Fall 5 T hat einen Raubüberfall auf eine Tankstelle begangen

Fall 5
T hat einen Raubüberfall auf eine Tankstelle begangen. Einige Zeit später kommt es zur Anklage vor dem Landgericht Saarbrücken. Da T nicht eindeutig identifiziert werden konnte,
weil er während der Tat eine Strumpfmaske trug, bittet er seine Freundin F zu bestätigen, dass
er zur Tatzeit zu Hause gewesen sei. Dabei geht er davon aus, dass die F weiß, dass diese Behauptung nicht den Tatsachen entspricht. Tatsächlich nimmt F aber an, dass T wirklich zu
Hause gewesen ist und dies vor Gericht nur von ihr bestätigt haben wolle. Deshalb sagt sie in
der Hauptverhandlung aus, dass T zur Tatzeit zu Hause gewesen sei. Zu einer Vereidigung
kommt es nicht.
Strafbarkeit von T und F?
Die Strafbarkeit wegen dem Überfall auf die Tankstelle ist nicht zu prüfen.
Gutachten
A. Strafbarkeit der F
I.
Strafbarkeit aus § 153 StGB
F könnte sich gem. § 153 StGB strafbar gemacht haben, indem sie vor Gericht
ausgesagt hat, dass T zum Tatzeitpunkt zu Hause war.
1. Tatbestand
a) Objektiver Tatbestand
F war Zeugin vor Gericht und somit taugliche Täterin. Weiterhin müsste
sie auch falsch ausgesagt haben. Die Frage, wann eine Aussage falsch
i.S.d. §§ 153 ff. StGB ist, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.
Nach der objektiven Theorie ist eine Aussage falsch, wenn sie mit der objektiven Sachlage nicht übereinstimmt. Die Rechtspflege könne nur durch
eine der Wirklichkeit objektiv widersprechende Aussage gefährdet werden.
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Zu berücksichtigen sei nämlich, dass die den Aussagegegenstand bildende
objektive Wirklichkeit nicht nur äußere, sondern auch innere Tatsachen betreffen könne. Eine subjektive Bestimmung laufe auf eine systemwidrige
Gleichsetzung der subjektiven Pflichtwidrigkeit mit dem objektiven Tatbestandsmerkmal „falsch“ hinaus. Die Frage, wann eine Aussage falsch sei,
könne und brauche nicht anders bestimmt werden als in §§ 164, 263 StGB.
Die prozessuale Funktion der Aussageperson ändere hieran nichts; vielmehr seien Inhalt und Umfang ihrer prozessualen Pflichten erst für die Frage von Bedeutung, ob der Aussagende durch eine objektiv falsche Aussage
pflichtwidrig gehandelt habe. Da die Aussage der F vorliegend nicht mit
der Wirklichkeit übereinstimmte, ist die Aussage der F nach dieser Ansicht
falsch i.S.d. § 153 StGB.
Nach der subjektiven Theorie ist ein Vergleich des Aussageinhalts mit dem
Vorstellungsbild der aussagenden Person maßgeblich. Entscheidend sei
nämlich die prozessuale Funktion des Aussagenden. Die Aussage- und
Wahrheitspflicht könne nur auf Wiedergabe dessen gerichtet sein, was die
Beweisperson aus eigenem Erleben über das Beweisthema zu sagen vermag. Demnach könne es für die Falschheit der Aussage alleine auf die
Nichtübereinstimmung des Inhalts der Aussage mit dem Wissen des Aussagenden ankommen. Ginge die aussagende Person davon aus das Richtige
zu sagen, so sei die Aussage nicht falsch i.S.d. § 153 StGB. Ginge sie davon aus, die Unwahrheit auszusagen, so sei die Aussage auch dann als
falsch anzusehen, wenn sie objektiv richtig ist. Da F davon ausging die
Wahrheit zu sagen, ist ihre Aussage nach dieser Auffassung nicht falsch.
Die Pflichttheorie hingegen stellt auf die Verletzung der prozessualen
Wahrheitspflicht ab. Diese fordere, dass die Aussageperson dasjenige Wissen wiedergebe, das sie bei pflichtgemäßer Prüfung ihres Wahrnehmungsund Erinnerungsvermögens haben könnte. Denn der Aussagende könne
ausnahmslos nur wiedergeben, was zu leisten ihm seine Sinnes- und Geisteskräfte gestatten. Dies könne aber stets nur die Wiedergabe dessen sein,
was er wahrgenommen hat, für richtig hält, zu wissen glaubt usw. Dieser
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Ansicht nach hätte müsste F zugeben müssen, dass sie sich nicht mehr erinnert. Die Aussage ist somit nach dieser Ansicht ebenfalls falsch.
Die verschiedenen Auffassungen kommen – jedenfalls teilweise – zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass der Streit insoweit zu entscheiden ist.
In Konsequenz der Anwendung der subjektiven Theorie würde § 153 StGB
zu einem Unternehmensdelikt i.S.d. § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB und die an sich
de lege lata nicht vorgesehene Versuchsstrafbarkeit hsl. der uneidlichen
Falschaussage über eine solche, dem Täter ungünstige, Auslegung contra
legem (quasi „durch die Hintertür“) eingeführt. Zudem spricht auch die
Wertung des § 161 StGB gegen ein subjektives Verständnis der Falschheit,
da hiernach auch ein fahrlässiger Falscheid strafbar ist, der in der Konsequenz der subjektiven Theorie (aufgrund der mangelnden „Falschheit“ der
Aussage) jedoch gerade nicht möglich wäre. Weiterhin ist auch § 160
StGB vor dem Hintergrund der subjektiven Theorie nicht verständlich.
Denn von § 160 StGB wird gerade der Fall erfasst, dass der bösgläubige
Täter (also der Verleitende) eine gutgläubige Person (also den Verleiteten)
zur Falschaussage verleitet, was einen (nach den allgemeinen Regeln nicht
strafbaren) gesetzlich geregelten Fall der mittelbaren Täterschaft bei dem
eigenhändigen Delikt des § 153 StGB darstellt. Mit der subjektiven Theorie
wäre dies nicht erklärbar, weil der gutgläubige Verleitete nach dieser Auffassung bereits keine falsche Aussage tätigen würde. Die subjektive Theorie ist mithin mit dem Gesetz unvereinbar und daher abzulehnen.
Die verbleibenden Auffassungen kommen zur Falschheit der Aussage, sodass der Streit nicht weiter zu entscheiden ist. Die Aussage der F war demnach falsch i.S.d. § 153 StGB.
Die Aussage der F erfolgte auch vor Gericht, dessen Zuständigkeit zur Abnahme von Eiden sich aus §§ 57 ff. StPO ergibt.
Der objektive Tatbestand des § 153 StGB ist mithin verwirklicht.
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b) Subjektiver Tatbestand
F müsste vorsätzlich hinsichtlich aller objektiven Tatbestandsmerkmale
gehandelt haben. Dem ist im vorliegenden Fall jedoch gerade nicht der
Fall, da F davon ausging, eine wahre Aussage zu machen. F handelte somit
ohne Vorsatz.
2. Ergebnis
F hat sich nicht gem. § 153 StGB strafbar gemacht.
II.
Strafbarkeit aus § 161 Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit der F aus § 161 Abs. 1 StGB scheitert daran, dass F nicht vereidigt wurde.
B. Strafbarkeit des T
I.
Strafbarkeit aus §§ 153, 26 StGB
Eine Strafbarkeit aus §§ 153, 26 StGB scheidet mangels strafbarer Haupttat aus.
II.
Strafbarkeit aus §§ 153, 30 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. §§ 153, 30 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er F
darum bat wahrheitswidrig vor Gericht auszusagen, wobei F davon ausging, dass
die Aussage der Wahrheit entspricht.
0. Vorprüfung
Die Anstiftung ist nicht vollendet. T hat keinen tauglichen Tatentschluss bei F
hervor gerufen, da diese gutgläubig war.
Der Versuch der Anstiftung ist gem. §§ 159, 30 Abs. 1 StGB jedoch ebenfalls
strafbar.
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1. Tatbestand
a) Tatentschluss
T handelte vorsätzlich hinsichtlich der Haupttat und hsl. des Bestimmens
zu dieser. Laut Sachverhalt ging T insbesondere auch davon aus, dass F
die Unwahrheit ihrer Aussage kannte.
b) Unmittelbares Ansetzen
Indem T die F aufgefordert hat zu bestätigen, dass T zum Tatzeitpunkt zu
Hause war, hat er zur Tat unmittelbar angesetzt.
2. Rechtswidrigkeit und Schuld
T handelte rechtswidrig und schuldhaft.
3. Ergebnis
T hat sich gem. §§ 153, 30 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
III.
Strafbarkeit aus §§ 153, 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB
Eine Strafbarkeit wegen falscher uneidlicher Aussage in mittelbarer Täterschaft
scheitert daran, dass § 153 StGB ein eigenhändiges Delikt ist, und T somit kein
tauglicher Täter sein kann.
IV.
Strafbarkeit aus § 160 Abs. 1 StGB
T könnte sich gem. § 160 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er F bat
auszusagen, dass er sich zum Tatzeitpunkt zu Hause befand.
1. Tatbestand
Objektiver Tatbestand
F hat vor Gericht falsch ausgesagt. Sie war auch gutgläubig, denn sie ging davon aus, dass ihre Aussage der Wahrheit entspricht.
Weiterhin müsste T sie zu dieser Aussage verleitet haben. Hierzu müsste er die
Aussage der F verursacht haben. Dazu ist eine Einwirkung auf den Willen des
anderen durch beliebige Mittel erforderlich. Vorliegend hat T derart auf den
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Willen der F eingewirkt, dass diese eine entsprechende Aussage vor Gericht
getätigt hat. Ein Verleiten i.S.d. § 160 StGB liegt somit vor.
Weiterhin ist allerdings fraglich, ob der Täter den Aussagenden auch für gutgläubig halten muss. Der Sinn des § 160 StGB besteht jedoch gerade in der
Schließung von Strafbarkeitslücken, die sich daraus ergeben, dass die mittelbare Täterschaft bei Aussagedelikten aufgrund der Tatsache, dass es sich um eigenhändige Delikte handelt, nicht möglich ist. Wenn also eine Strafbarkeit bereits aus §§ 153, 159, 30 Abs. 1 StGB zu bejahen ist, bleibt kein Raum für eine
Anwendbarkeit des § 160 StGB. Wer einen Anstiftervorsatz hat, der kann auch
keinen Verleitervorsatz aufweisen. Im vorliegenden Fall hielt T die F jedoch
für bösgläubig, weshalb eine Strafbarkeit aus § 160 Abs. 1 StGB ausscheidet.
2. Ergebnis
T hat sich nicht gem. § 160 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
V.
Strafbarkeit aus § 160 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB
Eine Strafbarkeit aus § 160 Abs. 2, §§ 22, 23 Abs. 1 StGB scheitert daran, dass F
auch nach der Vorstellung von T bösgläubig ist.
C. Gesamtergebnis
F hat sich nicht strafbar gemacht. T hat sich gem. §§ 153, 30 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.
Exkurs: Würde T die F für gutgläubig halten, während diese in Wirklichkeit bösgläubig ist,
stellt sich das Problem, ob § 160 StGB in diesem Fall vollendet ist.
Dabei ist problematisch, ob der Verleitete tatsächlich gutgläubig sein muss oder ob der Tatbestand auch bei Bösgläubigkeit des Verleiteten erfüllt sein kann.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung, sowie die herrschende Literatur geht davon aus, dass
die Bösgläubigkeit des Verleiteten hsl. der Vollendungsstrafbarkeit des Verleitenden aus
§ 160 StGB unschädlich ist. Der Verleitende hätte die Gefährdung der Rechtspflege als den
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von ihm gewollten Erfolg durch Herbeiführung einer objektiv falschen Aussage erreicht. Die
Vorsatztat des Verleiteten schließe als maius auch die vom Verleitenden gewollte unvorsätzliche Tat ein. Die Bewertung der Tat könne nämlich nicht daran scheitern, dass der Verleitete
im Verhältnis im Verhältnis zu seiner subjektiven Sicht mehr tut.
Von Teilen der Literatur wird hingegen vertreten, dass eine Vollendung bei Bösgläubigkeit
des Verleiteten nicht möglich sei. Die Bösgläubigkeit, also der Vorsatz des Aussagenden, sei
ein Exzess, sodass nach allgemeinen Zurechnungsgesichtspunkten der Verleitende nur wegen
Versuchs bestraft werden könne.
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