SPIEGEL – Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug_17.03.2016

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17. März 2016, 19:46 Uhr
Kampf gegen Umsatzsteuerbetrug
Eine Kasse für sich
Von David Böcking
Beim Betrügen des Staats sind Ladeninhaber einfallsreich: Da fällt schon mal die Kasse ins
Spülbecken, wenn der Steuerprüfer naht. Finanzminister Schäuble will gegen die Tricks
vorgehen - mit gebremstem Ehrgeiz.
Das Essen war üppig, die Rechnung ist happig. Na gut, denkt sich der Gast, stecken immerhin 19
Prozent Steuer drin. Was er nicht ahnt: In Kürze wird sich sein Kellner in einen Praktikanten
verwandeln. Durch den Druck auf die "Trainee-Taste" der Kasse weist er die Buchung als reine Übung
aus. Das Geld des Gastes kommt nie beim Fiskus an.
Die Trainee-Taste ist nur einer von vielen Tricks, mit denen sich in elektronischen Registrierkassen
Umsätze verheimlichen lassen. Der Bundesrechnungshof warnte bereits im Jahr 2003 vor
Manipulationen, den jährlichen Schaden schätzt er mittlerweile auf zehn Milliarden Euro. Das Geld
könnte der Staat gut brauchen - gerade in Zeiten, da die Koalition über die Finanzierung des nächsten
Haushalts streitet.
Tatsächlich will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) nun endlich gegen die
Betrugsmaschen vorgehen, ein entsprechender Gesetzentwurf wird am Freitag verschickt. Er sieht vor,
dass das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) ein Zertifizierungsverfahren
entwickelt. Die Hersteller sollen ihre Kassen fälschungssicher umrüsten. Auf diesem Weg sollten sich
die Probleme "einigermaßen in den Griff bekommen" lassen, heißt es aus dem Ministerium.
Das klingt nicht ohne Grund vage. Das Konzept aus Schäubles Haus bleibt deutlich hinter anderen
Forderungen zurück und dürfte damit auch in Teilen der SPD auf Widerstand stoßen. Dort schrieb sich
zuletzt vor allem der umtriebige NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans den Kampf gegen den
Kassenbetrug auf die Fahnen, gemeinsam mit seinen Länderkollegen forderte er den Bund Mitte 2015
zum Handeln auf.
Wenn die Kasse plötzlich ins Wasser fällt
"Anfangs haben wir das Problem auch unterschätzt", sagt der finanzpolitische Sprecher der
SPD-Bundestagfraktion, Lothar Binding. Wie groß der Umfang der Betrügereien sei, hätten inzwischen
aber viele Diskussionen mit Experten gezeigt. "Immer wenn man mit Steuerfahndern redet, kommt
das Gespräch früher oder später auf dieses Thema."
Die Anekdoten reichen dabei von Kassenherstellern, bei denen die Erläuterung von Umsatztricks fester
Teil des Verkaufsgesprächs sind, bis zu Unternehmern, denen ihre Kasse beim Besuch von
Steuerprüfern ganz zufällig ins gefüllte Waschbecken fiel.
Für Aufsehen sorgte auch der Fall einer Eisdiele in Rheinland-Pfalz, die auf Knopfdruck ihren Umsatz
reduzierte und so insgesamt 1,9 Millionen Euro an Steuern hinterzog. In diesem Fall wurde auch der
Kassenhersteller wegen Beihilfe verurteilt. Das dürfte ein Grund dafür sein, dass sich auch die Branche
inzwischen für verbesserte Sicherheitssysteme einsetzt. Ein anderer: Eine kostenpflichtige Umrüstung
würde natürlich das Geschäft ankurbeln. Auf 400 bis 500 Millionen Euro schätzt die Bundesregierung
die Umrüstungskosten für rund 2,5 Millionen Kassen in Deutschland.
Die SPD fordert eine allgemeine Registrierkassenpflicht: Jede Art von Barumsatz müsse so
dokumentiert werden, dass er sich im Nachhinein nicht mehr manipulieren lässt. Damit Kunden dies
nachvollziehen können, sollen Geschäfte zudem verpflichtet werden, Kassenbons auszuhändigen. In
Italien und Griechenland gibt es diese Pflicht, zumindest offiziell, bereits seit Jahren.
Das Finanzministerium hält davon aber wenig und argumentiert mit der anfallenden Bürokratie. Eine
allgemeine Kassenpflicht ließe sich angeblich kaum überwachen und würde selbst "die Kinder auf dem
Flohmarkt" treffen. Die SPD hält dagegen, so etwas ließe sich durch Umsatzobergrenzen ausschließen.
Ein klares Nein kommt aus Schäubles Haus auch zu einer technischen Lösung, mit der Hamburg
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bereits erfolgreich gegen den Umsatzsteuerbetrug vorgegangen ist: Insika heißt das System, das von
der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt gemeinsam mit mehreren Kassenherstellern entwickelt
wurde und Manipulationen durch eine digitale Signatur vorbeugt. Nachdem Insika in Hamburger Taxen
eingeführt wurde, stiegen die Umsätze dort auf wundersame Weise um 50 Prozent.
Permanenter Überprüfungsaufwand?
Insika lässt sich nach Ansicht von Schäubles Beamten aber nicht deutschlandweit einführen. Der
Hersteller, eine Tochter der Bundesdruckerei, könnte damit als Monopolist angesehen werden. In
Hamburg wurden die Insika-Angaben zudem an einen externen Dienstleister verschickt. Das macht
Manipulationen zwar noch unwahrscheinlicher, weckt im Finanzministerium aber
Datenschutzbedenken. Die Verschlüsselung von Insika soll zeitweise bereits geknackt worden sein.
Sicherheitsprobleme und neue Tricks könnten freilich auch bei jenen Systemen auftauchen, die nun
nach Vorgaben des BSI zertifiziert werden sollen. Thomas Gambke, Mittelstandbeauftragter der
Grünen erwartet deshalb einen "permanenten Zertifizierungs- und Überprüfungsaufwand, der nie
verschwindet". Probleme eines einzelnen Systems wie Insika ließen sich dagegen durch regelmäßige
Aktualisierungen beheben, ohne dass diese der Kunde überhaupt mitbekommen müsse. Auch die
übrigen Einwände gegenüber Insika hält Gambke für vorgeschoben. "Alle rechtlichen Bedenken sind
nicht tragfähig."
Besonders ehrgeizig wirkt Schäuble im Kampf gegen den Kassenbetrug jedenfalls nicht. Die Warnung
vor zu hohen Bürokratiekosten wird in seinem Ministerium mit Zweifeln daran verbunden, ob die
Steuerausfälle tatsächlich so hoch seien wie geschätzt. Belastbarere Zahlen kann das Ministerium
jedoch nicht vorlegen.
Selbst wenn das neue Gesetz die digitalen Tricks weitgehend eindämmen sollte, bleibt kleineren
Betrügern noch ein Ausweg: Wer seine Einnahmen in einer analogen Kasse verwaltet, muss diese auch
nicht nachrüsten. Möglicherweise geht der nächste Retro-Trend ja zur Vintage-Kasse mit Kurbel.
Zusammengefasst: Die Manipulation von Registrierkassen kostet den Staat schätzungsweise bis zu
zehn Milliarden Euro im Jahr. Mit einem neuen Gesetz will Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble
nun die Umrüstung der Kassen vorschreiben. Der SPD geht das nicht weit genug. Sie will eine
generelle Pflicht zur Nutzung von Kassen und Ausgaben von Belegen einführen.
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