Erich Bödeker, ZWERG Ob ein Zwerg etwas mit dem Religionsunterricht zu tun hat? Ein Zwerg gehört wohl eher zum Personal von Märchen, Mythen und Sagen und stehen doch seine Abbilder in Vorgärten, nicht aber in Schulklassen oder in Kirchen. Kleinwüchsig sind sie, tragen Zipfelmützen und weiße Bärte, lächeln auch freundlich: harmlos, klein und hintlerweltlerisch eben. Für das ernsthafte Leben und Lernen scheinen sie ungeeignet, denn Schule ist keine Hinter- oder Unterwelt, kein Vorgarten und keine „Provinz“. Erich Bödeker (1904 – 1971), ein Bergmann aus Recklinghausen, „baute“ den kleinen hölzernen Kerl, wie er sagte, im Jahre 1948. Er schuf auch Bergarbeiter, Polizisten, Sportler, Bischöfe, Filmstars und Politiker für seinen Garten: einen „Menschenpark“, ein Abbild der Welt, in der er lebte. Auch Zwerge gehörten dazu. Fünfunddreißig Jahre arbeitete Bödeker unter Tage und nebenher als Landwirt und Hausschlachter, musste dann seinen Beruf aufgeben und begann nun als Künstler ein kleines Volk aus Holz und Beton zu formen. Inzwischen wanderten viele seiner Figuren in die Museen aus. Auf rundem Sockel steht er da, der Zwerg, wie ein angespitzter Pfahl aus dem sein Gesicht herausgeschnitten ist, mit leicht hervortretender Nase und eingekerbtem Mund. Rot seine Zipfelnütze und der Strich des Mundes, hellblau sein Anzug. Die Arme hängen einfach angestückt herunter mit angespitzten Händen. Die Augen: nur schwarze Punkte. Alles ist auf die Grundform reduziert, einfacher geht es nicht. „Naive Kunst“ heißt das Etikett, das Kunsthistoriker solchen Werken anheften. Mittlerweile jedoch bezeichnet ein solches Label nicht mehr etwas Harmloses und einfach Unausgereiftes neben der „großen“ und bedeutenden Kunst. Auch Erich Bödeker gilt als anerkannter naiver Künstler, der etwas zu sagen hat. Der Zwerg hat wohl auch etwas mit ihm selbst zu tun, denn er lebte wie die Bergleute in unterirdischen Höhlen, trug eine Mütze, wie sie einst die Mönche und Bergleute trugen, bevölkerten also eine Welt, die geheimnisvoll war und dennoch einwirkte auf die oberirdische Alltagswelt der Menschen. Carl Spitzweg malte im Jahre 1848 ein Bild, in dem beide Welten aufeinander stießen: Da schaut ein Zwerg aus seiner Berghöhle in ein liebliches Tal zu seinen Füßen. Auf den zweiten Blick erkennt man, wie die Landschaft durch eine dampfschnaubende Eisenbahn durchpflügt wird. Die neue technische Welt scheint die geheimnisvolle Welt der Mythen und der Phantasie zu verdrängen. Zweckrationalität und technische Effektivität lassen wenig Raum für eine romantische Sehnsucht, der die Alltagswelt nicht genügt. Der jeweilige Blick auf die Menschen und ihre Umwelt verändert das Leben. Nun haben es Religion und Religionsunterricht nicht mit Hinterwelten oder Unterwelten von Zwergen zu tun, wohl aber mit den Verhältnissen, in denen Menschen leben und auch mit den Beziehungen, in denen Sehnsucht, Glaube, Hoffnung und Liebe eine wichtige Rolle spielen. Das Zweite Vatikanum formulierte programmatisch: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute...sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Vielleicht steckt in einem kleinen Zwerg von Erich Bödeker noch etwas von der Sehnsucht und nicht nur das Bild einer Gartendekoration? Theodor Ahrens, Paderborn
© Copyright 2024 ExpyDoc