SALZBURGER FESTSPIELE 2016 Vorwort von Helga RablStadler und SvenEric Bechtolf Sehr geehrtes Publikum, Wir sind aus jenem Stoff gemacht, aus dem die Träume sind, und unser kleines Leben liegt im Schlaf“, sagt der Zauberer Prospero in Der Sturm . Shakespeare mutet uns den Gedanken zu, dass wir uns zur Welt verhalten wie der Traum zum Schlaf. Die Welt ist ihm ein großes Unbewusstes und wir ihre wesenlosen Ausgeburten. Nicht mehr als flüchtige Schatten. In kaum vorhersehbarer Geschwindigkeit hat unser Leben sich in den letzten Monaten verändert. Was wir für unmöglich hielten, geschieht. Elend und Kriege, die Europa und dem Westen fern schienen, erreichen uns nun unmittelbar durch Millionen von flüchtenden Menschen. Skandale, Krisen und soziale Verwerfungen machen uns darüber hinaus, wie seit jeher schon, zu schaffen. All dies ist beileibe kein Traum, sondern die Realität, dennoch erhalten Prosperos Worte paradoxerweise durch sie Bestätigung. Wir sind, so scheint es, tatsächlich „aus jenem Stoff, aus dem die Träume sind“, ohnmächtig und unfähig, uns selbst zu begreifen oder gar unsere Welt friedvoll zu gestalten. Diesem beängstigenden Befund begegnet der Dichter Friedrich von Hardenberg, besser bekannt als Novalis, uns zur Hoffnung und zum Trost mit dem Satz: „Wir sind im Begriff zu erwachen, wenn wir träumen, dass wir träumen.“ Mit derartigen Träumen, solchen, die vielleicht zum Erwachen führen, geträumt von Dichtern und Komponisten wie Shakespeare, Adès und Strauss, Bernhard, Beckett und Gounod, beschäftigen sich die Salzburger Festspiele 2016 in ihren szenischen Neuproduktionen in Oper und Schauspiel. Wir eröffnen die Festspiele mit einer Uraufführung des britischen Komponisten Thomas Adès, der letztes Jahr auch in Österreich mit seinem Werk The Tempest für Furore sorgte. Er hat nun für die Salzburger Festspiele die Oper The Exterminating Angel nach dem surrealistischen Film Der Würgeengel des spanischen Regisseurs Luis Buñuel geschaffen. Eine Gesellschaft feiernder Menschen wird darin durch eine unsichtbare Macht gehindert, das Haus des Gastgebers zu verlassen … Die Oper Die Liebe der Danae von Richard Strauss ist Teil der Festspielgeschichte. In den Jahren zwischen 1938 und 1940 hatte der Komponist das Werk vollendet, was ihm einige als weltfremden Eskapismus, andere als unbeirrbares Festhalten an den alten abendländischen Werten auslegten. Die Uraufführung sollte 1944 in Salzburg erfolgen. Nach dem tragisch gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 wurden allerdings die Festspiele abgesagt, es kam nur zu einer öffentlichen Generalprobe unter der Leitung von Clemens Krauss. Strauss verabschiedete sich noch im Orchestergraben von den Wiener Philharmonikern mit den Worten: „Meine Herrn, ich hoffe, wir sehen uns in einer besseren Welt wieder.“ Es handelt sich bei diesem Werk also gewissermaßen um einen dreifachen Traum – den mythologischen über die goldverachtende Danae, den konservativen von der Verbindlichkeit abendländischer Werte und den utopischen von der möglichen Wiedergeburt einer zertrümmerten Welt. Faust von Charles Gounod entstand 1859 nach Goethes Faust I und stellt nicht nur den Alchemisten und Grübler Faust und seinen höllischen Begleiter Mephisto in den Mittelpunkt, sondern – mehr noch als in Goethes Bearbeitung des Stoffes – die historisch verbürgte Figur der Kindsmörderin Margarethe. Faust ist auf der Suche nach dem Stoff, der die Welt im Innersten zusammenhält. Er träumt den Traum der Alchemisten, den Traum, den Schlüssel zur Welt zu finden und zerstört doch mit Margarethe das, was ihm in Goethes Faust II als Ende aller Weisheit dämmert: „Das EwigWeibliche zieht uns hinan!“ Im Schauspiel eröffnen wir die Saison im Landestheater mit Samuel Becketts Endspiel , einer apokalyptischen Komödie, einer Tragödie über die unvermeidbare Absurdität unserer Existenz. Ein Spiel mit dem Ende, nach dem Ende und vor dem Ende zugleich. Shakespeare schrieb Der Sturm kurz bevor er mit 52 Jahren London und das Theater verließ und für immer in seinen Geburtsort zurückkehrte. Leider will es nur die Legende, dass Der Sturm Shakespeares letztes Stück gewesen sei. Aber tatsächlich erscheint es naheliegend, in dem verbannten Zauberer Prospero den Dichter selbst zu vermuten, der seinen Zauberstab endgültig zerbricht und sein Zauberbuch im Meer versenkt. Mit Der Ignorant und der Wahnsinnige schrieb Thomas Bernhard ein Stück, das in aberwitziger Weise mit dem Theater, dem Opernbetrieb, den Kritikern, dem Publikum und selbst den Künstlern abrechnet und zugleich das Wunder der Musik und der menschlichen Stimme feiert, indem er es der Erklärbarkeit entzieht. Bei den Pfingstfestspielen 2016 feiert die West Side Story Premiere. Leonard Bernsteins Meisterwerk ist eine Adaption von Shakespeares Romeo und Julia . Das unglückliche Liebespaar ist längst eine Metapher für den Traum geworden, der hofft, dass die Liebe die Konflikte der Welt versöhnen könne, auch über den Tod hinaus. Wir zeigen diese Inszenierung als Wiederaufnahme im Sommerprogramm. Auch der Mozart / Da PonteZyklus mit den drei Meisterwerken Le nozze di Figaro , Don Giovanni und Così fan tutte hegt scheinbar utopische Träume. Sei es, dass wie im Figaro die Klassengesellschaft durch die Sexualität ins Wanken gebracht, oder wie im Giovanni die sexuelle Triebmacht von der Hölle bestraft, oder wie in der Così ein aufgeklärter Blick auf die Leidenschaft geworfen werden könnte. Gleichzeitig aber sind so vielfache Deutungsebenen mit solcher Raffinesse von Mozart und seinem Librettisten ins Spiel gebracht worden, dass man den Eindruck gewinnen muss, gerade die beiden seien keine Träumer, sondern im Gegenteil hellwach. Wir werden auch diese drei Produktionen aus den Jahren 2013, 2014 und 2015 im Sommer 2016 wiederaufnehmen; Così fan tutte in einer szenischen Neueinstudierung in der Felsenreitschule. Als konzertante Aufführungen werden Manon Lescaut von Puccini und Thaïs von Massenet zu hören – und zu sehen sein. Die Aufführung der dritten konzertanten Oper Il templario ist Teil eines Schwerpunkts des Konzertprogramms, der sich mit den Wiener Philharmonikern und ihren Komponisten auseinandersetzt. Otto Nicolai, der Gründer der Wiener Philharmoniker, schrieb diese zu seiner Zeit überaus erfolgreiche und zu Unrecht vergessene Oper 1840. Aber auch andere wesentliche Komponisten werden in dieser Reihe vertreten sein, so z. B. Brahms, Bruckner, Mahler und Strauss, ebenso wie bedeutende Zeitgenossen wie Arvo Pärt oder Peter Eötvös, von dem wir ein großes Oratorium uraufführen können und der darüber hinaus auch in der Reihe Salzburg contemporary neben Thomas Adès, Friedrich Cerha und György Kurtág mit einem Schwerpunkt vertreten sein wird. Die Ouverture spirituelle widmet sich der Gegenüberstellung der christlichen geistlichen Musik aus Orient und Okzident. Florian Wiegand wird Ihnen sein reichhaltiges Programm vorstellen. Wir hoffen, dass wir Sie damit neugierig machen können, und würden uns freuen, Sie im Sommer 2016 in Salzburg begrüßen zu können. Herzlich, Helga RablStadler SvenEric Bechtolf PS: Die Bilder für dieses Jahresprogramm hat der Leica Fotograf Robert Mertens gestaltet (Leica Camera AG). Er beschäftigte sich assoziativ mit den Themen des diesjährigen Programms.
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