Der Kohle hinterher - Hinder Asset Management

invest
Der Kohle
hinterher
Exchange Traded Funds Sie werden
immer grösser und mächtiger. Börsenkotierte
Indexfonds sind die Durchstarter in
der Finanzindustrie. Doch je intelligenter
die Fonds werden, desto stärker die Kritik.
von erich ger bl
88 BILANZ 23 | 2015
Shanghai Da der
MSCI die chinesischen
A-Shares nicht in
seinen Emerging
Markets Index aufnahm, rauschten
die Kurse an den
chinesischen Börsen
wochenlang rasant
nach unten.
V
on seinem Büro am Zürcher
Bleicherweg, 300 Meter vom
Paradeplatz, füttert JacquesEtienne Doerr den Riesen mit
Schweizer Geld. Doerr ist Chef
der Schweizer Niederlassung
des zweitgrössten ETF-Anbieters Vanguard. Der Riese ist der Vanguard Total
Stock Market Index Fund. Rund 370 000 Millionen
Dollar sind über verschiedene Gefässe in diesem Produkt investiert, mehr als in jedem anderen der rund
80 000 Fonds. Dabei ist Doerrs Fonds nicht besonders intelligent. Passiv bildet der seit 1992 zugelassene Indexfonds den US-Markt ab, genauer gesagt:
3809 Aktien von Apple bis Wells Fargo.
Der Vanguard-Fonds ist nicht der einzige Geldmagnet. Die passiven Fonds, die einen Index nachbilden, sind eine der grössten, wenn nicht die grösste
Erfolgsgeschichte auf den Finanzmärkten. Wegbereiter waren die Indexfonds, heute sind vor allem die
börsengehandelten, also Exchange Traded Funds,
kurz ETFs, gefragt. In den vergangenen zehn Jahren
•
ist deren Volumen regelrecht explodiert.
23 | 2015 BILANZ 89
Fotos: Justin Lane / EPA / Keystone, Qilai Shen / Bloomberg
New York Ein Indexfonds auf den USMarkt ist inzwischen
der grösste Fonds
der Welt. Die ETFs
auf den S&P 500 verbuchen regelmässig die
stärksten Zuflüsse.
Invest ETF
•
Waren 2005 noch 416 Milliarden Dollar in ETFs angelegt, sind
es jetzt bereits mehr als 2900 Milliarden. Im Gleichschritt nahm das
Produktangebot rasend zu. Die
Zahl der zugelassenen ETFs schoss
von 450 auf 4263 in die Höhe. Profitiert haben vor allem drei Unternehmen: Die BlackRock-Tochter
iShares, Vanguard und State Street
Global Advisors saugten 68 Prozent der in ETFs ­investierten Gelder auf. Die verbleibenden 32 Prozent teilen sich 235 Anbieter auf.
Das Wachstumspotenzial ist
noch gross. Die in ETFs investierten 2900 Milliarden Dollar machen nur knapp vier Prozent des
Wertes aller börsenkotierten Firmen aus. «Wir stehen noch am Anfang. Bis 2020 könnte das ETF-­
Volumen auf sieben bis neun
Billionen Dollar steigen», sagt
90 BILANZ 23 | 2015
­ ntoine Lesné, ETF-Experte bei
A
State Street Global Advisors.
Bei Obligationen machen ETFs
gerade einmal 0,4 Prozent des Volumens aus. «ETFs im festverzinslichen Bereich liegen zurück, holen
jetzt aber kräftig auf», weiss Mike
Trovato, leitender Produktmanager für ETFs bei Pimco. Der Anleihenriese hat in den letzten Jahren
24 ETFs auf den Markt gebracht.
Ein sehr starker Trend
Entdeckt wurden die ETFs vor
allem von professionellen Anlegern.
Im Asset Management eröffnete
der Einzug der ETFs neue Möglichkeiten. Mittels der transparenten
Produkte können Geldverwalter
gezielt in einzelne Sek­toren, Industrien oder Länder investieren.
«Man kann rein und raus, der Intraday-Handel zählt zu den grössten
9
Billionen Dollar
könnten in fünf
Jahren bereits in
ETFs stecken.
Vor zehn Jahren
waren es gerade
einmal 416
Milliarden.
Vorteilen der ETFs», sagt Trovato.
Die Vorteile werden genutzt. «Einzelpositionen durch ETFs zu ersetzen, ist ein sehr starker Trend», sagt
Christian Gast, Leiter des SchweizGeschäftes von iShares.
Ausgestochen werden die aktiven Fonds nicht bei der Transparenz und Handelbarkeit, sondern
vor allem bei den Kosten. ETFs auf
die grössten Indizes stehen mit Gebühren von weniger als 0,1 Prozent
zum Verkauf. Bei den aktiv verwalteten Fonds sind es oft mehr als
zwei Prozent. Performance-Fresser
wie Ausgabe- und Rücknahme­
gebühren gibt es bei ETFs nicht.
Je mehr Anbieter auf den Markt
drängen, desto stärker purzeln die
Preise. «Der Kostendruck in der
Industrie ist enorm», sagt Van­
guard-Schweiz-Chef Doerr. Der
US-Anbieter hat einen grossen
Foto: Shizuo Kambayashi / AP
Tokio In Japan sorgt ein gehebelter ETF für Unbehagen. Laut Analysten von BNP Paribas Investment Partners ist der Next Funds
Nikkei 225 Leveraged Index ETF inzwischen so gross, dass er den ganzen japanischen Aktienmarkt bewegen kann.
Vorteil: Weil er genossenschaftlich organisiert ist, sind keine Gewinne einkalkuliert. Ein europäischer ETF auf den S&P
500 Index kostet gerade einmal 0,07 Prozent. Wohl nicht zufällig ist das exakt genauso viel, wie der marktführende Rivale
iShares auf sein S&P-Produkt aufschlägt.
«Das Limit bei den Kosten ist langsam
erreicht. Bei den ETFs auf die grössten
Indizes entsteht bereits ein Verdrängungswettbewerb», sagt Raimund Müller, Leiter ETF Schweiz bei UBS Asset
Management.
Während die ETFs bei den professionellen Geldanlegern bereits fest verankert sind, sind sie in den Portfolios von
Privatanlegern noch vergleichsweise
schwach vertreten. Das hat seine Gründe:
«Wegen der geringen Gebühren haben
Banken oder der provisionsorientierte
Vertrieb nur wenig Freude an ETFs. Die
Margen sind zu tief und die Kosten zu
transparent. Die wenigsten Bankberater
empfehlen ETFs aktiv in Kundengesprächen», sagt Florian Schubiger von der
VermögensPartner AG. Je mehr die
­Retrozessionen ins Abseits geraten, desto
stärker dürften sich die ETFs auch bei
Kleinanlegern durchsetzen.
Ganz frei von Risiken sind aber auch
ETFs nicht. Allein durch ihr Volumen können sie in der sensiblen Finanzwelt einiges an Porzellan zertrümmern. So warnten der Internationale Währungsfonds,
Allein durch ihr
Volumen können
die passiven ETFs
in der sensiblen
Finanzwelt jede
Menge Porzellan
zertrümmern.
die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich und die Bank of England bereits,
dass ETFs bestehende Trends an den Finanzmärkten verstärkten und die Stabilität des gesamten Systems langfristig gefährdeten. In Japan warnte BNP Paribas
vor dem grossen Einfluss des weltgrössten
gehebelten ETF auf den Nikkei 225.
Probleme in illiquiden Märkten
Für die ETF-Anbieter kann es besonders
in kleinen Märkten Probleme geben: «Bei
illiquiden Anlageklassen kann die Diskrepanz zwischen der Verpackung und
dem Basiswert zu Problemen führen»,
sagt Vanguard-Experte Doerr. So wird
etwa der ETF verkauft, während der
­A nbieter die Basiswerte nicht loswird.
Die Zahl der ETFs, die in wenig liquide
Märkte investieren, steigt. Im Wettlauf
ANZEIGE
Umfassendes Anlageuniversum
Mit wenigen ETFs lässt sich bereits ein sehr breites
Aktien-Portfolio erstellen
Schwerpunkt
ISIN
TER*
Basiswährung
Mit sieben günstigen ETFs rund um die Welt
iShares MSCI World CHF
Hedged UCITS
Vanguard FTSE All-World
UCITS
Vanguard FTSE Developed
World UCITS
Vanguard FTSE Emerging
Markets UCITS
SPDR S&P 500 UCITS
iShares Core Euro Stoxx 50
UCITS
UBS CH-SPI CHF
Welt, v.a. USA
IE00B8BVCK12
0.55
CHF
Welt, 50% USA
IE00B3RBWM25
0.25
USD
Industrienationen
IE00BKX55T58
0.18
USD
Emerging Markets
IE00B3VVMM84
0.25
USD
USA
IE00B6YX5C33
0.09
USD
Europa
IE00B53L3W79
0.10
EUR
Schweiz
CH0131872431
0.15
CHF
Value
IE00B0M62T89
0.40
EUR
LU1215454460
0.28
EUR
FR0010717090
0.30
EUR
Drei smarte ETFs auf Europa
iShares Euro Total Market
Value Large UCITS
UBS Factor MSCI EMU Low
Volatility UCITS
Amundi ETF MSCI Europe
High Dividend UCITS
* Total Expense Ratio
Niedrige
Schwankung
Hohe
Dividenden
um Marktanteile werden die Produkte
immer kreativer. Bei 4200 zugelassenen
ETFs gibt es kaum noch Bereiche, in die
mit diesen Fonds nicht investiert werden
kann. Mit ETFs auf Firmen aus Nashville
oder auf Casinobetreiber gehen die Anbieter schon sehr ins Detail.
Zunehmend gibt man sich mit den
Renditen der gängigen Indizes nicht
mehr zufrieden. Ein grosser Trend im
ETF-Business lautet Smart Beta. Damit
die anderen ETFs nicht dumm dastehen,
versuchen Anbieter, den Begriff Alternative Beta durchzusetzen.
In den USA sind bereits 300 Milliarden Dollar in derartige ETF-Strategien
investiert. Die Anbieter werben damit,
dass eine smartere, also intelligentere
­G ewichtung eines Index eine höhere Rendite bringt. Üblicherweise bestimmt die
Marktkapitalisierung über die Zusammensetzung eines Index. Doch SmartBeta-Verfechter halten so eine Gewichtung für «suboptimal». Denn sie führt
dazu, dass ETFs verstärkt in Aktien
i­nvestieren, die bereits gut gelaufen und
oft teuer sind.
Smart-Beta-Strategien versuchen,
herkömmliche Indizes neu zu interpretieren. Dabei werden gemeinsam mit den
­Indexprovidern Kursbarometer kreiert,
in denen Aktien mit besonders hohen
­Dividenden, geringer Schwankung, starker Kursentwicklung oder niedrigen •
Invest ETF
Index
über
alles
Das Index-Geschäft
wird von vier Schwergewichten dominiert.
Ihre Macht steht in
der Kritik. Doch die
Hebel werden ganz
woanders umgelegt.
Trend zu Austauschbarkeit
Wer das Sagen hat, stellte Vanguard
2014 unter Beweis: Der zweitgrösste
ETF-Riese wechselte für die meisten
ihrer ETFs kurzerhand den Index
aus. MSCI entstanden Millionenverluste, derweil sich die FTSE-Manager
die Hände rieben. Dort erhielt Vanguard gleichwertige Indizes zu niedrigeren Gebühren. Geringe Abflüsse
nahm Vanguard in Kauf. Spielraum
zum Pokern haben die Index-Riesen
wenig. In den letzten Jahren wurden
die grossen Indizes immer ähnlicher
und damit austauschbarer.
92 BILANZ 23 | 2015
London ETFs erleichtern den Zugang zu den Rohstoffbörsen. Die höhere Liquidität kann die Ausschläge
­verstärken. Riesige Abflüsse aus Gold-ETFs führten 2013 auf den Goldmärkten zu einer heftigen Korrektur.
•
Bewertungen versammelt sind.
Oft liegt der Fokus auch auf Small
und Mid Caps, die wenig schwanken, überdurchschnittlich stark
wachsen, deren Kurs sich zuletzt
besonders gut entwickelte, die
niedrig bewertet sind oder hohe
­Dividenden ausschütten. Üblich ist
auch, alle Titel gleich zu gewichten.
Bei den kursrelevanten Faktoren
kann die ETF-Industrie aus dem
Vollen schöpfen. Laut dem UBSExperten Raimund Müller haben
Akademiker in den letzten 60 Jahren über 330 Faktoren entdeckt.
Die UBS verwaltet 230 Milliarden Franken passiv, davon 17 Milliarden in derartigen AlternativeBeta-Strategien. Zuletzt hat sie das
Sortiment an Faktor-ETFs um acht
neue Produkte ausgeweitet. Experte Müller: «Alternative Beta ist
ein Trend, der die Lücke zwischen
aktiven und passiven ­Investments
schliesst.» Laut iShares-Experte
Christian Gast schätzen vor allem
Fondsmanager diese Ansätze, weil
sie spezifische Renditetreiber gezielt isolieren können.
Doch das gilt nicht für alle Geldverwalter: «Alternative Beta oder
Smart Beta – Otto Normalverbrau-
cher versteht nur Bahnhof», sagt
Alexander Hinder, anerkannte
Schweizer ETF-Koryphäe und Anlagekommissions-Präsident von
Publica, der grössten Pensionskasse der Schweiz. Ausserdem
seien die Erfolgsaussichten der
Smart-Beta-Strategien gemischt,
«und die höheren Gebühren fressen einen Teil der Performance
weg». Einfacher und billiger
komme man mit einem ETF auf
einen Kleinwerteindex, wie etwa
den iShares SMIM, ans Ziel.
Zudem ist Timing gefragt. «Wer
diese Produkte einsetzen will,
braucht eine Meinung zum Markt.
Die Faktor-ETFs sind nicht immer
besser. Es stellt sich für den Investor die Frage, welcher Faktor gerade gut läuft. Zielgruppe sind
Profi-Investoren oder Anleger, die
viel Zeit haben», sagt Raimund
Müller von der UBS. Manche Faktoren rechnen sich oft erst nach
fünf oder zehn Jahren. Oft geben
genervte Anleger gerade dann auf,
wenn der Trend zu drehen beginnt.
Jacques-Etienne Doerr von Vanguard mag einfache Produkte und
outet sich als Smart-Beta-Kritiker:
«Diese Produkte sind weder smart,
Foto: EPA/Keystone
Dass der US-Index-Anbieter MSCI
lokalen chinesischen Aktien die
Aufnahme in seinen Emerging Markets Index verwehrte, hatte in China
nicht nur einen Gesichtsverlust zur
Folge. Wochenlang rasselten in
Shanghai die Börsenkurse in den
Keller. Der Fall hat der Finanzwelt
den Einfluss der Index­anbieter vor
Augen geführt: S&P, Russell, MSCI
und FTSE dominieren den Markt.
Sie berechnen die Indizes, auf die
sich drei Viertel der Geldmanager
berufen. Möglichst eng an die
Benchmark halten sich die
Exchange Traded Funds (ETFs).
Doch geht es nach den ETF-Firmen,
wird die Macht der Indexanbieter
überschätzt. «Sie haben eine Art
von Macht, aber am Ende arbeiten
sie für uns», sagt Antoine Lesné von
State Street Global Advisors.
Invest Thema
noch haben sie mit Beta zu tun. Es hat
sich vielmehr eine gigantische Marketingmaschine in Gang gesetzt. Solche
Produkte können sich rechnen oder
nicht.» Er verweist auf die zahlreichen
Marktstudien seines Unternehmens.
Demnach gebe es keinerlei Evidenz, dass
Indexschwergewichte überbewertet seien.
Der Kurs reflektiere zu jedem Zeitpunkt
die aggregierte Meinung der Marktteilnehmer, die auf allen Faktoren beruht.
«Wenn die nach Marktkapitalisierung gewichteten Indizes so schlecht konstruiert
wären, frage ich mich, warum die Mehrheit der aktiven Fondsmanager ihren
Index nicht schlagen», sagt Doerr.
Als besonders kritisch ist die Vermischung von verschiedenen Faktoren zu
sehen. Mit der Zeit verändere sich deren
Gewichtung. «Wie das Exposure dann
aussieht, ist für den Investor nicht mehr
nachvollziehbar», sagt Doerr. Die Transparenz als wesentlicher Vorteil eines ETF
geht dann verloren.
Intransparente aktive ETFs
Noch intransparenter wird die ETF-­
Industrie bei sogenannten aktiven ETFs.
Hier versuchen Fondsmanager aktiv, mit
einem konzentrierten Portfolio die
Benchmark zu übertreffen. Bei ihren
­G eschäften lassen sie sich ungern in die
Karten schauen. Unterschiede zum aktiven Fonds bestehen nur noch in der ETFHülle, die den Handel über die Börse
möglich macht. Noch ist der Bereich
klein. 21 Milliarden Dollar sind in 131 aktiven ETFs investiert. Doch die Nachfrage
ist offenbar da. Mit Zuflüssen von 813
Millionen Dollar ist 2015 bisher das beste
Jahr für die aktiven ETFs. Langfristig
wird es für die Aktiven schwierig, die
Benchmark nach Abzug der Gebühren zu
schlagen. Ein Problem, das die aktiven
Investmentfonds schon viele Marktanteile kostete und den Siegeszug der ETFs
erst möglich machte.
•
Manche Faktoren
rechnen sich erst
nach fünf oder zehn
Jahren. Oft geben
Anleger gerade dann
auf, wenn der Trend
zu drehen beginnt.
23 | 2015 BILANZ 93