Telemedizin sucht Trainer - AOK

Foto: privat
Von der Diabetestherapie bis zur Korrektur von Sehstörungen: Das Internet
modernisiert die Gesundheitsversorgung, meint der Arzt Markus Müschenich.
Von der Politik wünscht er sich dafür mehr Mut und Innovationsbereitschaft.
Unserer Fußballnationalelf hätten wir eine solch werden kann. Der Nutzer bekommt Tipps für die
schlechte Platzierung nie verziehen: Gerade mal im Optimierung der Behandlung und eine Onlinehinteren Mittelfeld spielt Deutschland, geht es um Schulung. Mittlerweile nehmen 150.000 Patienten
die Nutzung der Internetmedizin. Wenn wir nicht das als Medizinprodukt zertifizierte Angebot in
durchstarten, geben wir uns geschlagen von Natio- Anspruch. Ein anderes Unternehmen hat sich auf
nen wie Dänemark oder Estland. Doch wider bes- die Augentherapie für Kinder spezialisiert, bei denen
seres Wissen wollen die Experten auf dem gesund- die Ursache für die Sehstörungen im Sehzentrum
heitspolitischen Spielfeld ihre Spieltaktik nicht des Gehirns liegt (Kinder mit Augenpflaster). Wähverändern. Dabei haben wir kluge, ehrgeizige und rend die Kinder zu Hause am Computer spielen,
besonnene Jung-Spieler auf dem Feld. Ein Berliner laufen im Hintergrund der Spiele sogenannte SinuStart-up-Unternehmen etwa
soidalmuster ab, die an der Unibietet Patienten, die an sich eine
versität Dresden erforscht und
auffällige Hauterscheinung beentwickelt wurden. Diese MusDeutschland spielt in
obachten (also einen Hautauster sollen dazu führen, dass die
der Internetmedizin nur Kinder ihr Sehvermögen schnelschlag oder ein merkwürdig
aussehendes Muttermal), über
im hinteren Mittelfeld. ler wiedererlangen als mit der
eine App ein Foto von der Stelle
Standardtherapie über das Audirekt an das Unternehmen zu
genpflaster. Was nach Science
senden. Das Foto wird an einen Hautarzt weiterge- Fiction klingt, ist ein zertifiziertes Medizinprodukt
leitet, und 48 Stunden später erhält der Patient eine und wird von Augenärzten verordnet.
Einschätzung zu seinem Hautproblem. Die ÄrzteDie Internetmedizin hat gerade erst begonnen,
kammer zeigte dem Start-up erwartungsgemäß die eine neue Taktik für die Gesundheitsversorgung
Gelbe Karte, denn bei dem angebotenen Service einzuüben: Weite Pässe werden gespielt, die das
schien es sich zweifelsfrei um den Tatbestand einer ganze Feld der Möglichkeiten nutzen. Nun brauchen
durch die ärztliche Berufsordnung verbotenen die Spieler einen Coach, der es schafft, trotz des
Ferndiagnose zu handeln. Die Firma sollte vom Platz (richtigen) Ordnungs- und Sicherheitsbedürfnisses
gestellt worden, noch bevor das Spiel richtig losge- neue Wege zu gehen, der den Traditionalisten die
gangen ist. Doch die Patienten begannen, das An- Angst nimmt, aber gleichzeitig den Start-ups Vergebot zu nutzen. Bis heute haben 130.000 Menschen trauen schenkt. Einen Coach wie Bundesgesunddie App heruntergeladen, 50 Hautärzte kümmern heitsminister Hermann Gröhe, der angetreten ist,
sich um die eingesandten Fotos, die Firma verfügt um zu gewinnen. Die Patienten brauchen ihn ebenneben dem Berliner Büro über ein weiteres in New so wie die jungen Mediziner, die Krankenschwestern
York. Nicht die Ärzteschaft oder der Gemeinsame und -pfleger. Dazu kann er zurückgreifen auf eine
Bundesausschuss hatten entschieden, sondern die Zukunft, die bereits angekommen ist. Auf InforPatienten, die nicht wochenlang auf einen Facharzt- mationsplattformen, vernetzte Diagnosehelfer und
termin warten wollten.
digitale Therapien. Werden diese Werkzeuge richtig
Es sind noch mehr Player auf dem Platz der Inter­ eingesetzt, verlieren die Probleme unserer Zeit – von
netmedizin. Ein Angebot richtet sich an Diabetiker: der Unterversorgung in ländlichen Gebieten über
Blutzuckerwerte werden automatisch aus den Blut- die mangelnde Qualität und Patientensicherheit bis
zuckermessgeräten in das Profil der Patienten hoch- hin zum Versagen traditioneller Präventionskongeladen, die verköstigten Broteinheiten werden zepte – ihren Schrecken. Gefragt ist Führungsstärebenso dokumentiert wie Blutdruck, Gewicht und ke, Mut und Innovationsbereitschaft. Für einen
die Medikamente, die der Patient täglich einnimmt. guten Coach eigentlich kein Problem. Das hat uns
Die Software erkennt, ob die Therapie verbessert die Nationalelf erfolgreich vorgemacht. √
Ausgabe 1/15, 18. Jahrgang
Einwurf
Telemedizin sucht Trainer
Dr. med. Markus Müschenich,
geboren 1961 in Düsseldorf, ist
Facharzt für Kinderheilkunde und
Jugendmedizin sowie Gesundheitswissenschaftler/Master of Public
Health. Er war bis 2012 Mitglied
des Vorstands der Sana Kliniken
AG. Müschnenich gründete den
Think Tank „ConceptHealth“ und
ist Managing Partner von „Flying
Health – die Startup Manufaktur“.
Seit 2012 ist er Vorstandsmitglied
des Bundesverbands Internet­
medizin. Er schrieb das Buch
„55 Gründe, Arzt zu werden“.
Müschenich ist verheiratet und
hat zwei Kinder.
Kontakt: www.mueschenich.de
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