ZOFINGER TAGBLATT www.zofingertagblatt.ch SAMSTAG, 14. NOVEMBER 2015 25 REGION «Das geht nicht ohne Qualitätsverlust» Zofingen Der Verein Schule und Elternhaus (S&E) findet, der Bildungssparplan des Kantons geht zulasten der Kinder VON MICHAEL FLÜCKIGER «Jetzt sollen die Klassen noch grösser werden. Dabei haben wir doch schon jetzt teils zu kleine Klassenzimmer», sagt Sabine Meni, Mutter und Mitglied im Verein Schule und Elternhaus (S&E). Und ihr Kollege Anders Sjöberg ergänzt: «Das Entlastungsprogramm in der Volksschule, das die Regierung vorlegt, kann nicht ohne Qualitätsverlust umgesetzt werden.» Der Einwohnerrat fragt sich auch: «Wie können wir auf städtischer Stufe mit Primokiz Massnahmen zur Frühförderung bewilligen und gleichzeitig «Mit einem offenen Brief appellieren wir an die Verantwortung unserer Grossräte.» Wolfgang Hacker Vorstand S&E einen kantonal verordneten Leistungsabbau bei Kindergarten, Primarschule und Oberstufe akzeptieren?» Wolfgang Hacker runzelt ebenfalls die Stirn: «Die Verunsicherung über die Sparfolgen ist gross, wir fühlen uns schlecht informiert.» Er sieht dringenden Handlungsbedarf: «Mit einem offenen Brief appellieren wir an die Verantwortung unserer Grossräte.» «Verschlechterung des Angebots» Viel Zeit bleibt den Elternräten für den Versand nicht mehr: Am 30. November befindet das Kantonsparlament über das Entlastungspaket Volksschule der Regierung. Betroffen sind alle Gemeinden im Kanton Aargau. Insgesamt will der Kanton ab 2016 den Stellenetat bei Lehrpersonen um bis 250 Vollzeitstellen kürzen. Der zentrale Ansatzpunkt: Die Anzahl unterrichteter Lektionen soll zurückgehen. Möglich wird dies durch eine Anhebung der Mindestklassengrössen. Weiter im Köcher führt die Regierung den Abbau von ungebundenen Stunden für den Unterricht in geteilten Klassen oder den Unterricht zu zweit in Kindergarten und Primarschule. Zusätzlich will der Regierungsrat die Lektionenzahl für Deutsch als Zweitsprache (DAZ) herunterfahren. Die Schulleitung von Zofingen hat die drei Vertreter von S&E Zofingen über Details informiert. In ihrem bereits formulierten Brief sprechen die Elternräte von einer «massiven Verschlechterung des Angebots». Sie befürchten noch höhere Belastungen bei den Lehrpersonen. Ausser- Drohender Wolkenbruch: Anders Sjoeberg, Sabine Meni und Wolfgang Hacker (v.l.) empfinden die Sparmassnahmen des Kantons in der Bildung als Verschlechterung. dem äussern sie die Sorge, «dass unsere Kinder durch immer grössere Klassen in gleichzeitig gleichbleibenden räumlichen Umgebungen dem Unterricht immer schlechter folgen können». Für die individuellen Bedürfnisse und vor allem die Sonderbedürfnisse bleibe weniger Zeit und Raum. S&E befürchtet, dass die Ressourcen für das integrative Schulsystem nicht mehr zur Verfügung stehen könnten und damit «das System als solches infrage gestellt würde». Das Trio findet gar die ●● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● ● BRITTNAU Schüler müssten wieder nach Strengelbach D ie grösste Änderung, die Kinder und Eltern direkt betrifft, ist der Schüleraustausch mit Strengelbach, der wieder aufgenommen werden müsste», sagt Stephan Gerhard, Präsident der Schulpflege Brittnau. Er hat auf der Homepage der Schule Brittnau einen Eintrag zu den Sparmassnahmen im Bildungsbereich und deren Auswirkungen verfasst. Eine dieser Auswirkungen ist eben der Schüleraustausch zwischen den beiden Nachbargemeinden, der wieder aufgenommen werden könnte. Weil vor allem Brittnau, manchmal aber auch Strengelbach, die minimalen Klassengrössen nur knapp erreicht, können gegenseitig Oberstufenschüler und gar ganze Klassen ausgetauscht werden. «So bleiben zwar die Standorte erhalten, die administrativen Kosten dafür sind aber hoch», sagt Gerhard. Da sich die Schülerzahlen von Jahr zu Jahr verändern, könnten die Schüler ihr erstes Oberstufenjahr in Strengelbach und das zweite in Brittnau verbringen. «In der Oberstufe ist aber Konstanz wichtig. Wenn es in Richtung Berufswahl geht, müssen die Lehrer ihre Schüler kennen», ist Stephan Gerhard überzeugt. Eine weitere Folge der Sparmassnahmen ist, dass der Kanton weniger Halbklassenunterricht finanziert. Deshalb wird es für die Lehrer schwieriger, ein 100-Prozent-Pensum von 28 Stunden zu erreichen. «Für Lehrer mit Familie ist es unattraktiv, wenn das Pensum alle Jahre ändert und sie sich nicht darauf verlassen können, dass sie 100 Prozent arbeiten können», sagt Gerhard. Wenn es weniger Halbklassenunterricht gibt, wird es auch schwieriger, den Blockunterricht aufrechtzuerhalten. «Der ganze Unterricht muss dann am Morgen abgehalten werden – und Turnhallen oder Sprachzimmer sind in dieser Zeit stark beansprucht.» Stundenplantechnisch sei dies oft nur mit Zwischenstunden lösbar, in denen die Gemeinden dann eine Betreuung finanzieren müssten. Auf der Homepage der Schule führt Gerhard weitere Folgen auf und fordert Eltern auf, sich mit Leserbriefen gegen die Sparmassnahmen des Kantons zu wehren. (LBR) Standortattraktivität des Aargaus und damit auch der Wohnregion Zofingen sei so beeinträchtigt. «Schlimm» für Schüler und Lehrer Betroffen sind alle Aargauer Gemeinden. Der Zofinger Gesamtschulleiter Thomas Weyermann wertet die Folgen in seinem Brief an die Lehrer vom September als «schlimm». Auf Anfrage meint er: «Al- «Allein auf Kindergartenstufe würden wir mindestens ein halbes Pensum verlieren.» Thomas Weyermann Gesamtschulleiter Zofingen lein auf Kindergartenstufe würden wir mit den neuen Kriterien mindestens ein halbes Pensum verlieren. Teilzeitmitarbeiterinnen müssen um Lektionen bangen.» Heute führen acht der zehn Kindergärten in Zofingen mehr als die für ein Vollpensum erforderlichen 20 Kinder. Die Kinder profitieren dadurch heute von Zusatzlektionen, die in den geteilten Gruppenunterricht fliessen. Je zwei bis vier dieser Wochenlektionen würden den acht betroffenen Kiga-Abteilungen mit den geplanten Massnahmen damit je verloren gehen. INSERAT «Übel» steht es laut Thomas Weyermann um die Primarschule. Mit der neuen Mindestklassengrösse von 24 statt bisher 18 Primarschülern für ein Vollzeitpensum wird es für Lehrerinnen und Lehrer schwieriger, sich den einzelnen widmen zu können. Hat eine Lehrerin noch 22 oder 23 Kinder, reduziert sich ihr 28-Lektionen-Pensum um eine Lektion und einen entsprechenden Lohnanteil. Die verlorene Lektion bedeutet eine Lektion weniger geteilten und damit individualisierten Unterricht in Kleingruppen. Thomas Weyermann dazu: «Die Vorgaben sind in der Umsetzung kompliziert und schaffen Unsicherheiten bei den Lehrpersonen.» In der Oberstufe würde die Mindestklassengrösse bei der Real neu 13 (bisher 11) und auf Sekundarstufe neu 15 (bisher 13) Schülerinnen und Schüler betragen. Zofingen führt heute drei Jahrgänge mit je zwei kleinen Realklassen. Angesichts der Maximalgrösse von 22 Schülern auf Stufe Real wäre neu ein Fünfklassenszenario möglich: Kann in einem Jahrgang nur noch eine Klasse gebildet werden, kommen die übrigen in eine Mischklasse mit Schülern aus anderen Jahrgängen. Selbstredend dürfte der Fördergedanke damit bei den schwächsten Schülern kaum mehr spielen. MIF 250 Lehrer-Vollzeitstellen will der Regierungsrat in seinem «Entlastungsprogramm Volksschule» insgesamt einsparen. Das Rezept: Höhere Mindestklassengrössen auf allen Stufen, weniger Lektionen für geteilten Unterricht in Kleingruppen sowie weniger Lektionen für Deutsch als Zweitsprache (DAZ). Der Grosse Rat befindet am 30. November über die Vorlage, die ab 2016 in Kraft treten soll.
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