Der Platin-Trick des Plastikpioniers

Forschung Spezial
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Mittwoch, 16. September 2015
Der Platin-Trick des Plastikpioniers
Hermann F. Mark (1895–1992) war einer
der bedeutendsten Chemiker, die Österreich je hatte.
Die politischen Katastrophen des 20. Jahrhunderts
prägten das turbulente Leben dieses Wegbereiters
der Kunststoffforschung und -erzeugung nachhaltig.
soren der Philosophischen Fakultät wollten damals einen Arier, der
Wien – „Alles Leben ist Chemie“. politisch auch nicht links stehen
Warum dieser Satz vielen nicht durfte. In einem Brief anlässlich
mehr ganz jungen Österreichern des Berufungsverfahrens gab ein
besonders vertraut klingt, hat (antisemitischer) Professor der
auch mit Hermann F. Mark zu tun. Uni Wien immerhin auch FolgenDer weltberühmte Chemiker war des zu bedenken: „Bei den vielfäl1978 Präsentator einer zehnteili- tigen Beziehungen gerade in der
gen ORF-Fernsehreihe unter eben Chemie zum Judentum erwartet
diesem Titel – zu einer Zeit, als niemand von vornherein von
man im staatlichen TV noch etwas einem Vertreter dieses Faches,
mehr Wert auf die Erfüllung des dass er alle Juden, mit denen er
wissenschaftlichen Bildungsauf- notwenderweise zu tun hat, sofort
trags legte als heute.
umbringt.“
Mark war damals bereits 83 JahDass ausgerechnet der „Halbjure alt und lebte schon seit fast vier de“ Mark berufen wurde, hatte
Jahrzehnten in den USA, wohin er wohl auch damit zu tun, dass
nach dem „Anschluss“ im März Ernst Späth, der damals mächtige
1938 unter dramatischen Umstän- Mann in der Chemie, kein ausgeden geflüchtet war. Den Kontakt sprochener Antisemit war. Wozu seiner Geburtsstadt Wien hat möglich spielten aber auch Marks
Mark aber nie aufgegeben. Und politische Beziehungen mit eine
obwohl er aus Wien vertrieben Rolle: Sein ehemaliger Untergebewurde, hier kaum ein Drittel sei- ner Engelbert Dollfuß wollte Mark
nes Lebens verbrachte und 1992 1933 sogar als Handelminister hain Texas starb, wurde seine Urne ben. Der frischgebackene Ordinaam Matzleinsdorfer Friedhof in rius begnügte sich indes damit,
Wien beigesetzt.
das Ministerium in Sachen HolzGeboren wurde Hermann Mark nutzung zu beraten und war zu1895 als Sohn eines prominenten dem Mitglied des ErziehungsausChirurgen, der vom Judentum schusses. Und als Dollfuß im Juli
zum Protestantismus konvertiert 1934 ermordet wurde, hielt Mark
war. Sigmund Freud
am Sarg seines Kriegsgehörte ebenso zu den
kameraden TotenwaBekannten der Familie
che.
wie Arthur Schnitzer
Trotz der politischen
oder Theodor Herzl. UNIVERSITÄT WIEN und wirtschaftlichen
Schon als hochbegabKatastrophen dieser
Hermann F. Mark,
ter Teenager hatte Her- Kunststoffpionier
Jahre gelang es dem
mann Mark vielfältige
Chemiker, sein Institut
Interessen: Mit zwölf
7. Teil binnen kürzester Zeit
Jahren besuchte er
zu einem Weltzentrum
erstmals naturwissenschaftliche der
neuen
HochpolymerforVorlesungen an der Uni Wien, schung auszubauen, wie Nuno
schwärmte für die Musik Gustav Maulide, aus Portugal stammenMahlers und war zudem exzellen- der Chemie-Jungstar an der Uni
ter Sportler, kurz sogar Mitglied Wien, würdigt: „Mark leistete in
der Fußballnationalmannschaft.
Wien entscheidende Beiträge, die
Polymerchemie als eigene SubdisHöchstdekorierter Soldat
ziplin des Faches zu etablieren.
Dann kam der Erste Weltkrieg; Und auch bei der KommerzialisieMark diente viereinhalb Jahre bei rung der Polymere spielte er eine
den Kaiserjägern, ab 1916 gehörte entscheidende Rolle.“
Dabei halfen ihm die nach wie
ein gewisser Engelbert Dollfuß
Marks Regiment als Maschinenge- vor guten Beziehungen zu I.G. Farwehrspezialist an. Mark wurde ben, die einen Teil seiner Mitdrei Mal verwundet, erhielt 14 arbeiter finanzierten. „Viele dieTapferkeitsmedaillen und war an- ser jungen Forscher hätten aufgeblich der meist ausgezeichnete grund ihrer jüdischen Herkunft
Hermann F. Mark war mehr als nur ein Pionier der Hochpolymerforschung: Der Chemiker machte sich
Truppenoffizier Österreichs.
auch als Soldat, Sportler, Lehrer, Lawinenexperte, Firmengründer und Kommunikator verdient.
keine Chance auf eine Anstellung
Trotz Kriegsgefangenschaft bis an der Universität Wien gehabt“,
Oktober 1919 promovierte der tap- sagt Johannes Feichtinger, Wisfere Soldat bereits 1921 an der Uni senschaftshistoriker an der ÖAW, Marks kehrten nach 1945 zurück 1940 trat er ins Polytechnic InstiWien in Chemie, natürlich summa der über Mark und dessen hoch- nach Wien.
tute in New York ein, wo er sich
WISSEN
cum laude. Unmittelbar danach produktives Wiener Team geEr selbst wartete mit der Ausrei- auch um die US-Kriegswirtschaft
ging er aber nach Deutschland. forscht hat, dem unter anderem se im Frühjahr 1938 beinahe zu verdient machte, sagt Johannes
Eine steile Karriere zwischen Uni- der spätere Chemie-Nobelpreis- lange: Unmittelbar nach der Feichtinger: „Mark hat den USA
versität, außeruniversitärer For- träger Max F. Perutz angehörte.
Machtübernahme der Nationalso- nach dem Verlust des Zugangs zu
schung und Industrie begann,
zialisten wurde er als „Dollfuß- Naturkautschuk der synthetiObwohl aus Wien vertrieben,
Mark war sowohl in der Chemie Chemiker der Hochpolymere
Freund“ verhaftet, sein Reisepass schen Kautschukproduktion den
blieb Hermann F. Mark nach
Mark und seine jungen Kolle- wurde eingezogen und konnte von Weg geebnet.“
1945 Österreich aus der Ferwie auch in der Physik an vorderster Front tätig: In Berlin konnte er gen verfassten in den nicht einmal Mark erst gegen teure Bestechung
ne treu: Im Jahr 1965 überals Kristallografiespezialist mit- sechs Jahren bis zum „Anschluss“ eines befreundeten Rechtsan- Pionier der Popularisierung
nahm er etwa die Patronanz
tels Röntgenbeugung die langket- sieben Bücher und Dutzende weg- walts wiedererlangt werden.
Nach dem Krieg wurde Mark in
des Österreichischen Kunsttige Molekülstruktur von Textilfa- weisende Fachartikel vor allem
Hermann Mark hatte aber längst den USA endgültig zu einem der
stoffinstituts, einer Sektion
sern aufklären, die zu den soge- zur Chemie der Hochpolymere selbst auch damit gerechnet, Ös- führenden Pioniere der Erfordes Österreichischen Fornannten Polymeren gehören.
und
Makromoleküle.
terreich verlassen zu schung und Kommerzialisierung
schungsinstituts für Chemie
1926 wechselte zu in die Indust- Doch selbst das genügte
müssen, und als Wissen- von Kunststoffen, wovon rund
und Technik (OFI). Zu Marks
rie zu I.G. Farben, dem damals dem leidenschaftlichen
schafter ließ er sich 600 Fachartikel, 40 Bücher, rund
80. Geburtstag wurde vom
größten Chemiekonzern der Welt, Bergfex Mark nicht, der
einen besonderen Trick 20 Ehrendoktorate und zahlreiche
OFI die Hermann F. Markund half sowohl in Theorie wie Hobby und Wissenschaft
einfallen, um sein Ver- andere Auszeichnungen zeugen.
Medaille gestiftet, zudem
auch Praxis mit, dass die Firma zu verband, indem er wichtimögen an den NationalZum Glück für Österreich blieb
richtet das OFI regelmäßig
einem der führenden Hersteller ge Arbeiten zur Lawinensozialisten vorbei ins Mark mit seiner Heimat weiter in
ein eigenes Symposium zu
der ersten Kunststoffe wurde, die kunde verfasste.
Ausland zu schaffen: Er Kontakt: Er war Gastprofessor an
Marks Gedenken aus.
ebenfalls zu den Hochpolymeren
Als nach dem Juliabkaufte in den Monaten der Universität Wien und auch
Dieses Symposium findet
zählen. In Deutschland gehörte kommen des Jahres 1936 Chemiker Nuno vor dem „Anschluss“ 1,1 maßgeblich am Aufbau einer Reiheuer zum 28. Mal statt. Aus
Maulide lobt
der spätere Chemie-Nobelpreis- zwischen dem österreiKilogramm Platindraht he heimischer IndustrieunternehAnlass des 650-Jahr-JubiläMarks Wirken
träger Linus Pauling ebenso zu chischen Kanzler Kurt
und verbog ihn zu unauf- men beteiligt. Schließlich wurde
ums der Uni Wien werden
Marks Schülern wie der Physiker Schuschnigg und Adolf als Vermittler. fälligen Metallkleiderbü- Mark mit „Alles Leben ist Chemie“
sich Forscher aus aller Welt
Edward Teller, der spätere „Vater Hitler langsam absehbar
geln.
Foto: Corn
auch noch zu einem Pionier der
am 29. und 30. September an
der Wasserstoffbombe“.
wurde, dass nun auch in
Mit dieser wertvollen Wissenschaftsvermittlung. Solder Fakultät für Chemie in
Angesichts des unaufhaltsamen Österreich Gefahr drohte, organi- Fracht und Skiern am Auto flüch- che Aktivitäten hält Nuno Maulider Währinger Straße treffen.
Aufstiegs der Nationalsozialisten sierte Mark die Ausreise von rund tete er mit seiner Familie unter de, selbst ein engagierter PopulaThema der Tagung ist „Funkund seiner „halbjüdischen“ Her- 20 seiner Mitarbeiter in alle Welt. abenteuerlichen Umständen über risator, heute für besonders wichtionalität – eine Herausforderung für erneuerbare polymekunft übersiedelte Mark im Herbst Damit war eine der erfolgreichs- die Grenze in die Schweiz, nach tig. „Es war wohl typisch für Mark,
re Materialien“. (tasch)
1932 nach Wien, wo die Professur ten Forschergruppen der Uni Frankreich und England. Dann auch bei der Kommunikation von
für physikalische Chemie frei ge- Wien für immer zerschlagen, ging es mit einem Schiff weiter Wissenschaft ein Pionier gewesen
p www.mark-symposium.at
worden war. Die meisten Profes- denn nur die wenigsten Schüler nach Kanada und in die USA. zu sein.“
Klaus Taschwer
Foto: picturedesk.com/ Chemical Heritage Foundation
650 Jahre
Mark-Symposium