Wirtschaft Tages-Anzeiger – Dienstag, 1. September 2015 9 Der Dunkelmann aus Deutschland Ein Ex-Banker aus München wollte Unterlagen über zweifelhafte Aktiengeschäfte an das deutsche Bundesland Hessen verkaufen. Als die Behörden nicht anbissen, nötigte er Partner der in den Fall involvierten Privatbank Sarasin zur Zahlung von Schweigegeld. Klaus Ott München Eine Bank, die einen Privatdetektiv braucht, hat ein Problem. Im April 2011 hatte Sarasin ein Problem. Ein Geschäftspartner der Basler Privatbank sollte 1,5 Millionen Euro zahlen. Sonst drohten, schrieb ein gewisser Jürgen Schmidt per Mail, peinliche Enthüllungen über angeblich illegale Aktiendeals zulasten des deutschen Fiskus. Was daraufhin bei Sarasin offenbar geschah, erhellen die Akten der Staatsanwaltschaft Köln, die in diesem Fall ermittelt. Die Bank soll einen Detektiv engagiert und eine Taskforce gebildet haben, um den anonymen Widersacher zu stellen. Schmidt war nur ein Tarnname. Auf Anfrage erklärt die Bank, dass man sich zur «Klärung dieser Ereignisse» von einem «externen Spezialisten» beraten liess. Allerdings blieb das Unterfangen erfolglos. Sarasin habe «einige Verdachtsmomente» gehabt, aber mehr nicht, notierten die Staatsanwaltschaft Köln und das Landeskriminalamt (LKA) Nordrhein-Westfalen nach Aussage eines Insiders. Zwei Fonds aus dem Umfeld von Sarasin zahlten schliesslich eine Million Euro für das Schweigen des Anonymus. Im Gegenzug soll Sarasin auf Honorarforderungen bei den Fonds verzichtet haben. Die Bank sagt, sie habe weder direkt noch indirekt gezahlt. Auch die rheinischen Ermittler bildeten eine Sonderkommission mit Namen Tax. Schliesslich gelang es dem LKA und der Staatsanwaltschaft, den Mann zu enttarnen. Es handelte sich um einen früheren Banker aus München, der nie bei Sarasin gearbeitet hatte. Er wurde in U-Haft genommen und legte ein Geständnis ab. Danach kam er wieder frei. Sein Motiv war schnöde gewesen: Er hatte Investoren für Deals unter der Rubrik Cum und Ex vermittelt und war gemäss seiner Einschätzung um ihm zustehende Honorare gebracht worden. Sarasin indirekt involviert Nach Erkenntnissen deutscher Ermittler haben Banken und Fonds aus vielen Staaten jahrelang in enormen Mengen Aktien mit (Cum) und ohne (Ex) Dividende ge- und verkauft – mit einem einzigen Ziel: eine jeweils nur einmal bezahlte Kapitalertragssteuer von den Finanzämtern mehrmals erstattet zu bekommen. Der Schaden für Deutschland soll insgesamt mehr als 10 Milliarden Euro betragen. Auch Sarasin war indirekt involviert. Die Bank kooperierte mit Kapitalanlagefonds, die in Cum-Ex-Deals investierten. Sarasin vermittelte Geldgeber, die Fonds drehten anschliessend das grosse Rad an der Börse, offenbar auf Kosten des deutschen Fiskus. Der falsche Schmidt bot sein Wissen zuerst dem deutschen Fiskus an. Am 15. November 2010 wandte er sich per Mail an das Bundesfinanzministerium in Berlin, Abteilung Kapitalertragssteuern. Weitere Mails folgten auch an hessische Behörden, die von den Berlinern wegen des Bankenstandorts Frankfurt mit dem Der Cum-Ex-Trick So funktioniert das Konstrukt Ein vereinfachtes Beispiel zeigt den Trick, bei dem auf reguläre Dividenden einmal Verrech nungssteuer gezahlt und diese dann zweimal vom Fiskus zurückgefordert wird. ¬ Eine Firma schüttet 100 Franken Divi dende pro Aktie aus. 65 Franken fliessen an die Bank von Aktionär A. Der Rest geht als Verrechnungssteuer an die Steuerverwaltung. Die Bank stellt dem Aktionär eine Bescheini gung aus, wonach die Verrechnungssteuer abgezogen wurde. Deklariert Aktionär A seine Einkünfte, kann er die 35 Franken zurück fordern. So weit ist alles normal. ¬ Bei CumExDeals wird die Steuer ein zweites Mal zurückgefordert – mittels eines sogenannten Leerverkaufs. Leerverkäufer L verkauft am Tag vor der Dividendenausschüt tung eine Aktie mit Anspruch auf Dividende (Cum) an Käufer K. Ein Leerverkauf ist es, weil L die Aktie nicht besitzt. Erst nach der Ausschüttung besorgt er sie sich bei Aktio när A – ohne Anspruch auf Dividende (Ex). ¬ Weil die Aktie ohne Dividende weniger wert ist, überweist L die Differenz von 65 Franken an K. Dessen Bank geht davon aus, dass es sich dabei um die Dividende abzüglich Verrechnungssteuer handelt – und stellt eine zweite Bescheinigung für die gleiche Aktie aus. K fordert vom Fiskus die Verrechnungssteuer zurück. Den Gewinn teilt er mit Leerverkäufer und Aktionär. (aba) Filiale der Bank J. Safra Sarasin in Genf. Foto: Martial Trezzini (Keystone) Fall betraut worden waren. Schmidt offerierte Informationen über einen riesigen Steuerbetrug und war sogar bereit, eine kostenlose Stichprobe zu liefern. 72 Seiten voller Details über ein «mafiaähnlich organisiertes Netzwerk», das den deutschen Staat mit Cum-Ex-Deals systematisch ausnehme. Der Anonymus schrieb, das Material sei 300 Millionen Euro wert. 0,5 Prozent, also 1,5 Millionen Euro, seien als Provision an einen Treuhänder in der Schweiz zu zahlen. Die Behörden müssten zusichern, nicht nachzuforschen, an wen das Geld wirklich gehe. Der Handel kam nicht zustande. Hessens Behörden liessen die Gelegenheit verstreichen, sich das brisante Material zu sichern. Nicht einmal die Stichprobe wurde angefordert. Die Hessen hatten rechtliche Bedenken. Am 11. April 2011 beendeten sie per Mail die Verhandlungen über einen Ankauf des Materials. Bekannt wird das erst jetzt durch das Kölner Verfahren. Die dortige Staatsanwaltschaft und das LKA Nordrhein-Westfalen ermitteln derzeit gegen jene Banker, Fondsbetreiber und deren Helfer, über die der anonyme Informant schon damals auspacken wollte. Zu den Beschuldigten zählt auch Eric Sarasin, der nach einer Razzia im Herbst 2014 als Vizechef der Bank zurückgetreten war. Er und das Geldinstitut erklären, dass sie nichts Illegales getan haben. Nachdem Hessen nicht angebissen hatte, meldete sich Schmidt am 14. April 2011 anonym bei einem Manager von Sarasin und einem Geschäftspartner des Geldinstituts. Schmidt forderte wiederum 1,5 Millionen Euro. Sonst werde er dem Bundesfinanzministerium in Berlin aufschlussreiche Unterlagen über Cum-Ex-Transaktionen schicken. Mails gingen hin und her. Einer der SarasinPartner notierte, er solle offenbar erpresst werden. Um eine «dramatische Eskalation» und «äusserst unangenehme Konsequenzen für eine Reihe von Perso- Justiz Der nächste Informant Doch noch Material für deutsche Behörden. Im Dezember 2013, sechs Tage vor Weihnachten, bekam das Landeskriminalamt (LKA) in Nordrhein-Westfalen Besuch von einer Person, die den Ermittlern wie ein Geschenk des Himmels vorgekommen sein muss. Der Gast, dessen Identität nur einem einzigen LKA-Beamten bekannt war, brachte zahlreiche Unterlagen aus der Schweizer Bank Sarasin und von Geschäftspartnern des Instituts mit. Papiere, die Aufschluss gaben über Cum-Ex-Aktiengeschäfte, die offenbar zulasten des deutschen Fiskus gingen. Die «Person», notierten die Beamten, sagte umfassend aus, nachdem ihr Vertraulichkeit zugesichert worden war. Also doch noch ein Insider, der auspackte, nachdem Hessens Behörden drei Jahre vorher keinen Deal mit einem anderen potenziellen Informanten zustande gebracht hatten. Auch über diesen Anonymus, der Sarasin anschliessend genötigt hatte, brachte der neue Insider viel Material mit zum LKA. Hinzu kamen weitere Papiere aus dem Innenleben der Schweizer Bank, die inzwischen J. Safra Sarasin heisst. Und von Fonds, die bei Cum-ExDeals mitmachten und mit denen das Geldinstitut kooperierte. Die Person wusste auch sonst gut Bescheid über Sarasin und deren Partner. Der Insider wollte, anders als viele andere Informanten, offenbar kein Geld für sein Wissen. Jedenfalls ist in der «Quellenvernehmung», so bezeichnete das LKA das zweistündige Gespräch, nichts dergleichen vermerkt. Die Angaben des Besuchers oder der Besucherin trugen dazu bei, dass die Kölner Staatsanwaltschaft mithilfe des LKA im Oktober 2014 gegen die vermeintliche Cum-Ex-Bande vorgehen konnte, die den deutschen Fiskus offenbar um mehrere Hundert Millionen Euro schröpfen wollte. Der neue Insider ist bis heute geheim und wird es nach dem Willen des LKA auch bleiben. (ok) François Carrard ist auch heute noch ein Vertreter des Namensgebers in der Kanzlei tätig. Und er ist eine bekannte Persönlichkeit: Bis 2003 war er Generaldirektor des Internationalen Olympischen Komitees (IOK). Nach dem Bestechungsskandal um die Vergabe der Olympischen Spiele 2002 in Salt Lake City leitete er den Reformprozess des IOK. Nun hat Carrard eine nicht weniger schwierige Aufgabe übernommen: Anfang August wurde er zum Leiter der Taskforce ernannt, welche bis 26. Februar 2016 Vorschläge für die strukturelle Erneuerung des internationalen Fussballverbandes Fifa machen muss. Kellerhals Anwälte waren laut Brechbühl schon bisher im Sportrecht tätig – durch den Zusammenschluss mit Carrard werde dieser Bereich aber deutlich gestärkt. Wegen der Präsenz von internationalen Sportverbänden in der Romandie sei dort das Fachwissen in Sa- chen Sportrecht gefragt. Carrard-Partner Jean-Philippe Rochat ist unter anderem Vizepräsident von Swiss-Ski. Nicht zuletzt sei das «Bassin Lémanique» eine dynamische Wirtschaftsregion, betont Brechbühl. Zahlreiche international tätige Firmen hätten sich dort niedergelassen. Eine Vertretung in Lausanne sei deshalb wichtig. nen und Banken» zu verhindern, müsse eine Einigung her. Anfang Mai 2011 kamen Schweigeverträge zwischen zwei Fonds aus dem Umfeld von Sarasin, Schmidt und einem Schweizer Treuhänder von Schmidt über insgesamt eine Million Euro zustande. Investoren verklagten Sarasin Der Insider verpflichtete sich, sein Wissen geheim zu halten und jede Menge Unterlagen zu vernichten. Einer der beiden Verträge, abgeschlossen bei einem Notar in der Schweiz, ist gar mit «Schmidt» unterschrieben. Ziemlich ungelenk – kein Wunder, beim falschen Namen. Das wäre eigentlich das Ende der Geschichte gewesen, hätten die deutschen Behörden Jahre später nicht doch noch Informationen bekommen. Investoren, die sich zu kurz gekommen fühlten, verklagten Sarasin und erstatteten Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Köln. Diese leitete Verfahren gegen mehr als 30 Verdächtige ein, darunter gegen den mutmasslichen Dunkelmann. Der gestand die Nötigung. Ihm sei klar gewesen, dass er den «Rahmen des rechtlich Erlaubten» verlassen habe. Die Unterschrift unter dem einen Schweigegeldvertrag stamme aber nicht von ihm, gab der Ex-Bankangestellte aus München bei Gericht in Köln zu Protokoll. Das krakelige «Schmidt» dürfte wohl von jemand anderem stammen. Sarasin hat nachträglich Strafanzeige in der Schweiz erstattet. Bestraft werden wird der falsche Schmidt aber voraussichtlich in Deutschland. Die Anwaltskanzlei Kellerhals Carrard stossen unter die grössten fünf vor. Mit von der Partie ist Fifa-Reformer Carrard. Hans Galli Die meisten Anwälte in der Schweiz sind Einzelkämpfer. Sie betreuen Frauen und Männer bei Scheidungen und treten als Verteidiger in Straf- und Zivilrechtsfällen auf. Aber es gibt auch einige grössere und grosse Kanzleien, welche sich insbesondere auf Wirtschaftsrecht spezialisiert haben. Sie betreuen und beraten Unternehmen bei Fusionen und Übernahmen. Bei derartigen Grossprojekten gibt es zahlreiche heikle juristische Fragen zu klären. Dazu braucht es ganze Teams, ein einzelner Anwalt oder Notar kann diese Aufgaben nicht bewältigen. In den vergangenen Jahren ist das Berner Anwaltsbüro Kellerhals zu einer der führenden Schweizer Wirtschaftskanzleien herangewachsen. Im Jahr 2006 fusionierten die Berner mit der Zürcher Kanzlei Hess Dallafior. Drei Jahre später, Anfang 2009, schloss sich die Gruppe mit der Basler Kanzlei Christian Rickli zusammen. Nun erhält sie eine starke Vertretung in der Westschweiz. Per 1. September 2015 schliessen sich Kellerhals Anwälte mit Carrard & Associés in Lausanne zu Kellerhals Carrard zusammen. «Wir sind nun an vier Standorten mit jeweils etwa 30 Anwälten und Konsulenten vertreten», sagt Beat Brechbühl, Managing Partner von Kellerhals Carrard. Reformer von IOK und Fifa Carrard & Associés, deren Wurzeln bis ins Jahr 1885 zurückreichen, haben eine lange Tradition. Mit dem 77-jährigen Konsulent in China Seit dem 1. April 2015 haben Kellerhals Anwälte auch einen Konsulenten in Shanghai. Sie arbeiten dort mit dem chinesischen Anwalt Cheng Chen zusammen, der in Freiburg studiert hat. Er betreue zusammen mit seinem Team sowohl Schweizer Unternehmen in China als auch Chinesen bei Investitionen in der Schweiz, sagt Brechbühl. Dabei erweise es sich als grosser Vorteil, dass Cheng Chen sowohl die chinesische als auch die schweizerische Kultur kenne. Rechtlich ist Kellerhals Carrard eine Kollektivgesellschaft. Der Gewinn wird auf die Partner aufgeteilt. Kriterien sind beispielsweise die akquirierten Mandate und die geleisteten Arbeitsstunden. Beat Brechbühl bezeichnet sich als Primus inter Pares. Zusammen mit den andern Geschäftsleitungsmitgliedern sei er für die Kanzleiführung (Organisation, Strategie und Marketing) verantwortlich. Aber wie alle andern Partner sei er auch als Anwalt tätig. In der Öffentlichkeit bekannt ist er insbesondere als Verwaltungsratspräsident des Flughafens Bern. Nach dem Zusammenschluss zählen Kellerhals Carrard 120 Juristen und insgesamt 200 Mitarbeitende. Damit gehört sie zu den fünf grossen Kanzleien der Schweiz. Die Nummer eins bleibt die Zürcher Kanzlei Lenz & Staehelin mit 200 Juristen, gefolgt von Schellenberg Wittmer mit 140 sowie Bär & Karrer mit 130 Partnern und Konsulenten.
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