JUGENDLITERATUR UND MEDIEN 27 Erfahrungen aus einer Schreibwerkstatt zum Thema „Zivilcourage“ ompetenzerwerb! Richtlinien! Zentrale Abschlussprüfungen in einem Jahr! Defizite in der Rechtschreibung, in der Textanalyse, bei der Inhaltsangabe! Es gibt viel zu tun, und die Unterrichtszeit ist begrenzt. Auch in meinem A-Kurs Deutsch des 9. Jahrgangs der IGS Waldschule Egels in Aurich ist es so. Der Jahresarbeitsplan stand, alles Notwendige war gut verteilt. Aber dann bekam ich das Buch „ Voll die Helden“ zur Rezension und dieses Buch wollte ich den SchülerInnen nicht vorenthalten. Die Texte verlangten nahezu nach einer Schreibwerkstatt, nach einer produktiven Form, sich mit dem Thema „Zivilcourage“ zu beschäftigen. Ich arbeite gerne in der Form des Werkstattunterrichts, ermöglicht dieser doch unterschiedliche Zugänge zu Texten und entspricht so der Forderung nach individualisiertem, differenziertem Unterricht. Werkstattlernen ermöglicht den SchülerInnen unterschiedliche Zugänge zu Texten und gibt differenzierte Trainingsmöglichkeiten zur Textinterpretation und Textproduktion, da sich die SchülerInnen aus einer Aufgabenpalette ihre Arbeitsschwerpunkte und die Reihenfolge der zu bearbeitenden Pflichtaufgaben auswählen können. Eine Auseinandersetzung mit Texten ist prinzipiell auf drei Wegen möglich. Ich kann Texte formal analysieren. Hierbei untersuche ich die sprachlichen Gestaltungsmittel in ihren Wirkungszusammenhängen, ich lenke den Blick also auf Erzählperspektive, sprachliche Bilder, Leitmotive, Satzbau etc.; ich untersuche Zeit-, Raumgestaltung sowie den Konfliktverlauf, erarbeite und belege durch Zitate Wertvorstellungen und Intention des Autors etc.. Eine zweite Möglichkeit, Texte zu erschließen ist der produktive Umgang mit ihnen. Ich verfasse Paralleltexte, innere Monologe, neue Texte durch Perspektivwechsel, verän- 50 Jahre in der GEW Zum 50-jährigen GEW-Jubiläum gratulieren wir im April folgenden Kolleginnen und Kollegen und danken für ihre langjährige Mitgliedschaft: Hans Bergmann (Hannover), Heinz Fernow (Nienburg), Walter Hetmanek (Herzberg), Heinz Menzel (Seesen), Rolf Oppermann (Goslar), Ingeborg Peters (Nienhagen), Joachim Ratzel (Uchte), Hella Schmidt (Winsen), Henner Schulz-Karstens (Verden), Jürgen Strycker (Hildesheim). Unser Dank gilt außerdem allen Kolleginnen und Kollegen, deren Mitgliedschaft sich in diesem Monat zu einem weiteren Jahr rundet. Foto: Ulrike Fiene „Voll die Helden“ K SchülerInnen des Deutschkurses A Jahrgang 9 während der Schreibwerkstatt. derte Fortführung einer Geschichte nach einer Schlüsselstelle, Umformung der Textinhalte in andere Textsorten etc. Eine dritte Möglichkeit, Texte zu erschließen ist die szenische Interpretation. Diese Möglichkeit wählte ich aufgrund der Lernziele in dieser Einheit nicht. Um möglichst vielen Ansprüchen gerecht zu werden, verfuhr ich in meinem Unterricht mehrgleisig. Nach zweiwöchiger Lektürezeit, eingebettet in die Arbeitszeit für das Fach Deutsch in den Arbeits- und Übungsstunden und zu Hause, hatten alle ihren Lieblingstext gefunden. Einige hatten sofort Ideen für die Schreibwerkstatt, andere setzten sich zunächst lieber formal mit ihrem Lieblingstext auseinander und schlossen den produktiven Teil an. Allgemeine Produktionsideen bekamen die SchülerInnen zur Erinnerung durch eine Liste der Möglichkeiten ebenso wie wichtige Aspekte zur formalen Analyse auf einem Zusatzblatt zu den Texten. Dieses Blatt war so gegliedert, dass die Parallelwege zu den Zielen der Einheit optisch deutlich waren. Auffällig ist, dass sich durch die individuelle Schwerpunktsetzung die Motivation stark erhöht. Besonders deutlich wurde dies, wenn lieber an den eigenen Aufgaben gearbeitet wurde als im Plenum zur Vorstellung und Besprechung von Arbeitsergebnissen. Der Lehrerin bleibt während der Werkstattarbeit viel Zeit zur individuellen Hilfestellung, zur Korrektur von Arbeiten mit Tipps zur Weiterarbeit, zum Gespräch mit Einzelnen über Textinhalte. SchülerInnen hilft der Werkstattunterricht, sich intensiv und im individuellen Tempo mit Textaussagen auseinander zu setzen, für sich selbst eine Position zu erarbeiten oder auch an persönlichen Stärken oder Defiziten für die geforderten Kompetenzen des Deutschunterrichts zu trainieren. Ein besonders beliebter Text war die Geschichte „Willenskraft“ von Michael Asche. Diese Geschichte spielt während eines Bahnstopps. Der Ich-Erzähler beobachtet – wie an- dere Bahnreisende auch – einen Mann, der zusteigen möchte, die Tür aber nicht öffnen kann. Der Ich-Erzähler durchdenkt nun so lange mögliche Hilfeleistung sowie mögliche Konsequenzen, dass er die Chance verpasst, aktiv zu werden. Zu dieser Geschichte schrieben die SchülerInnen bevorzugt Parallelgeschichten mit Inhalten aus dem Schulalltag, aber auch Geschichten durch Perspektivwechsel sowie Tagebucheintragungen im Sinne einer Erörterung sind entstanden. Zu der Geschichte „Hinter den Gardinen“ von Anne Haupt entstanden vor allem Zeitungs- und Polizeiberichte. Diese Geschichte faszinierte ob der unglaublichen Egozentrik der Protagonistin. Fazit: Trotz Jahresarbeitsplan und Stofffülle waren drei Wochen Arbeit an den Texten zur Zivilcourage keine verlorene Zeit. Durch die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Thema wurde der Blick für wichtige soziale Kompetenzen geschärft. Durch die sprachliche Bearbeitung der Texte wurde an allen drei Anspruchsebenen gearbeitet und nebenbei entstanden mit viel Freude an der Arbeit die ersten Texte für die Abschlusszeitung, die wir eigentlich erst in einem Jahr schreiben wollen. Natürlich haben wir nach der langen Übungsphase auch noch einen Test geschrieben. Die Geschichte „Ein netter Kerl“ von Gabriele Wohmann bot die Grundlage für eine inhaltliche Zusammenfassung sowie eine Auseinandersetzung mit dem Textinhalt in Form eines Briefes aus der Sicht der Protagonistin. Zivilcourage – Voll die Helden. Hrsg.; Aktion Mensch und amnesty international, Nachwort von Annette Wunschel, 20 junge Autoren über Zivilcourage, Arena Verlag 2005, 150 Seiten, 4,50 Euro (ab 12) Das Buch gliedert die 20 Beiträge in acht Textgruppen von „Angst“ bis „Grenzen“. Eine sinnvolle Anschaffung für die Schülerbücherei. Es bietet Diskussionsgrundlage, Material für Rollenspiele und Themen für eine Schreibwerkstatt, wenn man es als Klassenlektüre einsetzt (ausführliche Besprechung unter www.ajum.de). ULRIKE FIENE IGS Waldschule Egels, Aurich NIEDERSACHSEN 4/2006
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