ARBEITS-, SOZIAL- UND TARIFRECHT A 123/2015 vom 26.11.2015 AGG: Schadensersatz auch bei einer nicht ernsthaften Bewerbung? Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte zu entscheiden, ob ein Bewerber, der das Anforderungsprofil der Stellenausschreibung nicht erfüllt, einen Schadensersatzanspruch gegen den die Stelle ausschreibenden Arbeitgeber haben kann. Das BAG hielt die Bewerbung nicht für ernsthaft und das Vorgehen des Bewerbers insgesamt für rechtsmissbräuchlich und hat dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 18.06.2015 (8 AZR 848/13 (A)) diese beiden Fragenkomplexe zur Entscheidung vorgelegt. Kann auch derjenige Entschädigungsansprüche nach dem AGG geltend machen, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll? Wann ist in diesen Fällen ggf. von einem Rechtsmissbrauch auszugehen? Im März 2009 schrieb die Beklagte ein „Trainee-Programm 2009“ aus (Anforderungskriterien: sehr guter Hochschulabschluss; für Bewerbungen im Bereich Jura ein erfolgreiches Absolvieren beider Staatsexamina und eine arbeitsrechtliche Ausrichtung etc.). Der 1973 geborene Kläger, der schon mehrere „AGG-Prozesse“ geführt und bereits eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt hatte, bewarb sich um eine Trainee-Stelle der Fachrichtung Jura und betonte im Bewerbungsschreiben, dass er als früherer leitender Angestellter einer Rechtsschutzversicherung über Führungserfahrung verfüge und derzeit einen Fachanwaltskurs für Arbeitsrecht absolviere. Er betreue ein umfangreiches medizinrechtliches Mandat und verfüge daher im Medizinrecht über einen erweiterten Erfahrungshorizont. Als ehemaliger leitender Angestellter und Rechtsanwalt sei er es gewohnt, Verantwortung zu übernehmen. Die Beklagte lehnte die Bewerbung mit Hinweis auf fehlende Einsatzmöglichkeit ab. Der Kläger machte einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 14.000 Euro wegen Altersdiskriminierung geltend, woraufhin er von der Beklagten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Die Absage sei „automatisch generiert“ worden und habe „so nicht den Intentionen“ entsprochen. Der Kläger lehnte die Einladung ab und Geschäftsstelle Hamburg • Loogestraße 8 • 20249 Hamburg • Tel.: 040 468656-0 • Fax: 040 468656-26 Geschäftsstelle Schleswig-Holstein • Ringstraße 54 • 24103 Kiel •Tel.: 0431 53548-0 • Fax: 0431 53548-14 E-Mail: [email protected] • Internet: www.biv-hh-sh.de -2- schlug vor, nach Erfüllung des von ihm geltend gemachten Entschädigungsanspruchs dann „sehr rasch über meine Zukunft bei der Versicherung“ zu sprechen. Nachdem er erfahren hatte, dass die Traineestellen für Jura ausschließlich mit Frauen besetzt worden waren, machte er zudem eine weitere Entschädigung in Höhe von 3.500 Euro wegen Geschlechtsdiskriminierung geltend. Nach Ansicht des BAG ist von einer sog. Scheinbewerbung auszugehen. Ein Entschädigungsanspruch ist danach nicht gegeben. Das BAG sieht sich allerdings veranlasst, zwei Fragen an den EuGH zu richten. Klagen nach § 15 Abs. 2 AGG haben die Besonderheit, dass ein Anspruch auf Entschädigung (mit der Begrenzung auf drei Monatsgehälter) bestehen kann, „wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre“. Danach ist es für den Entschädigungsanspruch ohne Bedeutung, wenn ein/e Bewerber/in wegen der besseren Qualifikation anderer Bewerber/innen auch bei benachteiligungsfreier Auswahl die zu besetzende Stelle nicht erhalten hätte. Auch mehrere Bewerber/innen können für dasselbe Bewerbungsverfahren eine Entschädigung geltend machen. Voraussetzung für die Erfüllung der Sanktionsfunktion der Norm ist, dass der Status als „Bewerber“ und daher als „Beschäftigter“ i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG erreicht worden ist. Der „Bewerberstatus“ setzt nach Ansicht des BAG voraus, dass der/die Bewerber/in sich mit dem Ziel einer Einstellung beworben hat. Dies ist nach Ansicht des BAG vorliegend nicht gegeben. Eine Scheinbewerbung kann allerdings nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und – wie der Kläger – mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat. Auch wenn er sich gerade auf solche Stellenausschreibungen beworben hat, deren Formulierung einen Anschein von Diskriminierung erwecken, steht dies einem Entschädigungsanspruch nicht entgegen. Das BAG sieht den Kläger jedoch nicht als „Bewerber/Beschäftigter“ i.S. von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG an, da er eine Bewerbung eingereicht hat, deren Formulierung dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle vollkommen zuwiderläuft. Er hat damit die Ablehnung seiner Bewerbung provoziert. Der Kläger hat allein formal einen Bewerberstatus angestrebt. Es ging ihm allein darum, als abgelehnter Bewerber eine Entschädigungszahlung geltend zu machen. Dies fällt – so das BAG - nicht in den Schutzbereich des AGG. Sowohl der vorlegende Senat als auch das Bundesverwaltungsgericht sind der Auffassung, dass ausnahmsweise nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ein Anspruch, insbesondere wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen sein kann. -3- Mit Blick auf die o.g. Erwägungen hat das BAG dem EuGH folgende Fragen vorgelegt: Sind die entsprechenden Bestimmungen dahingehend auszulegen, dass auch derjenige „Zugang zu Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ sucht, aus dessen Bewerbung hervorgeht, dass nicht eine Einstellung und Beschäftigung, sondern nur der Status als Bewerber erreicht werden soll, um Entschädigungsansprüche geltend machen zu können? Kann eine Situation, in der der Status als Bewerber nicht im Hinblick auf eine Einstellung und Beschäftigung, sondern zwecks Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen erreicht wurde, nach Unionsrecht als Rechtsmissbrauch bewertet werden? Es ist zu begrüßen, dass das BAG bei „Scheinbewerbungen“ einen Entschädigungsanspruch versagen will. Dies könnte sog. „AGGHoppern“ Einhalt gebieten. Insofern bleibt zu hoffen, dass der EuGH ebenfalls eine ernsthafte Bewerbung als Grundlage für etwaige Entschädigungsansprüche erachtet. Eine Übersicht der Entscheidung in Stichworten ist als Anlage beigefügt. Die Entscheidung des BAG vom 18.06.2015 (8 AZR 848/13 (A)) ist als Anlage beigefügt, kann jedoch auch unter www.bundesarbeitsgericht/ Entscheidungen abgerufen werden. Anlage auf Anforderung bzw. im Mitgliederbereich unserer Homepage
© Copyright 2024 ExpyDoc