Handbuch zur Zivilcourage Begleitmaterialien zum Film Onlineversion Sichtweisen Sichtweisen Sichtweisen Kinder am Spielplatz, die ein „fremdländisch“ aussehendes Kind vom Spiel ausschließen; ein älterer Herr, der einem Unbeteiligten seine xenophoben Ansichten unterbreitet und dabei um dessen Zustimmung buhlt; zwei Mädchen in der Straßenbahn, die eine Kopftuch tragende junge Frau von oben herab behandeln; zwei Neonazis, die einen jungen Zuwanderer auf der Straße bedrohen. Ausgehend vom Kurzfilm „Handbuch zur Zivilcourage“ von Yann-Moritz Kosa wird in diesem Begleitheft das Thema „Zivilcourage“ auf kreative und abwechslungsreiche Art und Weise behandelt. Sie finden Anleitungen zur Auseinandersetzung mit dem Thema am Beispiel realistischer Fallbeispiele, Möglichkeiten zur Selbst- und Fremdreflexion, Übungen zur Interpretation von Zitaten und zum Paraphrasieren sowie die Möglichkeit zum Austausch von Recherchen und Beobachtungen. Aber auch der Aktionsmus kommt nicht zu kurz: Aufstellungs-, Stopp-Schrei-Übung und Rollenspiele machen Einstellungen sichtbar, bauen Hemmungen ab und fördern Zivilcourage. Schulstufe/Anwendungsbereich: ab 12 Jahren www.landdermenschen.at Vorwort Handbuch zur Zivilcourage Sehr geehrte Lehrerinnen und Lehrer, Land der Menschen – Aufeinander Zugehen OÖ setzt sich seit über zehn Jahren für ein respektvolles Miteinander aller hier in Österreich lebenden Menschen ein. Leider stehen ausländerfeindliche Übergriffe in Österreich immer wieder an der Tagesordnung. Ermutigen Sie ihre Schüler/innen zur Zivilcourage! Mit diesem Begleitheft zum Film „Handbuch zur Zivilcourage“ von Yann-Moritz Kosa möchten wir Sie als Lehrer/in und Multiplikator/in bei der Bewusstseinsbildung Ihrer Schüler/innen zu diesem Thema unterstützen. Inhalt Erste Unterrichtseinheit Zivilcourage Filmvorführung Was? Wie? Wo? Wer? Meine Erfahrungen Reaktionsmöglichkeiten Zitate Keine Hemmungen Couragebarometer STOPP-SCHREI-ÜBUNG StraSSenbahn Beobachtungen Stopp Schnappschuss Zweite Unterrichtseinheit Dritte Unterrichtseinheit Das Material „Handbuch zur Zivilcourage“ umfasst vier konkrete Stundenbilder mit ausgewählten Übungen und Methodeninputs. Arbeitsblätter in A4 zu den einzelnen Übungen finden Sie ab Seite 14. Inhaltliches Hintergrundwissen für die Lehrkraft stellen wir unter „Arbeitswissen“ zur Verfügung. Die Unterrichtseinheiten sind in sich geschlossen und – bei straffem Ablauf – in 50 Minuten umsetzbar. Ob dies für Sie und Ihre Klasse möglich ist, müssen Sie selbst entscheiden. Bei Bedarf können die kurzen Einstiegsübungen auch weggelassen oder einzelne Übungen adaptiert werden. Das Unterrichtsmaterial sollte auch als „Pool“ von Übungen gesehen werden, aus dem Sie Ihre persönliche, authentische und an die Reife Ihrer Schüler/innen angepasste Unterrichtseinheit zusammenstellen können. Da der Kurzfilm „Handbuch zur Zivilcourage“ Impulsgeber für die weiteren Übungen ist, sollte unbedingt mit der ersten Unterrichtseinheit begonnen werden. Am Ende des Heftes finden Sie Hinweise zu weiterführenden Angeboten zum Themenfeld. Vierte Unterrichtseinheit Arbeitsblätter Vertiefung Links und Literatur Workshops & Co Hinweis: Die vierte Unterrichtseinheit bedarf einer Hausübung im Vorfeld. Nähere Informationen dazu auf Seite 11. Symbole Wir wünschen Ihnen gutes Gelingen und viel Spass. Margit Hauft Vorsitzende von Land der Menschen 3 4 5 6 6 8 8 9 9 10 11 12 13 14 21 21 Leichte Aufgabe Einzelarbeit Mittelschwere Aufgabe Gruppenarbeit Schwere Aufgabe Plenum Materialien Methodik Arbeitsblätter in den Kopiervorlagen Dauer 2 Handbuch zur Zivilcourage 1. Erste Unterrichtseinheit Die Schüler/innen erarbeiten Begriffe und Konzepte zum Thema Zivilcourage und setzen sich mit ihrer eigenen Position und anderen Meinungen kritisch auseinander. Auf Grundlage des Films „Handbuch zur Zivilcourage“ von Yann-Moritz Kosa erfolgt eine empathische Auseinandersetzung mit Fallbeispielen. Zivilcourage Bei dieser Übung geht es um die Bedeutung von Zivilcourage. Die Schüler/innen erarbeiten selbst ihr Verständnis von Zivilcourage und üben das Wahrnehmen und Nachvollziehen anderer Meinungen und Perspektiven. Zusätzlich wird wichtiges Basiswissen vermittelt. Brainstorming, Vortrag Stifte/Kreide, Flipchart/Tafel 10 min Ablauf Mit Hilfe der Methode des Brainstormings sammelt die Lehrkraft zuerst Beiträge bzw. Definitionen der Schüler/innen zum Begriff Zivilcourage auf dem Flipchart/der Tafel. Anschließend wird, unter Anwendung des Arbeitswissens „Zivilcourage“, auf gängige Definitionen des Begriffs und dessen historische Entwicklung eingegangen. Dabei sollen die Antworten der Schüler/innen in wertschätzender Art und Weise integriert werden. Methodikinput Brainstorming Beim Brainstorming sollen durch den freien Gedankenaustausch möglichst viele Sichtweisen und vorhandene Kenntnisse der Schüler/innen festgehalten werden. Auf diesem Basiswissen wird in den kommenden Übungen aufgebaut. Für die Schüler/innen bringt dies zusätzliche Motivation, da sie durch ihr Wissen Wertschätzung erfahren. Dabei muss allerdings darauf geachtet werden, dass alle Beiträge gleichermaßen akzeptiert werden und keine Kritik geäußert wird. Vielmehr sollte es ein kreativer Gedankenaustausch sein, bei dem sich Beiträge ergänzen und Gedanken weiterentwickeln können. Aus diesem Grund ist es wünschenswert, dass sich alle Schüler/innen beteiligen. 3 1. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage Filmvorführung Arbeitswissen „Zivilcourage“ Zivilcourage bedeutet wörtlich übersetzt „Bürgermut“. Der/Die Bürger/in bezeichnet etymologisch gesehen „‚Ein- bzw. Bewohner‘ einer Burg. (...) Neben dem oben angesprochenen Bestandteil ‚Burg’ setzt es sich aus dem althochdeutschen Wort ‚wari’ zusammen, welches den Aspekt des Verteidigens oder Sich-Gemeinsam-Wehrens zum Ausdruck brachte“. (Quelle: Kotalakidis, Nikolaos) In dieser Übung werden anhand des Films „Handbuch zur Zivilcourage“ vier Situationen dargestellt, in denen Zivilcourage auf recht unterschiedliche Art und Weise gezeigt wird. Die Schüler/innen erhalten die Aufgabe, die Inhalte kritisch mit ihrem zuvor erarbeiteten Wissen (Brainstorming) zu vergleichen. Der Vergleich zeigt, wie der Einsatz eines anderen Mediums den Zugang zum Thema verändert. Zivilcourage bzw. „Bürgermut“ beinhaltet aber auch „Mut“. Mut, um bei Konflikt-, Bedrohungs- oder Gewaltsituationen, ohne Rücksicht auf drohende Nachteile, nicht wegzusehen, sondern zu handeln. „Zivilcourage – der ‚Bürgermut‘ ist … die Tapferkeit der Nicht-Soldaten. Diesen Begriff schuf Otto von Bismarck, (* 1815, † 1898), genannt der ‚Eiserne Kanzler‘, der Gründer und erster Kanzler des Deutschen Reiches war. Martin Knobbe schreibt hierüber: Es war ein Montag im Mai, als das Wort Zivilcourage geboren wurde. Pfiffe gellten durch das Parlament, während der junge Abgeordnete und spätere Reichskanzler seine erste Rede hielt. Es ging um ein Gesetz über die Rentenbank, gegen das er sich aussprach. Ironisch und fast beleidigend waren seine Worte, die Reaktionen darauf mindestens ebenso harsch. Später saß der Abgeordnete mit einem älteren Verwandten beim Essen, der meinte: ‚Du hattest ja ganz Recht, aber so etwas sagt man doch nicht.’ Der Jüngere antwortete: ‚Wenn du meiner Meinung warst, hättest du mir beistehen sollen.‘ Es war der 17. Mai 1847, und die Schmach im Vereinigten preußischen Landtag traf den jungen Abgeordneten Otto von Bismarck so tief, dass er später noch von diesem Erlebnis erzählte. ‚Mut auf dem Schlachtfeld ist bei uns Gemeingut’, meinte er zu seinem Vertrauten Robert von Keudell, ‚aber Sie werden nicht selten finden, dass es ganz achtbaren Leuten an Civilcourage fehlt.‘“ (Quelle: Koblank, Robert) Filmvorführung, Diskussion Film „Handbuch zur Zivilcourage“, Abspielgerät 10 min Ablauf Der Film „Handbuch zur Zivilcourage“ wird einmal abgespielt. Im Anschluss daran sollen die Schüler/innen im Plenum folgende Fragen zum Film beantworten: ➜ Könnt ihr die vier Geschichten aus dem Film nacherzählen? ➜ Wie passen die gezeigten Inhalte zu den Definitionen, über die wir zuvor gesprochen haben? ➜ Stimmen eure Vorstellungen mit den Geschichten im Film überein? 4 1. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage Was? Wie? Wo? Wer? Arbeitswissen zum Film „Handbuch zur Zivilcourage“ Unterschiedliche Situationen fremdenfeindlicher Übergriffe: Kinder am Spielplatz, die ein „fremdländisch“ aussehendes Kind vom Spiel ausschließen; ein älterer Herr, der einem Unbeteiligten seine xenophoben Ansichten unterbreitet und dabei um dessen Zustimmung buhlt; zwei Mädchen in der Straßenbahn, die eine Kopftuch tragende junge Frau von oben herab behandeln; zwei Neonazis, die einen jungen Zuwanderer auf der Straße bedrohen. Wie kann man in solchen Situationen reagieren? Der Film behandelt das Thema Zivilcourage im Fall von rassistischen/fremdenfeindlichen Übergriffen. Es werden Episoden gezeigt, die verschiedene Arten des Übergriffs und unterschiedliche Optionen, darauf zu reagieren, zum Inhalt haben. Interessant ist hier die Art und Weise, wie Übergriffe initiiert werden, und welche Arten der Reaktion es gibt. Beispielsweise: Ist ein Übergriff immer direkt? Muss dazu überhaupt die angegriffene Person/Gruppe anwesend sein? Gibt es nur die „strahlender Held“-Variante, die nicht immer ungefährlich ist und deshalb oft vermieden wird? Ziel ist es, einen Einblick in die enorme Bandbreite des Problems zu gewähren, und alternative Ansätze, zu reagieren, aufzuzeigen. Inspiriert wurde die Handlung sowohl durch persönliche Erfahrungen des Regisseurs (dessen Vater ursprünglich aus Ungarn stammt), als auch durch sein politisches und soziales Engagement. Wichtiger Baustein des Konzeptes waren eine Reihe von Forumtheater-Workshops, an denen der Regisseur mitwirkte, und bei denen mit Techniken des Improvisationstheaters Zivilcourage geübt wurde. Die Erzählstruktur des Kurzfilms ist in Anspielung auf diese Workshopreihe nach der Impro-Struktur der „Pyramide“ aufgebaut. Der Regisseur Yann-Moritz Kosa, geboren 1987 in Linz, Österreich, arbeitet als Cutter, Kameramann, Regisseur und Motiongraphicdesigner. 2008 gewinnt er mit dem Kurzfilm „Drehmomente“ den Sonderpreis beim Filmfestival „OÖ im Film“. Er studiert seit 2008 „zeitbasierte und interaktive Medien“ an der Kunstuniversität Linz und ist Mitglied des Backlab-Kollektivs. http://av2art.wordpress.com/ Mit Hilfe dieser Übung sollen die Schüler/innen eine Situation empathisch wahrnehmen lernen. Eine Handlung soll aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden. Die Schüler/innen sind aufgefordert, begründete Meinungen zu formulieren und diese mit ihren Mitschülern/innen zu diskutieren. Diskussion, Präsentation Arbeitsblatt „Was? Wie? Wo? Wer?“ S. 14 30 min Ablauf Die Schüler/innen werden in vier Gruppen eingeteilt. Jede Gruppe bearbeitet fünfzehn Minuten lang eine Geschichte aus dem Film. Dazu erhält sie das Arbeitsblatt „Was? Wie? Wo? Wer?“. Die Lehrkraft soll auf einen wertschätzenden Umgang mit den Meinungen der Mitschüler/innen in den Diskussionen hinweisen. Zur Präsentation einigen sich die Gruppen auf je eine Person, die ihre Antworten vorstellt. Nach der Ausarbeitungszeit kommen alle Schüler/innen in der Großgruppe zusammen, um der Reihe nach ihre Ergebnisse zu präsentieren. Dabei sollen die Mitschüler/innen dazu ermuntert werden, Feedback zu geben: ➜ Stimme ich den Einschätzungen der vortragenden Gruppe zu? ➜ Bin ich anderer Meinung? 5 Handbuch zur Zivilcourage 2. Zweite Unterrichtseinheit In dieser Unterrichtseinheit stehen die Selbst- und Fremdreflexion, die Erarbeitung und Bewertung von Reaktionsmöglichkeiten und demokratische Entscheidungsformen im Vordergrund. Hinweis: Da sich die folgenden Übungen intensiv mit dem Film „Handbuch zur Zivilcourage“ und den darin gezeigten Handlungen auseinandersetzen, sollte das Video an dieser Stelle nochmals vorgeführt werden. Die Schüler/innen erarbeiten und bewerten eine Bandbreite an Möglichkeiten, zivilcouragiert zu reagieren. Dazu hören sie sich andere Perspektiven an, argumentieren und finden in einem demokratischen und wertschätzenden Prozess zu gemeinsamen Ergebnissen. Sie lernen, die Konsequenzen ihrer Handlungen zu bedenken. Diskussion, Reflexion 35 min ausgefüllte Arbeitsblätter „Meine Erfahrungen“, Stifte, Flipcharts, rote und grüne Klebepunkte, vorbereitetes Flipchart „Handlungskreis“ Meine Erfahrungen Arbeitsblatt „Reaktionsmöglichkeiten“ S. 16 Die folgende Übung hat Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion zum Ziel. Eigene Handlungen und erlebte Situationen, in denen Zivilcourage gefragt war, werden von den Schülern/innen kritisch hinterfragt. Reflexion Reaktionsmöglichkeiten 10 min Arbeitsblatt „Meine Erfahrungen“ S. 15 Ablauf Jede/r Schüler/in erhält das Arbeitsblatt „Meine Erfahrungen“ mit der Aufforderung, es alleine auszufüllen. Das Arbeitsblatt bleibt bei den Schülern/innen. Wer möchte, kann es in der folgenden Übung einbringen. Ablauf 1. Schritt – Gruppenarbeit: Die Schüler/innen werden in Gruppen zu vier bis sechs Personen eingeteilt und arbeiten gemeinsam das Arbeitsblatt „Reaktionsmöglichkeiten“ aus. Die Schüler/innen können dabei auf die von ihnen zuvor ausgearbeiteten Arbeitsblätter „Meine Erfahrungen“ zurückgreifen. 2. Schritt – Ergebnissammlung: Die Lehrkraft schreibt alle erarbeiteten Reaktionsmöglichkeiten – ohne Kommentare – in der Klasse auf ein Flipchart untereinander. Doppelnennungen sollen dabei jedoch kein weiteres Mal aufgeschrieben werden. 3. Schritt – Bewertungen: Die Schüler/innen bekommen je drei rote und drei grüne Klebepunkte und verteilen diese einzeln. Grün steht für Handlungen, die sie selbst präferieren und auch setzen würden. Rot soll jene Reaktionen kennzeichnen, die sie selbst nicht setzen möchten. 6 2. Unterrichtseinheit 4. Schritt – Handlungskreis: Die Lehrkraft bereitet ein Flipchart mit dem Titel „Was tun, wenn ….?“ vor. Darauf wird ein leerer Handlungskreis mit vier Ringen (siehe Abbildung) gezeichnet. In den äußersten Ring werden von der Lehrkraft jene Handlungsmöglichkeiten eingetragen, die von den Schülern/innen am besten bewertet wurden (nur grüne Punkte). Im innersten Ring werden jene mit der schlechtesten Bewertung angeführt (nur rote Punkte). Im zweiten und dritten Kreis finden sich jene Aktionen wieder, zu denen die Schüler/innen geteilter Meinung sind. Im Handlungskreis sollen, nach Möglichkeit, alle Handlungen Platz finden, ein fließender Übergang von „präferiert“ zu „nicht präferiert“ soll sichtbar werden. Auf diese Weise wird die Gesamteinstellung der Gruppe dargestellt. 5. Schritt – Reflexion: Das sich im Handlungskreis darstellende Bild wird mit den Schülern/innen besprochen. Dabei steht die Frage im Zentrum, wie sehr es das persönliche Verständnis von Zivilcourage des/r jeweiligen Schülers/in widerspiegelt. Im Anschluss wird das Plakat in der Klasse oder der Schule zugänglich aufgehängt. Beste Bewertung (nur grüne Punkte) Schlechteste Bewertung (nur rote Punkte) Handbuch zur Zivilcourage Arbeitswissen „Reaktionsmöglichkeiten“ Das Aufbegehren gegen die Verletzung bürgerlicher Grundrechte und das Aufdecken krimineller Machenschaften sind Beispiele für die Zivilcourage Einzelner. Überall wo Menschen gedemütigt, bedroht oder angegriffen werden, motiviert Zivilcourage, nicht wegzusehen, sondern einzugreifen. Aber wie? Nicht jede/r ist bereit, die gleichen Handlungen zu setzen. Auch die Konsequenzen müssen bedacht werden. Gerd Meyer unterscheidet drei Arten des Handelns mit Zivilcourage: ➜ „Eingreifen zugunsten anderer, meist in unvorhergesehenen Situationen, in denen man schnell entscheiden muss, was man tut. ➜ Sich-Einsetzen – meist ohne akuten Handlungsdruck – für allgemeine Werte, für das Recht oder die legitimen Interessen anderer, vor allem in organisierten Kontexten und Institutionen. ➜ Sich-Wehren z.B. gegen körperliche Angriffe, Mobbing oder Ungerechtigkeit; zu sich und seinen Überzeugungen stehen, standhalten, nein sagen, widerstehen.“ (Quelle: Meyer, Gerd) Die Bandbreite an Aktionen, die man setzen kann, ist groß. Beispielsweise: ➜ beobachten ➜ Bericht erstatten ➜ andere Menschen dazuholen ➜ Autoritäten informieren ➜ dazugehen und das Gespräch suchen ➜ Aufmerksamkeit erregen ➜ öffentlich seinen Unmut kundtun ➜ Ablenkung erzeugen ➜ sich offen dagegen aussprechen ➜ aufklären Zivilcourage hat viele Gesichter: Sei es als Zeuge/in vor Gericht über Geschehenes zu berichten, sich in einem Leserbrief gegen herabwürdigende Aussagen auszusprechen, einem/r Mitschüler/in bei Konflikten beizustehen oder in einer Gefahrensituation Hilfe zu holen. Wichtig ist dabei vor allem, dass eine Konflikt-, Bedrohungs- oder Gefahrensituation als solche wahrgenommen wird, man nicht wegsieht und sich dann auf eine der vielen Arten ins Geschehen einbringt. 7 Handbuch zur Zivilcourage 3. Dritte Unterrichtseinheit Die Interpretation von Zitaten und die Auseinandersetzung mit rassistischen Fallbeispielen bilden den Einstieg in diese Unterrichtseinheit. Danach ist Aktionismus gefragt: Aufstellungs-, Stopp-Schrei-Übung und Rollenspiel machen Einstellungen sichtbar, bauen Hemmungen ab und fördern Zivilcourage. Keine Hemmungen In dieser Übung arbeiten die Schüler/innen mit Fallbeispielen rassistischer Übergriffe und erlernen auf diese Weise Empathie. Sie setzen sich mit Konsequenzen von Entscheidungen auseinander und erarbeiten alternative Handlungsmöglichkeiten. Durch die Reflexionsrunde lernen die Schüler/innen andere Perspektiven kennen. Fallbearbeitung, Reflexion Klebeband, Schere, Flipchart/Tafel Zitate In dieser Übung sind die Schüler/innen dazu aufgefordert, Aussagen von Persönlichkeiten zu interpretieren. Dabei lernen sie, Meinungen kritisch zu hinterfragen und andere Perspektiven wahrzunehmen. Diskussion Kreide, Tafel 6 min Ablauf 15 min Arbeitsblätter „Keine Hemmungen I und II“ S. 17 - 18 Ablauf Die Schüler/innen bilden Zweierteams. Diese erhalten je zwei Fälle aus den Arbeitsblättern „Keine Hemmungen I und II“ zur Bearbeitung. Dazu notiert die Lehrkraft folgende Arbeitsfragen auf dem Flipchart/der Tafel und unterstützt die Schüler/innen bei Bedarf bei deren Beantwortung: ➜ Warum hat sich keiner eingemischt? ➜ Was hat andere Menschen davon abgehalten, einzugreifen? ➜ Wie hätte man eingreifen können? Die Zweierteams vermerken ihre Antworten auf einem Blatt Papier. Die Lehrkraft schreibt die beiden untenstehenden Zitate an die Tafel und stellt zu jeder Aussage folgende Fragen: ➜ Wer kann mir dieses Zitat erklären? ➜ Möchte jemand etwas dazu ergänzen? „Je mehr Bürger mit Zivilcourage ein Land hat, desto weniger Helden wird es einmal brauchen.“ F. Magnani, ehemalige Korrespondentin der NZZ (Quelle: http://www.psychologie.uzh.ch) „Das Böse braucht das Schweigen der Mehrheit.“ K. Annan bei der Gedenkfeier der UN anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des KZ Auschwitz (Quelle: http://www.psychologie.uzh.ch) Am Ende der Bearbeitungszeit werden die Notizen gemeinsam mit den jeweiligen Fällen in der Klasse aufgehängt. In einer kurzen Reflexionsrunde im Plenum werden folgende Fragen an die Schüler/innen gestellt: ➜ Wie ist es euch beim Lesen der Texte und dem Erarbeiten der Fragen ergangen? ➜ Wie geht es euch jetzt, da ihr die Fülle an anderen Beispielen rund um euch seht? Die Fälle der Arbeitsblätter sind dem Rassismusreport von Zara entnommen und stellen somit tatsächlich passierte Ereignisse dar. Näheres unter: http://www.zara.or.at/index.php/beratung/rassismus-report 8 3. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage Couragebarometer STOPP-SCHREI-ÜBUNG Die eigene Einstellung zur Zivilcourage zu überprüfen und Stellung zu beziehen, ist zentraler Inhalt folgender Aufstellungsübung. Diskussion, Reflexion Bei dieser Selbstwahrnehmungsübung werden die Schüler/innen zu lautem Schreien ermutigt. Dies dient der Auflockerung, aber auch dem Abbau von Hemmungen. 8 min Lockerung 4 min Klebeband, Zettel „Trifft zu 100 % zu“, Zettel „Trifft überhaupt nicht zu“ Ablauf Ablauf Am Boden wird in der Klasse ein langer Strich mit einem Klebeband gezogen. An das eine Ende kommt ein Zettel mit der Aufschrift „Trifft zu 100 % zu“, an das andere Ende jener mit „Trifft überhaupt nicht zu“. Dann werden nacheinander folgende Fragen gestellt, zu denen die Schüler/innen mittels der Skala des Meinungsbarometers Stellung beziehen sollen: Bei dieser kurzen Übung stellen sich alle Schüler/innen im Kreis auf und beginnen mit einer Atemübung: mehrmals tief ein- und ausatmen. Die Lehrkraft macht dies vor. Wenn alle ausgeatmet haben, gibt die Lehrkraft ein vorher vereinbartes Zeichen (beispielsweise: zweimal in die Hände klatschen). Auf dieses Signal sollen alle so laut wie möglich „Stopp“ schreien. Dies kann im Anschluss nochmals wiederholt werden. ➜ Es ist toll in einer Gesellschaft zu leben, deren Mitglieder viel Zivilcourage besitzen und zeigen. ➜ Ich finde es gut, wenn sich jede/r um ihre/seine Angelegenheiten kümmert und sich nicht einmischt. ➜ Es bringt nichts, gegen Vorurteile und Parolen einzutreten. Danach wird die Übung nochmals durchgeführt, allerdings wird das Zeichen zum lauten Schreien diesmal nach dem Einatmen und nicht nach dem Ausatmen gegeben. Pro Stopp-Schrei-Übung sollten etwa zwei Minuten eingeplant werden. (Quelle: Meyer, Gerd, u. a.) Auf Rückfrage der Lehrkraft sollen die Schüler/innen ihre Positionierung entlang des Meinungsbarometers begründen. Pro Frage stehen etwa zwei Minuten Antwortzeit zur Verfügung. Darauf soll geachtet werden: ➜ Die Schüler/innen sollen selbst entscheiden können, ob sie ihre Positionierung begründen möchten. ➜ Auch gegensätzliche Meinungen sollen akzeptiert werden. 9 3. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage StraSSenbahn Bei diesem Rollenspiel mit zwei Varianten werden Übergriffe in der Straßenbahn nachgestellt, bei denen Zivilcourage ausbleibt bzw. gezeigt wird. Die Schüler/innen sollen dabei die Unterschiede in der Reaktion und im Ausgang des Ereignisses selbst erfahren. Dadurch wird ihr Einfühlungsvermögen gefördert. Dies motiviert die Schüler/innen, sich für eigene oder andere Interessen einzusetzen. Zur Selbst- und Fremdreflexion wird angeregt. Abschließend sollen im Plenum nacheinander die einzelnen Gruppen befragt werden: ➜ Wie ist es den Angepöbelten/Opfern mit ihrer Rolle gegangen? ➜ Wie haben die Täter/innen ihre Rolle erlebt? ➜ Wie ist es den Fahrgästen mit ihrer Rolle ergangen? ➜ Was haben die Beobachter/innen empfunden? Rollenspiel, Reflexion 17 min Arbeitsblatt „Rollenkarten“ S. 19 Ablauf Zu Beginn werden verschiedene Darsteller/innen für das Nachspielen einer Szene in der Straßenbahn gesucht. Zwei Freiwillige erhalten die Rolle der Opfer (Opfer 1 + 2), die von zwei weiteren Schülern/innen (Täter 1 + 2) angepöbelt werden. Nachdem die vier Rollenkärtchen aus dem Arbeitsblatt verteilt worden sind, gehen die Schauspieler/innen aus der Klasse, um sich dort vorzubereiten. In der Mitte der Klasse werden währenddessen mehrere Stühle in einer Zweierreihe aufgestellt, die die Straßenbahn nachstellen soll. Einige Schüler/innen nehmen darauf Platz, um andere Fahrgäste zu mimen. Die Restlichen werden zu Beobachtern/innen. Noch während die Schüler/innen vor der Klasse ihre Rollen einüben, vereinbaren die Fahrgäste ihr Vorgehen: Variante 1: Die Fahrgäste greifen nicht ins Geschehen ein, auch wenn sie dazu aufgefordert werden. Sie ignorieren die Szene gänzlich. Variante 2: Die Fahrgäste greifen nicht sofort ins Geschehen ein, sondern erst nach einem vereinbarten Zeichen durch die Lehrkraft. Methodikinput Rollenspiel Beim Rollenspiel sollen in einer lebhaften Art und Weise Selbst- und Fremdbeobachtung, Empathie, Flexibilität, Offenheit, Kooperations-, Kommunikations- und Problemlösungsfähigkeit geschult werden. Dabei ist darauf zu achten, dass beim Ablauf vier Phasen durchgemacht werden: Einstiegs-, Spiel-, Ausstiegs- und Reflexionsphase. Die Einstiegsphase ist dazu gedacht, in die Rolle zu finden, um beim Rollenspiel möglichst frei und locker, aber mit Bedacht auf die Vorgaben, seine/ihre Rolle spielen zu können. Hier sollte die Lehrkraft nur auf Anfrage Hilfestellung leisten. Auf die Vorbereitungszeit folgt die Spielphase. Nach dem Rollenspiel müssen die Schauspieler/innen aus ihren Rollen aussteigen. Dabei kann eine kleine Übung unterstützen: Alle Schüler/innen stellen sich im Kreis auf, hüpfen gemeinsam ca. fünfmal in die Höhe und schreien dabei: „Ich bin <Name> und <Jahreszahl> geboren.“ Darauf sollte eine offene Diskussion über die Empfindungen der Darsteller/innen in ihren Rollen folgen: „Wie hast du dich gefühlt, als du XY gespielt hast?“ Anschließend werden die Rollen – nicht die Personen, die diese gespielt haben – besprochen. In der Reflexionsphase werden das Thema, die Handlung, die Kontroverse sowie alternative Handlungsmöglichkeiten diskutiert. 10 Handbuch zur Zivilcourage 4. Vierte Unterrichtseinheit In der vierten Unterrichtseinheit werden Beobachtungen ausgetauscht und das Paraphrasieren geübt. Eigene Grenzen werden wahrgenommen und verteidigt. Abschließend wird Zivilcourage pantomimisch dargestellt. Hinweis: Diese Übung bedarf einer Hausübung im Vorfeld. Die Schüler/innern sollen über einen gewissen Zeitraum interessante Vorfälle im Zusammenhang mit Zivilcourage dokumentieren und Zeitungsartikel sammeln. Dazu erhält jede/r Schüler/in das Arbeitsblatt „Beobachtungen“ (Seite 20). Durch die kritische Beobachtung der Lebensumwelt der Schüler/innen wird geschult, Zivilcourage wahrzunehmen. Unter Anwendung des Paraphrasierens schildert jede/r Einzelne seine/ihre Ergebnisse. Dadurch lernen die Schüler/innen den Unterschied zwischen Gesagtem, Gehörtem und Verstandenem besser einzuschätzen. So aktivieren sie ihre selbstkritische Wahrnehmung, lernen andere Perspektiven kennen und üben einen wertschätzenden Umgang miteinander. ausgefülltes Arbeitsblatt „Beobachtungen“ S. 20 In Gruppen zu je drei Personen werden von den Schülern/innen ausgewählte Fälle aus den Beobachtungen besprochen. Jede/r der drei Schüler/innen hat dazu drei Minuten Zeit. Das ausgefüllte Arbeitsblatt kann zur Hand genommen werden. Dabei spricht immer nur eine/r. Eine weitere Person hört zu und stoppt die Zeit. Die dritte Person schreibt das Erzählte mit. Am Ende sollte jede/r Schüler/in jede Rolle einmal übernommen haben. Abschließend geben die Schüler/innen der Reihe nach jene Schilderungen wieder, die sie protokolliert haben. Die beiden anderen formulieren dazu ihr Feedback: ➜ Ja, das habe ich so gesagt/verstanden. ➜ Nein, das habe ich so nicht gesagt/verstanden. Beobachtungen Hausübung, Paraphrasieren Ablauf 18 min Arbeitswissen „Zuhören“ In vielen Situationen entwickeln sich Konflikte durch Übertragungsfehler zwischen dem Aussenden und dem Empfangen einer Botschaft: Gemeint ist nicht gesagt, gesagt ist nicht gehört, gehört ist nicht verstanden, verstanden ist nicht einverstanden, einverstanden ist nicht angewendet, angewendet ist nicht beibehalten. Um eine verständnisvollere Kommunikation zwischen Menschen zu ermöglichen, hilft es, zu überprüfen, welche Botschaft angekommen ist. In diesem Zusammenhang sei auf das Prinzip des „Beobachtens ohne Bewerten“ aus der „Gewaltfreien Kommunikation“ hingeweisen, das unter anderem in der interkulturellen Kommunikation sehr hilfreich sein kann. Der/Die Gesprächspartner/in erfährt Aufmerksamkeit und Wertschätzung, Missverständnisse können vermieden werden. 11 4. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage Stopp 1. Schritt Der/Die Angreifer/in bleibt beim ersten „Stopp/Anhalten“ sofort stehen. Bei dieser Übung stehen Selbstwahrnehmung und Selbstreflexion im Mittelpunkt. Die Schüler/innen spüren ihre Grenzen und lernen, wie weit sie gehen müssen, um Grenzüberschreitungen glaubwürdig zurückzuweisen. Reflexion 10 min Ablauf Diese Übung baut sich in mehreren Schritten auf. Zwei Personen stehen sich in sehr großem Abstand gegenüber (10m oder mehr). Eine/r ist der/die Angreifer/in, der/die andere ist Opfer. Der/Die Angreifer/in geht mit zügigem Schritt und böser Miene auf die andere Person zu. Diese hört auf ihre innere Stimme. Sobald sie ein ungutes Gefühl hat, nimmt sie eine selbstsichere Haltung ein, blickt dem/der Angreifer/in fest in die Augen und sagt laut und deutlich „Stopp“ oder „Anhalten“. 2. Schritt Die angreifende Person lässt sich nicht mehr vom ersten „Stopp“ beeindrucken und geht weiter auf das Opfer zu. Erst bei der zweiten Aufforderung, nicht weiter zu gehen, bleibt sie stehen. 3. Schritt Der/Die Angreifer/in bleibt erst dann stehen, wenn er/sie das Gefühl hat, besser nicht mehr weiter zu gehen. Also dann, wenn die Abwehrreaktion glaubwürdig ist. In der letzten Stufe kann es sein, dass die angegriffene Person mehrmals „Stopp“ rufen und richtig laut werden muss. Aber genau das ist Sinn der Übung: die Stimme einsetzen, laut werden, der Empörung freien Lauf lassen. (Quelle: http://www.eingreifen.de) Bei der Nachbesprechung sollen die Akteure/innen ihre Rollen mit Hilfe folgender Impulsfragen reflektieren: ➜ Wie ist es dir bei der Übung ergangen? ➜ Wie hast du dich in deiner Rolle gefühlt? ➜ Was hat dich überrascht? ➜ Was war unangenehm/angenehm? 12 4. Unterrichtseinheit Handbuch zur Zivilcourage Schnappschuss Das hier zu erarbeitende Statuentheater ermöglicht einen weiteren, neuen Zugang zu Zivilcourage. Nicht Worte oder Taten, sondern die bloße Wirkung eines Bildes steht im Vordergrund. Die Schüler/innen lernen dabei nicht nur andere Perspektiven kennen, sondern erarbeiten einmal mehr alternative Formen von Zivilcourage. Statuentheater, Diskussion 22 min Ablauf Die Dreiergruppen aus der Übung „Beobachtungen“ schließen sich zu drei großen Gruppen zusammen. Jede Gruppe einigt sich auf eine Beobachtung (Hausübung), die sie im Folgenden pantomimisch darstellt. Dabei sollen die Schüler/innen weder sprechen noch ihre Beobachtung nachspielen, sondern diese in Form eines „Standbilds“ ausdrücken. Standbild bedeutet dabei, dass die Akteure/innen versuchen, eine Szene in einem Bild einzufangen und, Statuen gleich, nachzustellen. Wichtig ist, dass die Darstellungen nicht nur die Szene zeigen, in der Zivilcourage gefragt ist, sondern auch den Teil, in dem Zivilcourage passiert. Wurde in der jeweiligen Beobachtung keine Zivilcourage gezeigt, so soll dieser Teil von den Schülern/innen erfunden werden. Nach der Vorbereitungszeit präsentieren die Gruppen der Reihe nach ihre Darstellung. Die Mitschüler/innen betrachten diese kommentarlos. Nach einer Minute wird das jeweilige Bild aufgelöst. Die Schüler/innen sollen nun folgende Fragen beantworten: ➜ An die Betrachter/innen: Was könnte das gezeigte Standbild darstellen? ➜ An die Schauspieler/innen: Was stellt ihr tatsächlich dar? ➜ An alle: Was ist die Zivilcourage in dieser Szene? ➜ An alle: Wem fällt eine alternative Form von Zivilcourage dazu ein? 13 arbeitsblatt „Was? Wie? Wo? Wer?“ Welche Gemeinsamkeiten haben die Geschichten? – wenn nein, wieso nicht? – wenn ja, wie? Hätte man dieser Situation auch aus dem Weg gehen können? War es mutig, hier einzugreifen? Was war hier die „Zivilcourage“? Wie ist es zu der Situation gekommen? Titel der Geschichte Handbuch zur Zivilcourage HandbucH zur zivilcourage 14 − Wie würdest du heute reagieren? − Was hättest du dir gewünscht, dass geschieht? − Wie hast du die Reaktionen anderer dabei empfunden? − Wie hast du dich verhalten? Denke an ähnliche Situationen wie im Film, die du erlebt hast! Handbuch zur Zivilcourage arbeitsblatt „Meine erfaHrungen“ HandbucH zur zivilcourage 15 arbeitsblatt „reaktionsMöglicHkeiten“ Welche Handlungen sollte man vermeiden? Welche Konsequenzen sollte man, eurer Meinung nach, im Zusammenhang mit Zivilcourage beachten? − Welche alternativen Reaktionsmöglichkeiten wären möglich gewesen? − Gab es Hilfestellungen und wenn ja, welche? Welche Situationen, in denen Zivilcourage gefordert war, habt ihr bereits erlebt? In der vierten Geschichte erfahren wir, wie ein Jugendlicher, durch intelligente Intervention, einem anderen hilft, einer Schlägertruppe zu entkommen. Wie hätte er alternativ handeln können? Um Vorurteile gegenüber fremden Traditionen und Rollenbildern geht es in der dritten Geschichte. Hier beweist eine ältere, Kopftuch tragende Österreicherin Zivilcourage, indem sie zwei junge Frauen direkt auf die Charakterlosigkeit ihres Verhaltens anspricht. Welche anderen Reaktionsmöglichkeiten hätte sie gehabt? In der zweiten Geschichte, an der Bushaltestelle, zeigt der jüngere Protagonist dem älteren „Lästerer“ ganz deutlich, was er von seinen und den Vorurteilen des Boulevardblattes hält. Hätte er auch anders reagieren können? Wie? Ausgrenzung kann bereits am Spielplatz, unter Kindern, beginnen. Wie hätten der Junge/das Mädchen aus der ersten Geschichte sonst noch reagieren können? Handbuch zur Zivilcourage HandbucH zur zivilcourage 16 Handbuch zur Zivilcourage arbeitsblatt „keine HeMMungen i“ Fall 1: Frau L. ist Afro-Österreicherin. Im Jänner fährt sie mit ihrer einjährigen Tochter mit der Wiener Straßenbahnlinie 43. Ein älterer, sichtlich angetrunkener Mann steigt ein. Frau L.s Tochter lächelt ihn an und winkt. Der Mann beginnt sofort, auf „die Ausländer“ zu schimpfen. Das Mädchen lächelt ihn noch einmal an. Daraufhin sagt der Mann zu ihr: „Du kleines N... lein.“ Frau L. steht auf und wendet sich verärgert an den Mann: „Sind’s jetzt einfach still!“ Er murmelt weiter. Frau L. wiederholt: „Sie haben mich schon verstanden, halten’s jetzt einfach ihre Klappe!“ Der Mann entfernt sich von ihr, schimpft jedoch weiter: „Die Ausländer, kan Wiener gibt’s mehr in der Stadt!“ Niemand außer Frau L. spricht den Mann auf seine rassistischen Aussagen an. Fall 2: Eine junge Frau mit Kopftuch schiebt im Oktober einen Kinderwagen mit Zwillingen durch die Wiener U-Bahn-Station Volkstheater. Neben ihr gehen noch zwei weitere Kleinkinder. Eine ältere Frau kommt ihnen am Bahnsteig entgegen und meint: „Wie viele Kinder wollen sie noch kriegen?“ Die junge Muslima erwidert, dass sie das wohl kaum etwas anginge. Daraufhin konstatiert die alte Frau, begleitet von anzüglichen Handbewegungen: „Ihr kommt’s hierher und könnt’s nur Kinder machen!“ Die junge Mutter geht weiter, ohne sich umzudrehen. Fall 3: Frau I. berichtet ZARA im Oktober von folgendem Vorfall. Zwei Männer, beide etwa 50 Jahre alt, gehen zügig auf die U-Bahn-Station Reumannplatz zu und skandieren dabei laut: „Ju-den-schwei-ne! Judenschwei-ne!“ Fall 4: Frau K. meldet ZARA im Februar, dass sich auf dem Auto eines Nachbarn ein Aufkleber befindet, auf dem der Prophet Mohammed als Schwein abgebildet ist, darunter steht der Schriftzug „Islam Nein Danke“. HandbucH zur zivilcourage Fall 5: Herr A. ist gambischer Staatsbürger, er lebt und arbeitet in Wien. Eines Abends im April befindet er sich auf dem Heimweg und besteigt in Grinzing einen Wagen der Straßenbahnlinie 38. In der Nähe der Türe sitzen drei ältere Herren und zwei Damen im gleichen Alter. Als einer der beiden auf Herrn A. aufmerksam wird, sagt er zu seinem Sitznachbarn: „Schau, da kommt ein Schwarzer!“. Der Sitznachbar erwidert: „Schieß den einfach ab und schmeiß’n raus aus der Bahn.“ Die Gruppe lacht aus vollem Herzen, bis einer der Herren bemerkt, dass Herr A. ihn entsetzt ansieht. Der Mann ermahnt daraufhin seinen Bekannten: „Pass auf, ich glaub, der kann uns verstehen.“ Fall 6: Herr B. ist nigerianischer Staatsbürger und wohnt mit seiner Ehefrau im 10. Wiener Gemeindebezirk. An einem Märzabend gegen 20 Uhr geht er aus seiner Wohnung auf die Straße, um bei einem nahe gelegenen Automaten Zigaretten zu kaufen. Als er zum Eingang seines Wohnhauses zurückkehrt, bemerkt er zwei junge Männer im Alter von etwa 25 Jahren vor dem Gebäude. Als er an ihnen vorbeigeht, ruft man ihm zu: „Servus N...!“ Herr B. ignoriert die rassistische Beleidigung und geht an dem Mann vorbei. Plötzlich sagt der zweite junge Mann: „Scheißn..., was machst du in Österreich? Wir sind Skinheads und töten N...!“ Als sich Herr B. umdreht, versetzt ihm einer der Männer mit einer Weinflasche einen Schlag mitten ins Gesicht, wodurch ihm eine offene Wunde an der Lippe zugefügt wird und drei Zähne anbrechen. Herr B. verliert kurz das Bewusstsein und fällt zu Boden, die Männer treten auf ihn ein. Passanten/innen, die den Vorfall sehen und seine Hilfeschreie hören, kommen Herrn B. nicht zu Hilfe. Plötzlich zückt einer der Angreifer ein Springmesser. Mit letzter Kraft springt Herr B. auf und läuft davon. Im Laufen versucht er, mit seinem Handy die Polizei zu rufen. Die beiden Männer verfolgen ihn, einer ruft: „Nimm ihm das Handy weg!“ Herr B. kann ein herannahendes Auto anhalten und den Fahrer um Hilfe ersuchen. Die Angreifer sehen dies und verstecken sich in einer Wohnhausanlage. Herr B. schafft es, die Polizei und seine Ehefrau zu verständigen... 17 Handbuch zur Zivilcourage arbeitsblatt „keine HeMMungen ii“ Fall 7: Frau O. ist Lehrerin an einem Gymnasium. Im Rahmen eines einwöchigen Schulausfluges besucht sie mit 40 Schülern/innen und drei Kollegen/innen das Konzentrationslager Auschwitz in Polen. Sie ersucht ZARA, die während dieses Ausfluges von ihren Kollegen/innen getätigten Aussagen zu dokumentieren: „Die Scheiß Zigeuner, das Gesindel“, „Es gibt eben völkische und rassische Unterschiede“, „Diese Leute [Anm.: gemeint sind Einwohner/innen arabischer Staaten/Diktaturen] kann man nicht anders regieren“, „Die Türken halten sich nicht an die österreichischen Gesetze“, „Die Ungarn und die Tschechen halten sich nicht an die österreichische Straßenverkehrsordnung“, „Ich habe nicht viel zur Erhaltung der Menschheit beigetragen. Ich habe nur zwei Kinder in die Welt gesetzt. Zwei Kinder erhalten die Art, drei die Rasse“. Fall 8: Frau T. arbeitet in einer öffentlichen sozialen Beratungseinrichtung in Wien und informiert ZARA im September telefonisch über folgende Vorfälle: Eine ihrer Kolleginnen fällt seit einiger Zeit mit ausländerfeindlichen Aussagen auf. So meint sie in einer E-Mail, in der sie um Urlaub ersucht, dass sie an diesen Tagen „eh keine Tschuschen-Familien zugeteilt“ bekommen habe. Beim Mittagstisch äußert sich die Kollegin über ihre Klienten/innen: „Die werden‘s bald merken, die Tschuschen, dass ich sie nicht will.“ Fall 9: In einer Wiener Straßenbahn unterhalten sich zwei junge Männer. Frau S. vermutet, dass die beiden oder ihre Eltern philippinischer Herkunft sind. Als einer der beiden Männer aussteigt, wendet sich eine ältere Frau an den zweiten Mann und erkundigt sich, woher er komme. Dieser antwortet, dass er Österreicher sei und in Wien geboren wurde. Darauf erwidert die Frau, dass er kein Österreicher sein könne, da nur Weiße Österreicher seien. Der junge Mann antwortet darauf nicht mehr. HandbucH zur zivilcourage Fall 10: Frau P. und ihre Schwester fahren im Oktober mit der Wiener Schnellbahn. Während der Fahrt unterhalten sie sich teilweise in Deutsch und in ihrer Muttersprache Arabisch. Dies stört zwei andere Fahrgäste, sie beginnen, die beiden als „arabische Schlampen“ zu beschimpfen. Außerdem drohen sie den beiden, dass sie „vergast und verbrannt gehören“ und zünden zur Bekräftigung ihrer Aussage mehrmals ihre Feuerzeuge an. Die Belästigungen und Beschimpfungen dauern etwa fünf Minuten. Während des ganzen Vorfalls verhalten sich Frau P. und ihre Schwester ruhig, damit die Situation nicht eskaliert. Leider werden sie von den übrigen Fahrgästen nicht unterstützt. Frau P. will den Vorfall lediglich dokumentiert wissen. Fall 11: Frau M. geht im Februar mit ihrem dreijährigen Sohn in einem Park in Graz spazieren. Ihr Sohn hat dunkle Haare. Als sie sich dem Spielplatz nähern, werden sie als „Türkenbagage“ beschimpft. Ihr Sohn möchte trotzdem auf dem Spielplatz mit einem anderen Kind spielen. Dessen Vater schreit Frau M.s Sohn plötzlich an: „Schö Di [Steirisch für „Schleich Dich!“, Anm.], Du klanes Türkenschwein!“ Fall 12: In einem Artikel auf der Homepage eines österreichischen Radiosenders wird über den Film „Operation Walküre“ berichtet. Ein Poster schildert einen Vorfall, den er im Anschluss an die Vorstellung dieses Films in einem Wiener Kino erlebt hat: Als der Abspann beginnt, springen einige Kinobesucher auf und schreien laut: „Hoch lebe Adolf Hitler!“ Fall 13: Frau U. steht Anfang September am Wiener Schottentor. Als es zu einer Auseinandersetzung zwischen Taxifahrern kommt, bei der es offenbar um die Standreihenfolge geht, beschimpft ein Fahrer seinen Kollegen mit schwarzer Hautfarbe und meint, er solle „zurück nach Hause auf seinen Baum“ gehen. Als sich Frau U. angesichts dieser rassistischen Beleidigung einmischt, werden ihr Prügel angedroht. Sie verlässt den Ort des Geschehens. 18 Halbbruder von „Opfer 1“ etwa 30 Jahre alt Student Halbbruder von „Opfer 2“ etwa 55 Jahre alt Arzt eines Krankenhauses Täter 2 helle Hautfarbe ehemaliger Kollege von „Täter 1“ etwa 32 Jahre zur Zeit arbeitslos spricht im Dialekt Deutsch österreichischer Staatsbürger helle Hautfarbe ehemaliger Kollege von „Täter 2“ etwa 28 Jahre Elektrotechniker spricht im Dialekt Deutsch österreichischer Staatsbürger geboren und aufgewachsen in den USA Täter 1 österreichischer Staatsbürger spricht perfekt Deutsch dunkle Hautfarbe dunkle Hautfarbe spricht nur Englisch Opfer 2 Opfer 1 Handbuch zur Zivilcourage arbeitsblatt „rollenkarten“ HandbucH zur zivilcourage 19 arbeitsblatt „beobacHtungen“ Es gibt Situationen, in denen zivilcouragiertes Handeln ausbleibt. Was könnten Gründe dafür sein? Hast du auch über Situationen/Vorfälle gelesen, in denen es Zivilcourage gebraucht hätte? Beschreibe die Situationen: Hast schon einmal über Zivilcourage gelesen und wenn ja, wo? Beschreibe die Geschichte: Hast du schon einmal Situationen erlebt/beobachtet, in denen Zivilcourage vonnöten gewesen wäre? Beschreibe die Situation: Hast du in deinem Alltag bereits Situationen erlebt/beobachtet, in denen zivilcouragiert gehandelt wurde? Beschreibe die Situation: Handbuch zur Zivilcourage HandbucH zur zivilcourage 20 Vertiefung Links und Literatur Workshops & Co Gugl, Günther (2010): Zivilcourage lernen, Tübingen. http://www.friedenspaedagogik.de/content/download/6584/35543/file/ Kapitel%204.1.pdf Trägerorganisationen von Land der Menschen bieten ein vielfältiges Angebot für eine vertiefende Auseinandersetzung mit den Themen des Medienpakets „Sichtweisen – Integration, Legal, Vorurteile, Handbuch zur Zivilcourage“ an. Diese Maßnahmen umfassen etwa organisierte Schulbesuche von Personen mit Migrationshintergrund, thematische Workshops, Planspiele, den Verleih von ergänzenden Arbeitsmaterialien und Pakete für den außerschulischen Jugendbereich. Koblank, Robert: Was versteht man unter „Zivilcourage“? http://www.georg-elser-arbeitskreis.de/texts/zivilcourage-begriff.htm Kotalakidis, Nikolaos (1999): Von der nationalen Staatsangehörigkeit zur Unionsbürgerschaft, Baden-Baden. Meyer, Gerd: Was heißt Zivilcourage heute? http://www.gemeinsinn.de/assets/files/Vortrag_Zivilcourage_heute_230905.pdf Einen aktuellen Gesamtüberblick über die Angebote der Trägerorganisationen von Land der Menschen – Aufeinander Zugehen OÖ finden Sie auf unserer Homepage: www.landdermenschen.at Meyer, Gerd, u. a. (2004): Zivilcourage lernen – Analysen, Modelle, Arbeitshilfe, Tübingen. http://www.bpb.de/publikationen/K74L8K,0,Zivilcourage_lernen% 3A_Analysen_%96_Modelle_%96_Arbeitshilfen.html http://www.eingreifen.de/html/uebungen-zivilcourage-eingreifen.de.html http://www.psychologie.uzh.ch/fachrichtungen/motivation/zivilcourage/ zivilcourage.html http://www.zara.or.at/index.php/beratung/rassismus-report Impressum: Medieninhaber und Herausgeber: Verein Land der Menschen – Aufeinander Zugehen OÖ Kapuzinerstraße 84, A-4021 Linz, T +43 732 678883 [email protected], www.landdermenschen.at Pädagogisches Konzept: Mag. Reinhard Leonhardsberger MA Redaktion: Mag.a Melanie Zach, Mag. Reinhard Leonhardsberger MA Lektorat: Mag.a Katja Fischer MAS Satz und Gestaltung: Richard Fischer Druck: Pecho-Druck GmbH, Linz 1. Auflage 2012 © Alle Rechte vorbehalten 21
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