Sektionskongress: Call for Papers „Was macht das Wissen von Experten (un-)glaubwürdig?“ Veranstaltung des Arbeitskreises „Expertenwissen“ Organisation: Nicole Burzan, Ronald Hitzler & Michaela Pfadenhauer Für die Fragestellung dieses Workshops spannen wir sozusagen ein Dreieck zwischen relativ divergenten Thesen zur Genese und zur Persistenz der Glaubwürdigkeit des Wissens von Experten auf: Der Charismathese zufolge resultiert die Glaubwürdigkeit seines Wissens wesentlich aus der Kompetenz des Experten, seine subjektiven Evidenzen zu plausibilisieren. Der Zivilisierungsthese zufolge hingegen resultiert die Glaubwürdigkeit seines Wissens wesentlich aus dem von Laien geglaubten, weil von professionellen Peers attestierten Nachweis sachlicher Kompetenz des Experten. Und der Kompensationsthese zufolge schließlich resultiert die Bereitschaft, das Wissen von Professionellen und Experten als glaubwürdig anzusehen, wesentlich aus der mangelnden Neigung von Laien, ihre (Lebens-)Probleme selber zu lösen. Die Charismathese Dieser These zufolge legitimiert sich ein Professioneller als Professioneller über seine Kenntnisse der unter Professionellen seinesgleichen ‚kanonisierten‘ Wissensbestände und über seine Kompetenzen in der Anwendung der unter Professionellen seinesgleichen ‚approbierten‘ Verfahren auf als einschlägig angesehene Probleme. Ein Experte legitimiert sich als Experte hingegen über seine von anderen (Experten und Laien) – warum auch immer – geglaubten Erkenntnisse zu bzw. Einsichten in als wichtig begriffene(n) Fragen und über seine von anderen (Experten und Laien) – warum auch immer – geglaubte Befähigung zur Lösung von von anderen als nicht lösbar begriffenen Problemen. Vereinfacht ausgedrückt: Der Experte beeindruckt andere (Experten und Laien) bzw. erzeugt Vertrauen bei anderen (Experten und Laien) mit Ergebnissen (koste es sozusagen, was es wolle). Der Professionelle weist sich aus bzw. erzeugt Anspruch auf Anerkennung (auch qua Honorar) durch (von anderen Professionellen) attestierte Nachvollziehbarkeit seines Tuns (zumindest im Einzelfall relativ unabhängig vom Ergebnis). D.h., der Experte steht für eine Denkweise, der zufolge Problemlösungen nicht dadurch besser sind, dass die Wege zu ihnen offengelegt werden (müssen), sondern dadurch, dass sie geglaubt werden, weil der, der sie offeriert, (warum auch immer) als glaubwürdig, d.h. als glaubwürdiger Repräsentant (oder Protagonist) von – für andere unter Umständen strukturell verborgenem (also z.B. epiphanischem) – Evidentem erscheint. Analytisch gesehen entsteht und entfaltet sich das charismatische Potenzial des Experten mithin idealerweise durch ‚fehlerfreie‘, realistischer Weise durch Unstimmigkeiten hinlänglich kompensierende Performanz (Vorführen, Vorzeigen, Auftreten, Aussehen, Reden, Schreiben usw.). In dem Maße, wie, und auf die Dauer hin, in der die Performanz gelingt, wird der Experte zum Genie. Dort wo und dann wenn die Performanz misslingt, wird der Experte zum Aufschneider, Angeber, Schwindler, Pfuscher, Scharlatan usw. Die Zivilisierungsthese Dieser These zufolge verfügen Experten zwar über Kompetenz(en). Ihr Vermögen zur Bearbeitung alltäglicher, jedoch nicht (so ohne weiteres) mittels Routinen bewältigbarer Probleme ist aber nicht verlässlich. Verlässlichkeit erwächst zunächst und vor allem aus Zertifizierung. Mittels Zertifizierung wird Kompetenz, d.h. eine irgendwie (durch Gnadenstand, Be-Geisterung, Geheimlehre, Zauberkraft, Engagement usw.) erworbene Befähigung zur Problemlösung auf eine verlässliche Grundlage gestellt, da deren Erwerb an ‚gesatzte‘ (Ausbildungs-)Wege in als solche anerkannten Bildungseinrichtungen gebunden wird, in denen das (Fach-)Wissen von Personen vermittelt wird, die exklusiv über dieses Sonderwissen verfügen. Die Glaubwürdigkeit dieses Problemlösungswissen resultiert wesentlich aus dem von Laien geglaubten, weil von professionellen Peers attestierten Nachweis sachlicher Kompetenz des Experten. Im Zuge der Zertifizierung wird zudem die Bereitschaft zur Problemlösung sichergestellt, d.h. von ‚Umständen‘ (der Gunst der Stunde, dem Wohlwollen eines Gottes oder der Geister oder von der persönlichen Stimmung) abgelöst. Idealisierenden Ansätzen zufolge geht aus professionellen Sozialisationsprozessen gar ein Habitus der für „freie Berufe“ symptomatischen Selbstdisziplin und Selbstkontrolle hervor, der als eine säkularisierte Variante protestantischer Ethik zur konstanten Leistungserbringung antreibt. Zertifizierung impliziert schließlich auch die Regelung von Zuständigkeit, denn nur Akteure, die in Form von Zertifikaten formale Kompetenznachweise erbringen können, sind berechtigt, im Bereich ihrer Zuständigkeit Probleme zu definieren und Lösungen für diese Probleme bereitzustellen und anzuwenden. Mit der Lizenz wird aber auch ein Mandat erteilt, das mittels Sanktionsandrohung zur Problembearbeitung verpflichtet. Professionalisierung ist folglich ein Zivilisierungsprozess des kompetenten, aber ungezähmten Experten. Die Kompensationsthese Die Kompensationsthese geht, anders als die Zivilisierungs- und als die Charismathese, nicht von Zertifizierungen bzw. von „Eigenschaften“ der Experten aus, sondern setzt bei den Nutzern von Expertenwissen, also bei den Laien, an. Diese Laien, bzw. Klienten, sind bereit, das Wissen von Experten als glaubhaft anzusehen, weil sie gemäß ihrer eigenen Prioritätensetzung keine Neigung (damit: keine Zeit, keine Ressourcen, kein Interesse etc.) haben, (all) ihre (Lebens-)Probleme selbst zu lösen. D.h., sie kompensieren prinzipiell mögliche eigene Problemlösungen durch „Vertrauen“ auf Expertenwissen. Schon aus pragmatischen Gründen wie Zeitknappheit, Informationsdefizite, händisches und geistiges Unvermögen, Zugangsund sonstige Berechtigungsbeschränkungen usw. kann der und die Einzelne nicht gleichermaßen und schon gar nicht gleichzeitig für Gesundheits-, Konsum-, Vorsorge-, Rechts-, Reparaturfragen etc. kompetent sein, insbesondere, wenn z.B. über die (freizeitliche) Recherche im Internet hinaus weitere Ressourcen (z.B. Übung und Erfahrung, aber auch bestimmte Geräte, z.B. bei medizinischen Diagnosen und Therapien, etc.) zur Lösung von Problemen notwendig sind, deren Aneignung Zeit und Engagement kosten würden. Das Vertrauen zu einem bestimmten Experten resultiert der Kompensationsthese zufolge somit nicht in erster Linie aus dem Charisma oder aus der zertifizierten Kompetenz dieser Experten, sondern aus vielerlei anderen Faktoren. Und der potentielle Wechsel von einem Experten zum anderen folgt dementsprechend vor allem dem Prinzip der Aufwandsvermeidung. D.h., man informiert sich nicht jeweils nach rationaler Kosten-Nutzen-Abwägung über den glaubwürdigsten Experten, sondern wechselt den Anwalt, die Ärztin, die Werkstatt nur dann, wenn ein in einem als relevant angesehenen Umfang offenkundig werdendes Scheitern bzw. nicht mehr ignorierbare erhebliche Nachteile bei Problembehandlungen eindeutig dem Experten zugerechnet werden und wenn dadurch sein Kompensationsnutzen abnimmt. Die ‚radikalere‘ Lösung der Kompensationsproblematik besteht demgegenüber in der (Wieder-) Entdeckung der Bereitschaft zum Selbermachen. Zur Diskussion im Spannungsfeld zwischen diesen Thesen bitten wir um Vorschläge für einschlägige Referate. Abstracts mit ca. 2000 Zeichen bitten wir bis spätestens 25. Mai 2015 als email-Anhang zu schicken an [email protected], [email protected] und [email protected]
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