DEFGH Nr. 130, Mittwoch, 10. Juni 2015 EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG STAHL Schöner Schrott In Deutschland wird gebrauchter Stahl zu 100 Prozent recycelt Ein bisschen Optimismus denkilometern frontal gegen eine Mauer fährt, sagte damals ein hochrangiger Manager. Von diesem Einbruch haben sich die Stahlkocher in den meisten Ländern Europas bis heute nicht erholt. Nur in Deutschland und Polen hat die Stahlnachfrage wieder Vorkrisenniveau erreicht. Lange dauerte es, bis die Nachfrage überhaupt wieder einsetzte. Hektisch begannen die Stahlhersteller mit Sparprogrammen gegenzusteuern, um die Folgen für die Konzerne in Grenzen zu halten. Das komme ihnen jetzt zugute, meint StahlAnalyst Obst: „Die massiven Sparprogramme zahlen sich aus.“ Dank der gesunkenen Kosten erzielen viele europäische Hersteller wieder Gewinne. Wenn auch die Margen noch sehr zu wünschen übrig lassen. Damit auch die Gewinne wieder sprudeln, müssten die Stahlpreise wieder steigen. Doch das renommierte Stahlberatungshaus MEPS erwartet bis Ende 2015 in Deutschland gleichbleibende oder sogar geringere Preise beim Flachstahl. Zu groß sei der Importdruck aus Drittländern, als dass sich in vielen Sektoren höhere Preise durchsetzen ließen. Auch die Rohmaterialkosten lägen nach wie vor auf niedrigem Niveau. Dies macht es den Stahlverkäufern in den Verhandlungen mit Kunden schwer, für höhere Preise zu argumentieren. Die deutschen Stahlhersteller haben die Krise relativ gut überstanden – dank rigider Sparprogramme und zahlreicher Innovationen. Doch die weltweiten Überkapazitäten bleiben ein großes Problem von kirsten bialdiga S eit einigen Monaten rauchen sie wieder, die Schlote des größten Stahlwerks in Europa. Im süditalienischen Tarent steht die Hütte, die seit Neuestem wieder Stahl produziert. Überschüssigen Stahl, den zurzeit keiner braucht. Noch dazu mit staatlicher Hilfe. Europas Stahlhersteller sind alarmiert. Das Werk in Tarent steht für ein Thema, das die Branche bewegt wie kaum ein zweites. Für eine Politik, die die Stahlindustrie in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an den Abgrund führte: Marode Unternehmen, die im Wettbewerb nicht bestehen konnten, schieden mitnichten aus dem Markt aus, sondern wurden von den jeweiligen Regierungen mit öffentlichen Hilfen künstlich am Leben erhalten, um Arbeitsplätze zu retten. In der Folge entstanden Überkapazitäten, die den Stahlmarkt schwer belasten. Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, beziffert die gesamten Überkapazitäten in Europa auf 25 bis 30 Millionen Tonnen, die OECD kommt sogar auf mehr als 80 Millionen Tonnen. Das entspräche etwa einem Drittel der europäischen Stahlproduktion. Diese Überkapazitäten sind einer der Gründe, weshalb kaum ein europäischer Stahlkocher auskömmliche Renditen erzielt. Das Ilva-Werk in Tarent produziert wieder Stahl – mit staatlicher Unterstützung Und nun auch noch Tarent. Eigentlich war die Hütte längst stillgelegt. Sie gehörte einst zum italienischen Ilva-Konzern, dem viertgrößten Stahlhersteller Europas. 1995 hatte die Stahlunternehmerfamilie Riva das Werk in Tarent dem Staat abgekauft, 2012 wurde es wegen Umweltvergehen und des Verdachts der Bestechung beschlagnahmt. 90 Prozent des gesamten im Land freigesetzten Dioxins stammten aus Tarent. Die Emissionen sollen in 13 Jahren den Tod von fast 400 Menschen verursacht haben, so sieht es die Staatsanwaltschaft. 8,1 Milliarden Euro aus dem Familienvermögen wurden konfisziert – die Summe entspricht den Behörden zufolge dem illegalen Gewinn, den die Rivas einstecken konnten, weil sie nicht in den Umweltschutz investierten. Anfang des Jahres wurde das Werk wieder verstaatlicht, für die italienische Regierung geht es um mindestens 11 000 Arbeitsplätze in einer strukturschwachen Region. Und so produziert das Werk wieder Stahl. „Die Bedeutung dieses Falls und seine möglichen negativen Auswirkungen auf den Wettbewerb in der Europäischen Union können gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagt Stahl-Präsident Kerkhoff. Nach seinen Berechnungen erhält das Ilva-Werk öffentliche Beihilfen von zwei Milliarden Euro. Der deutsche Stahlverband legte daher bei der EU-Kommission Beschwerde ein. Tatsächlich sehen auch andere Fachleute in der Hütte ein Risiko für Europas Stahlkonjunktur. Analysten von Merrill Lynch bewerten das Ilva-Werk als destabilisierenden Faktor für Europas Stahlindustrie. Der Hersteller unterbiete die Konkurrenten, nur um die Auslastung zu erhöhen. Eine solche Strategie würde ein rational operierender privater Investor auf Dauer nicht fortsetzen können, meinen die Analysten. Dabei gibt es erste Anzeichen, dass die europäische Stahlkonjunktur sich nach längeren Jahren der Krise weiter erholen könnte. Vor allem in Deutschland laufen die Geschäfte der Stahlhersteller wieder besser. 2014 konnte die deutsche Stahlindustrie mit Branchengrößen wie ThyssenKrupp oder Salzgitter erstmals seit 2011 einen Produktionszuwachs erzielen nach Rückgängen in den beiden Vorjahren. Im ersten Quartal 2015 nahmen die Stahlhersteller vier Prozent mehr Bestellungen in ihre Bücher als im Vorjahr. Das war immerhin schon das fünfte Quartal in Folge mit einem Zuwachs. So groß ist die Zuversicht, dass Stahlpräsident Kerkhoff sogar einen Blick über dieses Jahr hinaus wagt: Auch 2016 erwartet er in Deutschland ein Nachfrageplus von zwei Prozent. Die deutschen Hütten profitierten von der steigenden Nachfrage aus den europäischen Nachbarländern und einer gut laufenden Automobilkonjunktur, meint Stahlexperte Christian Obst von der Baader Bank. „Der ganz große Anpassungsschock nach der Lehman-Krise ist jetzt überwunden“, sagt Obst. Die Lehman-Krise. Lange brauchte die Stahlindustrie, um sich von diesem Trauma zu erholen. Von heute auf morgen wurden Aufträge storniert, die Nachfrage nach Stahl kam abrupt zum Erliegen. Kein Vergleich erschien drastisch genug, um den Stillstand in den Stahlwerken zu schildern. Wie bei einem Porsche, der mit 180 Stun- Auf dem Weltmarkt besteht ein Überangebot an Eisenerz Die Stahlbranche befindet sich seit Jahren auf Achterbahnfahrt: Mal geht es rauf, mal runter. Derzeit sieht die Branche die Zukunft wieder mit verhaltenem Optimismus. FOTO: AP „In der EU ist die Trendwende vollzogen“ SZ: Herr Kerkhoff, die Stahlindustrie steckt in einer schwierigen Phase. Der größte Stahlverbraucher, die Autoindustrie, investiert zunehmend in Schwellenländer. Und auch die Beschaffungsmärkte für Rohstoffe sind größtenteils Tausende Kilometer entfernt. Hat die Stahlindustrie in Europa überhaupt noch eine Zukunft? Hans Jürgen Kerkhoff: Wo sollen die großen Innovationen denn herkommen, wenn nicht aus der EU? Die Stahlindustrie ist ein wichtiger Teil der industriellen Wertschöpfungskette: In enger Zusammenarbeit mit etwa der Automobil- oder Maschinenbauindustrie entstehen die Ideen für neue Produkte und die dafür erforderlichen StahlWerkstoffe. Die Industrie war es doch, die uns nach der Krise rasch wieder auf das heutige Niveau gebracht hat! Lassen Sie mich die Frage ein wenig präzisieren. Hat die Stahlindustrie in dieser Größenordnung noch eine Zukunft in Europa? Viele Hersteller klagen seit Jahren über Überkapazitäten beim Stahl, die die Preise kaputt machen. Ja, es ist richtig, es gibt Kapazitätsüberhänge in der EU, unserer Einschätzung nach in einem Umfang von 25 bis 30 Millionen Tonnen. Diese Überhänge sind aber nicht mit denen in China zu vergleichen. Das Land exportiert über 90 Millionen Tonnen Stahl im Jahr und überfordert damit die Aufnahmefähigkeit der restlichen Welt. Die strukturellen Überkapazitäten in China sind etwa doppelt so hoch wie die gesamte Rohstahlproduktion in der EU. Sie belasten massiv die Märkte. Aber auch in Europa werden Kapazitäten künstlich am Leben erhalten. Einer der größten Stahlhersteller, die italienische Ilva, wird zurzeit reverstaatlicht. Da haben Sie recht. Rund zwei Milliarden Euro öffentlicher Hilfen soll der italienische Konzern bekommen, während die Konkurrenten es aus eigener Kraft schaffen müssen. Wir haben daher eine förmliche Beschwerde bei der EU-Kommission eingereicht. Immerhin steigt ja zurzeit wieder die Nachfrage. Wie sehen Sie die Entwicklung der Stahlkonjunktur? In der EU ist die Trendwende vollzogen, die Marktversorgung liegt aber noch immer um knapp 30 Millionen Tonnen unter dem Mittelwert der Jahre 2000 bis 2005. Für Deutschland erwarten wir aber für die Jahre 2015/16 einen leichten Anstieg der Nachfrage um jeweils zwei Prozent. Deutschland und Polen sind die einzigen EU-Länder, deren Stahlproduktion schon wieder das Vorkrisen-Niveau erreicht hat. Wie wirken sich die Importe aus Drittländern auf die Stahlkonjunktur aus? Die Drittlandimporte sind trotz schwachem Euro-Kurs weiter auf hohem Niveau. Im ersten Quartal haben sie sich aus China sogar verdoppelt. In einigen Produktkategorien wie bei kornorientiertem Elektroband, das für Transformatoren gebraucht wird, wird der EU-Markt gerade durch Importe zu Dumping-Preisen massiv geschädigt. Das sieht auch die EU-Kommission so und belegt diese Produkte nun seit Neuestem mit vorläufigen Zöllen gegen fünf Länder. Sollte sich binnen fünf Monaten nichts an dieser Preispolitik ändern, werden sie dauerhaft Zölle entrichten müssen. Stahl ist und bleibt das Grundnahrungsmittel für die Industrie. Auch bei der Herstellung von Autos wird er weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Es findet seit Jahren ein sehr edler Wettstreit zwischen den verschiedenen Werkstoffen und auch den besten hybriden Werkstofflösungen statt. Klar ist, dass der Anteil höherfester Stähle steigt. Nach einer Studie von McKinsey wird ihr Anteil im Auto von derzeit 15 auf 38 Prozent im Jahr 2030 zunehmen. Wann hat es zuletzt Anti-Dumpingmaßnahmen der EU für Stahl gegeben? Zuletzt vor zwei Jahren, und man kann daraus ableiten, dass die EU nicht leichtfertig mit diesem Handelsinstrument umgeht. Aber der große Nachteil im Hinblick auf den Treibstoffverbrauch ist das Gewicht des Stahls. Nein, im Gegenteil, wir können dazu beitragen, das Gewicht des Autos und damit den Energieverbrauch deutlich zu senken. Wir haben uns zuletzt im Rahmen der Initiative Massiver Leichtbau jedes einzelne Bauteil im Antriebsstrang und Fahrwerk angeschaut und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass es möglich ist, das Gewicht dieser Teile um 42 kg zu senken. Bei vielen Anwendungen im Automobil ist Stahl trotz seines höheren spezifischen Gewichts an- Wie hat sich der Bahnstreik ausgewirkt? Die Stahlindustrie ist der größte Kunde der Bahn, fast die Hälfte ihrer Mengen transportieren die Hersteller in Güterzügen. Ein Teil der Versandmengen konnte kurzfristig auf Lkw verlagert werden. So ist es uns bei den letzten Streiks ganz gut gelungen, die Schäden abzumildern. Trotzdem entstanden den Stahlherstellern zusätzliche Kosten in zweistelliger Millionenhöhe durch die kurzfristigen Ausweichaktionen. Glücklicherweise gab es keine wesentlichen Produktionsausfälle. Am schwierigsten ist es, nach einem Streik wieder in den gewohnten Rhythmus zu kommen. Wenn Sie über die Alltagsprobleme der Branche hinausblicken – wie sehen Sie die Zukunft der europäischen Stahlindustrie auf längere Sicht? Laut Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, ist Stahl das Grundnahrungsmittel der Industrie. Die Branche habe trotz Herausforderungen durchaus eine Zukunft in Europa, prognostiziert Kerkhoff. FOTO: DPA Insbesondere beim Eisenerz, dem wichtigsten Rohstoff, bleiben die Preise der Deutschen Bank zufolge weiter unter Druck. In den Jahren des Stahl-Booms von 2005 bis 2009 wurden so viele Erzvorkommen erschlossen, dass nun auf dem Weltmarkt ein Überangebot herrscht. Dies wird dadurch verschärft, dass auch China weniger Stahl und damit weniger Erz nachfragt. Dass sich die deutschen Stahlhersteller in diesem Umfeld vergleichsweise gut schlagen, führt Deutsche-Bank-Stahlexperte Josef Auer unter anderem auf die Innovationsfreude zurück. Vor allem in der Bauindustrie und in der Autoproduktion, im Wettlauf mit anderen, leichteren Materialien wie Aluminium und Kunststoffen, habe Stahl bisher besser abgeschnitten als erwartet. Der Siegeszug der konkurrierenden Materialien habe nicht so eindeutig stattgefunden wie gedacht, weil die Stahlindustrie insbesondere im Auto mit zunehmend dünneren und dennoch stabilen Stählen und Blechen gegengehalten habe. Auer zieht einen Vergleich zum Kupferkabel in der Telekommunikation, das mit dem Aufkommen von Glasfasern vor 30 Jahren schon abgeschrieben war. Tatsächlich würden heute aber beide Materialien in modernen Kommunikationsnetzen verwendet. Analog bleibe auch für Stahl in diesem Portfolio unterschiedlicher Materialien ein wichtiger Platz reserviert. Auch wenn die Geschäfte der Stahlhersteller zurzeit ein wenig besser laufen, als nach der Lehman-Krise zu erwarten war – für Euphorie besteht aus Sicht von Branchenexperten nach wie vor kein Anlass. Bis 2025 können die deutschen Stahlkocher der Deutschen Bank zufolge auf eine schwarze Null beim jährlichen Produktionsplus hoffen. Aber nur dann, wenn sich das Hauptproblem der Branche nicht verschärft: die weltweiten Überkapazitäten. INHALT Stahlpräsident Hans Jürgen Kerkhoff sieht großes Potenzial für die Branche, fordert aber Rückhalt von der Politik Die Zeiten sind nicht einfach für die Stahlbranche. Ein Gespräch mit Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl. 31 Heiße Diskussion deren Werkstoffen im Hinblick auf Leichtbau mindestens ebenbürtig – und gleichzeitig wirtschaftlicher und in der Gesamtbilanz umweltfreundlicher. Die Klimapolitik beunruhigt die Unternehmen Ein weiterer großer Abnehmer für Stahl ist die Bauindustrie. Was erhoffen Sie sich von den anstehenden Investitionen in Infrastruktur? Die Aufstockung der Infrastrukturinvestitionen ist richtig und wichtig, nicht allein wegen ihrer Wirkung auf die Nachfrage, sondern weil sie die Wertschöpfungsketten in ihrer Breite stärkt. Wir wünschen uns aber, dass weitere Schritte zur Schließung der „Investitionslücke“ in Deutschland folgen. Flexibler Stoff Wie reagiert die Branche auf die Digitalisierung? Überall gibt es Initiativen, auch, um die Logistik zu optimieren. Denn daraus ergeben sich für die Stahlindustrie große Chancen: Eine noch effizientere Lagerhaltung etwa wirkt sich positiv auf die Bilanz aus. Aber auch bei Prozesssicherheit, Produktqualität und Flexibilität der Produktion spielt das Thema eine wichtige Rolle. Nordrhein-Westfalen steht zu seiner Industriegeschichte. Und sieht darin Zukunft Das klingt ja alles vielversprechend. Ja, die Industrie und der Werkstoff, so traditionsreich sie sein mögen, haben großes Potenzial. Entscheidend für die Zukunft ist, dass die politischen Rahmenbedingungen richtig gesetzt werden, vor allem in Energie-, Klima- und Ressourcenpolitik. interview: kirsten bialdiga Die Baubranche ist ein wichtiger Abnehmer von Stahl. Es geht auch mehr 28 29 Leichter fahren Der CO2-Ausstoß von Neuwagen soll weiter reduziert werden. Leichtbau ist eine Antwort 30 Stolzes Land 31 Stahl-Innovationspreis Im Rahmen des Berliner Stahldialogs der Wirtschaftsvereinigung Stahl wird dieses Jahr zum zehnten Mal der Stahl-Innovationspreis verliehen. Insgesamt gibt es 13 Preise in vier verschiedenen Kategorien. Diese werden auf den folgenden Seiten in loser Folge, allerdings weitgehend thematisch zugeordnet, kurz vorgestellt. Ziel des Wettbewerbs ist es, neue Ideen und Weiterentwicklungen für den traditionsreichen Werkstoff vorzustellen und zugleich bekannter zu machen. 28 STAHL EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Mittwoch, 10. Juni 2015, Nr. 130 Die Stahlherstellung verschlingt Unmengen Energie – der Strompreis spielt für die Branche dementsprechend eine wichtige Rolle. FOTO: THYSSEN-KRUPP von ralph diermann Heiße Diskussion U m Stahl zu erzeugen, bedarf es enorm viel Energie. Das war schon in der Antike so, als Griechen und Römer eine einfache Form von Stahl herstellten: Die Öfen, in denen sie Eisenerz verhütteten, arbeiteten mit Holzkohle – ein Grund dafür, dass viele Wälder rund um das Mittelmeer heute verschwunden sind. In der modernen Stahlerzeugung treten Koks und Kohle an die Stelle der Holzkohle. Zudem benötigt die Stahlbranche sehr viel Strom; für die Elektrolichtbogenöfen, in denen Schrott zu neuem Stahl wird, genauso wie etwa für die Walzwerke. Und nicht zuletzt verbrauchen die Hersteller große Mengen an Erdgas, zum Beispiel für die Befeuerung von Wärmöfen für die Walzstahlproduktion. Insgesamt drei Prozent des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs entfallen auf die Stahlindustrie. Beim Strom sind es sogar vier Prozent. Kein Wunder also, dass die Branche bei ihren Investitionsentscheidungen besonderes Augenmerk auf die Energiepreise in den jeweiligen Regionen legt. Und da hat Europa gegenüber den USA, China und Indien – zusammen mit Japan die weltweit wichtigsten Produktionsstandorte – derzeit eher schlechte Karten. So ist Erdgas diesseits des Atlantiks momentan fast doppelt so teuer wie in den USA. Dort hat das Die Stahlhersteller betrachten die europäische und die deutsche Klimapolitik mit Sorge. Experten sehen in der Energiewende auch eine Chance Fracking die Preise auf Talfahrt geschickt. Die Schwellenländer können ebenfalls mit niedrigeren Gaspreisen punkten. Beim Strom ist der Vergleich nicht ganz so einfach, weil die Börsenpreise volatil sind und zudem die Umlagen und Steuern wie auch die Nachlässe, die Großverbrauchern darauf gewährt werden, von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Doch tendenziell müssen die Unternehmen auch für Strom in Europa mehr zahlen als andernorts. Um die Stahlhersteller – wie auch andere energieintensive Branchen – bei den Stromkosten zu entlasten, räumt die Bundesregierung den Konzernen auf Abgaben wie die EEG-Umlage großzügige Rabatte ein. Dennoch zeigt sich die heimische Stahlindustrie derzeit nicht sonderlich zufrieden mit der deutschen Energiepolitik. So protestieren die Hersteller gegen den Plan von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, die Eigentümer älterer Kohlekraft- werken zu verpflichten, über den europäischen CO2-Handel hinaus Emissionsrechte zu erwerben. Dies treffe die Branche gleich auf mehrere Weise, sagt Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl: „Zum einen handelt es sich hierbei um einen verzerrenden nationalen Eingriff in das europäisch harmonisierte Handelssystem. Zum anderen ist durch die Belastung der Kraftwerke aus unserer Sicht mit deutlichen Strompreissteigerungen zu rechnen.“ Darüber hinaus hätte das Vorhaben auch Folgen für die eigene Energieerzeugung. Die Konzerne nutzen nämlich die bei der Stahlherstellung entstehenden Gase, um damit selbst Strom zu produzieren. Sind die Anlagen schon älter, würden sie unter die geplante Vorgabe fallen. Sorgen bereitet der Branche auch, dass die Selbstversorgung mit Strom aus eigenen, bereits bestehenden Kraftwerken künftig mit der EEG-Umlage belastet werden könnte. Bisher gilt dies nur für neue Anlagen. Die Bundesregierung hatte bei der letzten Novelle des EEG jedoch auf Druck der EU-Kommission beschlossen, den Bestandsschutz bis 2017 neu zu gestalten. „Müsste die volle Umlage bezahlt werden, liefe das auf Mehrkosten von 600 Millionen Euro im Jahr hinaus. Doch auch eine nur anteilige Belastung mit zwanzig oder vierzig Prozent wäre mit Zusatzbelastungen von 120 bis 240 Millionen Euro im Jahr verbunden“, erläutert Stahlpräsident Kerkhoff. Aus Brüssel kommt in den Augen der Stahlbranche jedoch noch weiteres Ungemach. So haben sich die EU-Mitgliedsstaaten darauf verständigt, den Emissionshandel zu reformieren. Die für 2019 vorgesehene Einführung einer Marktstabilitätsreserve soll den Preisverfall der CO2-Zertifikate beenden. Zudem will die EU-Kommission die Zahl der Emissionsrechte ab 2021 jährlich um 2,2 statt um 1,74 Prozent kürzen. „Ein erheblicher Anstieg der Zertifikatspreise bereits ab 2019 ist im Grunde programmiert“, sagt Karlheinz Blessing, Chef der Saarstahl AG sowie der Dillinger Hütte. Bei einer unveränderten Fortführung der heutigen Regelungen befürchtet er für die deutsche Stahlindustrie bis 2030 jährliche Kosten von bis zu einer Milliarde Euro. „Dieses Geld steht dann schlicht nicht mehr für die notwendigen Investitionen in Anlagen und Prozesse, die die Unternehmen jährlich tätigen, zur Verfügung. Was dies für die Zukunft der Standorte bedeutet, liegt auf der Hand“, erklärt Blessing. Die Branche fordert eine internationale Klimapolitik als Basis für fairen Wettbewerb Die Stahlindustrie sei eine internationale Branche, betont der Manager. „Die Klimapolitik muss es daher auch sein, will man weltweit faire Wettbewerbsbedingungen.“ Die heimische Stahlindustrie als Opfer der europäischen Energie- und Klimapolitik? Hauke Hermann vom Öko-Institut in Freiburg sieht das etwas anders. „Die Stahlbranche klagt lieber über die Politik anstatt sich damit zu beschäftigen, wie die eigene Produktion noch energieeffizienter werden könnte“, sagt der Wissenschaftler. Er weist zudem darauf hin, dass die Hersteller die CO2-Zertifikate bislang kostenlos erhalten. Eine Studie des Öko-Instituts habe gezeigt, dass sie sogar mehr Emissionsrechte bekämen als benötigt. „Mit deren Verkauf verdienen sie Geld“, so Hermann. „Darüber hinaus erwähnen die Unternehmen meist nicht, dass sie vom Staat eine Kompensation für die Strompreissteigerungen erhalten, die durch den Emissionshandel ausgelöst werden.“ Hermann sieht in der Energiewende für die Branche auch Chancen, die sie konsequent nutzen könnte. „Die Stahlindustrie könnte zum Beispiel ihre flexiblen Lasten sowie ihre Kraftwerke einsetzen, um die Stabilität im Stromnetz zu stärken. Mit dieser Leistung würden die Unternehmen zusätzliche Erlöse erzielen.“ Überdies weist der Wissenschaftler darauf hin, dass der Ausbau der Wind- und Solarenergie die Preise an den Strombörsen in den vergangenen Jahren durchaus gedrückt habe. Das komme der deutschen Stahlindustrie zugute. Daher sei es seiner Ansicht nach auch legitim, dass sich die Branche an der Finanzierung der Ökostromanlagen beteiligt. „Von den Vorteilen niedriger Strompreise profitieren, aber sich nicht am Ausbau der erneuerbaren Energien beteiligen wollen – das geht nicht“, sagt Hermann. Anreize erwünscht INNOVATION BEGINNT MIT STAHL www.stahl-online.de Die Branche hat die Energieeffizienz zwar gesteigert, nutzt aber noch nicht alle Möglichkeiten Im Grunde ist Stahl ein Produkt, von dem jeder Umweltschützer nur träumen kann: Mit einem guten Rostschutz ist Stahl extrem langlebig. Wenn er aber eines Tages zum alten Eisen gehört, lässt er sich problemlos wiederverwerten. Und das quasi unbegrenzt oft, denn die Qualität des Materials bleibt beim Recycling erhalten. Wäre da nur nicht der immense Bedarf an Koks, Kohle, Strom und Erdgas. Der enorme Energieverbrauch belastet auch die betriebswirtschaftlichen Bilanzen. Bis zu vierzig Prozent der Produktionskosten entfallen auf die Energieressourcen. Effizienz ist deshalb ein zentraler Wettbewerbsfaktor. Und da schlagen sich die heimischen Hersteller gut, meint Gerhard Endemann, Leiter des Geschäftsfelds Politik der Wirtschaftsvereinigung Stahl. „Im internationalen Vergleich stehen die deutschen Stahlproduzenten bei der Energieeffizienz bestens da“, sagt Endemann. So haben die Unternehmen nach Berechnungen der Wirtschaftsvereinigung Stahl ihren Primärenergieverbrauch pro Tonne Rohstahl von 1990 bis 2013 um fünfzehn Prozent verringert. Als ein Beispiel nennt Endemann die Rückgewinnung der Wärme, die in den Produktionsprozessen anfällt. Ein anderer Ansatzpunkt liegt in der Modernisierung von Anlagenkomponenten wie Pumpen oder Antrieben. ArcelorMittal zum Beispiel hat in seinem Hamburger Werk die Gebläse der Hochöfen optimiert und damit den Energieverbrauch pro Tonne produziertem Eisenschwamm – ein Vorprodukt der Rohstahlerzeugung – um neun Prozent reduziert. ThyssenKrupp Steel Europe hat sich eines seiner Warmbandwerke in Duisburg vorgenommen, in dem aus dicken Stahlblöcken dünne Bleche werden. Öfen bringen den Stahl dort auf die nötige Walztemperatur von mehr als 1000 Grad. Das Unternehmen hat einen Teil dieser Öfen mit neuen Brennern ausgestattet, die mit weniger Energie auskommen. Wie viele andere Hersteller auch setzt die Salzgitter AG auf die Verwertung der Kuppelgase, die im Hochofen und in der Kokerei anfallen: Der Konzern gewinnt daraus Strom und Wärme. Schritte wie diese sind für die Branche nach Einschätzung von Oliver Strähle, Partner bei der Unternehmensberatung Bain & Company im Sektor Industriegüter und -dienstleistungen, längst selbstverständlich. „Bei vergleichsweise einfachen Investitionsentscheidungen wie dem Austausch von Aggregaten, der Modernisierung von Antrieben oder der Nutzung von Kuppelgasen hat die Energieeffizienz für die Stahlindustrie schon lange eine zentrale Bedeutung. Solche Maßnahmen amortisieren sich verlässlich und schnell“, sagt Strähle. Doch damit seien die Einsparmöglichkeiten noch nicht ausgeschöpft. „Erhebliches Potenzial steckt in aufwendigeren Maßnahmen, bei denen die Hersteller Veränderungen im Fertigungsprozess vornehmen oder mit ihren Zulieferern zusammenar- beiten müssen.“ Dass diese Felder brachliegen, ist nach Ansicht Strähles vor allem der fehlenden Transparenz sowie einem Mangel an durchgehender Verantwortung geschuldet. „Die Prozessführung neu zu gestalten ist eine sehr komplexe Aufgabe, deren Nutzen im Vorfeld längst nicht immer eindeutig zu ermitteln ist. Das gilt auch für die Amortisationszeiten“, erklärt er. Auch Verbandsvertreter Endemann sieht Ansatzpunkte, die Energieeffizienz weiter zu verbessern. „Wir arbeiten daran, diese Potenziale zu erschließen. Allerdings gilt dabei das Wirtschaftlichkeitsgebot“, betont er. Als Beispiel führt Endemann die Hochöfen an. „Die Stahlindustrie erforscht zurzeit, ob sich Koks und Kohle im Reduktionsprozess durch Erdgas ersetzen lassen. Das würde die CO2-Emissionen reduzieren. Ob dieser Ansatz sinnvoll ist, hängt nicht zuletzt von den Kosten ab.“ Dazu komme die Abhängigkeit Deutschlands von Gaslieferungen aus Russland. „Würden wir den Erdgas-Einsatz deutlich erhöhen, hätte dies auch eine politische Dimension.“ Die Stahlindustrie ist für etwa sechs Prozent der CO2-Emissionen Deutschlands verantwortlich. Bain-Berater Strähle meint: „Freiwillig tun die Unternehmen nicht mehr für ihre Energieeffizienz als das, was kurzfristig für sie ökonomisch sinnvoll ist. Für die Stahlindustrie müssen deshalb weitere Anreize geschaffen werden, auch die schwerer zu hebenden Potenziale zu erschließen.“ ralph diermann Gewichtige Alternative Forscher entwickeln Rotorblätter aus Stahl für Windkraftanlagen Bis zu 70 Meter sind die Rotorblätter moderner Windenergieanlagen lang. Um das Gewicht der Flügel gering zu halten, werden sie aus glasfaserverstärktem Kunststoff oder Kohlenstofffasern hergestellt. INNOVATIONSPREIS Innovativer Stahl ist das Material, aus dem die Zukunft gebaut wird: Von leichten Automobilkarosserien und -antrieben, auch für Elektrofahrzeuge, über hocheffiziente Turbinen für die Energieerzeugung bis hin zu völlig neuen Lösungen für Verkehrstechnik und Infrastruktur kommt kaum eine Innovation ohne diesen Werkstoff aus. Die Stahlindustrie in Deutschland stellt rund 2.500 unterschiedliche Stähle her, wovon ca. die Hälfte im Laufe von 10 Jahren verbessert oder neu entwickelt wird. Seine ständige Weiterentwicklung macht Stahl zur Basis für Spitzentechnologie in nahezu allen Bereichen der Wirtschaft. Eine Initiative von ArcelorMittal • Benteler • BGH Edelstahlwerke • Buderus Edelstahl • Deutsche Edelstahlwerke • Dillinger Hütte • Dörrenberg Edelstahl • Feralpi Stahl • GMH Gruppe Georgsmarienhütte • Hüttenwerke Krupp Mannesmann • Max Aicher Unternehmensgruppe • Outokumpu • Saarstahl • Salzgitter • Stahlwerk Thüringen • ThyssenKrupp Doch sie haben zwei Nachteile: Zum einen gibt es noch kein wirklich überzeugendes Verfahren, mit dem sich die Werkstoffe recyceln lassen. Und zum anderen ist die Fertigung mit hohen Kosten verbunden, weil hier eine Menge Handarbeit nötig ist und der Prozess zudem viel Zeit braucht. Die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) wollen daher auf Stahl als Material für Rotorblätter ausweichen. Dazu haben sie zusammen mit Kollegen der Freien Universität Brüssel das Projekt „HyBlade“ durchgeführt. Weil der Werkstoff sehr schwer ist, eignet er sich zwar nicht für die XXL-Windräder mit mehreren Megawatt Leistung, jedoch für kleinere Anlagen mit vertikaler Drehachse, die, in Gruppen auf- So könnte eine Windkraftanlage mit Rotorblättern aus Stahl aussehen. FOTO: OH gestellt, den Flächenverbrauch verringern. Mit stählernen Rotorblättern werden Windkraftanlagen umweltfreundlicher, da sich das Material sehr gut recyceln lässt, sagt Marco Pröhl vom Fraunhofer IWU. „Außerdem sinkt der Preis für die Rotorblätter in der Serienfertigung um bis zu neunzig Prozent, verglichen mit solchen aus faserverstärktem Kunststoff. Und die Flügel lassen sich genauer fertigen.“ Nach Berechnungen des Instituts ist es möglich, Rotorblätter aus Stahl in dreißig Sekunden herzustellen. Bei faserverstärkten Kunststoffen dauert dieser Vorgang oft mehrere Stunden. Zudem könne man die Herstellung gut automatisieren, da die Abläufe denen der Automobilindustrie entsprächen. Die deutschen Wissenschaftler haben im HyBlade-Projekt eine Prozesskette zur wirtschaftlichen Fertigung eines einteiligen Flügelprofils aus höherfestem Stahlblech entwickelt, während sich ihre Brüsseler Kollegen auf die aerodynamische Optimierung konzentrierten. Die hergestellten 2,80 Meter langen Rotorblätter aus etwa zwei Millimeter dickem Stahlblech für eine Windkraftanlage mit Vertikalachse können sich nun beweisen: in einem Testfeld an der belgischen Küste. radi Sonderpreis: Klimaschutz mit Stahl; Preisträger: Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU, Chemnitz; Titel: Hydrogeformtes Strömungsprofil aus Stahlblech (HyBlade) Mittwoch, 10. Juni 2015, Nr. 130 STAHL 29 EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG tik (Difu). 10 000 Brücken müssen sogar abgerissen und erneuert werden. Der errechnete Investitionsbedarf summiert sich bis 2030 auf 16 Milliarden Euro. „Wenn Bund, Länder und Gemeinden schnell handeln, lässt sich mit neu entwickelten Stahl- und Stahl-Verbundbrückensystemen der Sanierungsbedarf decken und damit der drohende Verkehrskollaps weitgehend verhindern“, erklärt Winkelgrund. Die Forschungsvereinigung Stahlanwendung (Fosta) hat in diesem Zusammenhang mehrere Projekte gefördert, bei der Stahl-Verbundkonstruktionen unter die Lupe genommen wurden. Integrale Bauweisen ohne Mittelunterstützung und Spannweiten bis zu 60 Metern, der Einsatz hochfester Stähle oder auch feuerverzinkte Brückentragwerke, bei denen der Wartungszyklus auf über 80 Jahre gesteigert wird, könnten die Kosten über die gesamte Nutzungszeit betrachtet reduzieren. von holger pauler S tahl ist allgegenwärtig: in Autos, Bussen und Bahnen, am Arbeitsplatz, zu Hause oder in Gebäuden und Brücken. Im Vergleich zu anderen Metallen wird Stahl im Bauwesen am häufigsten verwendet, der Anteil liegt aktuell bei etwa 84 Prozent. Von 43 Millionen Tonnen Rohstahl, die 2014 in Deutschland erzeugt wurden, gingen 31 Prozent oder 13 Millionen Tonnen direkt oder indirekt in das Bauwesen – dazu gehören neben Trägern, Hohlprofilen und Grobblechen auch Betonstahl, Putzprofile und abgehängte Deckensysteme. Der konstruktive Stahlbau macht etwa 2,2 Millionen Tonnen aus. Laut Bautätigkeitsstatistik werden inzwischen 24,2 Prozent der Nichtwohngebäude überwiegend aus Stahlbauteilen erstellt. Die Möglichkeiten werden zum Beispiel bei der Gebäudehülle deutlich. „Die Energieeinsparverordnung erfordert hoch wärmedämmende Bausysteme in Dach und Fassade“, sagt Reinhard Winkelgrund, Leiter Kommunikation und Marketing der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Düsseldorf. Zum Beispiel biete ein 15 Zentimeter dickes Stahl-Sandwichelement mit Polyurethanschaumfüllung für den Kühlhausbau die gleiche Isolierungswirkung wie ein 1,3 Meter dickes Ziegelmauerwerk. Zudem seien Bauelemente aus Stahl energieeffizient und böten große Spielräume für die Gestaltung im Industrie-, Gewerbe- und Geschossbau. Auch garantierten die aufgrund ihres geringen Gewichts schnell zu montierenden, langlebigen Bauteile ein hohes Maß an Wirtschaftlichkeit. Flexibler Stoff Fast ein Drittel des in Deutschland erzeugten Rohstahls wird im Bau verwendet, für Gebäude wie für Verkehrswege Feuerverzinkte Brückenkonstruktionen sind bislang nicht zugelassen Fassadensysteme werden oft für Bürogebäude genutzt Trapez- und Wellprofile aus Stahl umhüllen heute nicht nur Produktions- und Lagerhallen, sondern zunehmend auch Büro- und Verwaltungsgebäude. Bauteile aus Stahlfeinblech, so genannte kassettierte Fassadensysteme, werden gerne bei repräsentativen Bürogebäuden verwendet. Stahlfassaden können am Ende ihrer Nutzungszeit leicht demontiert und zu 100 Prozent recycelt werden. Fast zwei Drittel der bundesweiten Bauvorhaben finden im Altbaubestand statt. Zu den Projekten gehören besonders Erweiterungen von Gebäuden, neue Gebäudehüllen, das Schließen von Baulücken oder Überdachungen – wobei immer wieder Stahl eingesetzt wird. Der Aktiensaal der im Jahr 1879 eröffneten Frankfurter Börse bekam in den 1980er-Jahren mehrere neue Ebenen aus Stahl, ohne dass der Tagesbetrieb unterbrochen werden musste. Vielfältig einsetzbar ist Stahl im Bau – zum Beispiel in Form von Hohlprofilen. Die Auferstehungskirche in Berlin-Friedrichshain erhielt hinter der alten Backsteinfassade eine neue Hülle aus Stahl. Auch in architektonisch herausragenden Gebäuden spielt Stahl oft eine wichtige Rolle. Bei dem vor sechs Jahren eröffneten neuen Lütticher Hauptbahnhof wurden 11 000 Tonnen Stahl verbaut. 39 weiße Stahlbögen von jeweils 157 Metern Länge brachten futuristische Elemente in die von Stahlwerken und Zechen geprägte Industriestadt Belgiens. Wesentlich mehr Stahl, nämlich acht Mal so viel, wird für eines der wohl ambitioniertesten Projekte moderner Architektur benötigt. In der saudi-arabischen Stadt Dschidda soll das mit mehr als 1000 Metern höchste Gebäude der Welt entstehen, der Kingdom Tower. Etwa 80 000 Tonnen Stahl werden dafür benötigt. Für die Konstruktion sind hauptsäch- FOTO: THYSSENKRUPP lich Stahlbeton und Stahl vorgesehen, nur die Fassaden sind aus Glas. Das 160 Stockwerke umfassende Gebäude soll in fünf Jahren fertig sein. Doch nicht nur bei Gebäuden, auch in der Verkehrsinfrastruktur kann Stahl eine Rolle spielen. Ein Beispiel ist der Brückenbau. Zahlreiche Brücken wurden in den 1970er-Jahren geplant und erbaut, ausgelegt für den damals prognostizierten Ver- kehr. Die Verkehrsdichte und besonders der Güterkraftverkehr, der Belag und Tragwerk stark beansprucht, sind jedoch seit 1980 um 500 Prozent gestiegen. Das Bundesverkehrsministerium rechnet bis 2025 mit einer weiteren Steigerung um 85 Prozent. Doch allein die Hälfte der 67 000 kommunalen Straßenbrücken ist in einem kritischen Zustand. Dies belegt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Urbanis- „Die Feuerverzinkung war bisher bauaufsichtlich für Brückenkonstruktionen nicht zugelassen, da die dynamische Beanspruchbarkeit durch diese Art des Korrosionsschutzes beeinträchtigt wird“, sagt Dennis Rademacher, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl Stahlbau der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen der TU Dortmund. Das Verfahren wird aber bei Gebäuden oder auch Fußgängerbrücken seit Jahrzehnten eingesetzt. Bei zyklisch belasteten Brücken war dies bislang noch nicht der Fall. Hier werden organische Beschichtungen benutzt, die nach 25 bis 33 Jahren erneuert werden müssen. Die TU Dortmund, der MPA Darmstadt und das Institut für Korrosionsschutz in Dresden haben jetzt getestet, ob feuerverzinkte Brückentragwerke auch dynamischen Beanspruchungen, wie sie durch den Verkehr entstehen, standhalten. „Wir konnten nachweisen, dass die Feuerverzinkung sicher angewendet werden kann und ein Korrosionsschutz bis zu 100 Jahre hält“, so Rademacher. Das entspräche etwa der Nutzungsdauer von Brücken. Die Forschungsergebnisse werden derzeit auf einer Brücke über die A 44 zwischen Kassel und Eisenach getestet. Den Forschern zufolge wäre das Feuerverzinken für Brücken kleiner und mittlerer Spannweite als Korrosionsschutz geeignet. Verfahrensbedingt aber ist die Anwendung bei größeren Brücken, wie etwa der Leverkusener Brücke oder der Rheinbrücke Neuenkamp bei Duisburg, noch nicht wirtschaftlich möglich. An Lösungen wird geforscht. INNOVATIONSPREISE Glänzende Wellen Fassade aus Edelstahlblech für eine Kindertagesstätte Stahl steht auch einer Kindertagesstätte gut. Die Kita Miniapolis ist Teil der neuen Hauptverwaltung eines Stahl- und Technologiekonzerns, die als Quartier auf einem ehemaligen Industrieareal am Rande der Essener Innenstadt angelegt wurde. Die Kita soll wie auch die anderen Gebäude Kompetenz und Philosophie des Konzerns widerspiegeln. Die Arbeitsgemeinschaft aus JSWD Architekten und Chaix & Morel et Associés löste diese Aufgabe mit klar gegliederten Strukturen – und mit Stahl. Die Fassade wird durch Rücksprünge im Erdgeschoss sowie durch Loggien im Obergeschoss gegliedert. Verkleidet wurden die Wände mit gelochtem Edelstahlblech. Die einen Millimeter dünnen Paneele, je 65 mal 130 Zentimeter groß, wurden so angeordnet, dass zwischen den Elementen fließende Übergänge entstehen und sich eine wellenartige Form bildet. Die Stahlelemente wurden in einem im Bauwesen unüblichen hydromechanischen Prozess geformt. Nach einer am Computer entwickelten Struktur presst eine Flüssigkeit in einem geschlossenen System das Blech in eine vierteilige, dreidimensionale Form. Im Gegensatz zu herkömmlichen Verfahren, die auf dem Prinzip eines Ober- und Unterwerkzeuges ba- Aus zwei mach drei Aus einer Blechtafel entsteht eine Treppe Edelstahlwellen: Die Fassade der Kita.FOTO:OH sieren, sinken dabei die Herstellungskosten deutlich. Die Bauelemente lassen sich auch aus bandverzinktem oder farbig beschichtetem Stahlblech herstellen – und so tun sich neue Möglichkeiten für eine Fassadengestaltung mit Stahl auf. akh Die Pop-up-Technik kennt man von Kinderbüchern oder Grußkarten: Man öffnet eine Seite, und entsprechend geschnittene Bilder falten sich zu einer dreidimensionalen Figur auf. Einem ähnlichen Prinzip folgen die „cut it!“-Treppen des mittelfränkischen Unternehmens Spitzbart Treppen. Durch Auffalten einer Stahltafel entstehen moderne Treppen. Aus zweidimensional wird dreidimensional, aus einer Blechplatte eine Raumskulptur. Spitzbart Treppen hat das Produkt in Kooperation mit dem Hamburger Designer Max Wehberg entwickelt. Treppen sollten mehr sein als nur ein funktionaler Begleiter auf dem Weg nach oben oder unten. Die Idee des Designers und der Treppenbauer? Konstruktion und Design als untrennbare Einheit. Bei uns ist Mannesmann zu Hause. Seit 1886 sind Rohre von Mannesmann das Maß der Dinge. Wir sind stolz, solch eine Marke von Weltruhm in unserem Konzern zu führen, und setzen die Tradition fort. Kategorie: Stahl im Bauwesen; Preisträger: Arbeitsgemeinschaft JSWD Architekten und Chaix & Morel et Associés,Köln/Paris; Titel: Edelstahl-Fassade der Kita „Miniapolis" Wie ein Blatt Stahlkonstruktion für den Eingang der Messe Frankfurt Ein weißes, ovales Dach schwebt über dem Nordeingang der Messe Frankfurt. Ein praktischer Wetterschutz soll es sein, schön und überraschend ist es obendrein mit einer asymmetrischen Anordnung der Stützen und einer weit auskragenden Überdachung. Architekt Ingo Schrader aus Berlin und die Ingenieure Bollinger und Grohmann haben die Konstruktion gemeinsam geplant. Eine leichte Aufgabe war es nicht, da die Gründungsmöglichkeiten auf der Zufahrtsbrücke zur Messe durchaus beschränkt waren. Die Entwickler machten aus der Not eine Tugend und nutzten die Bionik: Sprich, sie orientierten sich daran, wie die Natur Material einsetzt – nämlich immer nur dort so viel, wie auch tatsächlich benötigt wird. So entstand ein sogenanntes nicht hierarchisches Tragwerk, mit einer vorgegebenen Stützenstellung und einer auf den ersten Blick zufälligen Anordnung von Trägerachsen. Der Anschein täuscht, denn mithilfe von Algorithmen wurde exakt berechnet, wo die Stützen stehen und welchen Querschnitt die lamellenförmigen Träger an welcher Stelle haben sollten. Stahllamellen mit Höhen von 150 bis 600 Millimeter und einer Dicke zwischen 20 und 40 Millimeter wurden ein- gesetzt. Verwendet wurde Baustahl S355. Aufgrund der exakten Berechnung konnte das Gewicht erheblich reduziert werden. Das Dach zeigt, was materialeffiziente Bausysteme möglich machen. pfu Kategorie: Stahl im Bauwesen; Preisträger: Ingo Schrader, Architekt BDA, Berlin, B+G Ingenieure Bollinger und Grohmann GmbH, Frankfurt am Main; Titel: Messe Frankfurt – Ovaldach am Tor Nord Wie ein weißes Blatt wirkt das Dach. FOTO: OH Die Treppe besteht aus einem Stück. FOTO: OH Die Grundlage bildet eine Tafel aus unbehandeltem, etwa 10 Millimeter dickem Baustahl. Mit einer Laserschneidanlage werden in das Ausgangsmaterial exakte Schnitte und ovale Ausschnitte gesetzt. Dabei wird, einer computergenerierten Schablone folgend, eine der späteren Treppenwangen jeweils in Stufenlängsrichtung durchtrennt. Die zweite bleibt durchgängig erhalten und bildet, eingespannt auf einer Werkbank, den Drehpunkt für die Formgebung der Treppe. Mit Handhebeln werden die Stufen schließlich um 90 Grad auf- oder abgekantet. Unter diesem Druck entfaltet sich die dreidimensionale Form. Podeste und Spindeltreppen vervollständigen das Portfolio der serienfähigen „cut it!“. Der Vorteil: minimaler Materialeinsatz plus einfache Herstellung. akh Kategorie: Stahl im Bauwesen; Preisträger: Spitzbart Treppen GmbH; Oberasbach; Titel: Treppe „cut it!“ MANNESMANN. DAS ROHR. www.smrw.de 30 STAHL EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Mittwoch, 10. Juni 2015, Nr. 130 Die neue Leichtigkeit Automobilhersteller und Forschungsinstitute suchen gemeinsam nach weiteren Möglichkeiten, mit massivem Leichtbau bei Autos Gewicht einzusparen. Hunderte Teile werden einer genauen Prüfung unterzogen. Auch die Innenausstattung der Fahrzeuge rückt dabei in den Blick von wieland kramer I m automobilen Leichtbau wird ein neues Kapitel aufgeschlagen. Deutschlandweit arbeiten seit einigen Wochen ein gutes Dutzend Hochschulen und fast 60 Unternehmen aus Stahlproduktion, und verarbeitung sowie aus der Automobilindustrie zusammen, um Kraftfahrzeuge noch leichter zu machen. Stand bisher die Karosserie ganz oben auf der Agenda, so geht es jetzt um die Innereien der Automobile: Geforscht, entwickelt und umgesetzt wird der massive Leichtbau. Qualitätsanforderungen, Sicherheit, Platzangebot und Fahrleistungen lassen das Gewicht neuer Autos stetig steigen. Um die 1700 Kilogramm bringt ein hochwertiger Mittelklassewagen heute auf die Waage. „Wir müssen die Gewichtsspirale durchbrechen“, sagt Hans-Willi Raedt, Entwicklungschef der Hirschvogel Automotive Group im oberbayerischen Denklingen und Sprecher der Initiative Massiver Der Kohlendioxidausstoß der Fahrzeuge muss bis 2020 deutlich sinken Leichtbau. Das zunehmende Gewicht der Autos ist wohl der größte Risikofaktor für die Autobauer, wenn sie die künftigen Emissionsgrenzwerte für das Klimagas Kohlendioxid einhalten wollen. Ende 2013 hat die EU die europäischen Autobauer darauf verpflichtet, dass im Jahr 2020 ganze 95 Prozent aller neuen Pkw maximal 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Das ist ein Viertel weniger als 2015. Bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor führt der Weg zum Klimaziel vor allem über den Leichtbau. Die Potenziale bei Karosserieblech, Motorblock sowie Rädern und Radaufhängungen sind zu einem guten Teil ausgeschöpft oder von anderen Werkstoffen, vor allem Aluminium, besetzt. Jetzt geht es um unspektakuläre Bauteile. Im Visier haben die Entwickler vor allem den Antriebsstrang, das Fahrwerk sowie einzelne Bauteile wie den Tank und Elemente der Innenausstattung. Das Aufspüren des Leichtbaupotenzials ist nicht einfach. Andererseits machen Antriebsstrang und Fahrwerk etwa 40 Prozent des Fahrzeug-Gesamtgewichts aus. Um dem Leichtbaupotenzial auf die Spur zu kommen, wurde ein Referenzfahrzeug durch die For- Eine komplexe Übung: Der Kohlendioxidausstoß von Neuwagen soll weiter verringert werden. Forscher und Entwickler versuchen daher, mit massiven Leichtbauteilen das Gewicht der Autos zu reduzieren. FOTO: BLOOMBERG schungsgesellschaft Kraftfahrwesen in Aachen in seine Einzelteile zerlegt. 65 Experten aus 30 Instituten und Unternehmen wählten aus 3500 Bauteilen exakt 399 aus, um die sich jetzt die Experten kümmern. Beim Antriebsstrang allein sind es 258 Bauteile, beim Fahrwerk scheinen immerhin 133 Ansätze lohnenswert zu sein. Die berechnete Gewichtsersparnis beträgt insgesamt 42 Kilogramm. „Gut 75 Prozent der Maßnahmen sind konstruktiver Art und basieren auf dem Einsatz großserientauglicher Massenumformung“, erläutert Raedt. Die Grundidee des massiven Leichtbaus ist einfach. Neue hochfeste Stähle erfüllen mit weniger Masse die gleichen mechanischen Anforderungen wie herkömmliche Stahlsorten. Beliebt sind Stähle, bei denen das von dem amerikanischen Metallurgen Edgar C. Bain entwickelte und nach ihm benannte Verfahren angewendet wird. Eine kontrollierte Abkühlung der Schmiedetemperatur erzeugt einen sehr biegsamen und zähen, den bainitischen Stahl. Was einfach klingt, ist technisch schwierig und wirtschaftlich riskant. „Nur bei der Bündelung aller Kompetenzen über die gesamte Produktionskette hinweg, also von der Stahlherstellung über die Umformung und die Bearbeitung bis hin zum fertigen Produkt können die besten Lösungen entstehen“, erklärt Hans-Willi Raedt. „Die Zeit drängt“, bestätigt Rainer Tinscher vom Institut für Werkstofftechnik an der Universität Bremen. Seit Anfang Mai wird mit Hochdruck an unterschiedlichen Standorten und in zahlreichen Disziplinen geforscht und entwickelt. „Wir werden den Werkstoff Stahl und sein Image im Leichtbau deutlich verbessern“, kündigt Instituts-Chef Professor Hans-Werner Zoch an. Stahl sei sowohl in der Herstellung wie auch im Recycling deutlich ressourcenschonender als Aluminium und biete ein reiches Entwicklungspotenzial. Am Forschungsprojekt beteiligt sind außer den Bremern das Institut für Eisenhüttenkunde in Aachen, die Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau sowie der Lehrstuhl für Umformtechnik und Gießereiwesen in München, die Institute für Umformtechnik an den Hochschulen in Stuttgart, Dortmund und Hannover, das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) in Essen sowie das Institut für Kraftfahrzeuge in Aachen. Alle sechs Monate tauschen sich die Wissenschaftler mit der Industrie im Rahmen projektbegleitender Ausschüsse aus. „Wir liefern keine anwendungsreifen Produkte“, stellt Rainer Tinscher klar. Aber „wir entwickeln und prüfen die für die jeweiligen Bauteile am besten geeigneten Werkstoffe“. So soll sichergestellt werden, dass modernste Stahllegierungen und Sorten, auch wenn sie derzeit noch sehr teuer sind, schnellstmöglich den Weg in die Produktion finden. „Das ist der ausdrückliche Wunsch der Autobauer“, sagt Tinscher. Das Team von Professor Wolfgang Bleck am Institut für Eisenhüttenkunde in Aachen geht das Leichtbauthema in ebenso kleinen wie revolutionären Dimensionen an. „Durch neue Messtechnik sind wir seit einigen Jahren in der Lage, die Metalle im Nanometer-Bereich zu analysieren. Wir Politik und Visionen treiben die Entwicklung hauptsächlich voran erkennen sogar kleinste Defekte und Risse in der Kristallstruktur.“ Die Folge: „Wir machen Fehlstellen unschädlich oder berechnen das Risiko“, erläutert Bleck. Von Schädigungstoleranz sprechen die Forscher und meinen das höchstmögliche Qualitätsniveau. Das neue Konzept soll zeigen, wo Material ohne Abstriche bei Qualität und Sicherheit eingespart werden kann. Bleck sagt: „Es ist weniger die Forschung, die den Leichtbau voranbringt. Die Impulse müssen von außen kommen.“ Die europäische Emissionspolitik aber auch Visionen der Auto-Manager treiben die Entwicklung, meint der Aachener Forscher. Konkrete Vorstellungen für neue Leichtbauprodukte gibt es zuhauf. Hans-Willi Raedt schildert die Gewichtsersparnis gerne am Beispiel der Radlager. „Sie müssen nicht wie seit Jahrzehnten rund, also rotationssymmetrisch sein, es geht auch fünfeckig mit zusätzlichen, versteifenden Elementen an den Stellen, die stark beansprucht werden.“ Beim Sportwagenhersteller Porsche hat diese Innovation bereits Einzug gehalten. Im Flaggschiff 911 drehen sich die modernen Radlager schon seit mehreren Modellgenerationen. Auch die großen SUV des Volkswagen-Konzerns nutzen die Leichtbaukomponenten. Hans-Willi Raedt meint: „Die haben begriffen, dass zwischen Beschleunigungsverhalten und massivem Leichtbau ein direkter Zusammenhang besteht.“ INNOVATIONSPREISE Besseres Sichtfeld Kleine Sache Stahl statt Alu Neue A-Säule aus höchstfestem Stahl Mit Muttern lässt sich Gewicht sparen Neuer Motorkolben entwickelt Wer kennt das nicht: Gerne würde man beim Autofahren sehen, ob sich von rechts oder links andere Fahrzeuge nähern, doch die A-Säule schränkt das Blickfeld ein. Denn die A-Säule ist in den vergangenen Jahren breiter geworden, um die Crash-Sicherheit zu erhöhen. In puncto Blickfeld war das eine Verschlechterung. Das Unternehmen Linde+Wiemann hat nun gemeinsam mit einem Stahlhersteller eine neue A-Säule aus höchstfestem Stahl entwickelt, die alle erwünschten Eigenschaften verbinden soll: Crash-Sicherheit, ein größeres Sichtfeld und reduziertes Gewicht. Um dies zu erreichen, verknüpfte das Unternehmen zwei Fertigungstechnologien. Zunächste wurde die Formplatine mit einem Profileinformverfahren kalt zu einem rohrförmigen Halbzeug umgeformt. Der Querschnitt variiert über die Länge und weist bereits in etwa die Form der späteren A-Säule auf. Seine endgültige Form erhält das Stück schließlich durch einen eigens entwickelten Warmumformprozess, der die Vorteile von Innenhochdruckumformung und Presshärten verbindet. Somit entsteht ein Bauteil, das den zur Verfügung stehenden Raum optimal nutzt. Der Sichtverdeckungswinkel wird im Vergleich zu einer A-Säule in Schalenbauweise um ein Drittel verringert. Auch das Gewicht des Bauteils wird um Es heißt, man kann an vielen Schrauben drehen. In diesem Fall ist es jedoch nicht die Schraube, sondern die Mutter, an der gearbeitet wurde. Denn selbst mit diesem kleinen Bauteil lässt sich im Fahrzeugbau Gewicht und Energie sparen. Das badenwürttembergische Unternehmen Hewi G. Winker in Spaichingen, das Muttern an zahlreiche Automobilhersteller liefert, hat den Herstellungsprozess einer genauen Betrachtung unterzogen, und siehe da, mit gezieltem Anpassen der Geometrie lässt sich die Masse der Muttern um bis zu 20 Prozent im Vergleich zu konventionellen Bauteilen reduzieren. Bainitische Werkstoffsorten tragen dazu bei, dass auch auf Glühbehandlungen verzichtet werden kann. Selbst die Wärmebehandlung, mit der normalerweise bestimmte Härtewerte erreicht werden, entfällt. Dementsprechend sinkt der Ausstoß von Kohlendioxid bei der Produktion, nämlich um 43 Kilogramm pro Tonne. Als Fertigungstechnologie dient die Kaltumformung. Momentan arbeitet Hewi daran, gemeinsam mit einem Fahrzeughersteller den Großserieneinsatz solcher Muttern vorzubereiten. pfu Über Jahrzehnte hinweg war es üblich, für Dieselmotoren Aluminium-Kolben zu verwenden. Der Autobauer Daimler hat nun gemeinsam mit KS Kolbenschmidt und dessen Kooperationspartner Hirschvogel einen Stahlkolben entwickelt, der seit Herbst 2014 im V6-Dieselmotor der E-Klasse von Daimler in Großserie eingesetzt wird. Das hat seine Gründe: Der Kolben drosselt den Verbrauch und reduziert somit die CO2-Emissionen. Kolben zählen zu den Motorbauteilen, die mit am stärksten beansprucht werden. Bis zu 50 Prozent der mechanischen Reibleistung im Motor werden von der Kolben/Laufbahngruppe verursacht. Die Stahl-Variante weist mehrere Vorteile auf: Zum einen hat der Werkstoff eine geringere Wärmedehnung als Aluminium, die Reibung im Motor wird reduziert, der Verbrauch sinkt. Zudem hat Stahl eine geringe Wärmeleitfähigkeit, und damit steigt die sogenannte Zündwilligkeit, die Brenndauer wird reduziert. In der Summe verbessert dies den thermodynamischen Wirkungsgrad. Da Stahl eine hohe Festigkeit aufweist, können Kolbenhöhe und Wandstärke kleiner dimensioniert werden – und somit sinkt das Gewicht der Kolbengruppe. Ein weiteres Plus besteht darin, dass der Stahlkolben aus einem Schmiedeteil besteht, zehn Prozent reduziert. Da sich zudem der Werkstoffeinsatz um 14 Prozent verringert, verbessert sich die Ökobilanz dieser neuen A-Säule im Vergleich zu einem herkömmlichen Bauteil. Ein weiterer Pluspunkt: Die neue A-Säule lässt sich an die Bedürfnisse der Kunden anpassen. Und eventuell kann man das Konzept auf andere Karosserie-Bauteile anwenden. pfu Es ist eine Reihe von scheinbar kleinen Entwicklungen – die aber im Automobilbau allesamt von Bedeutung sind. Einen Innovationspreis erhalten die schlanke A-Säule (links), die Leichtbaumutter (Mitte) und der neue Stahlkolben für Dieselmotoren (rechts). Kategorie: Produkte aus Stahl; Preisträger: HEWI G. Winker GmbH & Co. KG, Spaichingen; Titel: Struktur- und werkstoffoptimierte Leichtbaumutter Fortiform® xhujhz¤kqolfkvwdunxqgirupedui¯uohlfkwhuhxwrv qqrydwlyhuwdkoi¯uglhrelolw wghuxnxqiw Das sind wir kwwsÞððjhupdq|ÝdufhoruplwwdoÝfrp Kategorie: Forschung& Entwicklung; Preisträger: Linde + Wiemann GmbH KG, Dillenburg; Titel: Schlanke A-Säule FOTOS: OH das durch ein patentiertes Verfahren so umgeformt wird, dass ein geschlossener Kühlkanal entsteht. Die geringe Wandstärke zwischen Kühlkanal und der heißen Zone des Kolbens sorgt für eine effiziente Kühlung. Insgesamt reduziert der Stahlkolben den Kraftstoffverbrauch um drei Prozent – ein wichtiger Faktor. pfu Kategorie: Produkte aus Stahl; Preisträger: Daimler AG Ulm, Hirschvogel Holding GmbH, Denklingen, KS Kolbenschmidt GmbH, Neckarsulm; Titel: Stahlkolben für Pkw-Dieselmotoren Mittwoch, 10. Juni 2015, Nr. 130 STAHL 31 EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Mit neuem Stolz Nordrhein-Westfalen ist allen Krisen zum Trotz ein wichtiger Stahlstandort geblieben von stefan weber L ange Zeit fanden es nicht alle Menschen in Duisburg toll, wenn spätabends in den Dritten Fernsehprogrammen wieder einmal eine dieser alten Tatort-Sendungen wiederholt wurde, die in ihrer Stadt spielen. In denen sich Götz George in der Rolle des Kommissars Horst Schimanski gerne prügelt – und das vorzugsweise vor der Kulisse abgewrackter Stahlwerke. Solche Szenen, so meinten manche Duisburger, festigten nur das wenig schöne Bild von ihrer Stadt als Standort einer „old economy“, die in den Augen vieler ihre beste Zeit hinter sich hat. Doch inzwischen – auch mit der Erfahrung aus der Finanzkrise – sehen sie das an Rhein und Ruhr ein wenig entspannter. Mancher ist inzwischen sogar ein wenig stolz auf den starken industriellen Kern der Region. Schließlich hat sich die Industrie auf lange Sicht als Stabilitätsanker erwiesen. Dieses neue Selbstbewusstsein zeigen die Menschen an Rhein und Ruhr immer offener. So hat die Niederrheinische Industrie- und Handelskammer zu Jahresbeginn 2014 an viel befahrenen Duisburger Autobahnen zwei riesige Schilder aufstellen lassen mit der Aufschrift „Industrieland NRW – Größter Stahlstandort Europas“. Die Region bekennt sich zu ihren Wurzeln. Schon seit 1758 wird im Ruhrgebiet Rohstahl erzeugt Bereits 1758 wurde im Ruhrgebiet in der Hütte St. Antony in Oberhausen Rohstahl erschmolzen. Und schon lange wird nirgendwo sonst in Europa so viel Stahl hergestellt wie in Deutschland. Dabei schlägt das Herz der Branche in Nordrhein-Westfalen. Dessen herausragende Position für den Industriezweig ist so unbestritten wie die Vormachtstellung des FC Bayern München in der Fußball-Bundesliga. Nach Angaben der Wirtschaftsvereinigung Stahl stammen etwa 40 Prozent der deutschen Rohstahlproduktion aus Werken an Rhein und Ruhr. Beim Roheisen sind es sogar mehr als 50 Prozent. Die Stahlindustrie in Nordrhein-Westfalen beschäftigt knapp 49 000 Menschen; das entspricht 56 Prozent der deutschen Stahlbelegschaften. Duisburg ist der bedeutendste Stahlstandort in Deutschland und in Europa: Knapp 15 Millionen Tonnen Rohstahl werden dort in jedem Jahr produziert. An anderen traditionsreichen Standorten – auch das gehört zur Geschichte der Branche – ist die Stahlzeit dagegen längst vorbei. In Dortmund beispielsweise. Als Produktionsort von ThyssenKrupp war die Stadt gegenüber Duisburg von jeher benachteiligt, weil sie ein „trockener Standort“ war, die 1992 von Hoesch übernommenen Hütten also keinen direkten Zugang zum Transportweg Rhein hatten. Die Nähe Dortmunds zu großen Stahlverarbeitern wie etwa Opel in Bochum konnte diesen Nachteil zwar eine Weile mildern. Vollständig wettgemacht hat sie ihn nie. Auf Dauer nicht wettbewerbsfähig war die Stahlproduktion hier auch noch aus einem anderen Grund: Die Hochöfen des Phönix-Werks waren so über den Stadtteil Hörde verteilt, dass das Material zur Weiterverarbeitung per Werkbahn mitten durch den Ort transportiert werden musste. Am 28. April 2001 war Schluss mit dem bizarren Stahltourismus. Im Werk Phönix wurde die letzte Charge geblasen. Monate später schlug der Stahlstandort Dortmund noch einmal, zum letzten Mal, alle Rekorde. Er wurde zur Bühne für den größten Werksumzug der Industriegeschichte. Mehr als tausend Arbeiter machten sich daran, das Phönix-Werk abzubauen und im Osten Chinas wieder zu errichten. Inzwischen hat Dortmund seinen Frieden damit geschlossen – auch weil sich ThyssenKrupp in die Pflicht nehmen ließ und mit Rat und Tat half, einen Strukturwandel einzuläuten. Nach Ansicht von Hans Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, profitiert Nordrhein-Westfalen mehr als andere Regionen von gut funktionierenden Wertschöpfungsketten. Also von dem Zusammenspiel zwischen Grundstoffindustrie, Weiterverarbeitung und Endprodukten. Stahlintensive Branchen wie der Maschinenbau, das Baugewerbe und auch die Automobilindustrie sind in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Die Hochöfen des Stahlwerks bestimmen das Straßenbild in Duisburg. stark vertreten. Aber es ist nicht nur die pure Größe, die Nordrhein-Westfalen als ein Zentrum der Stahlproduktion ausweist. Kerkhoff verweist auf die enge und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen den Stahlunternehmen und renommierten Forschungseinrichtungen, wie den Universitäten in Aachen und Duisburg-Essen, dem Forschungszentrum Jülich, dem MaxPlanck-Institut für Eisenforschung und dem Betriebsforschungsinstitut BFI in Düsseldorf. Dieses Zusammenspiel ist mit ein Grund für die Vielzahl der Innovationen. In Deutschland werden in jedem Jahr rund um das Produkt Stahl knapp tausend Patente erteilt. Das ist ein Drittel der weltweiten, branchenübergreifenden Patente mit Stahlbezug. Von den 2500 Stahlsorten wurde mehr als ein Viertel in den vergangenen fünf Jahren neu- oder weiterentwickelt. Materialwissenschaftler sind überzeugt, dass die Innovationsfähigkeit des Stahls noch lange nicht ausgeschöpft ist. Innovationen erfordern zunächst einmal Investitionen. Im Idealfall ziehen sie jedoch noch mehr Investitionen nach: Speziell in den Standort Duisburg hat die Stahl- FOTO: OLIVER BERG/DPA industrie seit 2010 etwa eine Milliarde Euro investiert. Sehr zur Freude von Oberbürgermeister Sören Link: „Diese Investitionen sichern nicht nur Arbeitsplätze, sondern auch die Zukunft unserer Stadt“, sagt er. ThyssenKrupp Steel Europe steckte etwa 200 Millionen Euro in die Modernisierung des Hochofens 2 in Duisburg-Schwelgern, des größten Aggregats dieser Art in Europa. Arcelor Mittal investierte 135 Millionen Euro in eine neue Drahtstraße. Und die Hüttenwerke Krupp Mannesmann (HKM)wenden 400 Millionen Euro auf, um ihre Kokerei am Standort Duisburg-Hu- ckingen zu erweitern. „Damit sind die Investitionen in unseren Standort Duisburg keineswegs abgeschlossen“, betonte Rolf Höffken, Geschäftsführer Technik bei HKM, schon bei der Eröffnung im vergangenen Jahr. Künftig will HKM vor allem in die Weiterentwicklung der bestehenden Brammenstranggießanlagen sowie die Ergänzung der vorhandenen Filtertechnik investieren. Damit ist klar: Die selbstbewussten Schilder an Duisburgs Autobahnen werden so schnell nicht ihre Berechtigung verlieren. Ich war mal ein Fahrrad In Deutschland wird Stahlschrott zu 100 Prozent recycelt Den Autos auf der Straße sieht man es nicht an, aber in ihnen steckt vielleicht ein Stück Waschmaschine, der Rahmen eines Fahrrads, ein Haufen Büroklammern oder der Teil eines Schiffsrumpfs. Die Waschmaschine wiederum war in einem früheren Dasein vielleicht Teil eines Windrads, und das Windrad ein Stück Zug, gemischt mit Getränkedosen und einer Badewanne. Stahl wird wie kaum ein zweiter Werkstoff recycelt, was ihn zu einem besonders nachhaltigen und gewissermaßen modernen Material macht. Doch wer an Stahl denkt, assoziiert damit zunächst oft den Niedergang einer Industrie. Es stimmt zwar, dass die deutsche Stahlindustrie heute 70 Prozent weniger Mitarbeiter beschäftigt als noch vor 30 Jahren. Richtig ist aber auch, dass die effiziente und nachhaltige Nutzung von Stahl die Basis für weitere innovative Wertschöpfungsketten in deutschen Schlüsselindustrien lich kaum nachweisen, weil sich die Herkunft des Schrotts nicht zurückverfolgen lässt. Fest steht aber, dass Stahlschrott ein wertvoller Rohstoff ist, dessen Marktwert derzeit zwar unter Druck steht, weil die Nachfrage gesunken ist, der aber ein unerlässlicher Teil einer Wertschöpfungskette ist, auch wenn Schrott im Volksmund keinen guten Ruf hat. Wobei Schrott nicht gleich Schrott ist. Gerade um hochwertigen Schrott ohne große Verunreinigungen wird auf dem Märkten gerungen. Einmal getrennt, sortiert, geprüft und aufbereitet, wird er im Kreislauf im besten Fall zu einer der teuersten der insgesamt etwa 2500 Stahlsorten in der Welt. In Deutschland wurden 2014 für die Produktion von knapp 43 Millionen Tonnen Rohstahl gut 19 Millionen Tonnen Stahlschrott verwendet. Das entspricht nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Stahlrecycling- und Entsorgungsunterneh- Grund dafür ist unter anderem auch die magnetische Eigenschaft, die eine Trennung im Vergleich zu anderen Materialien vereinfacht. Schon vorher daran zu denken, wie man später bestimmte Metalle wieder zurückgewinnen kann, nimmt in der Gedankenwelt von Ingenieuren inzwischen einigen Raum ein. Unter allen Schrottteilen ist es vor allem die Dose, die sich eines ungeahnten Prestigezuwachses erfreut. Die Initiative Lebensmitteldose nennt sie selbstbewusst den „RecyclingChampion“ weit vor Papier oder Glas. Wer Essen in der Dose kaufe und keine Gefrierkost, spare zudem Strom, verkündet die Initiative stolz, lebe also umweltfreundlich. Denn er braucht ja kein Gefrierfach. Dass die Recyclingquote über die Jahrzehnte so stark gestiegen ist, hat der Verbraucher womöglich gar nicht gemerkt, der Umwelt wird es aber vermutlich gut getan haben. Professor Matthias Finkbeiner von der TU Berlin wies nach, dass der ökologische Fußabdruck von Stahl umso kleiner wird, je öfter er recycelt wird. Seiner Studie zum „Multirecycling“ legte er keinen unendlichen Kreislauf zugrunde, sondern sechs Wiederverwertungs-Zyklen. Dabei, Der Recycling-Anteil wird voraussichtlich in China und Indien steigen Ein Haufen Blech: Das, was am Ende eines Autolebens übrig bleibt, sieht nicht schön aus, ist aber ein wertvoller Rohstoff. FOTO: FLORIAN PELJAK wie dem Automobil- und Maschinenbau darstellt. Die Stahlindustrie nimmt zudem für sich in Anspruch, Rohstoffe und Ressourcen wie Eisenerz, Kohle, Wasser und Energie umweltfreundlich zu nutzen. Das Stahlinstitut VDEh meint in seinem zuletzt veröffentlichtem Nachhaltigkeitsbericht, dass sich die Klimaziele der Bundesregierung ohne Stahl gar nicht realisieren ließen; und dass viele Stahlprodukte gar helfen würden, die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das klingt vermessen, aber die Stahlindustrie hat gute Argumente – und das liegt am zunehmenden Ausmaß des Recyclings. Stahl lässt sich nach Verbandsangaben fast unerschöpflich recyceln, und zwar zu 100 Prozent und ohne Qualitätsverlust. Ob das stimmt, lässt sich auch wissenschaft- men (BDSV) einem Anteil von 45 Prozent. Die Stahlindustrie spricht auch gern von acht Eiffeltürmen, die bundesweit pro Tag recycelt werden. Heute besteht jedes in Deutschland gefertigte Stahlprodukt fast zur Hälfte aus, nun ja, Schrott. International liegt die Quote, so der BDSV, bei nur 34 Prozent. Bei diesem Wert lag die deutsche Industrie vor mehr als zwei Jahrzehnten. Das Recycling ist insofern ein führender Wirtschaftszweig. Der heimliche Aufstieg des Schrotts liegt im Wesentlichen in verbesserten Sortier- und Shredder-Techniken begründet. Besonders hoch ist die Recyclingquote bei Weißblech. Man kann davon ausgehen, dass heute fast jeder Kronkorken, jede Sprühflasche oder jede Dose in einem neuen Stahlprodukt aufgeht. Der so fand er heraus, entweiche bei der Kreislauf-Produktion von einer Tonne Stahl nur halb so viel Kohlendioxid wie bei der Primärproduktion von Rohstahl ohne nachfolgendes Recycling. Laut Finkbeiner fällt pro Recycling-Prozess noch weniger als die Hälfte der Umweltbelastung an im Vergleich zur Primärproduktion. Theoretisch lässt sich das addieren. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl leitete daraus ab, dass dank des Recyclings 20 Millionen Tonnen des Treibhausgases erst gar nicht entstehen. Aber was es nicht gibt, kann man streng genommen nicht messen, nur hochrechnen. Zudem würden je Tonne Schrott 1,5 Tonnen Eisenerz und mehr als eine halbe Tonne Kohle und Koks weniger abgebaut. Diese Werte stagnieren seit einigen Jahren. Dabei wäre es aus ökologischen Gründen wünschenswert, wenn die Recyclingquote weiter stiege. In Deutschland dürfte das schwierig werden. Denn nach Angaben des BDSV wird der anfallende Stahlschrott bereits zu 100 Prozent erfasst und verwertet. Es gibt in diesem Bereich also wenig Verbesserungspotenzial. Zudem werden viele deutsche Stahlprodukte exportiert. Nach Ansicht von Finkbeiner dürfte daher der Recycling-Anteil auf lange Sicht zunächst eher in Ländern wie China oder Indien steigen. Denn die deutschen Stahlprodukte würden dort verschrottet und damit dem Rohstoff-Kreislauf zugeführt. Wie das Klima ist das Stahlrecycling längst ein komplexes globales Phänomen geworden. michael kläsgen Der Rohstoff, der uns nie ausgehen wird. Seit mehr als 200 Jahren sind die nahezu unendlichen Einsatzmöglichkeiten von Stahl unser Antrieb für innovative Produktlösungen. Und für die Zukunft macht die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit unseren Kunden die Entwicklung neuer branchenspezifischer Werkstoffe möglich. www.thyssenkrupp-steel-europe.com ThyssenKrupp Steel Europe Wir denken Stahl weiter 32 STAHL EINE BEILAGE DER SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG Flexible Feuerstelle Mittwoch, 10. Juni 2015, Nr. 130 Schöne Arbeit Ein Boot aus Edelstahlblech, Holz und Kunststoff baute der Designstudent Benedict Boderius. FOTO: OH Kaminofen speichert Wärme bis zu viermal länger Was Design aus einer Abkantpresse machen kann Ein offenes Kaminfeuer kann in der kalten Jahreszeit für Wärme und Behaglichkeit sorgen. Verflüchtigt sich die Wärme, ist die Lagerfeuerromantik jedoch schnell dahin. Wer effizienter heizen will, kann auf moderne Kaminofensysteme zurückgreifen, welche die Wärme länger speichern. Der Kaminofenhersteller Skantherm Wagner hat zusammen mit dem Designbüro Prof. Wulf Schneider & Partner ein Kaminofensystem namens „elements“ geschaffen, das mehrmals ausgezeichnet wurde. Der Kaminofen aus Stahlblech mit tiefschwarzem Lack besteht aus drei variablen Elementen: Einer Brennkammer und zwei Stauraummodulen. Diese lassen sich nach dem Baukastenprinzip flexibel anordnen und kombinieren. So kann das System etwa als Raumteiler, einzeln oder mit Sitzbank und Fächern für Brennholz funktionieren. Die Brennkammer mit einer Eckglasscheibe lässt sich auf Wunsch auch mit einem 90 Grad-Drehmechanismus ausstatten. Zudem lassen sich spezielle Module integrieren, welche die Wärme bis zu viermal länger speichern und als Strahlungswärme an den Raum abgeben. Dank einer Magnettechnik lassen sich die Elemente bei räumlichen Veränderungen auch leicht wieder umbauen. weka Bei Design denkt man gerne an Lampen, Stühle oder Küchen, auch mal an Stoffe. An Abkantpressen denkt eher niemand. Doch sind es ausgerechnet Abkantpressen, die einen der Preise in der Kategorie Stahl-Design erhalten haben. Und zwar deshalb, weil die neuen Bystronic „Xpert“ so aussehen, wie sie arbeiten: präzise und effizient. Die Bystronic Maschinenbau in Gotha hatte zwei neue Abkantpressen entwickelt – und wollte dafür auch ein ansprechendes Design haben. In der Münchner Kaikai Company, die sich auf Industriedesign spezialisiert hat, fanden die Maschinenbauer den richtigen Partner. Dieser bekam eine lange Wunschliste: Die technische Innovation sollte sich im Erscheinungsbild der Presse widerspiegeln, zudem mussten mögliche Erweiterungen und Nachrüstungen berücksichtigt werden und natürlich sollte das Corporate Design von Bystronic zu finden sein. Die Münchner lösten die Aufgaben. Kategorie: Stahl-Design; Preisträger: Skantherm Wagner Gmbh & Co. Kg, Oelde; Titel: Modulares Kaminofensystem „elements“ Leichte Übung Ein Boot aus Edelstahl und Holz ist nicht nur schick, sondern auch stabil Wer Schreiner gelernt hat, ist im Bootsbau nicht verkehrt. Holz, das dürfte eine der ersten frühkindlichen physikalischen Erkenntnisse sein, schwimmt – wegen seiner geringen Dichte – von ganz allein. Mit Stahl sieht es da schon anders aus. Ohne kluge Konstruktion kann er ziemlich schnell sinken. Stahl bringt man nur zum Schwimmen, wenn man sich das archimedische Prinzip zunutze macht und beim Bootsbau den Auftrieb im Auge behält. Ob Holzboot oder Stahlschiff, das war für Be- nedict Boderius wohl keine leicht zu beantwortende Frage, denn der Student ist nämlich sowohl Schreiner als auch Metallbauer. Der Ausweg aus dem vermeintlichen Dilemma war einfach: Ein Boot aus Edelstahl und Holz. Nach ersten Experimenten mit dünnen Blechen entwickelte Boderius zunächst ein Bootsmodell im Maßstab 1:3. Er faltete Edelstahlblech auf einer Kantbank und formte mit Hammer und Meißel die Versteifungen. Für die Reling, die Sitzbänke Bühne für Neues Kaminofen mit System: „Elements“ von Skantherm. FOTO: OH Den Stahl-Innovationspreis gibt es seit mehr als 25 Jahren. Verliehen wird er alle drei Jahre in vier verschiedenen Kategorien: Forschung & Entwicklung, Stahl-Design, Stahl im Bauwesen und Produkte aus Stahl. Zudem gibt es dieses Jahr wiederum den Sonderpreis Klimaschutz mit Stahl. Die Auszeichnung geht an ein Projekt, das sowohl Energie als auch Material einspart und CO2-Emissionen senkt. Der Preis ist renommiert: Handwerker, Entwickler und Konstrukteure, Architekten und Designer, Forscher und Erfinder aus ganz Deutschland haben sich mit insgesamt 578 Projekten um den Stahl-Innovationspreis 2015 beworben. Die Jury, der Experten aus Wirtschaft, Forschung, Architektur und Design angehören, haben in jeder Kategorie drei Preisträger ausgewählt. Die Bandbreite der ausgezeichneten Produkte und Projekte ist entsprechend der Anzahl an Bewerbern groß: Das Spektrum reicht von Leichtbaumuttern für den Automobilbau über Treppen bis hin zu architektonisch außergewöhnlichen Bauwerken. Auch die Entwicklung neuer Werkstoffsorten wird berücksichtigt. „Gedruckt oder dig gitall ist mir gleicch – meine Seite Dreei brauchee ich täglich.“ Joh hanna Schulz,, SZ-Leserin. Erfahreen Sie meh hr: SZ.de/LLeser und die Bodenbretter setzte der Designstudent lackiertes Eichenholz ein – das dient aber nicht der Stabilität, sondern sorgt für eine bessere Haptik. Nahezu unsinkbar machen das Boot die Platten aus Glasfaser verstärktem Kunststoff, die an Bug und Heck angebracht sind. Nach der Realisierung des Modells entschied sich Boderius dazu, das Boot in Originalabmessungen zu bauen und es als Examensarbeit einzureichen. Wieder verwendete er ein Edelstahlblech, wegen seiner Robustheit, auch wegen der edlen Optik. Um ein Boot für drei Passagiere zu bauen, verarbeitete der Student eine Edelstahltafel mit einer Abmessung von 3 mal 1,50 Metern und einer Dicke von einem Millimeter. Damit sieht das Boot nicht nur schick aus, sondern ist deutlich leichter als ein Holzboot. Es ist außerdem sehr stabil – und schwimmt. rem Kategorie: Stahl-Design; Titel: „SKIFF“-Ruderboot aus Edelstahl; Preisträger: Benedict Boderius Kunst in Dosen Unternehmen entwickeln neuen Behälter Deckel ab, Knopf drücken, sprühen. Wer glaubte, zur Dose an und für sich sei alles gesagt, irrt gewaltig. Denn der Dosenverbrauch steigt – und damit der Verbrauch des teuren und in der Herstellung energieintensiven Materials Aluminium, das eigentlich viel zu wertvoll ist für eine Einwegverpackung. Allein der weltweite Jahresbedarf an Aluminium-Aerosoldosen liegt derzeit bei bis zu acht Milliarden Einheiten. Höchste Zeit also, dazu eine nachhaltige und auch recycelbare Alternative zu entwickeln. Diese Alternative aus Weißblech musste aber eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen, um den Ansprüchen an Haptik, Druckfestigkeit und optisches Erscheinungsbild zu genügen. Für den Laien schwer vorstellbar: Interdisziplinäres Know-how – etwa aus dem Maschinenbau, aus dem Bereich Spezialstähle und der Verschlusstechnik musste zusammengeführt werden, um die Weißblech-Aerosoldose auf den Weg zu bringen. Also machten sich die Unternehmen Lanico und Schuler an die Arbeit. Erstes Ziel war die Entwicklung einer Weißblech-Aerosoldose, wie sie im Bereich Personal Care verwendet wird. Daher erhielt die Neuentwicklung den Namen „SteeloCare“. Das Stahlmaterial ist beidseitig laminiert. Das erspart Lackierung und Trocknung, erweitert die Möglichkeiten von Farbgestaltung und Bedruckung und lässt die Dose nicht so schnell korrodieren und verkratzen. Die Bisphenol-A-freie Kunststofflaminierung und der Verzicht auf Aluminium sind weitere Vorteile. Der Clou ist das neue Maschinenkonzept: Es erlaubt, aus einer Blechtafel durch Ziehen und Strecken Dosen mit sehr dünnen Wandstärken zu produzieren, das Blech wird von 0,19 auf 0,1 bis 0,09 Millimeter reduziert. So dünnwandig und doch so druckfest wie eine herkömmliche Dose. Ein kleines Kunststück, Chapeau! brunn Kategorie: Produkte aus Stahl; Titel: Aerosoldose „SteeloCare“; Preisträger: Lanico Maschinenbau Otto Niemsch GmbH, Braunschweig, Schuler Pressen GmbH, Göppingen Eine Abkantpresse ist nicht nur eine Maschine. Sie hat auch ein Design, das ihre Funktion widerspiegelt. FOTO: OH So können alle Designkomponenten auf andere Maschinen des Unternehmens übertragen werden. Das Gehäuse besteht aus zwei Millimeter dicken pulverbeschichteten Stahlfeinblechkomponenten in den Unternehmensfarben. Der Vorteil: Die Komponenten sind kostengünstig, robust und maßgenau. Und nicht zuletzt zeigen die gekanteten Gehäuseteile genau das, was die Maschine kann: abkanten. pfu Kategorie: Stahl-Design; Preisträger: Bystronic Maschinenbau GmbH, Gotha, The Kaikai Company, München; Titel: Bystronic „Xpert“ Abkantpressen Kleine Schritte Neue Fertigungstechnologie für Leichtbauprofile Ein Blechstück wird zur Dose. Was daran neu ist? Alles! Das Material, das Verfahren, der Verschluss – und recycelbar ist sie auch noch. FOTO: OH Fester Werkstoff Forschungsverbund entwickelt neues Material für Zahnräder Zahnräder oder Wälzlager in Großgetrieben müssen extremen Belastungen standhalten. Materialermüdung dieser Bauteile kann dazu führen, dass die Anlage ausfällt. Die Ursache sind meist Mikrorisse an nichtmetallischen Einschlüssen. Bislang versuchte man, den Reinheitsgrad der Werkstoffe zu erhöhen. In einem Gemeinschaftsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und der Arbeitsgemeinschaft industrieller Forschungsvereinigungen (AiF) sind die Wissenschaftler nun einen anderen Weg gegangen: Die Entwickler versuchten, ein Material mit starker Verfestigung an den Schwachpunkten SZ.de Eine gute Zeitung erkennt man an ihren Lesern. Zahnräder und Wälzlager sind hohen Belastungen ausgesetzt – eine Herausforderung für das Material. FOTO: OH zu entwickeln – um somit das Entstehen oder Ausbreiten von Rissen zu verhindern. Dafür nutzten die Experten aus der Flachstahlherstellung bekannte Mechanismen – etwa die Ausscheidungshärtung oder den Transformation Induced Plasticity-Effekt – und übertrugen diese auf die Wälzlager- und Einsatzstähle. Zudem entwickelten die Forscher Wärmebehandlungsstrategien für die Stähle. Mit zwei Kurzzeitverfahren untersuchten sie die Ermüdungseigenschaften, um mit Hilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse die Konzepte weiter zu verbessern. Aus 300 Werkstoffzuständen suchte die Gruppe schließlich die besten Varianten heraus und ließ die Stähle in industriellem Maßstab herstellen und daraus Bauteile zu Demonstrationszwecken produzieren. Ein Beispiel dafür, dass sich die Schadenstoleranz mit neuen Sorten steigern lässt, bietet der Wälzlagerstahl 100Cr6, dem Aluminium zulegiert wurde. Kurzum, das Projekt zeigt, dass neu entwickelte Werkstoffe durchaus neue Wege eröffnen können. Allerdings muss man in weiteren Arbeiten untersuchen, ob die Eigenschaften auch auf industrielle Herstellung und Anwendung übertragbar sind. pfu Kategorie: Forschung & Entwicklung; Preisträger: Forschungsstelle für Zahnräder und Getriebebau (FZG), TU München, Institut für Eisenhüttenkunde (IEHK), RWTH Aachen, Lehrstuhl für Werkstoffkunde (WKK), TU Kaiserslautern, Stiftung Institut für Werkstofftechnik (IWT), Bremen; Titel: HiPerComp – High Performance Components Leichtbau spielt eine immer größere Rolle. Ein Problem war es bislang, komplex geformte Leichtbauprofile herzustellen. Das Institut für Umformtechnik und Leichtbau der TU Dortmund hat sich des Problems angenommen und eine neue Fertigungstechnologie entwickelt. Mit kleinen, lokal begrenzten Umformschritten wird die gewünschte Bauteilgeometrie geschaffen. Das rohrförmige Halbzeug wird axial hin- und herbewegt, dann wird mit den Umformwerkzeugen schrittweise geformt. Die Maschinenkinematik mit acht Freiheitsgraden ermöglicht es, die Bauteile vielfältig zu gestalten, sogar asymmetrische Profilquerschnitte und schraubenförmige Konturen sind möglich. Geeignet ist das Verfahren vor allem für das Umformen von Rundrohren. Da die Kräfte dabei relativ gering sind, lassen sich höherfeste Stähle nutzen. Verwendet werden solche Leichtbauprofile in der Fahrzeugindustrie, bei Wärmetauschern oder auch im Möbelbau. pfu Kategorie: Forschung & Entwicklung; Preisträger: Institut für Umformtechnik und Leichtbau (IUL), Technische Universität Dortmund; Titel: Herstellung von Leichtbauprofilen durch Inkrementelles Profilumformen Dreieck, Herz, Kleeblatt – das Spektrum der Leichtbauprofile ist groß, wie die TU Dortmund gezeigt hat. FOTO: OH Stahl Verantwortlich: Peter Fahrenholz Redaktion: Johanna Pfund Anzeigen: Jürgen Maukner
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