„Voll die Helden“

JUGENDLITERATUR UND MEDIEN
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Erfahrungen aus einer
Schreibwerkstatt zum
Thema „Zivilcourage“
ompetenzerwerb! Richtlinien! Zentrale
Abschlussprüfungen in einem Jahr! Defizite in der Rechtschreibung, in der Textanalyse, bei der Inhaltsangabe! Es gibt viel zu
tun, und die Unterrichtszeit ist begrenzt.
Auch in meinem A-Kurs Deutsch des 9.
Jahrgangs der IGS Waldschule Egels in Aurich
ist es so. Der Jahresarbeitsplan stand, alles
Notwendige war gut verteilt. Aber dann bekam
ich das Buch „ Voll die Helden“ zur Rezension
und dieses Buch wollte ich den SchülerInnen
nicht vorenthalten.
Die Texte verlangten nahezu nach einer
Schreibwerkstatt, nach einer produktiven
Form, sich mit dem Thema „Zivilcourage“ zu
beschäftigen. Ich arbeite gerne in der Form des
Werkstattunterrichts, ermöglicht dieser doch
unterschiedliche Zugänge zu Texten und entspricht so der Forderung nach individualisiertem, differenziertem Unterricht. Werkstattlernen ermöglicht den SchülerInnen unterschiedliche Zugänge zu Texten und gibt differenzierte
Trainingsmöglichkeiten zur Textinterpretation
und Textproduktion, da sich die SchülerInnen
aus einer Aufgabenpalette ihre Arbeitsschwerpunkte und die Reihenfolge der zu bearbeitenden Pflichtaufgaben auswählen können.
Eine Auseinandersetzung mit Texten ist prinzipiell auf drei Wegen möglich. Ich kann Texte
formal analysieren. Hierbei untersuche ich die
sprachlichen Gestaltungsmittel in ihren Wirkungszusammenhängen, ich lenke den Blick
also auf Erzählperspektive, sprachliche Bilder,
Leitmotive, Satzbau etc.; ich untersuche Zeit-,
Raumgestaltung sowie den Konfliktverlauf, erarbeite und belege durch Zitate Wertvorstellungen und Intention des Autors etc..
Eine zweite Möglichkeit, Texte zu erschließen ist der produktive Umgang mit ihnen.
Ich verfasse Paralleltexte, innere Monologe,
neue Texte durch Perspektivwechsel, verän-
50 Jahre
in der GEW
Zum 50-jährigen GEW-Jubiläum gratulieren
wir im April folgenden Kolleginnen und Kollegen und danken für ihre langjährige Mitgliedschaft:
Hans Bergmann (Hannover), Heinz Fernow
(Nienburg), Walter Hetmanek (Herzberg),
Heinz Menzel (Seesen), Rolf Oppermann
(Goslar), Ingeborg Peters (Nienhagen), Joachim Ratzel (Uchte), Hella Schmidt (Winsen),
Henner Schulz-Karstens (Verden), Jürgen
Strycker (Hildesheim).
Unser Dank gilt außerdem allen Kolleginnen
und Kollegen, deren Mitgliedschaft sich in
diesem Monat zu einem weiteren Jahr rundet.
Foto: Ulrike Fiene
„Voll die
Helden“
K
SchülerInnen des Deutschkurses A Jahrgang 9 während der Schreibwerkstatt.
derte Fortführung einer Geschichte nach einer
Schlüsselstelle, Umformung der Textinhalte in
andere Textsorten etc.
Eine dritte Möglichkeit, Texte zu erschließen
ist die szenische Interpretation. Diese Möglichkeit wählte ich aufgrund der Lernziele in dieser
Einheit nicht. Um möglichst vielen Ansprüchen
gerecht zu werden, verfuhr ich in meinem Unterricht mehrgleisig. Nach zweiwöchiger Lektürezeit, eingebettet in die Arbeitszeit für das
Fach Deutsch in den Arbeits- und Übungsstunden und zu Hause, hatten alle ihren Lieblingstext gefunden. Einige hatten sofort Ideen für
die Schreibwerkstatt, andere setzten sich
zunächst lieber formal mit ihrem Lieblingstext
auseinander und schlossen den produktiven
Teil an.
Allgemeine Produktionsideen bekamen die
SchülerInnen zur Erinnerung durch eine Liste
der Möglichkeiten ebenso wie wichtige Aspekte zur formalen Analyse auf einem Zusatzblatt
zu den Texten. Dieses Blatt war so gegliedert,
dass die Parallelwege zu den Zielen der Einheit
optisch deutlich waren. Auffällig ist, dass sich
durch die individuelle Schwerpunktsetzung die
Motivation stark erhöht. Besonders deutlich
wurde dies, wenn lieber an den eigenen Aufgaben gearbeitet wurde als im Plenum zur Vorstellung und Besprechung von Arbeitsergebnissen.
Der Lehrerin bleibt während der Werkstattarbeit viel Zeit zur individuellen Hilfestellung, zur
Korrektur von Arbeiten mit Tipps zur Weiterarbeit, zum Gespräch mit Einzelnen über Textinhalte.
SchülerInnen hilft der Werkstattunterricht,
sich intensiv und im individuellen Tempo mit
Textaussagen auseinander zu setzen, für sich
selbst eine Position zu erarbeiten oder auch an
persönlichen Stärken oder Defiziten für die geforderten Kompetenzen des Deutschunterrichts zu trainieren.
Ein besonders beliebter Text war die Geschichte „Willenskraft“ von Michael Asche.
Diese Geschichte spielt während eines Bahnstopps. Der Ich-Erzähler beobachtet – wie an-
dere Bahnreisende auch – einen Mann, der zusteigen möchte, die Tür aber nicht öffnen kann.
Der Ich-Erzähler durchdenkt nun so lange
mögliche Hilfeleistung sowie mögliche Konsequenzen, dass er die Chance verpasst, aktiv zu
werden.
Zu dieser Geschichte schrieben die SchülerInnen bevorzugt Parallelgeschichten mit Inhalten aus dem Schulalltag, aber auch Geschichten durch Perspektivwechsel sowie Tagebucheintragungen im Sinne einer Erörterung
sind entstanden. Zu der Geschichte „Hinter
den Gardinen“ von Anne Haupt entstanden vor
allem Zeitungs- und Polizeiberichte. Diese Geschichte faszinierte ob der unglaublichen Egozentrik der Protagonistin.
Fazit: Trotz Jahresarbeitsplan und Stofffülle
waren drei Wochen Arbeit an den Texten zur Zivilcourage keine verlorene Zeit. Durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema
wurde der Blick für wichtige soziale Kompetenzen geschärft. Durch die sprachliche Bearbeitung der Texte wurde an allen drei Anspruchsebenen gearbeitet und nebenbei entstanden
mit viel Freude an der Arbeit die ersten Texte
für die Abschlusszeitung, die wir eigentlich erst
in einem Jahr schreiben wollen.
Natürlich haben wir nach der langen
Übungsphase auch noch einen Test geschrieben. Die Geschichte „Ein netter Kerl“ von Gabriele Wohmann bot die Grundlage für eine inhaltliche Zusammenfassung sowie eine Auseinandersetzung mit dem Textinhalt in Form eines Briefes aus der Sicht der Protagonistin.
Zivilcourage – Voll die Helden. Hrsg.; Aktion
Mensch und amnesty international, Nachwort von
Annette Wunschel, 20 junge Autoren über Zivilcourage, Arena Verlag 2005, 150 Seiten, 4,50 Euro (ab
12) Das Buch gliedert die 20 Beiträge in acht Textgruppen von „Angst“ bis „Grenzen“. Eine sinnvolle
Anschaffung für die Schülerbücherei. Es bietet Diskussionsgrundlage, Material für Rollenspiele und
Themen für eine Schreibwerkstatt, wenn man es als
Klassenlektüre einsetzt (ausführliche Besprechung
unter www.ajum.de).
ULRIKE FIENE
IGS Waldschule Egels, Aurich
NIEDERSACHSEN
4/2006