FAUST Oper in fünf Akten von Charles Gounod nach Johann Wolfgang von Goethe Libretto von Jules Barbier und Michel Carré Produktion der Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH und FAUST_EINS Ein Musik_Theater_Schauspiel von Johann Wolfgang Goethe Musik u. a. von Alfred Schnittke und Hannes Pohlit Produktion des Theaters Rudolstadt Spielzeit 2015/2016 Oper: Tijana Grujic, ´ Florian Kontschak, Opern- und Extrachor DIE HANDLUNG DER OPER 4 1. Akt Fausts Studierzimmer. Der alte Faust will sich das Leben nehmen, da er sein Lebensziel nicht erreicht hat. Gottes Natur preisende Gesänge empfindet er als Hohn: Gott ist nicht in der Lage, ihm zu helfen. Faust verflucht das bisherige Leben und ruft den Teufel zu sich. Von Méphistophélès verlangt er erneute Jugend, um die Liebe noch einmal zu erleben. Der Teufel schließt einen Pakt: Dafür, dass er Fausts Wünsche erfüllt, soll der ihm später im Jenseits dienen. Faust wird verjüngt. hatte. Méphisto arrangiert ein Treffen Fausts mit Marguerite, das die beiden zur Annäherung nutzen, indem er Marthe in ein amouröses Geplänkel treibt. Méphisto heizt Faust an, so dass der über Nacht bei Marguerite bleibt. 4. Akt Marguerite, schwanger und verlassen, sehnt sich nach Faust und schämt sich ihrer Tat. Siébel spendet ihr Trost. In der Kirche bittet sie Gott um Vergebung. Statt seines Zuspruchs hört sie Méphistos Fluch, der sie in die Hölle schickt. Valentin kehrt mit den Soldaten aus dem Krieg zurück. 2. Akt Siébel zeigt sich merkwürdig wegen Kirmes. Während ausgiebig gefeiert wird, Marguerite. Faust fürchtet die Reaktion rekrutiert man Soldaten für den KriegsValentins, wenn der von Marguerites Gedienst. Die Sympathien der Mädchen schichte mit Faust erfährt. Méphisto will zur fliegen ihnen zu. Valentin, der nach dem Walpurgisnacht, doch Faust zu Marguerite. Tod der Mutter erstmals wieder einrückt, übergibt besorgt seine geliebte Schwester Méphisto klimpert ein freches Liebeslied. Erzürnt will Valentin seine Schwester bei Marguerite der Obhut Siébels. Méphisto den Verführern rächen. Doch Méphisto fordert die Gesellschaft heraus: Er löst leiht Faust teuflische Kräfte, so dass dieser Wagner, einen Freund Valentins, beim Valentin im Duell trifft. Sterbend macht Singen ab, weissagt den Tod für Wagner und Valentin und zaubert. Als er Marguerite Valentin seine Schwester für seinen Tod verantwortlich und verflucht sie wegen erwähnt, kommt es zum eifersüchtigen ihres Lebenswandels. Kampf. Der Teufel wird mit göttlicher Kraft entzaubert. Faust verlangt, Marguerite zu treffen, die ihm Méphisto vor der Verjün5. Akt gung gezeigt hatte. Siébel will das verhinWalpurgisnacht. Méphisto führt Faust in dern, doch Méphisto drängt ihn zurück. seine Welt zu den Hexen. Die höllische Marguerite weist Faust ab. Feier lässt sein Herz nicht gesunden. Stattdessen sieht Faust Marguerite als Erscheinung und will zu ihr. 3. Akt Siébel bringt Blumen zu Marguerites Haus, Kerker. Méphisto öffnet Faust die Zellentür um ihr seine scheue Liebe anzudeuten. Mit der zum Tod verurteilten Kindsmörderin Weihwasser löst er zwar Méphistos Zauber Marguerite. Während Faust sie durch über die Blumen, doch der Teufel stellt als Flucht vor dem Tod retten will, fühlt sie sich durch seine Rückkehr moralisch rivalisierendes Geschenk des buhlenden gerettet. Als Méphisto zum schnellen Faust prächtigen Schmuck daneben. Aufbruch drängt, wendet sich Marguerite Nachbarin Marthe redet Marguerite zu, auch von Faust ab. Gott nimmt ihre Seele den gefundenen Schmuck zu behalten. Marguerite hofft, dass der von jenem Herrn zu sich. Der wiederauferstandene Christus hat Méphistophélès besiegt. wäre, der sie auf dem Fest angesprochen 5 Oper: Tijana Grujic, ´ Lázaro Calderón „VERWEILE DOCH, DU BIST SO SCHÖN!“ Gedanken und Fragen zu Goethes „Faust“ von Michael Kliefert 6 „Faust“ ist ein höchst zwielichtiges Stück. Alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, seien vergeblich, warnte Goethe. Über tausend Äußerungen sind allein vom Autor selbst zu seinem Werk überliefert. Dazu kommen Abertausende von Artikeln, Büchern, Aufführungen, viele Bilder und Faustfilme sowie eine Flut von Kompositionen. Wer sich in die Tragödie hineinbegibt, läuft Gefahr, sich darin zu verlaufen angesichts der disparaten Sinnschichten und Aufmerksamkeitsebenen. Goethe hat in sein „Faust“-Fass, seine „sehr ernsten Scherze“, wie er seine Tragödie nannte, alle ihm wichtigen Gedanken hineingeschüttet und wie ein Magier zu einem geheimnisvollen Gebräu vermengt. Die zentralen Fragen, die im „Faust“ verhandelt werden, sind so alt wie die Menschheit: Was ist der Mensch? Was treibt ihn an? Hat er die Folgen seines Tuns im Griff, kann er die Duplizität seiner physischen und psychischen Natur meistern? Wie kann er Schöpfungsgenuss empfinden? Goethe bleibt uns eine verlässliche Antwort schuldig. Faust, dieser Abenteurer des Wissens, glaubt an nichts mehr, nicht an Gott, nicht an die Hölle, nicht einmal an sich selbst. Jegliche Sinnhaftigkeit der Welt, jegliche Daseinsbejahung scheint ihm abhandengekommen. Und doch überrascht er sein teuflisches Gegenüber – und auch uns – mit dem Verlangen nach einem ekstatischen Urerlebnis. Die berühmte Paktformel, die zwischen ihm und Mephisto in eine Wette mündet, ist nicht nur eine willkürliche Selbstermächtigung über seine eigene Lebenszeit, sondern kann im Gegenteil auch als eine utopische Sehnsucht verstanden werden: „Werd ich zum Augenblicke sagen,/Verweile doch, du bist so schön!/Dann magst du mich in Fesseln schlagen,/dann mag ich gern zu Grunde gehen.“ Faust will die Ganzheit und wahrhaftige Fülle des Lebens im Augenblick des Schönen erfahren. Für Goethe eines der heiligsten Güter. Dann ist er bereit fürs Sterben, dann akzeptiert der Mann, der stets nach dem Unendlichen, dem Absoluten giert, seine Endlichkeit, seine Relativität. Ist so ein Augenblick bei Fausts rastloser Konstitution überhaupt möglich? Wie müsste so ein Augenblick aussehen und wie lange müsste das Schöne andauern, damit Faust ihn verspürt und dann auch annimmt? Braucht man für diesen überhaupt den Teufel oder vielleicht doch eher die Musik – die „Göttermacht der Töne“? Hat der Dichter auch aus diesem Grund so viele musikalische Spuren in sein Werk hineingeschrieben, weil Worte allein nicht ausreichen für das Erlebnis der Transzendenz? Fragen über Fragen. Für Goethe selbst war die „Erfahrung des Schönen“ ein Urquell des Lebens und elementar „mit Hoffnung und Zutrauen verknüpft“. Seine Innovation des überlieferten Faust-Mythos’ bestand, neben der gravierenden Veränderung des klassischen Teufelspaktes in die Form einer Wette mit offenem Ausgang, in der Hinzufügung der Gretchen-Tragödie. Für Faust wird das Aufeinandertreffen mit Margarete zur wichtigsten Begegnung mit dem Schönen. Es geht dabei keineswegs nur um das Äußerliche, sondern Gretchen steht für die Entdeckung einer ihm bisher verschlossenen Welt. Der Augenblick der Liebe – eine Urerfahrung des Schönen – bricht über Faust hinein mit der Plötzlichkeit einer Naturkatastrophe und genauso zerstörerisch endet diese Liebesgeschichte auch. Ist Faust 7 Schauspiel: Lisa Klabunde, Steffen Mensching der Täter seiner Taten oder reitet ihn sein eigener Dämon in Gestalt von Mephisto und das Schöne kann für ihn nie etwas anderes sein als des Schrecklichen Anfang? „Die Hölle ist leer. Alle Teufel sind hier!“, heißt es bei Shakespeare. Mit der Inszenierung von „Faust, der Tragödie erster Teil“ belebt das Theater Rudolstadt eine über viele Jahrzehnte verschüttete historische Aufführungspraxis. Schon Goethe plädierte bei den ersten Inszenierungen für ein enges Zusammenwirken von Schauspielkunst und Musiktheater. Kein Schauspiel zu seinen Lebzeiten sah eine so vielfältige Mischung aus Liedern, Melodramen, Chor- und Instrumentalpassagen vor. Des Dichters eigener Wunsch war es, Mozart hätte sein Opus Magnum vertont. Dazu kam es leider nicht. Auch Beethoven trug sich ernsthaft mit der Absicht, eine große „Faust“-Musik zu schreiben. Was Goethe wohl von ihr gehalten hätte, wo er doch ausrief, als ihm der junge Mendelssohn den Anfang der 5. Sinfonie auf dem Klavier vorspielte: „Man möchte sich fürchten, das Haus fiele ein. Wenn das nun alle die Menschen zusammenspielen!“ Mittlerweile existieren zum gesamten „Faust“-Stoff von über 650 Komponisten Vertonungen. Das musikalische Spektrum reicht dabei von der Oper bis zum Ballett, vom einfachen Lied bis zum Musical, von der Ouvertüre bis zur großen Sinfonie. In unserer Aufführung erklingen u. a. Auszüge aus Werken des berühmten russischen Polystilisten Alfred Schnittke (1934–1998) und – als Uraufführung – Neuvertonungen des Leipziger Komponisten Hannes Pohlit, die er eigens für das Theater Rudolstadt geschrieben hat. GOUNODS OPER UND GOETHES „FAUST“ von Anja Eisner 8 Gounods „Faust“-Oper wird von den Deutschen gern als „Margarete“ tituliert, weil vorrangig nur die Gretchentragödie behandelt wird. Abgesehen davon, dass das Dilemma des Gelehrten bei Gounod keineswegs ausgespart ist, die vorschnelle Umbenennung verkennt, welche inhaltlichen Qualitäten die Oper neu einbringt – über die emotionalen Qualitäten, die ein Musikwerk hinzufügt, hinaus. Was ist anders? Bei Goethe ist der Mensch Faust Spielball einer Wette zwischen Gott und Teufel. Gounods Faust bestimmt sein Schicksal selbst: Er, der in seinem Leben trotz strebsamer Forschung und in stetem Übereinklang mit Gott nicht die Erfüllung gefunden hat, ruft den Teufel selbst herbei. Er will noch einmal jung werden und neu anfangen. Mephisto findet Freude an einem Pakt, den er auf eigene Rechnung macht. Während er bei Goethe an Gottes langer, beschützender Leine läuft, muss er sich bei Gounod immer wieder gegen Oper: Tijana Grujic, ´ Opernchor die gottesfürchtigen Menschen durchsetzen. Findet er z.B. Gefallen daran, Fausts Nebenbuhler Siébel die Blumen zu verhexen, so wird ihm diese Freude durch die Entzauberung der Blumen mit Weihwasser verhext. Überhaupt Siébel. Bei Goethe ist er eine der Randgestalten aus „Auerbachs Keller“. Gounod wertet die Figur auf, indem er aus ihr einen Menschen macht, der Margarete echtes Vertrauen und Liebe entgegenbringt und somit zum Gegenspieler Fausts wird. Damit bekommt die Beziehung Faust-Margarete ein ganz anderes emotionales Gewicht als bei Goethe. Dort ist das Gretchen vor allem Mittel zum Zweck: ein Versuch Mephistos, Faust durch Liebeständelei von seinem Streben abzuziehen. Gounod unterscheidet in seiner Oper nicht zwischen den Szenen „Vor dem Tor“, in der Faust beim Osterspaziergang feststellt, wie wenig er sich den erwachenden Freuden der Natur hingeben kann, ohne zu bedauern, dass er sie nicht durchschaut, und „Auerbachs Keller“, in dem Faust statt mitgrölend zu saufen, sich angewidert von solcherart Vergnügen abwendet. Gounod führt eine Kirmes ein, in der sich Elemente aus beiden Szenen finden. Diese einzige Szene schon genügt, um das gesellschaftliche Klima, in dem die Liebesgeschichte spielt, hinreichend zu charakterisieren! Ganz wesentlich unterscheidet sich der Schluss: Während bei Goethe nach Gretchens Rettung im Tod, Fausts Geschichte in einem zweiten Teil weiterverhandelt wird, endet Gounod seine unterhaltsame Oper mit einer eindrucksvollen Apotheose, die die Gretchengeschichte im Sinne des Komponisten positiv löst. Die MUSIK ZUM MUSIK_THEATER_SCHAUSPIEL „FAUST_EINS“ VON GOETHE HANNES POHLIT (*1976) Zwölf Stücke zu Goethes „FAUST“ Clowns und Kinder Suite aus der Filmmusik für Orchester Kompositionsauftrag des Thüringer Landes- daraus: Satz I Titelmusik, Satz II theaters Rudolstadt/Hannes Pohlit © 2015 Intermezzo Nr. 1 Erdgeist Der Aufstieg Melodram mit Orchester Suite aus der Filmmusik für Orchester Nr. 2 Christ ist erstanden daraus: Satz III Reue für Chor und Orchester Gogol-Suite Nr. 3 Gesundheit dem bewährten Mann Suite aus der Bühnenmusik zum Kanon für Chor a capella Schauspiel „Die Revisionsliste“ von Nr. 4 Ein junger Mensch Nikolai Gogol Lied des Mephistopheles für Singstim- Bearbeitung: G. Roshdestwenski (Zume und Orchester sammenstellung) daraus: Ouvertüre Nr. 5 Seid reinlich bei Tage Agonie Trinklied für Soli, Chor und Orchester Suite aus der Filmmusik für Orchester Nr. 6 Zaubermusik daraus: Satz II Walzer für Orchester Der Walzer Nr. 7 Gretchens Stube Suite aus der Filmmusik für Orchester Melodram für Sprechstimme und Satz I Baustelle Orchester Nr. 8 Gretchen am Spinnrad weitere verwendete Musiken: Musik für Singstimme und Orchester CHARLES IVES (1874–1954): The Unannach Motiven aus Franz Schuberts Lied swered Question (1906); FRITZ ROTTER Nr. 9 Serenade des Mephistopheles (1900–1984), WALTER JURMANN „Was machst du mir an Liebchens Tür“ (1903–1971): Veronica, der Lenz ist da; Lied für Solostimme, Gitarre und ANTON GÜNTHER (1876–1937): ’s ist kleines Orchester Feierabend; UNBEKANNT: Auf einem Nr. 10 Dies irae Baum ein Kuckuck (Volkslied); RUDI für Sopran-Solo, Chor und Orchester CARELL (1934–2006): Goethe ist gut Nr. 11 Satansmesse Musik/Text: Cy Coben, Charles Grean, für Chor und Orchester Thomas Woitkewitsch. Nr. 12 Hexentanz ALFRED SCHNITTKE (1934–1998) Die Musiken von Alfred Schnittke werden, wenn nicht anders angegeben, in den Bearbeitungen von Frank Strobel aufgeführt. Die Lebensgeschichte eines unbekannten Schauspielers Suite aus der Filmmusik daraus: Satz II — Agitato 1 (Schlitten) Das Märchen der Wanderungen Suite aus der Filmmusik für Orchester daraus: Sätze III, V, VII, IX Schauspiel: Steffen Mensching 9 VOM VOLKSMÄRCHEN ZUR WELTLITERATUR von Petra Maisak, Anne Bohnenkamp 10 Oper: Katharina Boschmann, Salomón Zulic del Canto, Yoontaek Rhim, Opern- und Extrachor Goethes Arbeit am „Faust“ erfolgt in einem spannungsreichen Werkprozess, der eng mit seiner Biografie verknüpft ist und mehr als 60 Jahre umfasst. Eine Reihe von Zeugnissen und Kommentaren des Autors und seiner Zeitgenossen erhellt die Entstehungsgeschichte: die Entwicklung vom „alten rohen Volksmährchen“ (Goethe in Kunst und Alterthum 1827; Kat. Nr. 40) über das „innere Märchen“ (Goethe an Meyer, 20. Juli 1831) bis hin zu den „sehr ernsten Scherzen“ (Goethe an Wilhelm von Humboldt, 17. März 1832) einer großen Dichtung der Weltliteratur. Durch das Puppenspiel wurde Goethe schon als Kind mit dem Faust-Stoff vertraut; als Neunzehnjähriger kam er durch Susanna Katharina von Klettenberg mit Alchemie und okkulter Philosophie in Berührung – Geheimlehren, die ihn stark beschäftigten und erneut der Sphäre des historischen Dr. Faustus nahe brachten. Im Frühjahr 1772 hatte Goethe die Hauptszenen der Frühen Fassung konzipiert; 1831 schloss er den zweiten Teil des „Faust“ ab, nahm sich das Manuskript aber 1832, kurz vor seinem Tod, noch einmal vor. Der Stoff gewinnt eine völlig neue Komplexität und Bedeutungstiefe; Faust, der „Unmögliches begehrt“ (V. 7488), und sein vom Scheitern gezeichneter Weg werden zur poetischen Parabel von der Bestimmung des Menschen. Jede rational eingegrenzte Interpretation greift bei dieser Dichtung zu kurz, wie Goethe selbst in einem Gespräch mit Eckermann am 3. Januar 1830 betont: „Der Faust … ist doch ganz etwas Inkommensurabeles, und alle Versuche, ihn dem Verstand näher zu bringen, sind vergeblich. Auch muss man bedenken, dass der erste Teil aus einem etwas dunkelen Zustand des Individuums her- vorgegangen. Aber eben dieses Dunkel reizt die Menschen, und sie mühen sich daran ab, wie an allen unauflösbaren Problemen.“ 11 „An den Faust hatte er sich natürlich vorläufig nicht gewagt. Es war ihm ja leider noch immer nichts eingefallen für die fehlende dramatische Handlung im Mittelteil. Kein wirklich bewegender Stoff, mit dem er die Episödchen aus dem Volksstück ersetzen könnte. (…) Ebenfalls ruhen und reifen ließ er ersteinmal seine neueste geniale Idee für ein aufsehenerregendes Drama: ‚Die Kindermörderin‘ oder so ähnlich, inspiriert durch den jet zigen Fall. Er wusste schon, wie er die Heldin nennen würde: Nicht den Rufnamen der Brandin würde er verwenden (…), sondern ihren zweiten Vornamen: Margarethe, kurz Gretchen.“ „Was hatte die Brandin erzählt: Der Satan hat ihr den Mund zugehalten, dass sie nicht sagen konnte, sie sei schwanger. Der Satan wollte sie das Gaubloch hinunterstoßen. Ihr schien es, als ob was im Wein gewesen wäre, das sie willenlos machte. Du lieber Gott. Da hat er’s. Das ist es doch, wonach er so lange gesucht hat: Ein hochdramatischer, wirklich bewegender Stof f, mit dem er im Faust die Episödchen ersetzen kann. Die Kindsmordtragödie ließ sich ja wunderbar einbauen! Gretchen, ver führ t von Faust mit mephistophelischer Hilfe, bringt ihr Kind um und landet im Kerker. Den Faust reut es, doch es ist zu spät. Besser ging es nicht.“ Ruth Berger in „Gretchen. Ein Frankfurter Kriminalfall“ DER KOMPONIST CHARLES GOUNOD 12 Charles François Gounod wurde am 17. Juni 1818 in Paris als Sohn eines Malers sowie einer Malerin und Pianistin geboren. 1893 starb er am 18. Oktober im Pariser Vorort Saint-Cloud. Frühzeitig wurde er in Musik und Malerei ausgebildet. Nachdem er dreizehnjährig Rossinis „Othello“ gesehen hatte, gab er das Malen auf, um sich vollends der Musik zuzuwenden. 18-jährig begann er am Konservatorium Paris zu studieren (bei J.F. Halévy, Lesuer und Paer). 1839 errang er den Prix de Rom und nutzte das Stipendium zu ausgedehnten Studien in Europa. In Italien beschäftigte er sich mit geistlicher Musik des 16. Jahrhunderts und entdeckte die Faszination der Religion für sich. 1843 reiste er über Wien, Berlin und Leipzig, wo ihn Mendelssohn mit Musik von Bach bekanntmachte, zurück nach Paris. Dort arbeitete er als Kirchenkapellmeister und Organist und führte Musik von Bach und Palestrina in die Gottesdienste ein. Um Kleriker zu werden studierte er von 1846 bis 1848 an Saint-Sulpice. (Das ist übrigens jene katholische Kirche, in der Chevalier des Grieux Zuflucht vor Manon in der gleichnamigen Oper Massenets sucht). Doch er schwankte zwischen Sinnenlust und Entsagung. Man nannte ihn gar „der poussierende Mönch“… Der charmante, kontaktfreudige Mann küsste ausnahmslos jeden zur Begrüßung und hoffte, dass er die Liebe aller gewinnen könnte. Um die ihm so wichtige Anerkennung zu erringen, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich der Oper zuzuwenden, die allein Erfolg in der französischen Musikwelt versprach. Dank der Vermittlung seines Schwiegervaters war er von 1852 (dem Jahr, in dem er die Tochter eines Klavierlehrers vom Konservatorium heiratete) bis 1860 fest als Direktor des Orphéons angestellt und somit Direktor und Leiter der Einstudierung der Gesangvereine der Stadt Paris. Seinen ersten Opern – insgesamt komponierte er 13 – war nicht allzu viel Erfolg beschieden. Der Durchbruch gelang ihm 1859 mit „Faust“, der Oper, die ihn sofort zum bekanntesten französischen Komponisten machte. Auch andere Opern hatten Erfolg, so „Mireille“ und „Roméo et Juliette“, doch die Beliebtheit von „Faust“ erreichte keine seiner weiteren Opern. Der deutsch-französische Krieg war ihm Anlass, von 1870 bis 1874 Zuflucht in London zu nehmen. Sein dort gegründeter Chor, die heutige Royal Choral Society, weihte die Royal Albert Hall ein. Im Alter wandte sich der Komponist, der auch Schauspielmusiken, Orchesterwerke, Lieder, Klavierlieder, Instrumentalstücke und Kantaten komponiert hatte, erneut der geistlichen Musik zu. Seine Musik wurde vor allem in England gefeiert, seine Oratorien brachten ihm Reichtum. Sein „Inno e Marcia Ponteficale“ ist die heutige Hymne des Vatikans, seine Bearbeitung des Präludiums C-Dur aus Bachs „Wohltemperierten Klavier“ wurde mit dem Text des „Ave Maria“ zu einem der populärsten klassischen Musikstücke. Der Komponist war tief religiös und wollte gleichzeitig als „Musiker der Liebe“ gelten. Die Zuhörer entdeckten verhüllte Erotik in seiner Musik, und er selbst sagte gar einmal: „Wenn mich ein guter Katholik einmal sezieren sollte, wäre er sehr überrascht angesichts dessen, was er drinnen fände.“ 13 Oper: Florian Kontschak, Lázaro Calderón, Opern- und Extrachor DIE OPER „FAUST“ IN IHRER ZEIT von Anja Eisner 14 durchkomponiert war, sondern sich in Dialogen weiterentwickelte. Dem Unterhaltungswert „geschuldet“ sind großartige, wirkungsvolle Solonummern, die nicht der Handlung bzw. wie man es aus Arien kennt, der Schilderung innerer Befindlichkeiten dienen. Sie sind wie Couplets eingefügt. So z. B. das hinreißende Strophenlied, Mephistos „Rondo vom Goldenen Kalb“. Wirkungsvolle Musik, die uns heute Gounod, der nicht darauf aus war, die erfreut, wurde auf Wunsch der Theater Operngeschichte weiterzuschreiben von Gounod nachkomponiert, so das oder zu revolutionieren, schrieb im besten Sinne für das Publikum. Er wollte Gebet des Valentin. Dem Geschmack des französischen Publikums entankommen. Daher musste er auf Tradisprechend musste irgendwann für die tionen, auf Erwartungshaltungen des Publikums Rücksicht nehmen – was das Oper auch Ballettmusik her, und als die Pariser Opéra „Faust“ ins Reperschlechteste nicht war. toire übernahm, komponierte Gounod auch Rezitative statt der Dialoge. So Die Pariser Opéra, der Vorläufer der heutigen Opéra Garnier, nahm „Faust“ wandelte sich die Oper jeweils für ihre Adressaten. nicht zur Uraufführung an. Am Uraufführungstheater, dem Théâtre-Lyrique, war es üblich, dass die Handlung nicht Ein Kunstwerk erzählt oft eine vom Autor erdachte, erfundene Geschichte. Und doch erzählt sie – über den damit zumeist verbundenen philosophischen Hintergrund hinaus – mehr. Der Autor als Kind seiner Zeit, immer auch geprägt von ihr, lässt seine Zeit bewusst oder unbewusst das Geschehen beeinflussen. Schauspiel: Steffen Mensching, Matthias Winde 15 Oper: Salomón Zulic del Canto, Yoontaek Rhim, Katharina Boschmann, Florian Kontschak, Opern- und Extrachor Napoleon III. bezahlte hohe kirchliche Würdenträger aus der Staatskasse. Zum Dank durfte er sich in seiner Macht auf die Loyalität der katholischen Kirche stützen. Normen zur Bewältigung des Lebens waren gefragt. Frankreich war durch die Industrialisierung zu einer Wirtschaftsmacht aufgestiegen. Großer Prunk wurde gezeigt – vor allem in der Hauptstadt, die damals durch Haussmann architektonisch neu geprägt wurde. Die Industrialisierung bot den vom Lande kommenden ArbeiDie Außenpolitik wurde von internatern vollkommen neue, unbekannte, tionalen Kriegen bestimmt. 1856, als Gounod mit Barbier am Libretto arbei- nicht vorab einzuschätzende Möglichtete, wurde ein dreijähriger Krieg gegen keiten. Diese rieben sich mit den traRussland beendet, den Frankreich an dierten Tugenden. Und auch das prägt Gounods „Faust“ – und seinen Schluss der Seite des Osmanischen Reichs, – mindestens so sehr wie die Story um Englands und Sardiniens um die Krim Faust und Margarete. und die Vorherrschaft in den Donaufürstentümern und auf dem Schwarzen Meer führte. Die ideelle Unfreiheit und die physischen Grausamkeiten verlangten vehement nach der Klärung, woher so viel Böses kam und machten „Faust“ zum Thema der Stunde. Die Zeit erklärt auch, weshalb in Gounods „Faust“ das Militär eine wesentlich größere Rolle als bei Goethe spielt. Der Inhalt der Oper, der ebenfalls Auskunft über die Entstehungszeit gibt, wandelte sich nicht. Die Mitte des 19. Jahrhunderts, als die Oper entstand, war – nicht nur in Frankreich – eine sehr bewegte Zeit. Nach der Revolution von 1848, die die Monarchie beseitigt hatte, stieg schließlich mit Napoleon III. ein neuer Kaiser auf den Thron. Sein autoritäres Regieren trieb Andersdenkende wie Victor Hugo ins Exil. 16 „Doch welche Beziehung hat unser Leben noch zu Faust, zu dem faustischen Menschen? Wir Kämpfer des heutigen Werktages wollen die Welt erobern, möglichst schnell, um durch die Materie zu persönlichem Wohlleben, zum Genießen unsres Selbst zu gelangen. Faust will Erkenntnis, will Eroberung im Geistigen, Sieg über Werden und Vergehen zum Nutzen der Menschheit – Urtrieb überall. (…) Es geht nicht an, Goethes große Schöpfung nur als geniales Gemälde eines überwundenen Mittelalters zu betrachten, als ein edles Kunstwerk, wie die Vase im Schaufenster des Althändlers. Hier ist der Markstein, der Rubicon des Menschengewissens. Faust ist Wegscheide, Faust heißt – bekennen! – Es geht nicht an, ihn für den Ladenpreis an den Hut zu stecken oder für ein Theaterbillet Kopf und Brust damit zu füllen und morgen unsaubere Börsenspekulationen zu machen.“ Erwin Hahn „Natur! Wir sind von ihr umgeben und umschlungen – … Ungebeten und ungewarnt nimmt sie uns in den Kreislauf ihres Tanzes auf und treibt sich mit uns fort, bis wir ermüdet sind und ihrem Arme entfallen. Natur! Sie schafft ewig neue Gestalten; was da ist, war noch nie; was war, kommt nicht wieder – Alles ist neu und doch immer das Alte. Natur! … Sie spricht unaufhörlich mit uns und verrät uns ihr Geheimnis nicht. … Sie ist die einzige Künstlerin: aus dem simpelsten Stoffe zu den größten Kontrasten: ohne Schein der Anstrengung zu der größten Vollendung – … Natur! Sie spielt ein Schauspiel: Ob sie es selbst sieht, wissen wir nicht, und doch spielt sie’s für uns, die wir in der Ecke stehen. … Sie hat sich einen eigenen allumfassenden Sinn vorbehalten, den ihr niemand abmerken kann … Sie spritzt ihre Geschöpfe aus dem Nichts hervor, und sagt ihnen nicht, woher sie kommen und wohin sie gehen, Sie sollen nur laufen; die Bahn kennt sie … Natur! Leben ist ihre schönste Erfindung, und der Tod ist ihr Kunstgriff viel Leben zu haben … Sie hat keine Sprache noch Rede, aber sie schafft Zungen und Herzen, durch die sie fühlt und spricht. Natur! Ihre Krone ist die Liebe. Nur durch sie kommt man ihr nahe ... Sie belohnt sich selbst und bestraft sich selbst, erfreut und quält sich selbst. Sie ist rauh und gelinde, lieblich und schrecklich, kraftlos und allgewaltig. … Natur! Sie ist ganz und doch immer unvollendet. So wie sie’s treibt, kann sie’s immer treiben. … Natur! Sie hat mich hereingestellt, sie wird mich auch herausführen. Ich vertraue mich ihr. Sie mag mit mir schalten … Alles ist ihre Schuld, alles ist ihr Verdienst.“ Johann Wolfgang von Goethe „In einer Zeit erbitterten Kampfes um die Erhaltung der ehemaligen Hoftheater Thüringens müssen wir Rudolstädter uns immer wieder mit Stolz ins Gedächtnis zurückrufen, dass das erste Jahrzehnt unseres hiesigen Theaterlebens zugleich auch ein wertvolles Stück deutscher Bühnengeschichte bedeutet.“ Waldemar Klinghammer Erwin Hahn war in den 1920er Jahren Intendant am Theater Rudolstadt, spielte in der Inszenierung „Faust“ mit Orchester 1922 die Rolle des Mephisto. Waldemar Klinghammer war Jurist, Schriftsteller, Mundartdichter und Vorsitzender des Vereins „Rudolstädter Abend“ und schrieb seine vorstehenden Betrachtungen (über die Uraufführungen Goethe’scher Dramen in Rudolstadt) wie Erwin Hahn für das Programmheft zur Rudolstädter Inszenierung „Faust. Der Tragödie erster Teil“ von 1922! Florian Kontschak und Opernchor Johannes Arpe (oben),Günther Sturmlechner und Schauspielensemble 17 Das Böse von Anja Eisner 18 Der Begriff des „Bösen“ geht auf das Germanische zurück. Aus „bausja“ entstanden im Althochdeutschen „bôsi“ und mittelhochdeutsch „bœse“, die im Sinne von „schlimm“, aber auch „gering“ und „wertlos“ verwendet wurden, obwohl die ursprüngliche Bedeutung „aufgeblasen“ oder „geschwollen“ meinte. Das Böse ist heute Inbegriff des moralisch Falschen, ist der Gegenspieler zum Guten. Jenseits des philosophischen Gebrauchs bezeichnet „böse“ etwas, das sich gegen Jemanden richtet, bezeichnet etwas, das den etablierten gesellschaftlichen Normen widerspricht. Wendet sich das Böse gegen religiös bestimmte Normen, so wird es im Judentum, Christentum und Islam zur „Sünde“. Der Sünder verrät Gott, indem er verunsichert, misstrauisch oder bewusst seine Lebensweise nicht mit Gottes gutem Willen in Übereinstimmung bringt. Das Urbild dafür ist der biblische Sündenfall, die Geschichte von Gott, Adam, Eva, der Schlange und dem Apfel, die zur Vertreibung des Menschen, zu seiner Trennung von Gottes Paradies führte. und sich erst auf die Seite des Bösen begibt, wenn er auf die Seite geht, die von etwas außerhalb seiner selbst – dem Schatten – markiert wird! Die Psychologen haben das Phänomen des Abschiebens der Sünde aus dem Selbst auf etwas außerhalb vielfach beschrieben. Da wird von „institutioneller Abwehr“ (S. Mentzos), „psychosozialem Arrangement“ (A. Heigl-Evers) oder „psychosozialer Abwehr“ (S.O. Hoffmann und G. Hochapfel) gesprochen. Von einer Abwehr, die nicht nur psychologisch als Lösung eines inneren Konfliktes zu beobachten ist, sondern die gleichzeitig ein soziales, ein gesellschaftliches Phänomen ist, das E. Neumann als „Sündenbockpsychologie“ bezeichnet. Woher der Name Mephistopheles, kurz Mephisto, kommt, ist nicht eindeutig zu belegen. Es gibt drei Erklärungsvarianten, die zwar sehr verschieden, aber alle drei dennoch einleuchtend sind. Da gibt es zunächst die Rückführung des Namens auf zwei hebräische Wörter. „Mephir“ heißt Zerstörer oder Verderber, als „tophel“ bezeichnet man einen Lügner. Doch auch das Griechische kann Pate gestanden haben. In verschiedenen Kulturen taucht das Die ältere Form Mephostophiles kann Böse in Person auf. Die Christen kensich aus „me“ für „nicht“ und „phosto“ nen den Teufel, Araber haben Dschinn für „Licht“ oder besonders interessanund die Hindus kennen Dämonen. Sie terweise auch „Faust“ zusammensetbringen – ganz ohne Zutun anderer, zen. Dafür spricht, dass der Teufel auch also auch der Menschen – das VerLuzifer (Lichtbringer) genannt wird, da derben. Damit schiebt der Mensch die man ihn auch als einst zu den Engeln Verantwortung für „böse Taten“ von gehörend und wegen Selbstüberhesich, muss bestenfalls in Reue verfalbung vom Himmel gefallenen Morgenlen, weil er sich zu wenig hat vor dem stern erklärt. Und die dritte Herleitung personifizierten Bösen schützen könschließlich nimmt noch das Lateinische nen. Auch die landläufige Formulierung hinzu; sie erklärt im Wortsinne des „über seinen Schatten springen“ sagt Namens, dass Mephistopheles mit aus, dass der Mensch selbst gut ist dem Gestank der Hölle umgeben ist: 19 Oper: Tijana Grujicć, ´ Lázaro Calderón Verfolgt man den Gedanken, dass der Teufel die Personifizierung der nach außen verlagerten, von sich weggeschobenen Sünde ist, dann könnte der Bei Goethe treffen Mephisto und Faust Ruf nach dem Teufel auch bedeuten, dass Faust, als er sich vollkommen aufeinander, weil Gott mit seinem am Ende fühlt, jene Seite seines Ichs Untergebenen, Mephisto, eine Wette schließt. Mephisto soll es nicht gelinzulässt, die er als gutes Mitglied der gen, den unzufriedenen Wissenschaft- christlichen Gesellschaft immer in sich verleugnet hat. Man könnte sagen, der ler Dr. Faust von seinem vernunftgeWissenschaftler entdeckt buchstäblich steuerten, göttlich bestimmten Weg am Ende seines Lebens die Dialektik abzubringen. Mephisto darf Faust mit allen „teuflischen“ Mitteln locken, mit von Gut und Böse. Fausts bisherige, amüsierender, sinnfreier Zerstreuung, von göttlich ethischen Normen bemit Drogen und mit Herumweiberei. stimmte Forschung hat es ihm nicht ermöglicht, herauszufinden, „was die So wird Faust bei Goethe zum abhängigen Spielball zwischen Gott und dem Welt im Innersten zusammenhält“. Deshalb begeht er die Sünde, Gott zu Teufel. verraten, indem er dem Bösen, seiner In Gounods Oper existieren Faust und dunklen Seite, Platz gibt. In der Oper Mephisto als integre Persönlichkeiten sogar wirklich, äußerlich sichtbar: Das nebeneinander, sozusagen auf AugenBöse findet in Gestalt Mephistos Platz höhe. Als Faust endgültig feststellt, an der Seite Fausts. dass der ihm selbst jetzt gerade geAuf diese Weise holt Gounod, obwohl priesene Gott keinen Weg aufzeigen er sich thematisch vor allem auf die konnte, um ihm Erfüllung im Leben zu gewähren, da ruft er selbst – ganz ohne sogenannte Gretchentragödie bezieht, doch die ganze Goethe’sche Tragweite äußeren Anstoß – nach Satan, dem des Dualismus von Gut und Böse in Teufel, der dann unter dem Namen wie seine Oper. bei Goethe, als Mephisto, auftritt. „mephitis“ steht lateinisch für „schädliche Ausdünstung der Erde“, und das griechische „phílos“ steht für Liebe. GOETHES MEPHISTO ALS SELBSTBEOBACHTER von Peter-André Alt 20 Schauspiel: Lisa Klabunde und Ensemble Die Größe des Problems wird auch nicht geschmälert durch die letztlich sehr religiös geprägte Wertung der Handlungen Fausts und Gretchens durch den Komponisten und seine Librettisten. Gounod bringt eingangs der Oper das ewige Problem von Gut und Böse. Und dann stellt er sich im weiteren Verlauf – wie jeder andere Mensch in seinem Leben in seiner konkreten Zeit – der Beantwortung der daraus resultierenden Fragen. Der tief religiöse Komponist Gounod, der Kleriker werden wollte und von 1846 bis 1848 an Saint-Sulpice studierte, sah sich in Übereinstimmung mit dem Katechismus der Katholischen Kirche: „Das verhängnisvollste dieser Werke (des Teufels – AE) war die lügnerische Verführung, die den Menschen dazu gebracht hat, Gott nicht zu gehorchen. Die Macht Satans ist jedoch nicht unendlich. Er ist bloß ein Geschöpf; zwar mächtig, weil er reiner Geist ist, aber doch nur ein Geschöpf: Er kann den Aufbau des Reiches Gottes nicht verhindern. Satan ist auf der Welt aus Hass gegen Gott und gegen dessen in Jesus Christus grundgelegtes Reich tätig. Sein Tun bringt schlimme geistige und mittelbar selbst physische Schäden über jeden Menschen und jede Gesellschaft. Und doch wird dieses sein Tun durch die göttliche Vorsehung zugelassen, welche die Geschichte des Menschen und der Welt kraftvoll und milde zugleich lenkt. Dass Gott das Tun des Teufels zulässt, ist ein großes Geheimnis, aber wir wissen, dass Gott bei denen, die ihn lieben, alles zum Guten führt“ (Röm 8,28). Stimmen wir der religiös geprägten Sicht des Komponisten auf das Thema Gut–Böse zu, haben wir eine Lösung gefunden. Glauben wir nicht an die göttliche Schlussapotheose, mit der Gounod seine Oper krönt, dann schließt sich der Kreis wieder zu Goethe, der den Menschen zum ewigen Spielball zwischen Gut und Böse, zwischen Gott und Mephisto gemacht hat. Als Gehilfe aus dem Gefolge Satans scheint er gemäß der Tradition des Faust-Mythos ein subalterner Bösewicht, als Himmelsbesucher der Knecht Gottes, als sophistischer Wortverdreher ein robuster Zyniker, als Fausts chargé d’affaires ein eleganter Weltmann, als distanzierter Beobachter des Tragödiengeschehens ein kalter Materialist ohne Mitgefühl. Nur eins ist er nicht: ein Teufel, der über die unbedingte Macht verfügt, die Seele Fausts dauerhaft in die Hölle zu bannen. Was immer er tut, steht unter der generellen Einschränkung, dass es von Gott inszeniert wurde. Der Teufel handelt nicht autonom, sondern im Zeichen seiner Abhängigkeit von der himmlischen Schöpfung, die er verspotten, aber nicht gleichberechtigt bekämpfen darf. Mephisto ist eine Verkörperung der Paradoxie, die es bedeutet, ein Teufel unter den Bedingungen der Aufklärung zu sein. Das heißt keinesfalls, dass er nicht böse ist, sondern lediglich, dass das Böse sich in seinem Fall andere Wege sucht, um zur Anschauung zu gelangen. (…) Seine nach dem Vorbild der Hiobsgeschichte angelegte Wette um Fausts Seele wird von einem doppelten Gesetz gesteuert, das ihren Ausgang festlegt. Dessen erstes Prinzip besagt, dass Gott seinen „Knecht“ Faust bald „in die Klarheit führen“ werde (V. 299ff.); sämtliche Versuche Mephistos, ihn in die Irre zu lenken, sind ihrerseits von der Täuschung über die Machtmöglichkeiten des Bösen bestimmt. Diese Täuschung legt das zweite Prinzip offen, demzufolge der Teufel nur „frei erscheinen“ (V. 336) darf, ohne es tatsächlich zu sein. Mephisto besitzt a priori keine ernsthafte Aussicht, die Wette um Fausts Seele zu gewinnen. Das gesamte Arrangement der Szene geht auf die Regie Gottes zurück, der in ihm seine eigene Macht spiegelt. (…) Nur dort, wo das Böse als treibendes Gesetz der Zerstörung die Dynamik des menschlichen Willens bezeichnet, kann die Ruhe des Guten im Sinne einer von Gott geschaffenen vollkommenen Welt identifiziert werden. Exakt diese (…) Auffassung reflektiert Goethes Prolog, wenn der Schöpfer den Teufel als Teil des großen Welttheaters „zulässt“. Die Aufgabe, die er ihm zumisst, ist die des aktiven Störers, dessen Wirkungen jedoch begrenzt bleiben, weil der Herr stets die Befugnis besitzt, die vom Teufel verwirbelten Verhältnisse zu ordnen. (…) Die Figur des Teufels gehört damit zur Geschichte der Ästhetik als Geschichte gemischter Gefühle, in der sich der Reiz des Ambivalenten durch die Mixturen von Sinnlichem und Ekelhaftem, Rührung und Schrecken, Komik und Horror, Pathos und Ironie offenbart. Der Teufel verkörpert nicht das Böse, sondern die Lust des Menschen, sich das Böse vorzustellen und in Bildern nahezubringen. 21 DIE KINDSMÖRDERIN von Friedrich Schiller (Auszüge) Horch – die Glocken weinen dumpf zusammen Und der Zeiger hat vollbracht den Lauf, Nun, so sei’s denn! – Nun, in Gottes Namen! Grabgefährten, brecht zum Richtplatz auf. Nimm, o Welt, die letzten Abschiedsküsse, Diese Tränen nimm, o Welt, noch hin. Deine Gifte – o sie schmeckten süße Wir sind quitt, du Herzvergifterin. 22 Weinet um mich, die ihr nie gefallen, Denen noch der Unschuld Lilien blühn, Denen zu dem weichen Busenwallen Heldenstärke die Natur verliehn! Wehe! menschlich hat dies Herz empfunden! Und Empfindung soll mein Richtschwert sein! Weh! vom Arm des falschen Manns umwunden, Schlief Louisens Tugend ein. Und das Kindlein – in der Mutter Schoße Lag es da in süßer goldner Ruh, In dem Reiz der jungen Morgenrose lachte mir der holde Kleine zu. Ach, in jedem Laut von dir erklingen Schmerzgefühle des vergangnen Glücks, Und des Todes bittre Pfeile dringen Aus dem Lächeln deines Kinderblicks. Hölle, Hölle, wo ich dich vermisse, Hölle, wo mein Auge dich erblickt, Eumenidenruten deine Küsse, Die von seinen Lippen mich entzückt, Seine Eide donnern aus dem Grabe wieder, Ewig, ewig würgt sein Meineid fort, Ewig – hier umstrickte mich die Hyder; – Und vollendet war der Mord – Schauspiel: Lisa Klabunde, Steffen Mensching, Matthias Winde Trauet nicht den Rosen eurer Jugend, Trauet, Schwestern, Männerschwüren nie! Schönheit war die Falle meiner Tugend, Auf der Richtstatt hier verfluch ich sie! – Zähren? Zähren in des Würgers Blicken? Schnell die Binde um mein Angesicht! Henker, kannst du keine Lilie knicken? Bleicher Henker, zittre nicht! 23 KRITIK UND STUDIE ZU GOUNODS OPER „FAUST“ von Eduard Hanslick (1875) EINE FÜLLE AN WOHLLAUT, WIE IN KAUM EINER ANDEREN OPER Interview mit dem musikalischen Leiter der Opernproduktion, mit Markus L. Frank 24 Der 19. März 1859 war der Tag der ersten Aufführung des „Faust“ am ThéâtreLyrique zu Paris – der entscheidendste Tag in Gounods Künstlerleben. Der große Erfolg, den diese Oper in Paris errang und bis jetzt ungeschwächt behauptet, breitete bald seine Strahlen über das ganze musikalische Europa. Darmstadt war in Deutschland die erste Stadt, welche die Novität aufführte. Der Versuch gelang vollständig; aber je mehr deutsche Bühnen ihm zu folgen Miene machten, desto heftiger erhob sich eine leidenschaftlich teutonische Opposition dagegen. Mit einem Gerassel von Gesinnung (…) wurde die neue Oper schlechtweg als ehrenrührige Parodie des Goethe’schen „Faust“ gefasst, deren Aufführung auf deutschen Bühnen geradezu als eine Art musikalischer Landesverrat zu strafen sei. Die Kritiker, welche so heftig die Ausschließung von „Faust“ aus Deutschland forderten, scheinen uns in einer doppelten Befangenheit zu stecken. Sie denken zu gering von Gounod und von der Oper überhaupt. Gounods Talent und Streben ist zu respectabel, als dass sein Faust nur eine freche Verhöhnung des Goethe’schen Werkes werden konnte. Die Oper ist aber eine zu gemischte, unreine, bedingte Kunstgattung, als dass sie im Stande wäre, einen „Faust“ von der Höhe und Vollendung des Goethe’schen hervorzubringen. (…) Es ist ein sehr verschiedenes Unterfangen, ob Jemand sich vermisst, Goethes „Faust“ komponieren, diese reiche, die höchsten Anliegen des Menschengeistes umfassende Gedankenwelt nachmusizieren zu wollen, oder ob er lediglich aus den sinnenfälligsten Momenten des Gedichtes sich ein dramatisches Gerüste, ein Libretto zusammenstellt. Ersteres ist Gounod nicht beigefallen, dazu denkt er zu praktisch, selbst wenn er minder bescheiden wäre. (…) Allerdings sind in Frankreich musikalische Bearbeitungen berühmter Dramen selten, allein der Grund liegt nicht sowohl in der größeren Pietät gegen die Dichter als vielmehr in der größeren Wichtigkeit, die das Textbuch einer Oper für die Franzosen jederzeit hatte. Sie mögen auch in musikalischer Einkleidung nicht gern einen ihnen schon bekannten Stoff sehen, sondern verlangen, dass die dramatische Grundlage sie als etwas vollständig Neues interessiere und beschäftige. (…) Will man für die Beurteilung der Gounod’schen Oper einen richtigen Standpunkt einnehmen, so möge man nichts weiter von ihr erwarten, in ihr erblicken als eine Art musikalischen Bilderbuchs zu Goethes „Faust“. Der Komponist nahm aus diesem dramatischen Mikrokosmos echt musikalisch die Liebesszenen heraus und legte sie in einer Reihe von Bildern aneinander. Manche dieser Bilder sind so zart und gemütvoll, dass sie sich ihres hohen Ursprungs nicht zu schämen brauchen; dahin gehört sehr Vieles aus Margarethens Rolle, vor allem die Gartenszenen im dritten Akt. (…) Die Vorzüge und Schwächen von Gounods Musik zeigen sich am klarsten im Faust. Gounod ist nicht, was man ein Originalgenie nennt, sondern ein Eklektiker im bessern Sinne des Wortes. Seine Erfindung weist auf höherliegende Quellen, namentlich auf Weber und Meyerbeer, auf deutscher Seite schweift sie weiter bis zu R. Wagner, auf französischer bis zu Auber. Diese fremden Elemente haben sich aber mit Gounods künstlerischer Individualität so glücklich assimiliert, dass ohne Frage etwas Neues und Eigentümliches daraus entstand, wie die einschlagende Wirkung seines „Faust“ beweist. Gounod schrieb, nachdem er eine Bearbeitung des Goethe’schen „Faust“ kennengelernt hatte, seine Oper zu einem Libretto von Barbier und Carré. Vieles, was bei Goethe wichtig ist, floss in die Oper nicht ein. Entdecken Sie mehr bei Gounod, wenn Sie das Schauspiel in Ihre Interpretation mit einbeziehen? Für mich handelt es sich bei der Oper um ein eigenständiges Kunstwerk. Zum einen liegt das an der Sprache: Goethes Faust ist für die deutsche Sprache ja fast so bedeutend wie Luthers Bibelübersetzung. Denken Sie nur an die vielen Verse, die im Laufe der Geschichte zu geflügelten Worten geworden sind! Das geht in einer Übersetzung notgedrungen verloren. Wie auch in anderen Literaturopern übernehmen die Librettisten die Handlung und die Grundkonflikte aus dem Schauspiel. Daraus schaffen sie eine funktionierende Opernhandlung, die in der notwendigen Kürze der Gesangstexte und in den dramaturgischen Abläufen ihre ganz eigenen Gesetzmäßigkeiten hat. Gounods Anliegen ist es, den Zuhörer mit musikalischen Mitteln am Seelenleben der Protagonisten teilhaben zu lassen. Beispielhaft ist der Beginn der Oper in Fausts Studierstube: Bei Goethe rezitiert Faust einen 700-Worte-Monolog („da steh ich nun, ich armer Tor…“), um seine verzweifelte Situation zu beschreiben. Gounod schreibt ein 20-taktiges Orchestervorspiel – und ohne dass ein einziges Wort gesungen worden ist, befindet sich der Zuhörer in der richtigen Stimmung. Also: Hier der Vorteil der Sprachkunst, dort die Vorzüge der Musik? Goethes geschliffene Sprache provoziert ja geradezu, dass wir versuchen, tiefschürfend zwischen den Zeilen zu lesen. Es gibt allerdings mehrere Briefe, in denen Goethe den Wunsch äußert, dass seine Werke möglichst fantasievoll und vor allem zum Vergnügen der Zuschauer auf die Bühne gebracht werden sollten. Gounods Kompositionsstil kommt dem sehr entgegen. Seine Musik ist geprägt von gesanglichen und sehr eingängigen Melodien. Dazu erfindet Gounod Nebenstimmen im Orchester, die auf wunderbare Weise mit den Gesangsstimmen verwoben sind. Er überschüttet uns geradezu mit einer Fülle an Wohllaut, wie wir sie in kaum einer anderen Oper erleben. Oper: Tijana Grujicć ´ 25 DAS BÖSE IST EIN POTENZIELLER TEIL VON UNS Interview mit dem Regisseur der Oper „Faust“, mit Toni Burkhardt Goethes „Faust“ als der Deutschen größtes Drama nötigt besonderen Respekt ab, lässt den Umgang damit kaum unbefangen zu. Ist es leichter, sich „Faust“ zu widmen, wenn er als Oper erscheint? 26 Oper: Anja Daniela Wagner, Yoontaek Rhim, Katharina Boschmann, Opern- und Extrachor Sie haben sich für die Aufführung der Oper in Nordhausen entschieden, die gedruckt vorliegende Opernfassung im Fünften Akt um eine Einlage zu ergänzen. Zudem haben Sie im selben Akt den bacchantischen Gesang gegen ein Mephisto-Couplet – alles auch Musik von Gounod – ausgetauscht. Warum? Gounod und die Produzenten der ersten Stunde haben die Oper immer wieder bearbeitet. Ursprünglich hat man die Oper ja sogar mit gesprochenen Dialogen aufgeführt, der Komponist hat diese erst später in Rezitative mit Orchesterbegleitung umgearbeitet. Es war auch gängige Praxis, einzelne Nummern hinzuzufügen – oder eben auch mal wegzulassen. So nahm man Rücksicht auf den Geschmack des Publikums oder auch auf die Wünsche der Starsänger an der Pariser Oper. Ihre Frage bezieht sich auf die Hexen-Szene, die auf dem Brocken spielt: Goethes Dichtung ist hier ja unglaublich derb und vulgär. Die Librettisten jedoch verzichten – französisch elegant – auf die Übertragung dieser drastischen Textstellen. Gounods musika- lische Umsetzung wirkt in der üblichen Zusammenstellung der Musiknummern demzufolge auch merkwürdig blass. Wir haben nun bei den üblicherweise gestrichenen Nummern zwei gefunden, ein temperamentvolles Mephisto-Couplet und das berühmte „Hexeneinmaleins“, von denen wir glauben, dass sie unserer Walpurgisnacht die nötige Würze verleihen. Es ist ein ganz anderer Zugang. Natürlich hat man „den Goethe“ immer im Hinterkopf und muss ihn ein Stück weit mitdenken. Aber die Oper legt ganz bewusst den Fokus auf einen kleineren Teil des großen Dramas. Die Gretchen-Tragödie wird hier zum Mittelpunkt des Geschehens. Aus diesem Grund ist die Oper vor allem in Deutschland auch unter dem Titel „Margarete“ bekannt geworden. Mit diesem Schwerpunkt kann man das Geschehen aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten und sich eher auf der emotionalen Ebene nähern, was natürlich der Gattung Oper sehr zugute kommt, die wie geschaffen ist für die großen Gefühle. Die Gelehrten-Tragödie tritt dem Drama gegenüber etwas in den Hintergrund, ohne jedoch ganz zu verschwinden. Fragen nach dem Sinn des Lebens, der Quelle und der Macht des Bösen und der Kraft des Glaubens spielen eine zentrale Rolle und machen die Oper zu einer sehr reizvollen Auseinandersetzung mit dem Faust-Stoff, der ohnehin viel älter ist als Goethes berühmtes Drama. Du hast die emotionale Ebene angesprochen, die von der Oper viel mehr bedient wird. Inwiefern? Die Oper ist voll von regelrechten Ohrwürmern. Jeder kennt die berühmte „Juwelenarie“ Gretchens oder Mephistos kraftvolles „Rondo vom goldenen Kalb“. Und Valentins Gebet am Anfang des 2. Aktes, kurz bevor er in den Krieg ziehen muss, ist mit Sicherheit eine der bewegendsten Arien der Operngeschichte. Man könnte diese Aufzählung sehr lange fortsetzen. Da fällt es sehr schwer zu sagen, dies oder jenes ist mein großer Favorit. Die ganze Oper ist im besten Sinne großartige Musik der französischen Schule. Sie hat sehr viel Herz und Emotion und entwickelt in den großen Ensembles eine unglaubliche Kraft und Eindringlichkeit. Schon alleine deswegen lohnt die Auseinandersetzung mit diesem Werk. Der Regisseur findet aber heute sicher auch inhaltlich Lohnendes, das nicht vor allem auf die Musik zurückzuführen ist? Ganz sicher. Das Faustdrama beschäftigt sich mit vielen essentiellen Fragen unseres Lebens: Was ist der Sinn hinter unserem täglichen Tun? Was macht ein erfülltes Leben aus? Würde alles besser werden, wenn wir unser Leben mit der Erfahrung des Alters noch einmal von vorne beginnen könnten? Faust steht am Ende eines solchen Lebens. Er hat Wissen aufgetürmt, sein ganzes Leben der Wissenschaft verschrieben. Jetzt zieht er Bilanz und hat das Gefühl, dass das irgendwie nicht alles gewesen sein kann. Erinnerungen steigen auf, z.B. an eine frühe Liebe, die er seinem Streben nach Wissen geopfert hat. War diese wie viele andere seiner Entscheidungen richtig? Mephisto gibt ihm die Chance, noch einmal von vorne zu beginnen. Aber auch dieses Experiment führt ihn schließlich, aufgrund seiner eigenen Entscheidungen, in eine Katastrophe. 27 Eine andere sehr interessante Frage ist die nach dem Ursprung des Bösen in der Welt. Und gerade hier finden sich eine ganze Reihe spannender Ansatzpunkte im „Faust“. Die Figur des Mephisto und dessen Wirken lässt sehr viel Raum für Auseinandersetzungen. Kokettiert deine Inszenierung mit dem Teufel oder ist sie nur „dem Guten“ verpflichtet? 28 Tatsächlich ist die Frage nach dem Bösen in der Welt und dem Teufel zu einem zentralen Punkt für die Produktion geworden. All die schrecklichen Dinge, die Menschen tagtäglich anrichten, die sie sich gegenseitig antun, passieren ja nicht wirklich, weil eine fremde Macht sie dazu verführt oder gar gedrängt hat. Unsere These ist, dass das Böse ein Teil von uns ist. Es steckt in uns und wir müssen Verantwortung dafür übernehmen, uns damit auseinandersetzen, es bändigen, wenn man so will. Der Teufel ist dann nur eine Projektions- und Entlastungsfigur, etwas, auf das man sehr einfach die Schuld schieben kann, wenn Schreckliches geschieht. Nicht umsonst wird der Teufel oft als Verführer beschrieben. Er bringt in der Mythologie das Böse, er verkörpert es. Wenn es geschieht, dann waren wir nur zu schwach, ihm zu widerstehen. Damit ist das Böse aber aus uns herausgelöst und etwas, das von Außen zu uns kommt. Würde man den Teufel besiegen, wäre das Böse auch besiegt. Aber wenn wir das Böse so von uns trennen, machen wir uns auch ein Stück weit frei von der Verantwortung für unser Tun. Und hier liegt eine große Gefahr, denn das Böse ist nun mal ein potenzieller Teil von uns, den wir nicht einfach so heraustrennen und irgendwo auf Nimmerwiedersehen wegsperren können. So lange wir existieren, wird es uns immer begleiten und wir müssen uns immer wieder aktiv damit auseinandersetzen, Verantwortung dafür übernehmen und es, so gut es geht, im Zaum halten. 29 Steht nun der Teufel wie im „Faust“ in Persona auf der Bühne, erscheint sozusagen als konkrete Figur und damit als greifbarer Gegenpart der Protagonisten, dann liegt es sehr nahe, sich mit diesem Themenkreis in einer Inszenierung auseinanderzusetzen. Quellen: S. 4: Die Handlung wurde für dieses Heft von Anja Eisner nacherzählt. S. 6/7, 9, 11, 16, 17 und 21: zit. mit frdl. Genehmigung des Theaters nach Programmheft des Theaters Rudolstadt zu „Faust_Eins“, Spielzeit 2014/2015. (S. 6: Originalartikel für das Rudolstädter Programmheft; S. 11 aus Petra Maisak, Anne Bohnenkamp, Goethes „Faust“, Verwandlungen eines „Hexenmeisters“, Frankfurt/Main 2007; S. 16: aus Programmheft zur Inszenierung „Faust. Der Tragödie erster Teil“ am Theater Rudolstadt, 1922, in: ThStA Rudolstadt, Theaterprogramme des Rudolstädter Theaters, Nr. 302; S. 17: aus Johann Wolfgang von Goethe: Die Natur. Fragment. In: Tiefurter Journal, 1783; S. 21 aus Peter-André Alt, Ästhetik des Bösen, München 2010.) S. 11: Ruth Berger zit. nach Berger, Ruth, Gretchen. Ein Frankfurter Kriminalfall, Reinbek bei Hamburg 2007. S. 12: Der Artikel wurde redaktionell zusammengestellt unter Verwendung von Schonberg, Harold C. Die großen Komponisten, Bindlach 1990; Wikipedia. S. 18: Originalbeitrag für dieses Heft unter Verwendung von Katechismus der Katholischen Kirche, zit. nach https://de.wikipedia. org/wiki/Teufel, www.duden.de/rechtschreibung/boese; Stichwörter Böse, Teufel, Schatten in Wikipedia, die freie Enzyklopädie; www.bibel-online.net/buch/luther_1912/jesaja/14/. S. 23: Die Kindsmörderin, zit. nach www.gah.vs.bw.schule.de/leb1800/schiller.htm. S. 24: gekürzt aus Hanslick, Eduard, Die moderne Oper, Berlin 1892, zit. nach: http://imslp.nl/imglnks/usimg/1/1d/IMSLP96840-PMLP199055-diemoderneoperkr00hans_bw.pdf. S. 25–28: Die Interviews sind Originalbeiträge für dieses Programmheft. Urheber der Photos „Faust_Eins“ (Schauspiel, S. 7, 9, 14, 17, 20, 22, 31) ist Christian Brachwitz, Urheber der Probenphotos von der ersten Kostümprobe der Oper „Faust“ (S. 2, 5, 8, 10, 13, 15, 16, 19, 25, 26, 29) ist Roland Obst. Oper: Hugo Zeplichal und Opernchor DIE STADTBIBLIOTHEK „Rudolf Hagelstange“, Nikolaiplatz 1, Tel. (0 36 31) 69 62 62, hält zu „Faust“ u. a. folgende Medien bereit: 30 Literatur Deutsche Volksbücher: in drei Bänden – Berlin; Weimar: Aufbau-Verl., 1968. Bd. 3. Historia von Doktor Johann Fausten. Histori von den vier Heymonskindern Goethe, Johann Wolfgang von: Faust: der Tragödie erster und zweiter Teil, Urfaust/Johann Wolfgang von Goethe. Hrsg. u. kommentiert von Erich Trunz. – München: Beck, 1999. – 777 S. Hippe, Robert: Stoffe der Weltliteratur: Erläuterungen zu Faust: das Volksbuch, Christopher Marlowe, Lessing, Goethes „Urfaust“, Paul Valery. – Hollfeld: Bange, 1980. – 59 S. CD Goethe, Johann Wolfgang von: Faust: Der Tragödie erster Teil/Goethe, Wolfgang von. Sprecher: Rolf Günther. – steinbach sprechende bücher, 2005. – CD 31 Goethe, Johann Wolfgang von: Faust II: Die Gründgens-Inszenierung am Deutschen Schauspielhaus Hamburg 1959/Johann Wolfgang von Goethe. Darst.: Paul Hartmann; Gustaf Gründgens; Maria Becker u.a. – Hamburg: Deutsche Grammophon GmbH, 2004. – CD Gounod, Charles: Faust/Charles Gounod. Chorus and Orchestra of Welsh National Opera. Carlo Rizzi [Dir.]. – Germany: Teldec Classics International, 1994. – CD Mahal, Günther: Faust: die Spuren eines geheimnisvollen Lebens/Günther Mahal. – Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, 1995. – 392 S. Safranski, Rüdiger: Goethe: Kunstwerk des Lebens; Biografie/Rüdiger Safranski. – Leipzig: Hanser Verl., 2013. – 748 S. DVD Faust/nach d. Drama von Johann Wolfgang von Goethe. Regie: Peter Gorski. Darst.: Will Quadflieg; Gustaf Gründgens; Elisabeth Flickenschildt. – Kinowelt GmbH, 2009. – DVD Schauspiel: Matthias Winde, Steffen Mensching und Ensemble Impressum: Herausgeber: Theater Nordhausen/Loh-Orchester Sondershausen GmbH, Intendant: Lars Tietje, Käthe-Kollwitz-Straße 15, 99734 Nordhausen, Tel. (0 36 31) 62 60-0, Programmheft Nr. 1 der Spielzeit 2015/2016, Premiere der Oper: 18. September 2015 Redaktion und Gestaltung: Dr. A. Eisner Layout: Landsiedel | Müller | Flagmeyer, Nordhausen
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