nicht auf Pensionierte vorbereitet

Benachteiligung und falsche Produkte
Der Wohnungsmarkt ist nicht auf
Pensionierte vorbereitet
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3. Februar.2016, 06:00 Uhr , von Andrea Martel
Die Pensionierten entwickeln sich langsam, aber sicher zur wichtigsten Nachfragergruppe
am Wohnungsmarkt. Ihre Bedürfnisse werden jedoch noch ungenügend berücksichtigt.
Man muss keine Hellseherin sein, um vorauszusagen, dass Pensionierte die Nachfrage nach
Wohnraum in der Schweiz zunehmend prägen. Bis im Jahr 2020 wird jede fünfte Person
über 65 Jahre alt sein, bis im Jahr 2030, wenn die letzten Babyboomer in Rente gehen, gar
jede vierte. Angesichts dieser Tatsache müsste eigentlich davon ausgegangen werden, dass
das Wohnungsangebot zunehmend auf Senioren ausgerichtet wird. Gemäss einer Studie
des Instituts für Finanzdienstleistungen (IFZ) der Hochschule Luzern, die am heutigen
Mittwoch veröffentlicht wird, ist dies jedoch nicht der Fall. Die Wohnungswirtschaft sei
schlecht auf Mieter im Pensionsalter vorbereitet, heisst es in der Analyse.
Gemütlichkeit wichtiger als Betreuung
Ein erstes Problem ist laut Studienleiterin Joëlle Zimmerli, dass die Immobilienbranche
Pensionierte klischeehaft einschätze. Das tradierte Bild von gebrechlichen und
hilfsbedürftigen älteren Menschen dominiere die Vorstellung vom Wohnen im Alter. Dies
führe dazu, dass Wohnungsanbieter den Fokus vor allem auf «Wohnen mit Betreuung»
richteten. Mit den Babyboomern komme jedoch eine freiheitsliebende, individualisierte
und bis ins hohe Alter fitte Generation ins Pensionsalter. Diese möchte nicht umsorgt
werden, stellt aber hohe Ansprüche an Wohnqualitäten wie Ruhe, Gemütlichkeit und
langfristige Finanzierbarkeit (vgl. Grafik).
Von den Wohnungsanbietern überschätzt werde in diesem Zusammenhang auch die
Nachfrage finanziell gut versorgter älterer Personen nach Wohnen mit fixen
Dienstleistungspaketen, wie es in der Studie heisst. Wohnen mit Service werde von den
Pensionierten privat gelöst, denn der Markt biete – zumindest an gut erschlossenen
Standorten – Dienstleistungsangebote für alle Lebensbereiche.
Mensch statt Technik
Die Autoren warnen die Wohnungsanbieter davor, ihr Heil vor allem in der Technologie zu
suchen. Vom Hauswart und von der Verwaltung erwarteten Pensionierte keine
digitalisierten Lösungen. Im Gegenteil: Sie suchten nette Ansprechpersonen, die Anliegen
entgegennehmen und bei Kleinigkeiten weiterhelfen. Die Erwartung an die
Liegenschaftsverwaltungen sei also, dass sie persönlicher und nicht technischer würden.
Dies erfordere nicht nur Gesprächsbereitschaft am Telefon, sondern auch Personen vor
Ort.
Barrierefreiheit genügt meistens
Was den Bau spezieller Wohnungen für für Ältere anbelangt, reicht es nach Ansicht von
Zimmerli, sich auf Pflegeplätze zu konzentrieren. Wo der Markt funktioniert, Quartiere gut
versorgt und erschlossen sind und individuelle Betreuung durch Case-Management oder
Spitex verfügbar ist, decken hindernisfreie Wohnungen – wie es Neubauten mittlerweile
grösstenteils sind – den Löwenanteil des Bedarfs ab, auch bei Betreuungs- und
Pflegebedürftigkeit. Spezifische Alterswohnungen sind in diesem Sinne schon fast ein
Zeichen von Marktversagen.
Dass der Markt teilweise nicht spielt, ist laut der Studie tatsächlich der Fall. Dabei geht es
nicht darum, dass die passenden Wohnungen nicht existieren. Aber so, wie heute die
Vermarktung läuft – «first come, first serve», übers Internet und möglichst rasch –,
schaffen es Senioren kaum, an diese Wohnungen heranzukommen. So werden gerade die
hindernisfreien neu gebauten Quartiere vorwiegend von Jüngeren bewohnt. Ältere
Personen brauchen laut Zimmerli länger, um sich zu entscheiden, weil sie sich von einer
vertrauten Umgebung lösen müssen und weil das Auflösen eines langjährigen Haushalts
mit viel zeitlichem und emotionalem Aufwand verbunden ist.
Ältere Mieter wären attraktiv
Um die Bedürfnisse der Pensionierten besser abzudecken, sind somit nicht in erster Linie
bauliche Massnahmen oder neu konzipierte Wohnungen vonnöten, sondern neue Ansätze
in der Vermarktung und Vermietung. Für Zimmerli ist es unverständlich, dass sich die
Eigentümer und Liegenschaftenverwaltungen nicht vermehrt um ältere Mieter bemühen,
bleiben diese doch in der Regel nach dem Einzug lange in der Wohnung und ziehen nicht
nach wenigen Jahren wieder aus. Dies mag dort ein Nachteil sein, wo der Vermieter von
stark steigenden Marktmieten ausgeht, die sich nur bei regelmässigen Mieterwechseln
monetisieren lassen. Typischerweise sind treue Mieter ein Vorteil, denn jeder Wechsel ist
aufwendig und kostet eine Stange Geld. Ältere Mieter zahlen zudem in der Tendenz
zuverlässig die Miete, behandeln ihre Wohnung mit Sorgfalt und tragen zu einer stabilen
Nachbarschaft bei.
Zu wenig Kleinwohnungen
Neben der Art der Vermarktung lässt der Wohnungsmix teilweise ebenfalls zu wünschen
übrig. Das Alleinwohnen bleibe mit der Generation der Babyboomer im Trend, weshalb es
künftig noch mehr 21/2-Zimmer-Wohnungen brauche, heisst es in der Studie. In den
Grossstädten habe die Immobilienwirtschaft dies zwar erkannt. Für die Agglomeration und
im ländlichen Raum gingen die Anbieter jedoch nach wie vor davon aus, dass auch in
Zukunft eine grosse Nachfrage nach 41/2- bis 51/2-Zimmer-Wohnungen bestehe.
100‘000 Franken pro Kopf
Ungedeckte Checks in der Altersvorsorge
Der Vorschlag des Ständerats zur Reform der AHV hinterlässt den kommenden
Generationen noch grössere Hypotheken als die Vorlage des Bundesrats. Das zeigen neue
Berechnungen.
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3.2.2016, 19:55 Uhr, von Hansueli Schöchli
In der Schweiz sind für Reformen der Altersvorsorge Volksmehrheiten entscheidend. (Bild: Gaëtan Bally
/Kestone)
Die staatlichen Systeme zur Altersvorsorge beruhen in vielen Ländern auf dem Prinzip «Nach
uns die Sintflut».
In der Schweiz beläuft sich aufgrund der geltenden Regeln das Ausmass der
ungedeckten Checks zulasten der künftigen Generationen auf etwa 1000 Mrd. Fr., wie
die Universität Freiburg i. Br. und die UBS einst errechnet hatten.
Es ist kein Wunder, dass sich die Politik hier mit Reformen so schwertut. Eine nachhaltige
Sanierung würde die wählerstärksten Gruppen belasten (das Medianalter der Wähler ist 54),
und die grössten Profiteure einer solchen Reform sind politisch noch wenig interessiert (die
Jungen) oder noch gar nicht geboren. Die Revisionsvorlage des Bundesrats würde immerhin
gut die Hälfte des Finanzlochs füllen, allerdings gehen die vorgeschlagenen Massnahmen
grossenteils zulasten der unter Vierzigjährigen und Ungeborenen.
Ständerat verschlimmbessert
Die Korrekturen des Ständerats verschlimmern das Bild aus Sicht der kommenden
Generationen noch, wie die am Mittwoch präsentierten Rechnungen der Universität Freiburg i.
Br. und der UBS zeigen. Besonders ins Gewicht fällt die vom Ständerat gewünschte Erhöhung
der AHV-Renten um 70 Fr. pro Monat. Während der Bundesratsvorschlag die Summe der
ungedeckten AHV-Checks von 173% des Bruttoinlandprodukts auf 82% senken würde,
brächte die Variante des Ständerats laut den neuen Berechnungen nur eine Reduktion auf
111% – was gemessen am Basisjahr 2011 etwa 650 Mrd. Fr. ergäbe. Für jeden noch
Ungeborenen läuft dies gemäss den Berechnungen auf eine Hypothek von kaufkraftbereinigt
etwa 100 000 Fr. hinaus. Beim Bundesratsvorschlag wären es etwa 80 000 Fr. Die AHV, so
resümiert der Freiburger Professor Bernd Raffelhüschen, sei ein Selbstbedienungsladen
zulasten der kommenden Generationen. Raffelhüschen gab sich erstaunt, dass die Politik in
der Schweiz im Unterschied zu manch anderen Ländern über die Erhöhung des
Normrentenalters kaum diskutiere, obwohl dies für das Auffüllen der verbleibenden AHVFinanzlücke geboten sei.
Der Wille der Wähler
Doch dies muss nicht erstaunen. In der Schweiz sind im Unterschied zu anderen Ländern für
Reformen der Altersvorsorge Volksmehrheiten direkt (Urnengänge) oder indirekt
(Referendumsdrohungen) entscheidend; eine allgemeine Erhöhung des Rentenalters, von
welcher vor allem derzeitige Nichtwähler profitieren würden, ist im Wahlvolk unpopulär.
Politiker von links bis rechts überlassen deshalb das unangenehme Thema lieber ihren
Nachfolgern. Die Linke nimmt zudem die massive Belastung der Jüngeren und Ungeborenen
bewusst in Kauf, weil sie die starke AHV-Umverteilung von «oben» nach «unten» erhalten oder
gar ausbauen will. Die Bürgerlichen wollen das zwar nicht und hätten im Parlament die
Mehrheit, doch sie wissen, dass sie bei der Wählermehrheit mit Reformen, welche die Älteren
in die Pflicht nähmen, keine Popularitätspreise gewännen.
So wagt die Politik kaum etwas, und die Reformvorschläge verteilen die Lasten sehr ungleich.
Wenigstens sind diese Vorschläge besser als nichts, wie UBS-Ökonomin Veronica Weisser
betont.
Wie die neuen Zahlen bekräftigen, ist die Ständeratsvariante noch weiter als der
Bundesratsvorschlag von einer «ausgewogenen» Reform entfernt. Frankenmässig betreffen
über 85% der Massnahmen höhere Einnahmen oder höhere Leistungen. Ohne allgemeine
Erhöhung des Rentenalters steigen überdies die AHV-Leistungen angesichts der steigenden
Lebenserwartung laufend weiter. Unsere Kinder und Enkel werden das irgendwann nicht
lustig finden.