Linz, 12. November 2015 Sehr geehrter Herr Dr. Stärker! Herzlichen Dank für Ihren Kommentar in der Österreichischen Ärztezeitschrift (ÖÄZ), erschienen am 25. Oktober 2015. Ich werde mit diesem Schreiben als Pflegeperson dazu Stellung nehmen. Der gewählte Titel Ihres Kommentars: „Modernisierung der Pflegeberufe: ein Dilemma“ bringt Ihre Meinung kurz und knapp auf den Punkt. Gleich im ersten Absatz bemängeln Sie, dass die Ärzteschaft nicht zu den Vorarbeiten der Modernisierung des pflegerischen Berufsbildes eingeladen wurde. Das verwundert mich, denn Sie verweisen im weiteren Verlauf des Kommentars immer wieder auf das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz, welches das Bundesgesetz der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe ist. Wir sprechen also von zwei verschiedenen Berufsgruppen. Mich würde an dieser Stelle interessieren, ob die Österreichische Ärztekammer umgekehrt bei der Modernisierung der Turnusausbildung, also der diesjährigen „Ärzteausbildungsordnung Neu“, auch repräsentative VertreterInnen der Pflege eingeladen hat? Oder, hatte da die Pflege nichts mitzureden – weil es doch zwei verschiedene Berufsgruppen sind. Es scheint so als würde mit zweierlei Maß gemessen werden. Sie als Jurist wissen selbstverständlich, dass die bestehende Rechtslage viele von der Pflege geforderte Tätigkeiten auflistet. Darüber hinaus wissen Sie jedoch bestimmt auch, dass genauso viele Tätigkeiten eine ärztliche Anordnung voraussetzen und von Pflegepersonen nicht direkt abgerechnet werden können, obwohl Pflegepersonen vielfach dazu ausgebildet sind und der Bedarf vorhanden wäre. Beispielsweise haben sich Pflegepersonen mittlerweile über Jahre hinweg Fachkenntnisse im Bereich Wundmanagement angeeignet. Diese Fachexpertise würde nicht nur den PatientInnen zugute kommen, sondern gleichzeitig für beide Berufsgruppen eine Arbeitserleichterung in dem von Ihnen thematisierten massiv verdichteten Arbeitsalltag schaffen. Informieren möchte ich Sie, dass ich als Pflegeperson die Bezeichnung „Wildern im ärztlichen Bereich“, wenn Sie vom mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich, also § 15 des Gesundheitsund Krankenpflegegesetzes sprechen, als willkürliche Kränkung empfinde. Im vierten Absatz beschreiben Sie Ihre Besorgnis und Spekulation über ein mögliches Verhältnis von 30:70, diplomierte Pflegekräfte, die auf tertiärem Niveau ausgebildet sind vs. Pflegeassistenz bzw. Pflegehilfe und andere der Pflege zugeordneten Hilfsdienste. Dazu kann ich Ihnen nur raten, sich den Skill and Grade Mix in der Pflege von anderen, überwiegend westlichen Ländern anzusehen. Dabei wird deutlich, dass die Modernisierung der Pflegeberufe gar kein so großes Dilemma ist. Ebenso möchte ich darauf hinweisen, dass viele der Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, die einen Studienabschluss haben "am Bett arbeiten" und die Akademisierung nicht nur Führungskräfte hervorbringt. Über den bevorstehenden Pflegekräftemangel möchte ich nicht diskutieren – der besteht bereits und wird das Versorgungssystem angesichts der demografischen Entwicklung noch vor große Herausforderungen stellen. Dieser Mangel an qualifiziertem Pflegepersonal liegt wohl nicht zuletzt an der mangelnden Attraktivität des Pflegeberufes an sich. Es fehlen schlichtweg berufliche Weiterentwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Akademisierung birgt Potential künftiges Pflegepersonal anzusprechen. Bezüglich des Ärztemangels möchte ich Ihnen folgende Grafik aus dem Pflegethermometer vorstellen: Entwicklung Vollkräfte im Pflegedienst in allgemeinen Krankenhäusern von 1995 bis 20121 1 Isfort, M.; Klostermann, J.; Gehlen, D., Siegling, B. (2014): Pflege-Thermometer 2014. Eine bundesweite Befragung von leitenden Pflegekräften zur Pflege und Patientenversorgung von Menschen mit Demenz im Krankenhaus. Herausgegeben von: Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e.V. (dip), Köln. Online verfügbar unter http://www.dip.de, Köln Mir ist bewusst, dass diese Zahlen für Deutschland gelten, aber die Vermutung liegt nahe, dass wir uns nicht gravierend von unseren Nachbarn unterscheiden. Es stimmt, das Pflegesystem ist jetzt schon sehr komplex, aber ich bin zuversichtlich, dass sich die einzelnen Pflegeberufe mit der Zeit bestens aufeinander abstimmen und zusammenarbeiten werden. Den Start Ihrer Conclusio finde ich sehr gut. Ja, wir sollten endlich unsere verschiedenen Berufsbilder leben. Dann würde Ihnen auffallen, dass Wäsche auszutragen in der Regel nicht zum Berufsbild der diplomierten Pflegekräfte gehört, sondern sich angestellte Pflegehilfsdienste um die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten kümmern. Zu guter Letzt möchte ich noch auf die RN4Cast Studie von Aiken et al. (2014) verweisen, die in ihren Ergebnissen erklärt: An increase in a nurses’ workload by one patient increased the likelihood of an inpatient dying within 30 days of admission by 7% (odds ratio 1·068, 95% CI 1·031–1·106), and every 10% increase in ba2 chelor’s degree nurses was associated with a decrease in this likelihood by 7% (0·929, 0·886–0·973). Die Pflege begrüßt die Zusammenarbeit aller Berufsgruppen rund um den Patienten auf ganzer Linie und freut sich, dass Sie in der ÖÄZ betonen wie wichtig der Konsens mit der Ärzteschaft ist. In diesem Sinne hoffe ich, dass ich Ihnen durch meine Reaktion auf Ihren Kommentar die Sicht aus dem Blickwinkel einer Pflegeperson etwas näher beschreiben konnte. Beste Grüße, Magdalena Fischill, BScN, cand. MScN Unterstützt von: Vera Bremberger, BScN, Michael Dollischel, BSc, Monika Duftschmid, BScN, stud. MScN, Christina Grüneis, BScN, Christoph Meinhart BSc, MScN, Valentin Neudeck, BScN, cand. MScN & Isabella Schmidmair, stud. BScN 2 Aiken, L. H., Sloane, D. M., Bruyneel, L., Van den Heede, K., Griffiths, P., Busse, R., Consortium, R. C. (2014). Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study. Lancet, 383(9931), 1824-1830. doi:10.1016/S0140-6736(13)62631-8
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