Brot für alle Sinne

Brot für alle Sinne
Dr. Mathias Kinner, Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW
Heute darf sich ein Grossteil der Menschheit durch den
Genuss – dazu zählt unter anderem das Wahrnehmen
mit allen Sinnen – bei der Wahl des Lebensmittels steuern lassen. Genau diese sinnliche Wahl stellt die Lebensmittelproduzenten vor die Herausforderung, sinnlich, also sensorisch mit allen fünf Sinnen, differenzierbare Lebensmittel zu entwickeln.
Sensorisch differenzierbare Textureigenschaften
Die Textur (lat. textura) ist ein Begriff aus der Weberei
und bedeutet Gewebe, Gefüge und Zusammensetzung. In der wissenschaftlichen Literatur wurde die
Textur von Lebensmitteln definiert als eine sensorische und funktionale Erscheinungsform der Struktur-,
Mechanik- und Oberflächeneigenschaften von Lebensmitteln, welche durch den Seh-, Hör- und Tastsinn wahrgenommen werden kann. Daraus ergibt sich,
dass die Textur nur durch den Menschen mehrdimensional wahrgenommen und beschrieben werden kann.
Physikalische Analysen können im Gegensatz dazu
jeweils nur einzelne Parameter der Textur erfassen
und somit die Eigenschaften nur eindimensional beschreiben und quantifizieren.
Rohstoff - Prozess - Endprodukt
Wie alle sinnlich differenzierbaren Lebensmittel können auch Backwaren nur mit dem entsprechenden
Verständnis über die Zusammensetzung der Rohstoffe und einem tiefergehenden Know-how über die Umwandlungsprozesse, also dem Ab- und Aufbau von
strukturgebenden oder aromaaktiven Molekülen während der Herstellung, entwickelt werden. So ist heute
dem Konsumenten bewusst, dass beispielsweise Vollkornmehl zu dunkleren Backwaren führt als helles
Mehl. In diesem Sinne ist der Einfluss von Rohstoff
und Prozess auf die optische Endproduktqualität bekannt.
Als mehrdimensionales Attribut beschreibt die Textur
somit eine große Bandbreite von charakteristischen
Merkmalen von Backwaren. Diese Merkmale sind das
Ergebnis aus dem molekularen Aufbau des Lebensmittels. Um herausfinden zu können, was für den
Konsumenten ein sensorisch differenzierbares Texturmerkmal ist, wurde unter anderem im Jahr 2012 am
Institut für Lebensmittel- und Getränkeinnovation (ILGI) der ZHAW eine Studie zum Thema „Was macht
die Frische von Brot aus?“ (Bongartz A, Popp M,
Marthaler M, Kinner J, Bühler T, Kleinert M. Was
macht die „Frische“ von Brot aus? DLG-Lebensmittel
2012; 5; 12-15) durchgeführt. Dabei wurde untersucht,
Lebensmittel stehen seit den Urzeiten der Menschheit
unter der stetigen Kontrolle aller fünf Sinne. Stand am
Anfang die einfache Frage, ob denn das Lebensmittel
überhaupt geniessbar sei, im Vordergrund, so drängte
sich mit Beginn der Sesshaftigkeit und somit der Vorratshaltung die Frage auf, ob das Lebensmittel noch
geniessbar ist.
was aus Konsumentensicht für die Qualität von frischen Backwaren, speziell Brot, wichtig ist. Die Ergebnisse der Fokusgruppen, bei denen Käufer und
Gelegenheitskäufer befragt wurden, zeigten klar auf,
dass z. Bsp. für Ruchbrot die Knusprigkeit der Kruste
sowie die Weichheit und Feuchtigkeit der Krume wichtige Qualitätskriterien sind. In Fortführung der oben
genannten Studie wurde thematisiert, wie nicht nur
Knusprigkeit, Weichheit und Feuchtigkeit sensorisch
wahrgenommen und beschrieben werden können,
sondern auch weitere Textureigenschaften.
Auf den oben beschriebenen Ergebnissen beruhend
wurde 2013 in einer weiteren Studie der Frage nachgegangen, wie differenziert der Konsument die Textur von
Brot wahrnimmt. Dazu wurden, unter Berücksichtigung
von relevanten Rohstoffen und Prozessen, 20 verschiedene Brote ausgewählt. In einem Konsumententest wurden dann 40 ungeschulte Prüfpersonen aufgefordert,
mittels ihrer Sinne diese Brote auf einer definierten Fläche zu gruppieren. Dabei sollte die Entfernung der Brote
zueinander der Differenziertheit der wahrgenommenen
Krusten- und Krumentextureigenschaften entsprechen.
Das heisst, je weiter die Brote voneinander entfernt waren, umso differenzierter waren ihre Krumen bzw. Krusten für den Konsumenten. Es zeigte sich, dass der Konsument aus der optischen Vielfalt der Brote eine Vereinfachung auf vier Gruppen vornahm. So wurden Müsli-,
Hafer- und Proteinbrot in eine Gruppe eingeteilt (Abbildung 1).
Abbildung 2: Brote in der Gruppe 2 der Studie
Abbildung 3: Brote in der Gruppe 3 der Studie
In die vierte und grösste Gruppe wurden Ruch- und
Halbweissbrot, sowie St. Galler Halbweissbrot, Älplerbrot, Kartoffelbrot, Paillasse hell und ein Bauern- und ein
Sechskornbrot integriert (Abbildung 4).
Abbildung 1: Brote in der Gruppe 1 der Studie
Walliser Roggenbrot sowie ein Roggensauerteigbrot,
Pumpernickel und ein glutenfreies Weissbrot wurden
von den Konsumenten in einer zweiten Gruppe zusammengefasst (Abbildung 2).
Die dritte Gruppe umfasste neben Butterzopf, Maisbrot
und Silser Baguette auch noch Tessinerbrot und Pariserbrot (Abbildung 3).
Abbildung 4: Brote in der Gruppe 4 der Studie
Beruhend auf diesen Erkenntnissen sowie weiteren physikalischen Analysen werden nun mit trainierten Sensorikern einzelne texturbeschreibende Attribute erarbeitet,
um bestimmte sensorische Vorstellungen der Konsumenten besser verstehen und in der Entwicklung neuer
Produkte umsetzen zu können.
Prozesseinflüsse auf Geruch und Geschmack von
Brot
Mit dem Geruchssinn, lokalisiert in Nase und Rachenraum, nimmt der Mensch flüchtige gasförmige Aromakomponenten olfaktorisch wahr. Die Grundgeschmacksarten in ihren Ausprägungen von Süss, Sauer, Salzig,
Bitter und Umami werden in der Mundhöhle und im Rachenraum gustatorisch wahrgenommen. Erst das Gehirn
kombiniert die sensorischen Wahrnehmungen zu einem
Gesamteindruck, der das Lebensmittel charakterisiert.
Auch das Aroma und der Geschmack von Backwaren
werden durch die Wahl der Rohstoffe und Prozesse
beeinflusst. So liefern nicht nur die verschiedenen Getreidearten und -sorten unterschiedliche Ausgangspunkte, sondern auch die Wahl der entsprechenden
Hefen und/oder Milchsäurebakterien nimmt Einfluss auf
Geruch und Geschmack. Mit der Wahl der Prozesse
und der Auslegung der einzelnen Prozessparameter
können die biochemisch-enzymatischen Reaktionen
während der Fermentation und die chemischthermischen Reaktionen während des Backens zusätzlich beeinflusst werden.
In einem weiteren Projekt wurde daher der Effekt von
Temperatur und Zeit während der Teiggare auf die Aromabildung in Schweizer Halbweissbrot (Weizenmehl Typ
720, TA 175) untersucht. Ebenso wurde der Einfluss von
direkter und indirekter Triebführung analysiert. Direkte
Triebführung bedeutet, dass die gesamte Teigmasse
während der Teiggare fermentiert wird. Im Gegensatz
dazu wird bei der indirekten Triebführung nur ein Teil der
Teigmasse fermentiert. Letzteres wird in der Praxis gemacht, um den Vorteil eines breiteren Aromaprofils im
Brot zu erhalten und gleichzeitig die negativen Einflüsse
auf das Brotvolumen zu minimieren. Die Temperaturen
bei der Teiggare lagen bei 5°, 15°, 25° und 35°C und die
Zeiten variierten von 1, 3, 11 bis 19 Stunden. Mit diesen
Temperaturen und Zeiten wurde ein breiter Bereich der
in der Praxis verwendeten Fermentationstemperaturen
und –zeiten abgedeckt. Die Brote wurden sowohl sensorisch als auch aromaanalytisch untersucht und das spezifische Brotvolumen wurde gemessen.
Die Ergebnisse zeigten, dass vor allem die Temperatur
während der Fermentation ausschlaggebend ist für die
Aromabildung. Sensorisch konnten zwischen der direkten
und indirekten Triebführung kaum Unterschiede bezüglich
des Grundgeschmackes sowie der olfaktorisch und gustatorisch wahrgenommenen Aromen festgestellt werden.
Aromaanalytisch zeigten die Brote jedoch Unterschiede
auf. Bei der direkten Triebführung war die Konzentration an
den höheren Alkoholen, Estern, Methionol und 4Vinylguajacol grösser, bei der indirekten Triebführung die
Konzentration an Carbonylverbindungen, 2,3-Butandiol und
2-Aminoacetophenon. Bei der direkten Triebführung führten lange Fermentationszeiten (> 11 h) in Kombination mit
höheren Temperaturen (> 25°C) schneller zu sensorisch
negativ eingestuften Noten. Zusätzlich zeigte sich, dass die
indirekte Triebführung das spezifische Brotvolumen praktisch nicht beeinflusst.
Die Untersuchungen haben zusammengefasst ergeben,
dass sowohl mit der direkten als auch mit der indirekten
Triebführung bei entsprechenden Fermentationstemperaturen und -zeiten ein breites Aromaprofil erzielt werden
kann. Die indirekte Triebführung zeigte sich jedoch weniger anfällig hinsichtlich negativer Geschmacksnoten
und ermöglicht ein dem Standard entsprechendes spezifisches Brotvolumen.
Wie in den oben beschriebenen Projekten wird laufend,
auch im Rahmen von studentischen Arbeiten, an den
Zusammenhängen zwischen Rohstoff, Prozess und
Endprodukt geforscht. Damit werden innovative Lösungen für Backwaren, welche alle fünf Sinne beim Konsumenten ansprechen, entwickelt.
Impressum
Schweizerische Akademie der Technischen Wissenschaften
www.satw.ch
Oktober 2015
Dieser Artikel entstand für die SATW Rubrik „Im Fokus“ zum Thema Lebensmitteltechnologie.
Gestaltung: Claudia Schärer
Bilder: Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften ZHAW