Gottesdienst mit Abendmahl am 21. Februar 2016 9.30 Uhr, ref. Kirche Elgg – Röm 5,1-5: „Freude in allem Leide?“ „Sei wie ein Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein - nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“ Kennen Sie diesen Spruch? Es war früher offenbar ein beliebter Satz für die Poesiealben. Auch in meinem steht es, von einer Grosstante darin verewigt. Als Kind hat mir der Vers gefallen, denn Veilchen fand ich schön. Sie blühen in vielen Wiesen – verwandeln sie im Frühling ohne menschliches Zutun - in wunderschöne blauen Blütenteppiche. Erst mit der Zeit dämmerte mir dann, dass man diesen Spruch vor allem Mädchen mit auf den Weg gab. „Bescheiden, sittsam und rein“, so sollten wohl junge Frauen sein. Für junge Männer taugte der Spruch nicht. Von denen erwartete man etwas anderes. Um nicht zu sagen, das glatte Gegenteil. Echte Kerle hauen schon einmal auf die Pauke, lassen sich nicht unterkriegen – „sittsam, bescheiden und rein“ – passt wirklich nicht so gut… Heute ist die Zeit der Poesiealben und sittsamen Ratschläge ziemlich vorbei. Egal, ob Mann oder Frau, mit diesen drei Attributen lässt sich in unserer Gesellschaft keine Karriere machen. Wer vorankommen will, darf sich nicht so schnell zufrieden geben. Man muss etwas darstellen, manchmal auch Zähne zeigen und Stolz, um bei anderen einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Der heutige Predigttext stammt von einem, der Eindruck hinterlassen hat. Dreizehn Briefe sind von ihm im Neuen Testament überliefert. So viele wie sonst von keinem Autor. Und der Verfasser dieser Briefe ist auch kein Bescheidener. Im Gegenteil: Der Apostel Paulus redet immer wieder davon, dass er sich rühmen wolle und rühmen müsse. Von grossen Dingen ist bei ihm die Rede: Sind wir nun aus Glauben gerecht gesprochen, so haben wir Frieden mit Gott durch unseren Herrn Jesus Christus. Durch ihn haben wir im Glauben auch Zugang erhalten zu der Gnade, in der wir jetzt stehen, und seinetwegen rühmen wir uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Aber nicht nur dies, wir sind auch stolz auf jegliche Bedrängnis, weil wir wissen: Bedrängnis bringt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den heiligen Geist, der uns gegeben wurde. (Röm 5,1-5) Um Stolz und Ruhm geht es also auch Paulus. Wir haben es gerade gehört: „Wir rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes. Aber nicht nur dies, wir sind auch stolz auf jegliche Bedrängnis…“ Stolz auf jegliche Bedrängnis??? Das klingt befremdend. Worum geht es Paulus? Ich denke, es geht ihm um das, was er von Gott geschenkt bekommen hat. Nicht um die Bedrängnis an sich, sondern um das, was sie in ihm bewirkt hat. Deswegen steht für das griech. Verb, das die Zürcher Bibel mit „rühmen“ wiedergibt, in einer anderen Übersetzung „sich glücklich preisen“ (BigS). Paulus preist sich glücklich für das, was er von Gott empfangen hat, nämlich Hoffnung und Zukunft, Zuwendung und Frieden. Deshalb geht er in seinem Lobpreis so weit, dass er sich sogar der Bedrängnisse glücklich preist. Er ist dankbar für schwere Zeiten und dunkle Kapitel in seinem Lebenslauf, denn diese, so schreibt er, „bringen Geduld. Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung.“ Und diese Hoffnung, 1 sagt er, ist nicht vergeblich. Sie hat ihren festen Grund im Leben und Wirken, im Sterben und Auferstehen Jesu Christi. Die Frage an mich/Sie: Will und kann ich mich der Notzeiten im Leben glücklich preisen? Ich muss wieder an meine Grosstante denken und ihre Lebensweisheit, die sie in mein Poesiealbum geschrieben hat. Ich denke, sie war so ein bescheidenes Veilchen, mit sieben Geschwistern, im Nachkriegs-Deutschland lebend, früh verwitwet, ohne Beruf, und damit auch ohne Karriereaussichten. „Not lehrt beten“, das war auch so ein Spruch aus dieser Zeit. Und ich denke, ihn würden auch wir spontan unterschreiben, denn es zeigt sich, dass Not auch heute die herausragende Gebetsschule ist. Nicht nur, aber auch für Menschen, denen Glaubensangelegenheiten eher fremd sind. Der Psalm, den wir in der Lesung gehört haben, ist vielleicht in einer solchen Situation entstanden. Gott wird darin angefleht, sich doch an die frühere Gnade, Barmherzigkeit und Güte zu erinnern und das Schicksal des Beters oder der Beterin zu wenden. Dieser Psalm 25 hat dem heutigen Sonntag den Namen gegeben: „Reminescere“ – Erinnere dich! Glauben hat immer etwas zu tun mit der Fähigkeit, sich zu erinnern. Das tut auch Paulus. Er hat die Erfahrung gemacht, dass man diese Zeiten übersteht. Dass Not sich wenden kann und Finsternis nicht das Letzte ist, was bleibt. So schwer und bedrängend manches im Leben des Paulus gewesen ist, ihn hat es letztlich gestärkt. Er ist daraus geduldiger, gelassener, widerstandsfähiger und mit noch mehr Gottvertrauen hervorgegangen. „In dir ist Freude, in allem Leide“, heisst es im Lied, das wir zum Beginn des Gottesdienstes gesungen haben. Ich denke, es ist ein schönes und zugleich schwieriges Lied, das die Verheissung in sich trägt, dass Leben gelingen kann – trotz aller Bedrängnisse. Aber natürlich kann der Satz: In dir ist Freude in allem Leide“ zynisch klingen, kaum hinnehmbar für Menschen, die leiden, nahezu unerträglich für solche, die in einer schweren Lebenskrise stecken. Und doch: Dass Leid Menschen verändert, nicht einfach bitter machen muss, sondern empfänglicher, zugewandter, mitfühlender, das kann ich bestätigen. Und sicher nicht nur ich. Für Paulus ist klar: Leiden ist eine Durchgangssituation. Ein Übel, das zu unserem Menschsein gehört. Das nicht einfach aus der Welt geschafft werden kann. Auch nicht von Gott. Aber er ist davon überzeugt, dass Gott einmal die ganze Schöpfung von ihrem Leiden erlösen wird. Und diese Erlösung wirkt jetzt schon in unser Leben hinein. Das spüren wir manchmal, wenn ein Schmerz langsam nachlässt. Wenn es helle Momente inmitten von Trauer gibt. Das ist dann dieses berühmte „Lichtlein, das von irgendwoher kommt, wenn wir meinen, dass nichts mehr geht.“ Das ist die „Freude in allem Leide“, „Die Hoffnung, die nicht zuschanden werden lässt.“ (Röm 5,5) oder anders gesagt: „Hoffnung, die nicht ins Leere führt.“ (Röm 5,5 BigS). Lebenskrisen bleiben niemandem erspart. Ein Leben ohne Brüche gibt es nicht. Und je älter wir werden, desto öfter sind wir herausgefordert, uns in Krisen zu bewähren. Krisen sind auch Chancen. Wir können in ihnen untergehen, wir können aber auch gestärkt aus ihnen hervorgehen. Wie? Paulus sagt: Mit Geduld und Gottvertrauen. Und dieses Gottvertrauen führt zu dem, wovon Paulus in unserem Text auch spricht: Zum Frieden. Zum „im Reinen sein“ mit mir selbst, mit meinen Mitmenschen und mit Gott. Solch ein Friede begegnet mir manchmal in Menschen, die vieles durchgemacht haben. Menschen, die erkannt haben, dass im Leben nicht alles machbar ist, dass das 2 Glück oft ganz woanders liegt als da, wo wir es suchen, und dass Schicksalsschläge nicht das Ende, sondern ein schmerzhafter und dennoch ein neuer Anfang sind. Das sind Menschen, die mir zu verstehen geben, dass ich nicht perfekt sein muss, um ein gutes Leben zu führen und, dass es oft die krummen Linien sind, auf denen Gott gerade schreibt. Besonders modern hört sich das jetzt nicht an, ich weiss. Sich mit Unzulänglichkeiten zufrieden zu geben, darauf vertrauen, dass es schon gut werden wird, klingt etwas naiv. Und es erinnert auch an die alte Aufforderung aus dem Poesiealbum, doch bescheidener zu sein…. Das will doch heute niemand mehr hören?! Auf der anderen Seite denke ich, dass wir der alten Bescheidenheit eine neue und nicht harmlose Vermessenheit gegenübergestellt haben. Eine Hybris, die uns Menschen überfordern kann. Denn wir Frauen – und auch Männer – haben längst andere Sätze verinnerlicht. Zum Beispiel: „Du kannst alles! Und zwar alles auf einmal: Familie, Beruf, Kinder und Karriere, einen grossen Kreis von Freundinnen und Freunden und interessante Hobbies pflegen, dabei immer schick, fit und schlank aussehen, dich und die Familie gesund ernähren, Sport treiben, dich ehrenamtlich in Schule und Kindergarten engagieren und dabei die gute Laune nicht verlieren.“ Wir überfordern uns mit solchen Ansprüchen. Wir können niemals allem und jedem gerecht werden, ohne uns selbst zu verlieren und unser Vertrauen in Gott – und nicht zu vergessen: den inneren Frieden. Natürlich müssen wir Verantwortung für die übernehmen, die uns anvertraut sind – das ist ja auch etwas Erfüllendes… Aber: Was steht letztlich tatsächlich in meiner Macht – und was nicht? Und dann denke ich an ein Zitat von Dietrich Bonhoeffer, der Folgendes niedergeschrieben hat: „Ich glaube, dass Gott aus allem, auch aus dem Bösesten, Gutes entstehen lassen kann und will. Dafür braucht er Menschen, die sich alle Dinge zum Besten dienen lassen. Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen. Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen. In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“ (aus: Widerstand und Ergebung) Treffender kann nicht ausgedrückt werden, was Paulus meint, wenn er vom Frieden mit Gott spricht. Ein Frieden, in dem alle Angst vor der Zukunft überwunden ist. Solch ein Frieden schenkt „Freude in allem Leide“, gibt Geduld in Bedrängnissen und Hoffnung in ausweglosen Situationen. Und: Er macht frei! An diesem Glauben möchte ich festhalten. Aus diesem Vertrauen möchte ich schöpfen, wenn wieder einmal alles über mir zusammenzubrechen droht. Und der Friede Gottes, der höher ist als alles menschliche Denken und Fühlen, erfülle unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen. 3
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