Echt? Gesellschaft V ier Männer tragen den Sarg von Maik Mahlow in den alten Bergwerkstollen. Sie haben schwarze Anzüge an, schreiten ernst und würdig durchs Halbdunkel. Eben haben die Gäste dieser seltsamen Veranstaltung noch getanzt oder getrunken. Jetzt schauen sie wie gebannt: Durch die Fenster im Sarg schimmert Mahlows kahl rasierter Schädel im Licht von LEDs. Rund 3000 Leute sind ins still gelegte Bergwerk Kleinbremen nach Porta Westfalica gekommen, 50 Ki lometer entfernt von Bielefeld. Sie feiern die „Crank im Berg“-Party, organisiert vom selbst ernannten Partykönig Michael Ammer. Für 15 Euro Eintritt gibt es Models im Bikini, drittklassige Promis wie 64 26.9.2013 Ein Todkranker gründet eine Firma, scheffelt Millionen und feiert wilde Partys. Die Boulevardmedien jubeln. Aber viel spricht dafür: Die Geschichte von Maik Mahlow stimmt nicht Von Andreas Spinrath, Björn Stephan und Lars Weisbrod Dschungelkönig Joey Heindle und kurz nach Mitternacht den Höhe punkt: die Auferstehung Maik Mahlows. Die vier Träger stellen den Sarg neben der Bar ab. Zwei von ihnen schieben den Deckel beiseite. Mahlow richtet sich wie ein Zombie auf, springt in die Luft, eine Flasche Prosecco in der Hand, und streckt mit irrem Blick die Zunge heraus. Heindle kreischt. Die Menge jubelt. Models im Bikini tanzen, Fotogra fen blitzen, und Ammer grinst sein schneeweißes PartykönigGrinsen. Ammer hatte die Idee mit der inszenierten Beerdigung. Er hat den Leichenwagen besorgt und die drei himmelblauen HummerGeländewagen, in denen sie mit Blaulicht vorgefahren sind. Er finde das nicht pietätlos, sagt er. „Hauptsache, die Medien berich ten darüber.“ Seit Anfang Juli reist Mahlow werbewirksam durch Deutschland. Porta Westfalica sollte die zehnte und vorletzte Station seiner schril len Tournee sein. Wie immer trägt der 37-Jährige ein blaues T-Shirt. Vorn steht der Name einer Firma: PC-Fritz. Hinten der Satz: „Ich werde sterben! Na und?“ Dieser Satz ist der Kern seiner Ge schichte, die er überall erzählt. Sie beginnt Ende vergangenen Jahres. Da habe ein Arzt Krebs bei ihm dia gnostiziert. Ein bösartiger Tumor, sichtbar als große Beule am Hals. Der Arzt habe gesagt: „Sie haben noch maximal drei Monate zu leben.“ Mahlow, so geht seine Geschich te weiter, habe die letzten Monate seines Lebens lieber feiern wollen, statt im Krankenhaus zu verrecken. Er sagt: „Schlafen können wir, wenn wir tot sind.“ Und er habe noch mal was bewegen wollen: Kurz nach der Krebsdiagnose habe er den Online versandhandel PC-Fritz gegründet, der von Halle aus günstige Software und Computer vertreibt. PC-Fritz sei so erfolgreich, dass aus dem Start-up innerhalb von sechs Monaten ein Unternehmen mit 50 Mitarbeitern und einer halben Million Kunden geworden sei. Und aus ihm, dem Geschäftsführer Maik Mahlow, ein Multimillionär. Mit diesen Millionen finanziere er nun sein wildes Leben. 4 Foto: Günter Habedank/Razzifoto Kahler Kopf, krasser Spruch: BoulevardLiebling Maik Mahlow Seither wirbelt er durch die Welt des billigen Glamours: Mahlow feiert in teuren Clubs. Mahlow heuert Boulevardprominenz wie Oliver Pocher, Nino de Angelo, Micaela Schäfer oder den Dschungelkönig Joey Heindle an, um sich mit ihnen fotografieren zu lassen. Mahlow ver anstaltet einen Model-Contest. Mahlow feiert in Leipzig, Hannover, Mannheim und sitzt beim Boxkampf von Felix Sturm in Dortmund in der ersten Reihe. Mahlow überreicht Spendenschecks über 25 000 Euro an Flutopfer in Sachsen und mehr als 100 000 Euro an ein krebskrankes Mädchen. Zwischendurch jettet er nach Paris, Mallorca oder Hongkong. Der Boulevard liebt die Geschichte des Todkranken, der sein Vermögen verschleudert: RTL „Explosiv“, „Bild“, „Taff“ bei Pro Sieben, „Bravo“, „Hamburger Morgenpost“, Kölner „Express“, „BZ“ aus Berlin – sie alle berichten ausführlich. Es ist eine bizarr-schöne Geschichte. Zu schön, um wahr zu sein. In Halle, am Sitz der Firma, weist nicht einmal ein Schild auf PC-Fritz hin. Die Website pcfritz.de ist so dilettantisch gebaut, dass sie selbst gut zu wissen Großer Anreiz Die Herstellung von nachgemachter Soft ware ist sehr lukrativ: Beliebte Programme kosten viel, und die Datenträger sind rela tiv einfach zu kopieren. Der Vertrieb erfolgt meist über Online ein Laie zusammenbasteln könnte. Das Qualitätssiegel, das den Shop als „sehr gut“ ausweist, kann man bei einer Schweizer Firma kaufen – für 55 Euro im Monat. Anders als in der Branche üblich, gibt es keine sichere SSL-Verbindung, wenn es ans Bezahlen geht. Wenn sich darauf wirklich eine halbe Million Kunden eingelassen haben, dann nur, weil PC-Fritz das Betriebssystem Windows 7 zu einem Dumping-Preis anbietet. Z eit für Fragen. Der Mann, der Mahlows Deutschlandtour mit seiner Firma Medialotse öffentlich vermarktet, heißt JanChristopher Sierks. Er ist ein großer Mann mit Glatze und betont sanften Gesten. Eine Woche vor der Party im Bergwerk sitzt Sierks mit Mahlow bei, was sonst, einem Model-Fotoshooting in einer Fabriketage in Berlin-Kreuzberg. Er lässt Mahlow nicht aus den Augen, vor allem, wenn es ums Geschäft geht. Herr Mahlow, wie schafft man es, in sechs Monaten 500 000 Kunden zu gewinnen? Boulevard zeitungen und -magazine sind begeistert vom krebskranken Unternehmer und seinen Freunden Joey Heindle, Micaela Schäfer und Michael Ammer. Kritische Fragen stellt keiner Gefälschte Software shops. Auch wenn die Fälscher oft die Ori ginalpreise um bis zu 75 Prozent unterbie ten, können sie Millio nen verdienen. Häufig betroffen ist die USFirma Microsoft, weil ihr Betriebssystem und die Office-Anwen dungen zu den mit Ab Anbieter gefälschter stand meistverkauften Software schwer. Programmen zählen. Microsoft hat sogar eigene Ermittler, die Geringe Aufklärung den Verdachtsfällen nachgehen. Außerdem Die ermittelnden Staatsanwaltschaften bietet der Konzern seinen Kunden eine tun sich im Kampf kostenlose Echtheits gegen die oft nur im Internet existierenden prüfung an. „Ich glaube, wir verkaufen gute Software zu einem ordentlichen Preis, würde ich jetzt sagen, oder?“ Sierks stutzt. Also, die Presse mitteilung, in der diese Zahlen standen, habe er nicht geschrieben. Er wisse nicht, woher das komme. Er verspricht, das zu überprüfen und aktualisierte Zahlen zu schicken. Die Zahlen werden nie ankommen. Dann sagt Sierks: „Mir geht es in der Kommunikation nicht nur darum, den Namen PC-Fritz zu penetrieren, sondern natürlich auch die Persönlichkeit Maik Mahlow.“ Der lächelt unterdessen in eine Kamera, zwei der Models im Arm, macht einen Kussmund und fasst einem der Mädchen an den Hintern. Mahlow sieht so aus, als könnte er sein Glück kaum fassen. Herr Mahlow, wie groß ist der Umsatz von PC-Fritz? „Tja, kann ich gar nicht sagen.“ Sind Sie profitabel? „Ich denke mal, dass wir profitabel sind.“ Wer kümmert sich um die Geschäfte, wenn Sie nicht vor Ort sind? „Ich habe jemanden, dem ich ganz doll vertraue“, sagt Mahlow. „Das ist Ben Krause, er fädelt alle meine superguten Projekte ein, von denen ich mich überraschen lasse, wenn irgendwelche Überraschungen für mich anstehen.“ Geboren wurde Maik Mahlow 1976 in Weißenfels in Sachsen-Anhalt. Er ging in Halle zur Realschule, danach machte er eine Ausbildung zum Industriekaufmann, war als Hacker aktiv, reparierte Computer und arbeitete im technischen Support von Vodafone. Eine enge Freundin, die Mahlow an der Berufsschule kennengelernt hat, sagt: „Ich gönne ihm den Erfolg. Ich hoffe nur, dass er sich nicht ausnutzen lässt. Er ist immer so gutmütig gewesen.“ Maik Mahlow hat sich schon früher als Unternehmer versucht. Laut Handelsregister gründete er im November 2011 die Firma BST 24, die er im September 2012 in pcfritz.de Onlinestore GmbH umbenannte – vor seiner Krebsdiagnose. Mahlow sagt, am Anfang habe es einen stillen Teilhaber gegeben. Dieser Teilhaber greife ihm noch immer unter die Arme. Den Namen will er nicht nennen. Laut Handelsregister ist ein 33-jähriger Ukrainer namens Vadym N. seit März 2013 CoGeschäftsführer der pcfritz.de Onlinestore GmbH. 4 66 26.9.2013 Foto: J.Friedrich/babiradpicture blanke brüste, geile story Maik Mahlow hat seit Ende Februar 2013 drei weitere Firmen in Magdeburg, Rostock und Dresden gegründet. Alle mit ukrainischen Co-Geschäftsführern und -Gesellschaftern, soweit bekannt mit ukrainischem Stammkapital von jeweils 25 000 Euro, alle mit demselben Geschäftszweck: „Groß- und Einzelhandel für EDV-Software und das Betreiben eines entsprechenden Online-Shops“. Nur: Es gibt diese Onlineshops nicht. Überhaupt spielt die Ukraine eine wichtige Rolle im Leben von Maik Mahlow. Er sagt, er sei bereits mehrfach dort gewesen. Beim ersten Mal habe er über eine Partneragentur eine Freundin finden wollen. Später sei er wegen geschäftlicher Dinge hingefahren. Sogar sein Krebs sei in der Ukraine diagnostiziert worden. „Ich habe mir an den Nacken gefasst, und plötzlich war da eine große Beule“, erinnert Mahlow sich. „Dann bin ich ins Krankenhaus.“ Wo war das Krankenhaus? „Irgendwo in Kiew, aber sehr modern.“ Was für Medikamente nehmen Sie gegen die Schmerzen? „Ich nehme ein paar Tabletten, aber sonst hauptsächlich mein Insulin.“ Er sei zuckerkrank, sagt er. Nach fünf Stunden ist das Fotoshooting vorbei, und Ben Krause, der Mann, dem Mahlow vertraut, fährt in einem Jaguar vor, Neupreis: über 100 000 Euro. Krause hat unter dem rechten Auge eine Narbe. Er sieht ganz anders aus als der Marketingchef Ben Krause, dessen Bild man auf der Website von PC-Fritz sieht. Eigentlich sieht er aus wie Firat C., ein Berliner Geschäftsmann kurdi68 26.9.2013 scher Abstammung. Der hat nach eigenem Bekunden gute Kontakte in die Türkei und nach China, spricht angeblich gut Chinesisch. Der falsche Krause küsst die Models und umarmt Heindle und Mahlow. „Der Maik ist ein Genie, deshalb ist er unser Chef“, sagt Krause und klatscht Mahlow auf die Geschwulst in seinem Nacken. Mahlow scheint das nicht zu stören. Vor zwölf Jahren habe er Krause in Halle kennengelernt. Wenig später löst sich die Runde auf. Krause hat Hunger. Zwei der Models steigen in seinen Jaguar, Mahlow und der Dschungelkönig Joey Heindle in einen Mercedes. Ohne Models. Krause hat ihnen den Wagen besorgt. Er habe noch 15 andere Autos, sagt er. M ahlow und Heindle haben einen engen Terminplan in den nächsten Tagen. Am 27. September soll das Finale der „PC-Fritz-Tour“ in Berlin steigen. Aber vorher wollen die beiden noch ein bisschen träumen: Heindle sagt, eigentlich dürfe es ja niemand wissen, aber der Maik und er würden bald für eine Reality-Sendung von RTL um die Welt reisen. Und dann werde der Maik auch noch in seinem neuen Musikvideo mitspielen, der Song handle nämlich von Maiks Geschichte. Und außerdem drehe er da diesen Kinofilm, er müsse noch mal mit dem Regisseur reden, aber wahrscheinlich bekomme der Maik eine kleine Rolle. Maik Mahlow ruft: „Und danach gehen wir auf Europatournee!“ Doch die Realität holt sie erbarmungslos ein. „Der beschissenste Tag meines Lebens“, postet Joey Auferstanden in der Disco: Maik Mahlow im Firmensarg. Oben: Firat C. und die Website von PC-Fritz Heindle am Dienstag vergangener Woche auf seiner Facebook-Seite. Am Morgen danach haben 100 Fahnder unter Leitung der Schwerpunktstaatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität in Halle 18 Geschäftsräume und Privatwohnungen von PC-Fritz in Halle und Berlin durchsucht. Dabei beschlagnahmten sie mehr als 100 000 Datenträger. Microsoft hat den Verdacht, es handle sich um Raubkopien des Betriebssystems Windows 7. Der Schaden sei siebenstellig. Bei Microsoft hatte man auch von den Tiefpreisen von PC-Fritz gehört und sich an den Fall des Berliner Anbieters Softwarebilliger.de erinnert. Vor zwei Jahren hatte es dort ebenfalls eine Durchsuchung gegeben. Der Verkaufsleiter damals: Firat C. Sein Bruder Izzet C. war bis vor Kurzem Inhaber der Internetadresse pcfritz.de. Genau wie Softwarebilliger.de bestreitet auch PC-Fritz die Vorwürfe. Es handle sich bei den Datenträgern um Originalprodukte, schreibt Geschäftsführer Mahlow in einer Stellungnahme auf der Internetseite von PC-Fritz. Aus Ermittlerkreisen heißt es, die Masche sei klar: Man ziehe eine Firma auf, biete ultrabillige Software an und versuche, möglichst schnell mit allen Mitteln bekannt zu werden. Bis die Sache auffliege, gebe es ein Zeitfenster von etwa sechs Monaten, in dem man abkassieren könne. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen bandenmäßigen Betrugs. Die Nummer mit dem Krebs hat offenbar funktioniert. Viele Medien schluckten sie, ohne nachzufragen. Viele Prominente ließen sich anheuern und könnten bald als Zeugen vor Gericht landen, um ihre Honorare offenzulegen – immerhin standen sie mit den Beschuldigten in einer Geschäftsbeziehung. Und die Protagonisten dieser Todesshow? PR-Mann Sierks hat sein Mandat vorübergehend niedergelegt. Der vermeintliche Ben Krause vertröstet per Mail, man werde auf dem Laufenden gehalten. Den schwerkranken Maik Mahlow soll es nach Griechenland verschlagen haben. Er geht nicht ans Telefon. 2 Andreas Spinrath, Björn Stephan und Lars Weisbrod recherchierten diese Geschichte zunächst für eine Übungszei- tung der Henri-Nannen-Schule. Mahlows Show hatte sie skeptisch gemacht Foto: Sergej Harder „schlafen können wir, wenn wir tot sind“
© Copyright 2024 ExpyDoc