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung: Bei direkter oder zu verantwortender
dienstlicher Verfügungsgewalt
über Geld oder geldwerte Vorgänge empfiehlt sich eine entsprechende Absicherung. Der
Baustein bietet eine Deckungssumme bis 500 000 Euro, umfasst Kassenfehlbestände bis
2 000 Euro (!) und rückwirkenden Versicherungsschutz bis
zu zwei Jahre.
Weitere Vorteile: dbb Mitglieder und ihre Angehörigen profitieren bei einem Abschluss
über das dbb vorsorgewerk von
drei Prozent Nachlass auf den
Beitrag. Die Tarife sind auch
online abschließbar. Sollen
zwei und mehr Verträge ab­
geschlossen werden, erhalten
dbb Mitglieder zusätzliche
Preisvorteile durch Bündelrabatt: bei zwei Verträgen fünf,
bei drei Verträgen zehn und
bei vier Verträgen 15 Prozent
Rabatt. Sprechen Sie zu den
Bündelrabatten vor Abschluss
die Kolleginnen und Kollegen
der Kundenbetreuung oder ihren DBV-Berater vor Ort an.
sz
<< Info
Sie haben Fragen? Die
­Kundenbetreuung des dbb
vorsorgewerk ist gerne für
Sie da: Montag bis Freitag
von 8 bis 18 Uhr unter
030.4081 6444. Gerne
wird Ihnen auch ein
Berater vor Ort vermittelt.
Mehr Informationen:
www.dbb-vorsorgewerk.de.
dbb
Glosse:
neswegs Schikane oder
gar schlechte Organisation,
sondern Dienst am Kunden,
denn was es mühelos und auf
der Stelle gibt, kann weder gut
noch gar dem König Kunden
angemessen sein. Und gottlob,
die weisen Erkenntnisse des
Frisörhandwerks haben sich
inzwischen in allen Lebensbereichen durchgesetzt. Wir warten – mit Nummer versteht
sich – an der Fleischtheke
ebenso wie beim Arzt, beim
Bulettenbräter ebenso wie
beim Möbeldiscounter.
Endlich haben auch Städte und
Gemeinden nachgezogen und
die positiven Wirkungen des
Wartens auf das psychische
Wohlbefinden ihrer Bürger
entdeckt. Wer aufs Amt geht,
meldet
weder sein
Auto um noch die
Wohnung an, sondern ist
dankbar für Termin und Nummer, die, in Berlin zum Beispiel,
durchaus erst in acht Wochen
aktuell werden können; das
mehrstündige Warten am Tag
X selbst noch gar nicht eingerechnet. Behördenlaien sehen
die tieferen Zusammenhänge
dieser Strategie leider nicht.
Statt die Wartezeiten als tiefe
Ehrfurcht vor dem König Bürger zu loben, ist in den Gazetten die Rede von Kundenfeindlichkeit und Arbeitserledigung
in Zeitlupe. Dass immer weniger gestresste Beschäftigte
­immer mehr Fälle bearbeiten
müssen, fällt
unter den
Tisch. Nach den
Ursachen wird nicht
gefragt. Übrigens: Jahrelang haben die selben Gazetten den Personalabbau in den
Ämtern ­gelobt, den sparsame
(Lokal-)Politiker auf ihre Fahnen geschrieben hatten, um
die träge Verwaltung auf Trab
zu bringen. Könnte da vielleicht ein Zusammenhang
­bestehen? sm
39
finale
In meiner Jugendzeit bin ich
zwar nicht oft, aber doch gelegentlich zum Frisör gegangen:
Kurz warten, Platz nehmen,
Einheitsschnitt, fertig. Heute
ist das ganz anders: Nass oder
trocken? Schere oder Maschine? Mit oder ohne Kopfhautmassage? Was auch immer.
Aber bevor es soweit ist, muss
ich einen Termin machen, denn
ohne Nummer geht heutzutage gar nichts. Doch auch mit
Nummer und Termin heißt es,
Geduld zu haben und ergeben
auszuharren. Wer für 10 Uhr
bestellt ist, kommt frühestens
um 11 Uhr dran. Gleich später
zu erscheinen, nutzt selbstredend gar nichts, denn dann ist
Mann – Frau auch – längst aus
der virtuellen Warteschleife
gekegelt worden. Das ist kei-
©denis_pc – Fotolia.com
Nur mit Nummer
> dbb magazin | September 2015
dbb
Digitaler Personalausweis:
Ungenutztes Potenzial
„Immer mehr Unternehmen
und Behörden bieten die Nutzung der Onlineausweisfunk­
tion an. Dadurch sind Ihre persönlichen Daten bei Ihren
Geschäften und ,Behördengängen‘ im Internet gut geschützt,
und Ihre Anliegen können
schneller bearbeitet werden.
Wartezeiten entfallen, und Sie
sparen Papier und Porto“, heißt
es in der Informationsbroschüre
zum neuen Personalausweis. In
der Praxis sieht die Sache ganz
anders aus, denn die Verbreitung der digitalen Ausweisfunktionen lässt stark zu wün-
> dbb magazin | September 2015
schen übrig. Das enttäuscht
auch Bundesinnen­minister
­Thomas de Maizière, wie er auf
dem Zukunftskongress 2015
am 23. Juni in Berlin zugab:
„Wir haben gedacht: Jetzt haben wir einen elektronischen
Personalausweis, dann geht die
Post ab. Wir haben d
­ eMail, und
dann wird es Anwender nur so
regnen. Wir ­haben gesehen:
Beides sind ganz gute Instrumente und auch international
gelobt, aber die Anwendungen
sind nicht so, wie wir uns das
vorstellen“, sagte de Maizière.
<<
Digitale Kfz-Abmeldung
Aufgeben möchte der Innen­
minister trotzdem nicht und
bringt neue Einsatzmöglichkeiten an den Start: Seit 1. Januar
2015 werden Nummernschilder für Kraftfahrzeuge mit
­speziellen Plaketten versehen.
Mithilfe eines verdeckten Sicherheitscodes auf den Plaketten und in den Zulassungsbescheinigungen können die
Besitzer ihre Fahrzeuge, die seit
dem 1. Januar 2015 angemeldet wurden, über das Internet
mithilfe der eID-Funktion des
Personalausweises abmelden.
Das neue Verfahren wurde vom
Bundesministerium für Verkehr
und digitale Infrastruktur
Bundesdruckerei
finale
40
Dabei bringt der neue Personalausweis alles mit, was zur
digitalen Verifikation des Inhabers notwendig ist: Neben erhöhten Sicherheitsmerkmalen,
die Fälschungssicherheit auf
höchstem Niveau gewährleisten, sind im Chip des neuen
Personalausweises nicht nur
Adress- und Wohnortdaten der
Inhaberin oder des Inhabers
gespeichert, sondern auch ein
biometrisches Lichtbild und
auf Wunsch sogar die Fingerabdrücke. Theoretisch ist es
­damit möglich, jeden Behördengang von der Wohnortummeldung bis zur Baugenehmigung bequem von zu Hause
aus abzuwickeln – theoretisch.
©photopitu – Fotolia.com
Seit November 2010 gibt es den neuen Personalausweis im Scheck­
kartenformat bereits. Neben seinen handlichen Abmessungen sollte
das Dokument eigentlich auch mit der eID-Funktion überzeugen und
als digitaler Personalausweis für die rechtssichere Authentifizierung
­gegenüber Ämtern, Behörden und Firmen dienen. Nur benutzen will
die Features kaum jemand – was möglicherweise daran liegt, dass es
kaum Nutzungsmöglichkeiten gibt.
(BMVI) in enger Zusammen­
arbeit mit dem Bundesminis­
terium des Innern erarbeitet.
„Bislang mussten Kfz durch
Vorlage des Personalausweises
auf dem Amt abgemeldet werden. Ein kompliziertes und vor
allem zeitraubendes Verfahren.
Mit der eID-Funktion ist dieses
Verfahren wesentlich einfacher
geworden. Die verschlüsselte
Übertragung der Daten mithilfe der Onlineausweisfunktion
ermöglicht die sichere und einfache Identifizierung des Fahrzeughalters. Das ist ein gutes
Beispiel für den Nutzen, den
der Ausweis für die Bürgerinnen und Bürger auch im Internet haben kann“, so Bundesinnenminister de Maizière zur
Einführung des neuen Service.
Bundesverkehrsminister Alexander ­Dobrindt betonte: „Die
Onlineabmeldung ist der erste
Schritt einer internetbasierten
Fahrzeugzulassung. Mit dem
Onlineverfahren sparen Bürger
und Zulassungsbehörden Geld
und Zeit. Das gesamte Zulassungssystem wird effektiver
und kostengünstiger.“
Ob das die Bereitschaft der
­Bevölkerung steigern wird,
die digitale Ausweisfunktion
freizuschalten – das ist bei Erstausstellung eines neuen Personalausweises kostenlos – bleibt
abzuwarten, denn das Nutzungsverhalten der Bürgerinnen und Bürger spricht Bände:
Eine Umfrage der „Welt“ hat im
Juni 2015 ergeben, dass bisher
dbb
<<
Wenig Lizenzen
vergeben
Onlineeinkäufe in aller Regel
gar nicht notwendig ist: Die
Identität des Nutzers wird
über die Bankverbindung, die
Kreditkarte oder ein Online­
bezahlsystem geprüft. Das
­genügt für die Rechnungs­
stellung. Und für die wenigen
Angebote im Netz, die eine
Überprüfung der Volljährigkeit
erfordern, hat sich zum Beispiel
das Post-Ident-Verfahren, bei
dem der Nutzer seinen Ausweis
Sicherheit und Tastenfeld können bis zu 120 Euro kosten und
sollten natürlich vom Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziert sein. Viel Aufwand für
wenig Nutzen.
Es scheint zudem, als hätte die
normative Kraft des Faktischen
die eigentlich gute Idee des
­digitalen Personalausweises
überholt: Es gibt bisher keine
Was fehlt, ist also der konkrete
Nutzen. Während jeder Smartphone-Nutzer weiß, was er
zum Beispiel mit „WhatsApp“
machen kann, wissen es die
meisten von ihrem neuen Personalausweis nicht. Dabei würde gerade die Generation der
„Digital Natives“ gern viel
mehr einfache Verwaltungs­
akte online erledigen, hat aber
bis heute kaum die Möglichkeit
dazu, weil die Angebote von
Land zu Land und von Kommune zu Kommune quantitativ
und qualitativ viel zu unterschiedlich sind und das Ende
vom Lied meist immer noch
das persönliche Erscheinen auf
dem Amt ist. Solange es also
kaum konkrete Nutzungsmöglichkeiten gibt, wird der digitale Personalausweis lediglich
ein analoges Ausweisdokument bleiben. Außerdem absolviert jeder Bundesbürger
statistisch gesehen gerade mal
1,3 Behördengänge pro Jahr:
Zu wenig, um mit dem Pfund
digitaler Ausweisvorgänge wuchern zu können.
Auch die Wirtschaft ziert sich,
die Möglichkeiten der eID zu
nutzen. Einerseits, um mögliche Hürden für potenzielle
Kunden so niedrig wie möglich zu halten. Andererseits,
weil der Personalausweis für
©librakv – Fotolia.com
Darüber hinaus haben der Umfrage zufolge bisher nur 55
kommerzielle und 109 behördliche Anbieter beim Bundesverwaltungsamt das Zertifikat
erworben, das sie zu einem
­digitalen Identitätscheck per
Personalausweis berechtigt.
auf der Post beglaubigen lässt,
als praktikabel erwiesen. Es
gibt also auch für Firmen bisher
keinen Grund, den digitalen
Personalausweis zu unterstützen, zumal der Erwerb der benötigten Zertifikate teuer ist.
<<
Kartenleser erforderlich
Für Bürgerinnen und Bürger hat
der Gesetzgeber vor die erfolgreiche Nutzung des digitalen
Personalausweises eine weitere
Hürde gesetzt: Neben dem aktivierten Chip, für den man sich
natürlich wieder eine PIN (Persönliche Identifikationsnummer) merken muss, braucht es
ein Kartenlesegerät, das an den
heimischen PC angeschlossen
wird. Ganz einfache Geräte gibt
es für 20 Euro, Leser mit hoher
Anbindung der eID an mobile
Endgeräte wie Smartphones.
Gerade mit diesem Medium
werden aber heute immer
mehr geschäftliche Vorgänge
vom Banking bis zur elektronischen Bordkarte abgewickelt.
Neben dem altbekannten
„Henne-Ei-Problem“ – Nutzer
klagen über fehlende Einsatzmöglichkeiten, während Anbieter sich hinter einer zu geringen Nachfrage verstecken
– dürfte die föderale Struktur
der Bundesrepublik dazu beitragen, dass der digitale Personalausweis zur Totgeburt verdammt ist: Von Land zu Land
und von Kommune zu Kommune sind zum Teil nicht einmal
die IT-Systeme der Verwaltungen kompatibel zueinander.
Entsprechend unübersichtlich
sind Art und Umfang der digitalen Angebote für Ausweisnutzer. Sie reichen von gar keinen in so mancher kleinen
Kommune bis hin zu umfangreicheren Möglichkeiten, wie
sie etwa Ingolstadt in Bayern
oder Hamm in Westfalen anbieten. Das Bürgerserviceportal der Stadt Ingolstadt wurde
zum Beispiel 2012 mit dem
Bayerischen eGovernmentPreis ausgezeichnet.
Im digitalen Personalausweis
liegt trotzdem viel Potenzial.
Um es nutzbar zu machen, bedarf es nicht nur einer breit angelegten Informationskampagne, sondern auch weiterer
politischer Taten: Zum Beispiel
könnte die Freiwilligkeit der
Freischaltung der eID hinterfragt werden, auf die die Bundesregierung mit Blick auf die
„Datensensibilität“ der Deutschen gebaut hat. Zu viele
Wahlmöglichkeiten schränken
am Ende die Nutzbarkeit ein.
Vielleicht wäre es klug, die eID
nicht an den Ausweis zu binden, sondern sie ins Smart­
phone zu integrieren. Baltische
Staaten wie Estland zeigen hier
seit Jahren, wie so etwas erfolgreich umgesetzt wird. Dort
können Bürger rechtlich wirksam digital unterschreiben, rezeptpflichtige Medikamente
online bestellen, ihre Krankenakte verwalten, Grundstücke
überschreiben, online wählen
mit dem Handy bezahlen oder
eine weitgehend automatisierte Steuererklärung abgeben.
Eine Grundvoraussetzung dafür sind allerdings einheitliche
digitale Infrastrukturen auf
staatlicher Seite, die auch über
deutsche Ländergrenzen hinweg funktionieren müssten.
Wird der digitale Personalausweis am Ende doch noch zur
Erfolgsstory, weil er dazu beiträgt, föderale Strukturen zu
überwinden? Die sind nämlich
nicht zuletzt auch den Gewerkschaften ein Dorn im Auge,
weil sie in Dienstrecht, Besoldung und Vergütung zu in­
akzeptablen Ungleichheiten
geführt haben.br
> dbb magazin | September 2015
41
finale
nur jeder Dritte einen Ausweis
mit Onlinefunktion besitzt. Nur
rund 15 Prozent davon haben
ihn in den vergangenen zwölf
Monaten im Internet eingesetzt. Laut Bundesinnenministerium besitzen 36 Millionen
Menschen in Deutschland den
neuen Ausweis. Den Chip freigeschaltet haben bundesweit
30 Prozent davon.
dbb
<< BBW
<< dbb saar
Asylverfahren beschleunigen – Pensionäre in den
Dienst holen
Gesundheitsmanagement
an Schulen
Der BBW – Beamtenbund Tarifunion Baden-Württemberg
(BBW) steht Überlegungen der
Landesregierung offen gegenüber, pensionierte Landesbeamte in den Dienst zurückzuholen, um das Personal in den
Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) zu unterstützen.
finale
42
> Volker Stich, Vorsitzender des
BBW – Beamtenbund ­Tarifunion
BBW-Chef Volker Stich zeigte
sich am 12. August 2015 überzeugt, dass es eine Reihe von
Ruhestandsbeamten gibt, die
eine solche Aufgabe gern
­übernehmen würden. Laut
­Vorstellungen der grün-roten
Landesregierung könnten beispielsweise pensionierte Leh­
rer, Polizeibeamte oder Ärzte in
den Landeserstaufnahmeeinrichtungen tätig werden. Anlass für diese Überlegungen
sind die steigenden Flüchtlingszahlen. Die Landesregierung
sucht nach neuen Möglichkeiten, Asylverfahren zu beschleunigen und kam zu dem Schluss,
dass Beamte der Bundesagentur für Arbeit bei der Bearbeitung von Asylanträgen helfen
könnten. Schließlich hatte die
Agentur für Arbeit im Frühjahr
angekündigt, aufgrund der sinkenden Arbeitslosigkeit in
Deutschland bis 2019 rund
17 000 Stellen abzubauen. Vor
diesem Hintergrund hat die
Landesregierung in einem Brief
an das Kanzleramt vorgeschlagen, eine Abordnung von Mitarbeitern an das Bundesamt
für Migration und Flüchtlinge
(BAMF) zu prüfen. > dbb magazin | September 2015
Der dbb saar und seine Lehrerverbände unterstützen die
Einführung eines Gesundheitsmanagements an Schulen. Im Rahmen der Gespräche
„Zukunftssichere Landesverwaltung“ haben sich Landesregierung und Gewerkschaften auf die Umsetzung eines
„Betrieblichen Gesundheitsmanagements“ für die gesamte Landesverwaltung und die
Schulen verständigt. Dies war
eine Grundforderung des dbb
Landesbundes, da es bisher im
Lehrerbereich noch keine derartigen Regelungen gab. In
­einem ersten Schritt sollen
mit den Hauptpersonalräten
Dienstvereinbarungen für
­„Betriebliches Eingliederungsmanagement und Suchtprävention“ abgeschlossen werden. Diese Maßnahmen sollen von einem Ausbau der
­Angebote in der Aus-, Fort­sowie Weiterbildung und
der Stärkung der Beratung
der Lehrkräfte begleitet
­werden.
verbände zusätzliche Maßnahmen für erforderlich, um die
stetig zunehmende Arbeits­
belastung der Lehrkräfte zurückzufahren.
<< DSTG
Datenpanne trifft auch das
Finanzamtspersonal
Infolge einer zentralen Datenpanne kam es bei rund 40 000
Arbeitnehmern zu einem zu
hohen Lohnsteuerabzug. Dies
kritisierte der Bund der Steuerzahler als Panne „in einer Reihe
von Flops“ der Finanzverwaltung. Der DSTG-Bundesvorsitzende und dbb Vize Thomas
Eigenthaler verwahrte sich gegen diese Pauschalkritik: „Die
Beschäftigten bekommen den
ganzen Ärger ab, obwohl sie
dafür nichts können.“
> Thomas Eigenthaler,
Bundesvorsitzender der DSTG
Der Auslöser liege offenbar an
einen technischen Fehler in
der beim Bundeszentralamt
für Steuern geführten
ELStAM-­Datenbank. Es sei zu
einer „Überschreibung“ des
Familienstandes gekommen,
sodass Personen, die verheiratet sind, plötzlich als „ledig“
geführt wurden. Die Folge war
der Ansatz einer falschen
Steuerklasse. Dies wiederum
führte dazu, dass die Arbeitgeber – folgerichtig – die Lohnabrechnungen der Betroffenen rückwirkend bis Januar
2015 korrigierten und Lohnsteuer nacherhoben. Diese
technische Panne sei auch für
das Personal in den Finanzämtern sehr ärgerlich, weil die
automatische Änderung der
Steuerklasse verdeckt und im
technischen Hintergrund erfolgte. Für die technische Umgebung des Programms trägt
das Finanzamtspersonal jedoch keine Verantwortung
und konnte den Fehler auch
nicht erkennen. Erkennbar
wird er erst, wenn der Betroffene sich an sein zuständiges
Wohnsitzfinanzamt wendet.
Die Panne könne mit gutem
Willen der Arbeitgeber beseitigt werden, sodass niemand
lange auf sein vorenthaltenes
Geld warten müsse. Zuvor
müssten sich die betroffenen
Arbeitnehmer jedoch an ihr
zuständiges Finanzamt wenden, um sich die richtige Steuerklasse bestätigen zu lassen.
Dies sollte ohne Vorwurf gegen das Personal geschehen,
das nichts mit der Technikpanne zu tun habe. Im Gegenteil:
Den Mitarbeitern entstehe erhebliche Mehrarbeit in einer
Zeit, wo die Personaldecke immer dünner werde.
> Ewald Linn,
Vorsitzender des dbb saar
„Ein gut funktionierendes
­‚Betriebliches Gesundheits­
management‘ wird sich langfristig sowohl für den Dienstherrn als auch für die Beschäftigten auszahlen“, zeigte sich
dbb Landeschef Ewald Linn am
12. August 2015 überzeugt.
Trotz Umsetzung der Schuldenbremse müsse die Lan­
desregierung in eine nach­
haltige Gesundheitsförderung
Geld investieren. Im Schulbereich halten dbb und Lehrer-
<< dbb hamburg
>>Der dbb hamburg würde eine Bewerbung der Hansestadt um die
Olympischen Spiele 2024 unter bestimmten Bedingungen begrüßen. So müsse das finanzielle Risiko vor der Volksabstimmung im
November offengelegt und dürfe nicht „schöngerechnet“ werden. Beim Bau der Sportstätten müssten nationale und internationale Normen wie der gesetzliche Mindestlohn eingehalten werden. „Nichts dürfte schlimmere Auswirkungen für das Ansehen
der Hanseaten haben als menschenunwürdige oder gar menschenverachtende Arbeitsbedingungen und -löhne“, erklärte der
dbb hamburg. Nach den Spielen müssten die Sportstätten und
frei werdende Flächen allen Hamburgern zur Verfügung gestellt
werden und nicht zuletzt müsse der öffentliche Dienst für die
Spiele gestärkt werden.
dbb
<< VBOB
<< GDL
Stellenzuwachs beim BAMF
begrüßt
Verfassungsbeschwerde
­gegen Gesetz zur Zwangs­
tarifeinheit
Der Verband der Beschäftigten der obersten und oberen
Bundesbehörden (VBOB) hat
den geplanten Stellenzuwachs
beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)
­begrüßt. Der Zeitplan zum
Personalaufbau sei „realistisch“, sagte VBOB-Vorsitzender Hartwig Schmitt-Königsberg der „Südwest Presse“
(Ausgabe vom 13. August
2015).
finale
44
> Hartwig Schmitt-Königsberg,
Bundesvorsitzender des VBOB
Die Politik hatte lange gezögert, bevor sie mehr Personal
für das BAMF bewilligt hat.
Nach 650 Neueinstellungen
seit 2014 wurden im Nachtragshaushalt nochmals 1 000
neue Stellen für das BAMF
ausgeschrieben. Im Bundesamt stauen sich derzeit nach
Angaben der Zeitung 250 000
unbearbeitete Verfahren.
Das BAMF sieht Schmitt-­
Königsberg in einer „Extrem­
situation“, die Mitarbeiter
­seien aber „hoch motiviert“.
Davon habe er sich kürzlich
bei einer Personalversammlung überzeugen können.
­Weitere Erleichterungen für
die Beschäftigten erhofft sich
Schmitt-Königsberg von einer
Ausweitung der Liste sicherer
Herkunftsstaaten um weitere
Balkanländer, wie es aktuell
in der Politik diskutiert wird,
berichtet die Zeitung. Steige
die Zahl der Asylbewerber dagegen weiter an, müsse nachjustiert werden. „Dann reicht
es nicht“, so Schmitt-Königsberg.
> dbb magazin | September 2015
Die Gewerkschaft Deutscher
Lokomotivführer (GDL) hat
Verfassungsbeschwerde gegen das umstrittene Tarifeinheitsgesetz (TEG) eingereicht.
„Koalitionsfreiheit sieht anders aus“, erklärte die GDL
dazu am 5. August 2015. Das
TEG sei „nie und nimmer mit
dem Grundgesetz vereinbar“.
Deshalb habe die Gewerkschaft eine rund 180-seitige
Klage beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe eingereicht. „Wenn nur noch die
größere Gewerkschaft im Betrieb Tarifverträge schließen
darf, dann ist die kleinere −
und wenn sie noch so stark organisiert ist − zum kollektiven
Betteln verdammt“, heißt es
in der Mit­teilung. „Die Arbeitgeber ­wollen handzahme Gewerkschaften, und die Großgewerkschaften wollten sich
nicht ­länger die Butter vom
Brot nehmen lassen.
> Claus Weselsky,
Bundesvorsitzender der GDL
In dieser ungewöhnlichen
Zweisamkeit haben sie die Große Koalition hofiert, die ohnehin auf der Suche nach einer
Gegenleistung zum Mindestlohngesetz war. Statt schräge
Koppelgeschäfte zu machen,
hätte die Große Koalition besser auf ihre eigenen Rechts­
experten gehört.“ Namhafte
Verfassungsrechtler und selbst
der Wissenschaftliche Dienst
des Deutschen Bundestages
hatten das Gesetz als unzulässigen Eingriff in das Grundgesetz bezeichnet.
< Nachruf
Rüdiger von Woikowsky, Pressesprecher des dbb von 1993 bis
2005, ist am 25. Juli 2015 plötzlich und unerwartet im Alter von
70 Jahren verstorben. Der gelernte Journalist war vor seinem
Wechsel 18 Jahre lang in verschiedenen Funktionen für die
„Welt“ tätig, unter anderem als
stellvertretender Ressortleiter
Innenpolitik und Chef vom
Dienst. Rüdiger von Woikowsky
hat die Öffentlichkeitsarbeit des
dbb durch sein journalistisches
Engagement entscheidend geprägt und mitgestaltet. Vieles von dem, was heute in der Pressearbeit des gewerkschaftlichen Dachverbandes als selbstverständlich
erscheint, geht auf seine Ideen und auf sein Gespür für den Nachrichtenwert gewerkschaftspolitischer Themen zurück. Der dbb
wird Rüdiger von Woikowsky ein ehrendes Andenken bewahren.
<< BPolG
Bundespolizei hilflos gegen
Flüchtlingsströme
Mit Blick auf den Besuch von
Bundesinnenminister Thomas
de Maizière, der sich am 11.
August 2015 an der deutschösterreichischen Grenze ein
Bild von den Herausforderungen angesichts wachsender
Flüchtlingsströme machen
wollte, hat die DPolG Bundespolizeigewerkschaft erneut auf
die Unterbesetzung und die
katastrophalen Arbeitsbedingungen bei der Bundespolizei
in Passau und Rosenheim hingewiesen. Bundesvorsitzender
Ernst G. Walter bekräftigte die
Forderung nach einer kurzfristig erforderlichen Verstärkung
durch neu einzustellende Bundespolizeiliche Unterstützungskräfte (BUK). „Die durch
den Minister angekündigten
zusätzlichen Bundespolizisten
brauchen drei Jahre, bis sie
ausgebildet und einsetzbar
sind. Das hilft uns hier und
heute aber nicht weiter. Uns
fehlt schlicht das Personal, um
mit dem Ausnahmezustand an
der Grenze administrativ fertig
zu werden“, so Walter. „Die
jetzt angeordnete Abordnung
von weiteren 500 Bundespoli-
zisten aus ganz Deutschland
kann nicht die Lösung des Problems sein, denn diese Kollegen reißen weitere Lücken in
ihren Heimatdienststellen, die
selbst nicht mehr wissen, wie
sie ihre Aufgaben noch bewältigen sollen.“
> Ernst G. Walter, Bundesvor­
sitzender der Bundespolizei­
gewerkschaft BPolG in der DPolG So sei auf Flughafendienststellen „die Hölle los“, Kollegen auf
den Bahnhöfen hätten fast keine freien Wochenenden mehr,
in den norddeutschen Häfen
binde die Kreuzfahrtsaison die
Masse der Kollegen und der
Migrationsdruck wachse auch
an den anderen Binnengrenzen. „Hinzu kommt, dass ab
­sofort auch wieder jedes Wochenende zusätzlich bis zu
3 000 Einsatzkräfte der Bundespolizei in Fußballeinsätze
geschickt werden. Das geht
nicht mehr lange gut“, warnte
Walter.
dbb
<< dbb rheinland-pfalz
Karriereportal jetzt online
Das Karriereportal RheinlandPfalz geht an den Start. Es ermöglicht dem Nachwuchs für
den öffentlichen Landesdienst
online das „Informieren und
Bewerben mit System“.
„Das ist auch nötig, denn gut
qualifizierter Nachwuchs ist angesichts der demografischen
Entwicklung besonders wichtig
für die Sicherung eines leistungsfähigen, zukunftsfesten
öffentlichen Dienstes“, so Lilli
Lenz.
„Jeder Betroffene zahlt zusätzlich einen Eigenanteil in Höhe
von 0,2 Prozent bei jeder Besoldungserhöhung in den Fonds
ein – es geht also auch um das
eigene Portemonnaie.“
<< dbb m-v
„Maulkorberlass“
­aufgehoben
Mehr Transparenz bei
­Pensionsfonds erforderlich
> Lilli Lenz, Vorsitzende des
dbb rheinland-pfalz
finale
46
„Schön, dass es trotz eingeschränkten Budgets geklappt
hat“, sagte die dbb Landes­
vorsitzende Lilli Lenz zur Freischaltung des Portals, das die
Gewerkschaft 2010 zur Verbesserung der Nachwuchsgewinnung im öffent­lichen Dienst
vorgeschlagen hatte. Die rund
100 unter­schied­lichen Berufsbilder im Dienst des Landes
Rheinland-Pfalz werden übersichtlich vorgestellt. Eine Stellenbörse mit offenen Ausschreibungen aus den verschiedenen
Verwaltungssparten ­ermöglicht
direkte ­Onlinebewerbungen.
Ergänzt wird das Angebot durch
zahlreiche Informationen über
die dienstlichen Rahmenbedingungen. Praktikums- und Hospitationsmöglichkeiten werden
dargestellt. Die Nutzer finden
im Netz unter www.karriere.
rlp.de Bewerbungstipps und informative Links – alles in zeitgemäßer, auch für die Nutzung
mit Smartphone geeigneter
elektronischer Darstellung.
„Das Karriereportal fasst die
bisher verstreut im Internet
nutzbaren Stellenbörsen des
öffentlichen Landesdienstes zusammen. Es wird ein einheitlicher, benutzerfreundlicher Zugang etabliert“, sagte Lenz. Der
Eintritt in die Welt des öffentlichen Dienstes werde für junge
Leute wesentlich vereinfacht.
> dbb magazin | September 2015
Der dbb mecklenburg-vorpommern hat aufgrund der aktuellen Diskussion um Aktienanlagen des Versorgungsfonds für
die Beamten des Landes seine
Kritik an der Streichung des
Beirates – als Aufsichtsgremium – erneuert.
> Dietmar Knecht,
Vorsitzender des dbb
mecklenburg-vorpommern
„Dieser Beirat, der ehrenamtlich, also kostenlos, die Anlagen des Fonds in regelmäßigen
Abständen überprüfen sollte,
ist leider seinerzeit der Deregulierung zum Opfer gefallen“,
stellte dbb Landesvorsitzender
Dietmar Knecht am 16. Juli
2015 fest. Anderenfalls wäre
es, so Knecht weiter, zu den
jetzt erhobenen Vorwürfen, es
sei in „dreckige Wertpapiere“
investiert worden, „sicher gar
nicht erst gekommen“. Laut
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Landtag sollen Teile des momentan 155
Millionen Euro umfassenden
Versorgungsfonds in Geldanlagen von Konzernen mit zweifelhaftem Ruf investiert worden sein. „Hier ist dringend
mehr Transparenz erforderlich“, sagte Knecht. Unter der
Beamtenschaft herrsche zu
Recht Unruhe, da in den Fonds
nicht nur Landesmittel fließen.
könne. Erfreut zeigte sich auch
der Bund Deutscher Forstleute
(BDF). Mit der Rücknahme sei
das Ministerium dem Rechtsgutachten des dbb gefolgt und
habe eine wichtige Forderung
des BDF erfüllt.
<< dbb brandenburg
Der dbb brandenburg hat begrüßt, dass das Landesministerium für Ländliche Entwicklung,
Umwelt und Landwirtschaft
das als „Maulkorberlass“ bezeichnete Schreiben zurückgenommen hat. Der Landesvorsitzende des dbb brandenburg,
Ralf Roggenbuck, erklärte am
15. Juli 2015: „Ich freue mich,
dass die Hausleitung des Ministeriums so schnell nach unserem gemeinsamen Gespräch
mit den betroffenen Vertretern
des Bundes Deutscher Forstleute reagiert hat.“ Er gehe davon
aus, dass Minister Jörg Vogelsänger durch diese „schnelle
und konsequente Entscheidung“ verloren gegangenes
Vertrauen zurückgewinnen
> Ralf Roggenbuck, Vorsitzender
des dbb brandenburg
In der als „Maulkorberlass“
­bezeichneten Verfügung hatte das Ministerium gefordert,
dass Beschäftigte des Landesbetriebes Forst auch in ihrer
Freizeit und im Ehrenamt stets
die Meinung des Ministeriums
vertreten müssten. Das Gutachten des dbb ­bescheinigte
dem Erlass das Fehlen der
Rechts- und Verhältnismäßigkeit und in mehreren Punkten
einen Verstoß gegen das
Grundgesetz.
<< Kurz notiert
DPhV
Der Deutsche Philologenverband (DPhV) hat die Kultusminister zu
größeren Anstrengungen aufgefordert, um das Abitur unter den
Ländern vergleichbar zu machen. Die bisherigen Beschlüsse seien
ohne Bedeutung und „der klassische Fall eines Papiertigers“, sagte
der DPhV-Vorsitzende Heinz Peter Meidinger der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Ausgabe vom 18. Juli 2015). So feierten es die Kultusminister als großen Erfolg, dass es ab 2017 einen gemeinsamen
Aufgabenpool für Abiturienten geben solle. Sie verschwiegen aber,
dass die Umsetzung jedem Bundesland selbst überlassen bleibe.
tbb
In der Debatte um die Thüringer Gebietsreform hatten Experten
2012 acht statt 17 Kreise und zwei statt sechs kreisfreie Städte
vorgeschlagen. Dieser Vorschlag wurde nun von Ministerpräsident
Bodo Ramelow aufgegriffen. Der tbb beamtenbund und tarifunion
thüringen mahnte in diesem Zusammenhang eine klare Aufgabenanalyse im Vorfeld an, die frei von parteipolitischer Ideologie
durchgeführt werden müsse. Dabei dürften Zahlen zwar die Diskussion anregen, jedoch klare Aussagen, wer welche regionalen
Aufgaben wahrnehmen solle, seien zweckdienlicher, damit die
Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Freistaates Thüringen sichergestellt bleibe. Die Landesregierung hat vereinbart, das
sogenannte Leitbild nach der Sommerpause am 22. September
2015 im Kabinett zu behandeln.
dbb
<<
Ein schneller Falter ...
©Kzenon – Fotolia.com
... muss nicht immer ein
Schmetterling sein, wie eine
Weltmeisterschaftsveranstal-
tung im rheinland-pfälzischen
Irsch an der Saar erwiesen hat.
Dort trafen sich Mitte Juni über
20 Kandidaten aus Deutschland, Italien, Irak, ­Luxemburg,
Österreich, Ungarn und den
USA, um im Pizzakartonfalten
den goldenen Lorbeer zu erringen. Der 27-jährige Pizzabäcker
Petr Bauer aus Deutschland
holte den Titel, in dem er in
60 Sekunden sage und schreibe
13 Boxen in Form stülpte. Der
neue Weltmeister löst Dominic
Labarbe ab, der den Titel 2013
mit elf Kartons errang. Die junge Sportdisziplin erfordere Fingerspitzengefühl, Geschicklichkeit und vor allem ruhige
Nerven.
<<
­ llerdings nicht heißen; wie
a
wäre es mit „Fensterlnkraxler/
-innen-Turnier“?
<<
Ein hohes Ziel ...
... hatten sich rund 340 Feuerwehrleute aus Belgien,
Deutschland, Frankreich und
Luxemburg beim diesjährigen
Firefighter SkyRun gesetzt, der
am 20. Juni im Düsseldorfer
ADAC-Tower ausgetragen wurde. In voller Montur einschließlich Helm, Handschuhen und
stellte den Vorjahresrekord, der
bei knapp über vier Minuten
gelegen hatte, mit 3.54 Minuten ein. Gut zu wissen: Die
­Fitness unter Einsatzbedin­
gungen konnte sich bei allen
Teilnehmern sehen lassen. Der
Run ist ein Programmpunkt
beim Toughest-Firefighter-­
Alive-Wettbewerb (TFA).
<<
Ein schneller Flitzer ...
... ging der Polizei in Jena ins
Netz. Weil ein Verkehrsteil­
47
finale
Eine röhrende Horex ...
... war es nicht, die eine Polizeistreife in der Eifel zwischen
Brück und Nideggen stoppte.
Der Fahrer hieß auch nicht
Werner, aber er hätte es sein
können, denn es ging um Bölkstoff. Der Biker war den Beamten aufgefallen, weil er seine
Maschine einhändig durch die
Serpentinen bergan steuerte.
Beim Überholen sahen sie,
dass seine rechte Hand nicht
etwa lässig auf dem Tankdeckel lag, sondern ebenda einen
20er-Kasten Flaschenbier notdürftig stabilisierte. Die Weiterfahrt mit der ungesicherten
Fracht wurde dem 32-Jährigen
untersagt. Ob der Gerstensaft
schließlich doch noch ordnungsgemäß gesichert seinen
Bestimmungsort erreichte, ist
nicht bekannt.
Eine berechtigte
Absage ...
... erteilte die Gleichstellungsbeauftragte der Universität
Passau den Sportstudenten,
die beim diesjährigen Campusfest nicht nur Sportevents für
jedermann anbieten, sondern
auch Gaudi-Wettkämpfe
durchführen wollten. Zum Politikum wurde das angedachte
„Fensterlnkönig-Turnier“, das
ein altes bayerisches Brauchtum aufgreifen wollte, denn es
verstößt glasklar gegen die
Gleichstellung von Mann und
Frau. Die Spiele wurden erst
einmal verschoben und fieberhaft wird nach einer gendergerechten Lösung gesucht. Die
Veranstalter wollen das Fensterln in jedem Fall durchführen
und aus Gründen der Gleichberechtigung selbstredend auch
Frauen auf die Leitern steigen
lassen, damit sie ihre Geschicklichkeit im edlem Wettstreit
mit den Männern unter Beweis
stellen können. „Fensterlnkönig-Turnier“ kann das Event
©Sergey Nivens – Fotolia.com
<<
©Anna Omelchenko – Fotolia.com
:
Atemschutzgerät, das sind immerhin knapp 25 Kilogramm
Ballast, rannten die Teams so
schnell sie konnten parallel in
beiden Treppenhäusern jeweils
500 Stufen nach oben. Die Sieger standen nach acht Läufen
oder 200 Etagen beziehungsweise 4 000 Treppenstufen
fest: Das Team der Berufsfeuerwehr Ratingen, zu dem auch
der stellvertretende Amtsleiter
gehörte, siegte souverän und
nehmer mit deutlich zu hoher
Geschwindigkeit durch die
Stadt kurvte, nahm ein Streifenwagen die Verfolgung auf
und stoppte den Raser. Es handelte sich um einen 79-jäh­
rigen Mann, der mit einem
­offenbar getunten StandardElektro-Rollstuhl unterwegs
war. Die Beamten hatten sein
Tempo mit 18 Stundenkilometern ­gemessen, dreimal so viel
wie erlaubt.
> dbb magazin | September 2015