Höllenfahrt des Dr. Faust an dünnen Fäden Älteste

Höllenfahrt des Dr. Faust an dünnen Fäden
Älteste Marionettenbühne Deutschlands spielte für Schüler des Gymnasiums
Die im Erzgebirge beheimatete
Theaterfamilie Bille betreibt das
älteste Marionettentheater Deutschlands. Seit 1638 wird die Kunst
an die Nachfolger vererbt. Im
Burgsaal gastierte die Bühne für
230 Schüler der 5. Jahrgangsstufe, der 6a und der 11. Jahrgangsstufe mit dem Stück, das
der 13-jährige Goethe auf dem
Marktplatz in Frankfurt gesehen
und das ihn für seinen eigenen
„Faust“ inspiriert hat.
Charon, der Fährmann zur Hölle,
ist fast arbeitslos. „Ich fahre viel
zu wenig Seelen in die Unterwelt“, beklagt sich die Figur mit
bleichem Gesicht und graugrüner
Kutte. Höllenfürst Pluto, pinkfarben gewandet mit knallrotem
Strubbelkopf, hat Verständnis. Er
schickt drei Teufel los. Mit schrillem „Huuuiiii“ fliegen die bunten
Gestalten an die Oberwelt. Einer
von ihnen heißt Mephistopheles.
Mit dieser Höllenszene beginnt
das 80-minütige Marionettentheater „Dr. Faust“, das Andreas
Bille mit zwölf Marionetten spielt.
In vier Aufzügen wird vorgeführt,
welch leichte Beute der sich
allwissend gebende Doktor, der
von Magie und Metaphysik
fasziniert ist, für Mephisto ist. In
seinem Drang, die Zusammenhänge der Welt mit allen Mitteln,
auch mithilfe des Bösen, ergründen zu wollen, geht er einen
Pakt mit dem Teufel ein. Zuletzt
wird er auch um diesen noch
betrogen: Nicht die ausgehandelten vierundzwanzig Jahre dient
ihm der Teufel und fliegt mit ihm
auf dem Zaubermantel durch die
Welt bis zum Fürstenhof nach
Parma, sondern nur die Hälfte
der Zeit. Denn die durchwachten
Nächte werden von dem Teufel
wie Tage verrechnet. Zu Recht
muss der gelehrte Tölpel am
Ende im Flackerlicht mit lautem
Donner in den Höllenschlund
fahren.
Die Kunst des Marionettenspielens begeisterte die Schüler.
Ohne Playback, nur mit einem
Mikrofon ausgerüstet, spricht Andreas Bille alle zwölf Figuren mit
unverwechselbarer Stimme. Die
Anpassungsfähigkeit ist enorm
und erfolgt sekundenschnell.
Hinzu kommt eine individuelle
Körpersprache, die jeder Figur
einen eigenen Charakter verleiht.
Zusätzlich zur Unterhaltungswirkung trug das Stück dazu bei,
den Schülern einen emotional
positiven Zugang zu dem für die
deutsche Literatur wichtigen
Fauststoff zu ermöglichen.
Der „Faust“ gehörte seit Anfang
des 17. Jahrhunderts zum Repertoire eines jeden Marionettentheaters. Den Zuschauern wurde
das Spiel um Gut und Böse moralisch drastisch vorgeführt und
die später eingefügte Lustige
Person übernahm als Gegengewicht zur ernsten Handlung
eine immer wichtigere Rolle. Von
einer Vorstellung im Jahre 1762
in Frankfurt wurde der junge
Goethe so fasziniert, dass er sich
wenig später an eine eigene
Bearbeitung des Stoffes machte.
Ebenfalls fasziniert löcherten die
Schüler der Unterstufe Herrn
Bille nach der Vorstellung mit
vielen Fragen. Die verwendeten
Marionetten sind über 60 Jahre
alt, handgeschnitzt und bis zu
viereinhalb Kilo schwer. Die in
historische Gewänder gekleideten und mit viel Liebe zum Detail
aufwendig gestalteten Marionetten sind zwar unverkäuflich,
würden aber hohe Verkaufspreise erzielen. Anhand der Figur
des Hanswursts führte Andreas
Bille die Funktionsweise einer
Marionette und die Technik des
Spielens vor.
Besonders
interessierte
die
Schüler auch, wie man denn seine Stimme so verblüffend verstellen könne und ob hinter der
Bühne Textblätter lägen. Andreas Bille erklärte, dass diese
Sprechfähigkeit eine intensive
Stimmbildung und jahrelanges
Training voraussetze, und merkte zum Erstaunen aller an, dass
das Drehbuch, das er selbst zu
jedem seiner Stücke schreibt, zu
Hause liege.
Die Schüler konnten nicht nur
Eindrücke vom Kulturgut des
Marionettentheaters und vom
historischen Stoff der Volkssage
des Dr. Johann Faust mitnehmen, auch die Aktualität des
Stückes wurde herausgearbeitet,
denn die Darstellung endete mit
den Worten: „Passt auf, denn der
Teufel begegnet euch in vielen
Gestalten.“
Bernadette Zehender