Disruptive Zukunft Worin sich das Morgen vom Heute unterscheidet und was es für uns bedeutet Zusammenfassung des Vortrages von Georges T. Roos, Zukunftsforscher Oö. Zukunftssymposium 2015 Einführung Wer sich mit dem „Übermorgen“ beschäftigt also mit einer Zukunft in 10 oder 20 Jahren muss zunächst Bescheidenheit zeigen: Vieles können wir nicht wissen. Dynamik und Komplexität unserer Zeit machen Prognosen und plausible Annahmen zur Zukunft schwierig. Wir werden mit Neuem konfrontiert werden, das niemand vorhergesehen haben wird. Trotzdem lohnt die Anstrengung, denn die Zukunft ist nicht einfach Schicksal. Politik können wir als jene gesellschaftliche Einrichtung verstehen, welche die Zukunft gestaltet (es zumindest tun sollte). Nicht nur Wissenschaft bzw. Technologie schaffen Zukunft. Die Potenziale, welche aufgrund neuer Entdeckungen und Innovationen entstehen, müssen gestaltet werden. Es gilt den Weg zu finden, der zum Besseren der Menschheit führt und die apokalyptischen Varianten möglichst ausschliesst. Nehmen wir das Beispiel „Big Data“: Gemäss FAZ generiert ein durchschnittlicher Amerikaner im Laufe seines Lebens eine Million Gigabytes an gesundheitsrelevanten Daten. Das entspricht dem Inhalt von 300 Mio. Büchern. Intelligente Maschinen werden schon bald ganz neue Zusammenhänge entdecken, die zwischen genetischen Profilen, Lebensstilen und Umwelteinflüssen bestehen. Es ist sehr wohl denkbar, dass es dann weder für eine Krankheitsdiagnose noch für den richtigen Therapieplan Ärzte brauchen wird. Wollen wir, dass in Zukunft also die Maschine alleine darüber entscheidet, welche Gesundheitsdienstleistungen ein Mensch erhalten soll? Oder wollen wir der Maschine die Rolle eines Assis1 tenten zugestehen, aber den Arzt in der letzten Verantwortung lassen? Darüber entscheidet eine Gesellschaft unter anderem durch politische Setzungen. Ich plädiere also dafür, sich trotz Unvollständigkeit und Vagheit mit der Zukunft intensiv zu beschäftigen damit wir frühzeitig die öffentliche Diskussion führen können, welche Zukunft wir wollen. Von besonderem Interesse sind dafür aus meiner Sicht jene Aspekte unseres künftigen Lebens und Wirtschaftens, die sich von den heutigen deutlich unterscheiden dürften. Ich nenne sie disruptive Szenarien. Einige dieser Aspekte lassen sich nämlich bereits heute abschätzen, weil beispielsweise Frühsignale zu erkennen sind. Von drei solchen disruptiven Szenarien handelt mein Vortrag. Disruptive Szenarien 1. Smartness Internet und mobile Kommunikation haben in den letzten 20 Jahre beinahe alles verändert: Wirtschaft, Gesellschaft, Politik, Wissenschaft. Was als nächstes kommt das Internet der Dinge, Big Data, Künstliche Intelligenz wird noch einmal disruptiv wirken. Ich spreche von Smartness. Die reale und digitale Welt werden verschmelzen, 50 Mrd. Gegenstände werden umweltsensibel (also in gewissem Sinne: smart oder intelligent) sein, neue Maschinen werden natürliche Sprache verstehen und Bilder „lesen“ können. Selbstfahrende Fahrzeuge, sich selbst optimierende und assemblierende Fabriken, smarte Gebäude und Wohnungen, polizeiliche Fahndungen bevor eine Tat überhaupt passiert ist, sind nur einige der potenziellen Auswirkungen von Smartness. Zu erwarten ist auch, dass Smartness tief in die soziale Welt eingreifen wird. Emotionale Beziehungen von Menschen zu intelligenten Systemen oder gar humanoiden Robotern ist nicht länger nur ein Thema für durchgeknallte Science Fiction. 2. Demografie Gemäss den Projektionen der UNO wird Europa der einzige Kontinent sein, der bis 2050 weniger Einwohner haben wird als heute. Die beiden Amerikas dürften um einen Drittel wachsen, Asien um einen Fünftel, Afrika gar um mehr als 60 Prozent. Europa hingegen wird um einen Zehntel schrumpfen und dazu noch schnell altern. In der zweiten Hälfte des laufenden Jahrhunderts dürfte in Deutschland die Dependenzrate (Jugend- und Alterslast zusammen genommen) 100 Prozent betragen also dazu führen, dass auf eine Person im Erwerbsalter eine weitere Person von ihr abhängig sein wird. Zwei von drei Abhängigen werden Senioren sein. Die Weltbevölkerung wird etwas verlangsamt weiter wachsen. Das besondere daran: Auch weltweit ist nicht etwa Geburtenfreude die Ursache des Wachstums, sondern die überall steigende Lebenserwartung. Die weltweite Fertilitätsrate ist von (1970) fünf Kinder pro Frau auf weniger als zweieinhalb Kinder pro Frau (heute) gesunken. Bald dürfte die weltweite Fertilitätsrate auf unter zwei 2 fallen also nicht einmal mehr Vater und Mutter ersetzen. Die neue Weltbevölkerung wird also beinahe überall älter, gesünder und wohlhabender sein. Die Menschheit hat so etwas noch nie gesehen! 3. Gesundheit Es kostet nicht einmal mehr 1000 Euro das eigene Genom analysieren zu lassen. Obwohl diese Analyse heute noch einem Wörterbuch ohne Definitionen gleicht, weil wir noch kaum verstehen, wie einzelne Gene unsere Gesundheit beeinflussen, dürften neue Analyse-Instrumente (s. Smartness) hier bald spektakuläre Erkenntnisse liefern. Die personalisierte Medizin steht vor der Tür eine Medizin, die nicht alle über den gleich Leisten schlägt, sondern Therapien abstimmt auf genotypische Eigenheiten. Dazu kommt, dass es immer besser gelingt, Mensch und Technologie zu verschmelzen. Für beinahe die Hälfte des menschlichen Organismus gibt es bereits künstliche Ersatzteile. Nehmen wir Hirnforschung, Biotechnologie und Gentechnologie zusammen und fügen noch Informationstechnologie hinzu, wird Gesundheit in zwanzig Jahren etwas ganz anderes bedeuten als heute. Fachleute sprechen von der dritten Gesundheitsrevolution: Die erste Gesundheitsrevolution vor ca. 150 Jahren sicherte uns durch öffentliche Massnahmen (z.B. Hygiene) das Überleben. Die zweite Gesundheitsrevolution ist gekennzeichnet durch solidarische Krankenkassen: Die verfügbare Medizin stand von da an (in den entwickelten Ländern) allen Menschen zur Verfügung. Die dritte Gesundheitsrevolution wird uns älter, gesünder und leistungsfähiger machen und insgesamt das Verständnis von Gesundheit revolutionieren. Utopie oder Dystopie Diese Aussichten mag viele erschrecken. Ich sehe darin Herausforderungen. Falsch genutzt, ungesteuert, in böser Absicht, können sie zu einer unerwünschten Zukunft führen, in der Maschinen über uns herrschen, eine globale Verelendung sich breit macht, die Ressourcen des Planeten erschöpft werden. Die neuen Möglichkeiten können aber auch dazu führen, dass es uns allen besser geht, die Lebensweise nachhaltig wird, der Wohlstand die apokalyptische Zerstörungswut gewaltsamer Konflikte bändigt. Es liegt an uns an der Gesellschaft, agiert von der Politik die Weichen zum Guten zu stellen und das Schreckliche zu vermeiden. Überdies braucht es die geistige Haltung der Zuversicht: Wir Menschen sind intelligent, kreativ und anpassungsfähig. Dank diesen Eigenschaften traue ich es uns zu, dass wir die Welt in eine gedeihliche Zukunft führen können. Hinweis Eine ausführliche Darstellung der disruptiven Szenarien finden Sie hier: http://www.kultinno.ch/2035-disruptive-szenarien/ 3
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