„Ein Unfall ändert alles“ – Praxisbeispiele einer Kampagne mit

„Ein Unfall ändert alles“ –
Praxisbeispiele einer Kampagne mit Sozialen Medien
Christian Sprotte
Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse, Köln, Deutschland
„Ein Unfall ändert alles“ ist eine Kampagne der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro
Medienerzeugnisse. Mit Videoclips im Stil von YouTube-Bloggern, Chats im Stil von Whatsapp und
Interviews mit realen Unfallopfern werden junge Erwachsene angesprochen. Sie sind eingeladen,
selbst zu entscheiden, welches Risiko sie auf sich nehmen.
Warum eine Kampagne für junge Berufstätige?
Mehr als 13.000 meldepflichtige Arbeits- und Wegeunfälle von jungen Berufstätigen bis 25 Jahren verzeichnete die Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) für das
Jahr 2013. Das sind fast 20 Prozent aller meldepflichtigen Unfälle. Die Jugendlichen waren mindestens drei Tage arbeitsunfähig. Zwölf verunglückten tödlich und hinterlassen Eltern, Geschwister,
Verwandte und Freunde. Jugendliche sind im Beruf und in der Freizeit besonders gefährdet, weil sie
oft eine hohe Risikobereitschaft besitzen. Ihnen fehlt die Routine. Sie können Gefahren noch nicht
richtig einschätzen.
Wie können Jugendliche erreicht werden?
Wer heute im öffentlichen Raum unterwegs ist und Jugendliche beobachtet, wird sie nicht selten mit
dem Smartphone hantieren sehen. Sie nutzen WhatsApp, um mit Freunden zu chatten, posten Fotos
auf Instagram, schauen Videos auf YouTube oder kommentieren Facebook-Posts. Nach einer
BitKOM-Studie [1] nutzen 85 Prozent der Jugendlichen im Alter zwischen 16 und 18 soziale
Netzwerke. Ebenfalls 85 Prozent schauen Filme oder Videos bzw. laden diese herunter. Häufige
Aktivitäten sind außerdem: Informationen für Schule bzw. Ausbildung suchen (83 Prozent), Musik
hören oder herunterladen (80 Prozent) sowie mit Freunden chatten (76 Prozent). Die Zahlen machen
schnell deutlich: Eine erfolgreiche Kommunikation mit Jugendlichen findet online statt und zwar in den
sozialen Netzwerken.
Ein Unfall ändert alles – Aufbau einer viralen Kampagne
Wie muss eine Kampagne aufgebaut sein, die das Risikobewusstsein junger Erwachsener anspricht?
Klar ist: Gutgemeinte Hinweise und Belehrungen verfangen bei Jugendlichen nicht. Was sie tun
sollen, haben die jungen Leute oft genug von ihren Eltern und Lehrern gehört. Junge Erwachsene
wollen endlich selbst entscheiden. Eine zentrale Aussage der Kampagne lautet deshalb: „Du
bestimmst das Risiko“.
Zentrales Kampagnenelement ist eine Microsite, die alle Inhalte bündelt. Sie orientiert sich in der
Aufbereitung der Inhalte an den Kommunikationsgewohnheiten von Jugendlichen. In diesem Alter
chattet man gerne via Smartphone mit seinen Freunden. Auf der Microsite werden solche Chats
zwischen Jugendlichen nachgezeichnet. In den Chats geht es zunächst um Partys, DVDs schauen
und andere Freizeitvergnügen. Ein Unfall ändert die Gespräche abrupt. Die Jugendlichen erleben mit,
wie sich ein Unfall auf das Leben auswirken kann.
Dass Unfälle alles verändern können, wird auch belegt, und zwar in Interviews mit realen Unfallopfern.
Drei junge Erwachsene berichten über die Unfälle, die sie erlitten haben. Sie erzählen sehr persönlich
und sehr emotional von ihren Erlebnissen nach dem Unfall. Da ist zum Beispiel Murat. Er stürzte bei
Montagearbeiten durch einen Dachstuhl, verletzte sich an der Wirbelsäule und ist seitdem teilweise
gelähmt. Murat erzählt von seinem Sohn, wie traurig der Vierjährige war, weil sein Vater nicht mehr
laufen konnte und immer im Rollstuhl sitzen musste. Murat spricht auch über seine Ängste nach dem
Unfall, davon dass er fürchtet, noch einmal verletzt zu werden.
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Wer nun motiviert ist, sich tiefergehend zu informieren, findet die Azubi-Broschüren der BG ETEM
zum Download. Diese Broschüren sind speziell auf die Informationsbedürfnisse von Berufseinsteigern
in den verschiedenen Branchen der BG ETEM zugeschnitten.
Die Microsite ging am 10. November 2014 online, und am gleichen Tag startete die Medienkampagne,
um die Seite bekannt zu machen. Diese gliederte sich in drei Blöcke: Nutzung aller eigenen Kanäle
der BG ETEM, Kommunikation durch Nutzung von Multiplikatoren und Schaltung von bezahlten Post
in sozialen Netzwerken.
Ihren viralen Effekt konnte die Kampagne durch bezahlte Posts auf Facebook und YouTube erreichen.
Diese wurden in zwei Phasen geschaltet und stützten sich insbesondere auf zwei jeweils eine Minute
langen Videoclips, die im Vorfeld der Kampagne produziert wurden. Die Clips erinnern an die Ästhetik
von YouTube- oder Facebook-Videos und knüpfen zunächst an die Welt der Zielgruppe an. Die
beiden Videoclips wurden auch für die bezahlte Postings auf Facebook und YouTube verwendet,
sowohl in ganz Länge wie auch als gekürzte 18-Sekunden-Version, die das Ende offenlässt.
Die Ergebnisse
Knapp 5 Millionen Nutzern im Alter von 16 bis 25 Jahren wurden die Posts auf Facebook oder
YouTube angezeigt. Das sind rund 55 Prozent aller Angehörigen dieser Altersgruppe in Deutschland.
Beide Videos wurden fast 400.000 Mal angeschaut. Das entspricht einer Quote von rund 8 Prozent.
Noch wichtiger ist aber die Interaktion, die die Videos auslösten. Über 3.000 Mal wurde „Gefällt mir“
angeklickt. Hinzu kommen fast 300 Kommentare, und rund 150 Mal wurden die Posts geteilt. Die
Kommentare bestehen oft nur aus dem Namen einer Person, mit welcher der Kommentierende auf
Facebook befreundet ist. Das wirkt auf den ersten Blick etwas befremdlich, unterstreicht aber die
virale Wirkung, die die Kampagne entfaltet hat. Der Nutzer, dessen Name im Kommentar erwähnt
wurde, erhält eine Nachricht: „Dein XY hat Dich in einem Kommentar erwähnt. Da ich mit XY
befreundet bin, möchte ich wissen, was er geschrieben hat, und sehe mir den Kommentar an.“ Im
Idealfall verbreiten sich so Botschaften von einem zum anderen Nutzer wie ein „Virus“.
Die nächsten Schritte
Mit dem ersten Teil der Kampagne wurde Aufmerksamkeit für das Thema geschaffen. Damit kann
hinter das „A“ der altbekannten AIDA-Formel (Attention – Interest – Desire – Action) ein Haken gesetzt
werden. Die weiteren Buchstaben stehen nun in der Fortführung der Kampagne im Jahr 2015 auf der
Tagesordnung. Kern ist dabei der Botschafter-Gedanke: Rund um das Thema Risiko sollen Betroffene
zu Wort kommen, mit denen sich die Jugendlichen identifizieren können. Dabei spielt das Alter der
Botschafter eine gewisse Rolle; sie dürfen aus Perspektive der Jugendlichen nicht zu alt sein. Die
Botschafter sollen persönlich und authentisch kommunizieren. Deshalb äußern sie sich möglichst
ungefiltert in verschiedenen Videoformaten. Erster Botschafter ist Holger Schumacher, der als
Stuntman einen Arbeitsunfall bei Dreharbeiten erlitten hat und von der BG ETEM betreut wurde.
Neben der medizinischen Heilbehandlung hat die Berufsgenossenschaft Holger Schumacher
insbesondere bei seinem beruflichen Neustart unterstützt. Ende 2014 wurde Schumacher auf die
Kampagne aufmerksam und bot seine Mitarbeit an. Auf dieses Angebot hat die BG ETEM gerne
zurückgegriffen.
Literaturverzeichnis
1. Bundesverband Informationswirtschaft: Telekommunikation und Medien (BITKOM): „Kinder und Jugend 3.0“,
Berlin 2014. http://www.bitkom.org/de/markt_statistik/64026_79221.aspx
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