Ich kann mein Kind nicht lieben Ich kann mein Kind nicht lieben Ich kann mein Kind nicht lieben Manchmal melden sich Eltern in der Psychotherapeutischen Elternambulanz, die vermitteln, dass sie Mühe haben, ihr Kind wirklich anzunehmen. Sie berichten, dass es ihnen schwer fällt, Intimität und Nähe zuzulassen und sich auf eine emotionale Bindung einzulassen. Bisweilen schildern sie auch, dass zu einem Kind eine gute Beziehung herrscht, aber zu einem anderen Kind das Gegenteil der Fall ist. Manchmal schildern die Eltern, dass das eine Kind lieb und zugänglich sei, das andere aber sperrig und widerborstig. Nun gibt es zweifellos Temperamentunterschiede oder Unterschiede, wie Kinder in Kontakt treten und wie viel Charme, soziale Kompetenz und Aktivität sie mitbringen. Natürlich haben Kinder unter Umständen auch unterschiedliche Schicksale – sie haben z. B. einen anderen Vater, haben eine medizinische Krankengeschichte oder eine Problematik in Hinblick auf die Regulation von Spannungen und Emotionen. Es gibt aber auch elterliche Faktoren, die dafür sorgen, dass Unterschiede zwischen den Kindern gemacht werden. Es sind ja die eigenen Gefühle, die durch die Kinder aktiviert werden und wenn die eigenen Gefühle widersprüchlich oder wechselhaft sind, dann ist es psychisch entlastend, die Ursachen für das eigene Erleben der Umwelt zuzuschreiben. Es ist in der Regel nicht so einfach, anzuerkennen, dass man selbst ungerecht und lieblos ist. Einfacher ist es, den anderen verantwortlich zu machen und sich somit psychisch zu entlasten. Diese Mechanismen der Schuldzuweisung bewirken etwas beim anderen. Das „böse“ Kind wird sich vermutlich irgendwann mit der ihm zugeschriebenen Rolle identifizieren und tatsächlich „Ich weiß nicht, ob ich annehmen, dass es nicht liebenswert sei. dich w irklich lieb habe.“ 87 Anderssen-Reuster: Wie Bindung gut gelingt. ISBN: 978-3-7945-3099-1. © Schattauer GmbH 6 Gespenster im Kinderzimmer Angst vor eigener Verletzlichkeit Neben der psychischen Entlastungsfunktion gibt es aber auch noch andere wichtige Mechanismen, die es Eltern manchmal schwer machen, sich auf ein Kind einzulassen. So ist es tatsächlich nicht so einfach, sich auf die Verletzlichkeit und seelische Offenheit eines Babys einzulassen. Um dem Kleinen in dieser Qualität nahe zu sein, braucht es beim Gegenüber gleichfalls diese seelische Zartheit und Verletzlichkeit. Wer aber befürchten muss, in solchen weichen und offenen Zuständen tatsächlich verletzt zu werden, wird sich hüten, sich so weit zu öffnen und angreifbar zu machen. Man glaubt oft unbewusst, dass eine raue Schale, ein Panzer aus Muskulatur und wachsamer, nach außen gerichteter Aktivität nötig ist, um nicht verwundet zu werden. Leider verhindert ein solcher Abwehrpanzer den Zugang zu zarteren seelischen Erfahrungen, sowohl bei sich selbst als auch beim Baby. Es braucht somit tatsächlich Mut zur Verletzbarkeit, um mit sich selbst und seinem Kind in einen verbundenen seelischen Kontakt zu kommen. Schließlich gibt es noch das Problem, dass man sich selbst als Kind mitunter nicht mochte. Ein Kind, das unglücklich und schwierig war, ist vielleicht nicht so bequem, wie ein kleiner Sonnenschein. Der Kontakt mit dem eigenen Kind kann nun Erinnerungen an eigene, vielleicht schwierige Kindheitserfahrungen hervorrufen, ohne dass man sich dessen tatsächlich bewusst wäre. Um dem aus dem Weg zu gehen, wird das eigene Kind auf Distanz gehalten. Ein Mittel dazu kann sein, dass man eine tiefere Nähe zu seinem Kind vermeidet. Mein Sohn ist mir lieber als mein Mann Wenn die Mütter manchmal sehr bedürftig oder im Umgang anstrengend sind, dann kann es vorkommen, dass sich die Männer und Väter rar machen oder auch die Familie verlassen. Mitunter sind beide Eltern hinsichtlich ihrer Fähigkeit, sich auf eine nahe Bindung einzulassen, beeinträchtigt. Gerade in nahen Beziehungen wird das Bindungssystem zwangsläufig aktiviert. Wenn dabei alte Erfahrungen von Einsamkeit und mangelndem Verständnis akti- 88 Anderssen-Reuster: Wie Bindung gut gelingt. ISBN: 978-3-7945-3099-1. © Schattauer GmbH Mein Sohn ist mir lieber als mein Mann Mein Sohn ist mir lieber als mein Mann viert werden, ist das für das Paar nicht leicht. Notwendig wäre es, über diese Dinge miteinander zu sprechen – dann kann eine Liebesbeziehung tatsächlich heilsam sein und korrigierende emotionale Erfahrungen ermöglichen. „Du bleibst doch bei mir – oder?“ 89 Anderssen-Reuster: Wie Bindung gut gelingt. ISBN: 978-3-7945-3099-1. © Schattauer GmbH
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