Aus der Praxis für die Praxis Published online: March 9, 2016 Schweiz Z Ganzheitsmed 2016;28:93–95 DOI: 10.1159/000444867 Chrischta Ganz Arzneipflanze des Jahres 2016: Echter Kümmel (Carum carvi) Der Echte Kümmel (Carum carvi) ist die Arzneipflanze des Jahres 2016. Die jährliche Wahl der Arzneipflanze trifft der interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde am Institut für Medizingeschichte der Universität Würzburg mit dem Ziel, die Bedeutung sowie die konkrete Nutzung der Arzneipflanzen in der Medizin aufzuzeigen. Die einheimische Heilpflanze Kümmel ist auf artenreichen Magerwiesen zu finden oder wächst kultiviert im Gemüsegarten in den nördlich gemässigten Zonen Eurasiens. Im ersten Jahr bildet sich eine starke Pfahlwurzel, im zweiten Jahr wachsen der Stängel sowie reich verteilte, filigrane, fadenartig aufgegliederte Blätter. Die kleinen, länglichen, dunkelbraunen Kümmelkörner (Abb. 1) sind die Früchte der Kümmelpflanze, die ebenso wie Fenchel, Anis, Kerbel und Wilde Möhre zu den Doldengewächsen (Apiaceae) gehört. Der feinfiedrige, weiss-rötlich blühende Kümmel wird 30–80 cm gross und ist am «Kümmelkreuz» erkennbar: Das untere Paar Fiederblätter steht bei jedem Blatt weit entfernt vom nächsten und ist kreuzweise angeordnet. Diese Fiederblätter sehen aus wie Nebenblätter [1, 2]. Kümmel besitzt Spaltfrüchte, die zwei Teilfrüchte enthalten und durch den Karpophor (Fruchthalter) als Mittelstück zusammengehalten werden [3]. Der zweijährige Kümmel blüht von Mai bis Juli und in warmen Jahren nochmals im Herbst. Cathrin Cohnen schreibt über den Kümmel: «Kümmel atmet auf besondere Weise: Im ersten Jahr seines zweijährigen Lebens saugt er quasi die Son- nenkräfte ein, konzentriert sie in seiner rübenartigen Wurzel und bereitet sich auf das grosse Ausatmen im zweiten Jahr vor. Zu Beginn des zweiten Sommers hat er seine Blütendolden ausgebreitet, um mit ihnen erneut das Sonnenlicht zu sammeln und in seinen Früchten zu bündeln. Kümmel ist eine Lichtpflanze, die erwärmt und einen erschlafften Stoffwechsel anregt und kräftigt» [3]. Kümmel wird für Kohl- und Kartoffelgerichte, Fleischwaren, Zwiebelkuchen, Quark, Hülsenfrüchte und kräftige Brotsorten verwendet. Verwendet man Kümmel beim Brotbacken, schützt er das Brot vor Schimmel und macht es auf diese Weise länger haltbar. Ein bekanntes Beispiel ist die Basler Fastenwähe, die früher die Fastenzeit zwischen Fasnacht und Ostern prägte (Kasten). Die Wurzel und die jungen Blätter können in der Wildkräuterküche als Gemüse, Salat oder Kräutersuppen verwendet werden. Kümmel, auch Chümi, Feld- oder Wiesenkümmel, Kämen, Karbei, Kemmich, Köm, Kimm oder Kümmich genannt, ist ein altbekanntes Gewürz, von dem man früher glaubte, dass es Dämonen vertreibe. Aus diesem Grund stellte man unruhigen Kindern eine Schale mit Kümmel für einen ruhigen und tiefen Schlaf unter das Bett [1]. Ausserdem ass man am Gründonnerstag Kümmelplätzchen, um das ganze Jahr von Flöhen verschont zu bleiben. Zum Schutz der Toten legte man Kümmel zusammen mit Salz in den Sarg [3]. Beim Zerstossen entfaltet Kümmel einen würzig-aromatischen Geruch, Fax +49 761 4 52 07 14 [email protected] www.karger.com Accessible online at: www.karger.com/szg Abb. 1. Getrocknete Kümmelfrüchte (Carvi fructus). Chrischta Ganz Praxis für Naturheilkunde Friedhofstrasse 15, 8636 Wald ZH, Schweiz [email protected] www.chrischtaganz.ch Downloaded by: 78.47.19.138 - 4/22/2016 7:35:14 PM © 2016 S. Karger GmbH, Freiburg und beim Zerkauen ist Kümmel zugleich süss und scharf, was auf seine Wirkung auf Magen und Pankreas (süss) sowie auf den Dickdarm (scharf) hinweist. Wer den Kümmelgeschmack in Speisen nicht schätzt, kann Kümmelfrüchte in einen Teefilter einfüllen und mitkochen. So werden die Kümmelfrüchte mit der Mahlzeit nicht gegessen, sondern es entfaltet sich nur, ähnlich einem Teeauszug, ein mild-aromatisches, verdauungsförderndes Kümmelaroma. Wer aber Kümmel mag, kann die Früchte ganz oder auch fein gemahlen als Gewürz verwenden. Kümmel sollte nicht mit Kreuzkümmel (Cuminum cyminum), einem Gewürz aus dem vorderen Orient, das ebenfalls zu den Apiaceae gehört, verwechselt werden. Der Geschmack beider Gewürze unterscheidet sich deutlich. Ähnlich wie Kümmel übersäuerte und überdüngte Böden regeneriert (Bodenheiler), besitzt er auch die Fähigkeit, den menschlichen Darm zu sanieren, insbesondere bei Störungen der Darmflora, bei Blähungen und bei klebrigem Stuhl. Kümmel verhindert Kasten. Fastenwähe-Rezept nach Betty Bossi [8] Mehl Salz Hefe, zerbröckelt Butter, weich und in Stücken lauwarme Milch Eigelb, verdünnt mit wenig Wasser Mehl, Salz und Hefe in einer Schüssel mischen. Butter und Milch beigeben, mischen, zu einem weichen, glatten Teig kneten, zugedeckt bei Raumtemperatur ca. 1 h auf das Doppelte aufgehen lassen (nicht in den Durchzug stellen, sonst fällt der Teig zusammen). Teig in ca. 12 Stücke teilen, jedes Stück ca. 7 mm dick oval auswallen. Längs vier je ca. 4 cm lange Schlitze einschneiden. Teigstücke auf drei Backpapiere verteilen, Schlitze etwas auseinanderziehen. Ein Backpapier auf einen Blechrücken ziehen, Teig mit Eigelb bestreichen, Kümmel darüber streuen. Mit den restlichen Backpapieren gleich verfahren. Nacheinander für je ca. 10–12 min in der Mitte des auf 230 Grad vorgeheizten Ofens backen. Fäulnisprozesse im Darm und bringt alle Verdauungssäfte ins Fliessen, sodass die gesamte Verdauungssituation verbessert wird. Er vertreibt ungünstige Bakterien wie Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa und den Magenkeim Helicobacter pylori. Auch Candida albicans und Aspergillus niger haben gegenüber dem natürlichen ätherischen Öl des Kümmels wenige Überlebenschancen [1, 3, 4]. Kümmel spricht die bewusste wie auch die unbewusste Wahrnehmung im Verdauungstrakt an [5], die dem menschlichen Körper hilft, die körperfremden Stoffe der Nahrung körpereigen zu machen [4, 6]. Traditionelle Europäische Naturheilkunde (TEN) In der TEN gilt Kümmel als warm und trocken im dritten Grad. Er «beseitigt kalte Feuchtigkeiten» und leitet Schleim aus [7]. Er erwärmt und stärkt den kalten Magen, die Leber sowie die Milz und vertreibt die Winde des Magen-Darm-Traktes [7]. Astromedizin und Signatur Wie alle Doldengewächse ist der Kümmel dem Merkur, der unter anderem den Stoffwechsel dirigiert, zugeordnet. In seiner erwärmenden 94 Kraft ist jedoch auch sein SonnenBezug erkennbar. Darum gilt Kümmel als Universalmedizin [4]. Die feingliedrigen Blätter weisen auf feinsinnige Menschen hin, die Sinneseindrücke äusserst sensibel wahrnehmen, diese jedoch in ihrer Menge und Intensität nicht immer gut verdauen können [4]. Inhaltsstoffe Als Inhaltsstoffe sind 3–7% ätherisches Öl (Carvon, Limonen, Dihydrocarveol, Carveol), fettes Öl, Eiweiss, Gerbstoffe, Zucker, Flavonoide, Phenylcarbonsäuren (Kaffeesäure), Cumarine und Harze dokumentiert [1, 2]. Das ätherische Öl hat eine aussergewöhnlich starke antibakterielle und fungizide Wirkung (letztere ist vergleichsweise stärker als Nystatin [1]). Aufgrund der Ketone soll es aber nicht zu hoch dosiert werden. Ursel Bühring empfiehlt eine Tagesdosis von 1 Tropfen/Tag innerlich in fettem Öl oder Joghurt [1]. Indikationen – Innerlich: Meteorismus, Appetitlosigkeit, Blähungen, krampfartige Magen-Darm-Beschwerden, Völlegefühl, nervöse Magenbeschwerden, Verdauungsbeschwerden bei Säuglingen, zur Milchbildung in der Stillzeit [1, 2]. – Äusserlich: Das ätherische Öl, verdünnt in fetten Pflanzenölen (3–10% Kümmelöl), fördert die Durchblutung und wird als mild hautreizendes Bäuchleinöl bei Verdauungsbeschwerden und Nabelkoliken verwendet. Die lokale Resorption des Kümmelöls über die Bauchdecke gilt als erwiesen [1, 2]. – Antroposophische Medizin: Amenorrhö [7]. – Kommission E: Dyspeptische Beschwerden wie leichte krampfartige Beschwerden im Magen-Darm-Bereich, Blähungen und Völlegefühl [1]. Nebenwirkungen und Gegenanzeigen Wirkungen Kümmel gehört zu den stärksten Karminativa (stärker als Anis und Fenchel). Kümmelfrüchte wirken blähungstreibend, gärungswidrig, spasmolytisch, verdauungsfördernd und appetitanregend, fördern die Speichel-, Magensaft- und PankreassaftSekretion sowie die Durchblutung der Magen-/Darmschleimhaut und sind antimikrobiell, keimhemmend sowie auswurffördernd, desinfizierend und choleretisch [1, 2, 4]. Schweiz Z Ganzheitsmed 2016;28:93–95 Nebenwirkungen und Gegenanzeigen sind bei korrekter Dosierung nicht bekannt. Allergien sind möglich, treten aber selten auf. Verwendete Pflanzenteile und Anwendung Es werden die frischen oder getrockneten Kümmelfrüchte (Carvi fructus) als Tee, Aperitif, Gewürz oder in Mischungen und Fertigpräparaten verwendet. Aus der Praxis für die Praxis Downloaded by: 78.47.19.138 - 4/22/2016 7:35:14 PM 500 g 2 TL 20 g 175 g 2 dl 1 Kümmel Tab. 1. Rezept für Vier-Winde-Tee (Dosierung: 1 Teelöffel mit 150 ml siedendem Wasser übergiessen und zugedeckt ca. 10 min ziehen lassen, davon täglich 3 Tassen als Infus) [7] Foeniculi fructus cont. Carvi fructus cont. Anisi fructus cont. Coriandri fructus cont. – 25 g 25 g 25 g 25 g – – – Für einen Tee wird 1 Teelöffel frisch gequetschte Kümmelfrüchte mit 150 ml siedendem Wasser übergossen und zugedeckt ca. 10 min ziehen gelassen. Davon wird 2–4 × täglich eine Tasse zwischen den Mahlzeiten warm getrunken. Bekannt ist auch die Zubereitung mit Milch (Kümmelmilch: 1 Teelöffel Früchte pro Tasse heisser Milch, 10 min ziehen lassen). Die Tagesdosis beträgt 1,5–6 g Droge [1]. Kümmel lässt sich auch gut mit anderen Drogen kombinieren, insbesondere mit anderen Doldengewächsen. Bekannt ist der Vier-Winde-Tee (Tab. 1) oder das Heidelberger Kräu- Abb. 2. Das bittere Heidelberger Kräuterpulver wird in Wasser eingerührt und eingenommen. terpulver (Abb. 2) aus Wermut (Absinthii herba), Anis (Anisi fructus), Kümmel (Carvi fructus), Fenchel (Foeniculi fructus), Wacholder (Juniperi fructus), Schafgarbe (Millefolii herba) und Bibernelle (Pimpinellae radix). Zur Förderung der Milchbildung bei stillenden Frauen empfiehlt es sich, Kümmel mit anderen milchbildenden Drogen wie Fenchel, Brennnessel und Frauenmantel zu kombinieren [4]. – – – Eine Auswahl an Heilmitteln mit Kümmel: Heidelberger Kräuterpulver (Abb. 2); Weleda Carvon (Carbo betulae, Carum carvi aetheroleum) [6]; Weleda Carum carvi Supp. (Carum carvi) [6]; Wala Carum carvi Supp. und Supp. für Kinder (Carvi fructus, Atropa belladonna ex herba D2, Chamomilla recutita e radice TM, Nicotiana tabacum e foliis D4) [6]; Wala Melissenöl äusserlich (Carum carvi aetheroleum, Foeniculi amari atheroleum, Melissa officinalis W 5% mit Erdnussöl) [6]; verschiedene Stilltee-Mischungen; Magentee nach Kräuterpfarrer Künzle (Condurango cortex, Matricariae flos, Carvi fructus, Foeniculi fructus, Gentianae radix, Calami rhizoma). Literatur Aus der Praxis für die Praxis 4 Madejsky M: Lexikon der Frauenkräuter. München, AT, 2010. 5 Schramm H: Heilmittel der anthroposophischen Medizin. München, Urban und Fischer, 2009. 6 Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland: Vademecum Anthroposophischer Arzneimittel. Dornach, Gesellschaft anthroposophischer Ärzte in Deutschland, 2008. 7 Garvelmann F: Pflanzenheilkunde in der Humoralmedizin. München, Pflaum, 2000. 8 www.bettybossi.ch. Schweiz Z Ganzheitsmed 2016;28:93–95 95 Downloaded by: 78.47.19.138 - 4/22/2016 7:35:14 PM 1 Bühring U: Praxis-Lehrbuch Heilpflanzenkunde. Stuttgart, Haug, 2014. 2 Schaffner W, Häfelfinger B, Ernst B: Heilpflanzen Kompendium. Bern, Arboris, 1996. 3 Cohnen C: viaWala. Kundenmagazin der Wala Heilmittel GmbH. 2005.
© Copyright 2025 ExpyDoc