SAP PARTNER Round Table Noch längst nicht soweit Wo drückt Personaler der Schuh, wenn es um den Einsatz der richtigen Software geht? Ist es das Thema Digitalisierung, Analytics und Big Data oder sind es agile Arbeits- und Managementtechniken? Wie sieht die HR-Softwarewelt in fünf Jahren aus? Diese Themen sorgten für einen anregenden Meinungsaustausch beim Round Table der Personalwirtschaft. enn zur „Digitalisierung“ aufgerufen wird, stellt sich berechtigterweise die Frage, worum es dabei eigentlich geht. Nicht selten sind, trotz jahrelanger Diskussion um Software und mehr Prozessorientierung, oft nicht einmal die einfachsten Prozesse wirklich durchgängig digitalisiert, heißt, mittels Softwareunterstützung umgesetzt. Das gilt insbesondere im Personalumfeld. „Für viele bedeutet das Thema Digitalisierung im ersten Schritt, verstärkt auf ITInstrumente zu setzen“, kommentiert Marcus Reidenbach, Partner bei der Promerit AG, die Diskussion um Digitalisierung. „Aber Digitalisierung bedeutet viel mehr“, betont er. „Es geht vor allem um die vollständige Digitalisierung der Prozesse und den durchgängigen Umgang mit und die Unterstützung durch entsprechende Softwarelösungen.“ Michael Kleine-Beckel ist Vertriebsleiter bei KWP. Er weiß, dass viele Kunden sich bewusst sind, dass sie im Rahmen der Digitalisierung von Prozessen noch viel vor sich haben. „Aber sie wissen oft selbst nicht“, so KleineBeckel, „in welcher Reihenfolge und was sinnvoll ist.“ „Wir müssen dann entscheiden, wie derlei Anforderungen über Projekte angegangen werden sollen und in welchen Schritten.“ „Und es geht natürlich auch um betriebswirtschaftliche Überlegungen sowie gleichzeitig um Themen wie die digitale Personalakte, die man auch brauchen könnte und die dann vielleicht auch noch über eine App auf dem Smartphone läuft.“ Auch für Dr. Martin Grentzer, Vorstand der aconso AG, ist Digitalisierung ein großes Thema. „Über die digitale Personalakte W 6 Sonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de wird dabei allerdings nicht mehr intensiv diskutiert“, weiß Grentzer. „Sie wird oft als gegeben angesehen. Denn dahin fließen am Ende eines Prozesses die Dokumente zur Archivierung.“ „Auf uns kommen Kunden heute mit Anfragen zu, die eine digitale Abbildung der gesamten Prozesskette wünschen.“ „Wichtig ist außerdem“, so Grentzer weiter, „wie ich überwachen und feststellen kann, wo genau mein Prozess steht?“ Das seien die Informationen, die die Personalabteilung über eine Art Cockpit oder Dashboard sehen wolle, ergänzt er. „Darüber hinaus geht es auch darum, wie die Dokumente sicher, aber zugleich einfach digital zur Verfügung gestellt werden, ohne teuren Papierversand.“ „Schauen Sie sich beispielsweise den Einstellungsprozess an“, erläutert Grentzer. „Da müssen unter anderem das Budget bewilligt, der Betriebsrat in den Prozess eingebunden und auch der Schriftverkehr mit dem Einzustellenden, bis zur Unterzeichnung des Vertrags, in digitaler Form abgebildet werden. Gleichzeitig muss hier noch die digital verifizierte Unterschrift darunter.“ „Und das ist immer noch schwierig, weil kaum jemand im Privatbereich über die qualifizierte digitale Signatur verfügt.“ Alles, was hausintern zu erledigen sei, die Abstimmungen mit dem Betriebsrat und alle weiteren Vorgänge, ließe sich innerhalb des Unternehmens über ein entsprechendes Verfahren mit Freigabeprozessen digital abbilden, kommentiert er diesen Prozess. Noch viel Spielraum Aber: Wie sehen die praktischen Erfahrungen wirklich aus? In der Runde ist man sich einig, dass der Digitalisierungsprozess, insbesondere in vielen Personalabteilungen, noch erheblich optimierbar ist. Frank-Reiner Groß, Partner bei Kivala, weiß, dass die Digitalisierungsanforderungen bei Kunden nicht selten auf einer viel tieferen, eher noch trivialen Ebene liegen können: „Ein einfaches Kundenbeispiel: Dort wollte man nur wissen, wo sich die Manager aufhalten und wie man sie am schnellsten erreichen kann“, erzählt er. „Die Verbindung von SAP-HCMAbwesenheiten in einem Teamkalender und der Mitarbeiterdaten aus der Administration, beides unter einer einheitlichen Oberfläche auf dem mobilen Telefon, und ein Jürgen Scholl (Herausgeber der Personalwirtschaft) und Professor Dr. Wolfgang Jäger (Hochschule RheinMain Wiesbaden) moderierten den Round Table. „ Für viele bedeutet das Thema Digitalisierung, im ersten Schritt verstärkt auf IT-Instrumente zu setzen. Marcus Reidenbach, Partner, Promerit AG „ Wichtig ist: Wie kann ich überwachen und feststellen, wo genau mein Prozess steht? Dr. Martin Grentzer, Vorstand, aconso AG simpler Fingerdruck auf die Telefonnummer – auch das ist“, so Groß „bereits Digitalisierung“. Dabei ist das Thema gar nicht so neu. „Schon vor vielen Jahren sprachen wir über die Nutzung von Employee Self Services und Manager Self Services zum Beispiel in Form von Urlaubsanträgen“, wirft Michael Kern, einer der Gründer und Geschäftsführer von sovanta ein. „Das entspricht allerdings nach wie vor nicht der Realität im Unternehmensalltag. Bei vielen unserer Kunden wurden in den vergangenen zehn bis 15 Jahren SAP-Systeme zur Unterstützung verschiedenster Themen eingeführt.“ „Durch die Nutzung neuer Endgeräte wie Smartphones und Tablets entstehen jedoch neue Anforderungen in der täglichen Nutzung“, so Kern weiter. „Insbesondere jüngere Mitarbeiter sind mit diesen Geräten großgeworden und drängen vermehrt in die Unternehmen.“ „Die kennen keinen SAP GUI und wollen sowas auch nicht kennenlernen“, frotzelt Kern. „Die Mitarbeiter kommen ins Unternehmen und gehen davon aus, dass sie das, was sie aus dem privaten Bereich gewohnt sind, jetzt auch an ihrem Arbeitsplatz nutzen können.“ Diese Erwartungshaltung, meint er, verursache auch neue technische Anforderungen, beispielsweise wie man einen Urlaubsantrag oder Ähnliches auf mobile Endgeräte bringen könne. „Wie wird eine durchgängige Verfügbarkeit auf verschiedenen Geräten sichergestellt, sodass intuitiv zu dem Gerät gegriffen werden kann, das zum Anwendungsfall passt?“ „Zum Beispiel liest man etwas auf dem Smartphone, schreibt aber eher auf dem Tablet oder dem PC“, erklärt Kern. „Hinzu kommt, dass man heute nicht mehr nur On-Premise-Systeme hat, sondern auch noch die Cloud. Der Anwender möchte allerdings einfach nur seine Aufgabe erledigen und sich keine Gedanken darüber machen, wo sich seine Daten gerade befinden.“ Dies erfordere Integrationsszenarien, um auf die veränderten Anforderungen zu reagieren, ergänzt Kern, die bei der großen Mehrzahl der Unternehmen erst umgesetzt werden müssten. Mit und ohne Cloud Vielfach erhoffen sich Systemhäuser durch die Zunahme des Cloud-Geschäfts auch eine stärkere Digitalisierung. Doch es scheint, als wäre das für einige Kunden, die zunächst weiterhin auf die als On-Premise bezeichne- ten Inhouse-Lösungen setzen, kein Argument, auf die Cloud umzusteigen. „Gibt es einen Grund, warum es zu einem Aufleben des On-Premise-Geschäfts gekommen ist?“, will Professor Wolfgang Jäger, der auch in diesem Jahr die Diskussion moderiert, wissen. Das könne, wirft Frank-Reiner Groß ein, daran liegen, dass ein großes Unternehmen, das erheblich in den Aufbau seiner bestehenden IT-Infrastruktur investiert habe, nicht mal eben auf die Cloud umschwenke. „Aber wir sehen“, fährt er fort, „auch hier bereits Bestrebungen, einzelne Prozesse in die Cloud zu verlagern. Dort wird dann vor allem das Wissen um Integration gefordert sein.“ Stefan Schüßler, Leiter Customer Value Sales bei SAP, meint dazu: „Die Mehrzahl der Projekte, die zurzeit im On-Premise-Bereich stattfinden, betreffen Kernprozesse. Im nächsten Schritt wird dann in den Unternehmen meistens darüber nachgedacht, ob man beispielsweise im Talent Management was aus der Cloud dazunimmt.“ „Ich denke, das ist ein Trend, wobei ich aber klar sehe, dass in einigen Unternehmen zurzeit der erste Schritt, die Optimierung der Kernprozesse in bestehenden On-Premise-Installationen, noch nicht abgeschlossen ist.“ Auch im ESS- und MSS-Umfeld sei für die Systemhäuser im On-Premise-Umfeld zurzeit noch genügend zu tun, fügt er hinzu. Die Frage, ob an den On-Premise-Kernlösungen weiterentwickelt werde, bestätigt er: „Vor allem auch, um den Trends zur Digitalisierung Rechnung zu tragen.“ Als Beispiel nennt er, neben der Payroll mit all ihren gesetzlichen Änderungen, auch HR Renewal, das mit renovierten Oberflächen und Prozessen ausgestattet ist. Im Kennzahlen-Blindflug HR-Analytics und Big Data im HR-Umfeld sind nach wie vor ein zentrales Thema – und damit auch für SAP und seine Partner. Auf der einen Seite stehen die, die schon seit Jahren die komplette Kennzahlen-Klaviatur spielen, und auf der anderen die, die im Kennzahlen-Blindflug ihr Unternehmen steuern, weil ihnen das Thema nahezu unbekannt ist. Wolfgang Jäger fragt deshalb in die Runde, wo die Unternehmen im Hinblick auf die VerSonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de 7 SAP PARTNER Round Table „ Wir als Berater sollten stärker tätig werden und unseren Kunden davon abraten, auf jeden Zug aufzuspringen. Frank-Reiner Groß, Partner, Kivala „ Es gibt noch wenige Szenarien, in deren Rahmen die Nutzung von Big Data eine Rolle spielt. Stefan Schüßler, Leiter Customer Value Sales, SAP knüpfung unterschiedlicher Daten zurzeit stünden? Dazu meint Marianne Gause, Vertriebsleiterin bei fidelis HR: „Die IT-Systeme und Lösungen ermöglichen es, operative und administrative HR-Aufgaben an die verantwortlichen Entscheider zurück zu verlagern, raus aus dem HR-Bereich.“ Die unternehmensweite Verfügbarkeit von HR-Informationen führe, so Gause weiter, zu einer nachhaltigen Veränderung der Aufgabenund Rollenmodelle. „Insbesondere bei unseren großen Kunden spüren wir deutlich, dass das Thema Business Analytics immer mehr in den Fokus rückt“, so Gause. „Zunehmend wollen die HR-Entscheider per Knopfdruck über ihr Smartphone Informationen zur aktuellen Unternehmenssituation abrufen, zum Beispiel zur Mitarbeiterstruktur oder zum Krankenstand.“ Für Martin Grentzer gleicht das Thema Auswertungen im Personalumfeld noch eher einem Flickenteppich, vor allem auch deshalb, weil das Generieren von Kennzahlen nicht immer gleich optimal gelinge. „Bei uns hat sich noch eine andere spannende Perspektive hinsichtlich der eigentlich eher ‚unspektakulären‘ digitalen Personalakte ergeben“, kommentiert er die Situation der 8 Sonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de Kundenanfragen. „Die digitale Personalakte verfügt über einen großen Schatz an Personaldaten aus den Dokumenten, die sie enthält.“ „Aber“, ergänzt Grentzer, „darauf kann nicht zugegriffen werden, wenn die Dokumente nur als Bild eingescannt wurden, ohne dass eine OCR-Software die Bilder zu Text umgewandelt hätte. Daher weiß eigentlich niemand, welche Informationen diese Akten wirklich enthalten.“ Dieser Datenschatz werde laut Grentzer in der Regel weder bisher gehoben noch wüssten die Personaler, auf welchem Reservoir an Daten sie sitzen. Nicht auf jeden Zug aufspringen Grundsätzlich sollten Personaler besser auf das Thema vorbereitet sein. Dem stimmt Frank-Reiner Groß zu: „Wir haben in diesem Umfeld im vergangenen halben Jahr viel Grundlagenarbeit im Bereich HR Analytics gemacht, zum Beispiel: Was sind überhaupt Kennzahlen und was wollen sie mir sagen?“ Hier sei es zielführend, mit einigen wenigen Kennzahlen zu beginnen, meint Groß. Wer heute noch nicht mit Kennzahlen arbeite und dann direkt mit vielen, der werde damit überfordert sein. „Wir als Berater sollten hier stärker tätig werden und unseren Kunden davon abraten, auf jeden Zug aufzuspringen. Besser ist es, erst einmal mal zu prüfen, was sie mit dieser oder jener Kennzahl überhaupt machen können!“ Viele Personaler können auch deshalb noch immer nicht viel mit derlei Datenwerk anfangen, weil sie kaum aktiv an der Umsetzung der Unternehmensstrategie teilnehmen (dürfen). „Eigene Studien haben gezeigt, dass Personaler oft nicht so strategisch denken, wie man sich das vorstellt oder sich das die Geschäftsführung oder der Vorstand möglicherweise wünscht“, erklärt Marcus Reidenbach in diesem Zusammenhang. „Das hat allerdings mehr damit zu tun, dass sie häufig seitens der Geschäftsführung nicht in strategische Prozesse eingebunden werden.“ „Oft“, weiß Reidenbach, „findet der Personaler auch nicht die Zeit, sich um strategische Dinge zu kümmern und sie aufzuarbeiten.“ No Big Data Wenn auch in den vergangenen Jahren immer wieder über den umfassenden Nutzen der intelligenten Verknüpfung und Auswertung großer Datenmengen gesprochen wird, scheint es für Big-Data-Analysen im Personalbereich zurzeit noch kaum nutzbringende Anwendungen zu geben. Das kann auch Michael Kern bestätigen: „Der Informationsbedarf ist sicherlich sowohl in der HR-Abteilung als auch im Business vorhanden, oft auch in Kombination mit weiteren Informationen.“ „Big Data in HR sehe ich bisher allerdings nicht als Thema. Auch weil ich bis heute keine entsprechenden Anwendungsszenarien kennengelernt habe, bei denen man binnen Sekunden wissen muss, ob und wo sich etwas verändert, und auch nicht die Menge an Daten, die angeblich irgendwo entstehen. Das betrifft, wenn überhaupt, vielleicht noch die Zeitwirtschaft in Verbindung mit Kapazitätsplanung.“ Stefan Schüßler bewertet die Situation folgendermaßen: „Es kommt bei dieser Diskussion auch ein wenig darauf an, wie Big Data im HR-Umfeld definiert wird. Big Data entsteht ja als Resultat einer zunehmenden Digitalisierung. Mehr und mehr Kommuni- kation und Interaktion zwischen Menschen untereinander und mit Maschinen lassen immer mehr Daten entstehen. Einige davon – etwa wie effizient ich ein Gerät bediene, mit wem ich in sozialen Netzwerken verknüpft bin et cetera – sind im weitesten Sinnen unstrukturierte HR-Daten. Hier stellt sich die Frage nach sinnvollen Prozessen, in denen solche Daten genutzt werden können und dürfen.“ „Es gibt allerdings noch wenige Szenarien, in deren Rahmen die Nutzung von Big Data eine Rolle spielt“, weiß Schüßler aus der Praxis. „Beispiele sind unter anderem Sentiment-Analysen, etwa zur Wahrnehmung des Employer Brands in sozialen Netzwerken.“ Das Datenthema werde oft noch aus einer anderen Sicht gesehen, wirft Vertriebsleiter Michael Kleine-Beckel ein. „Da stellen sich Fragen wie: „Wo hab ich denn überhaupt all die Daten, außer in der Akte? Stammdaten aktuell zu halten und zu pflegen ist eine aufwendige Aufgabe. Das kommt natürlich noch vor anderen Aufgaben wie beispielsweise Talent Management. Auch internationale Unternehmen sind noch auf diesem Niveau. Da spricht noch niemand über Big Data, während andere Firmen da schon viel weiter sind und eine Vielzahl von Auswertungen generieren können.“ Die Schnellen fressen die Schwerfälligen Bei einigen neuen IT-Themen müssen sich zunächst die Begrifflichkeiten festigen. So auch bei Agilität und agilem Management. Kurz: Es geht dabei um eine Methode der Projektorganisation in der Softwareprogrammierung. Mittels flacher Hierarchien, enger Teamarbeit und regelmäßig stattfindender Kurzmeetings werden Projekte effizient und schneller als im konventionellen Projektmanagement vorangetrieben. Doch: Wie stark beeinflusst das Thema die Systemhäuser heute und steht es für Personaler überhaupt im Fokus ihres Interesses? „Die Einführung von agilen Managementmethoden kommt eher schleichend“, ist für Michael Kern klar. „Das hat auch damit zu tun, dass heute keiner mehr Zeit hat und es im Management nicht mehr akzeptiert wird, dass ein „ Man muss akzeptieren, dass man ein großes Ziel nur in kleinen Schritten erreicht und somit auch nur kleinere Ergebnisse pro Schritt erzielt werden. Michael Kern, Gründer und Geschäftsführer, sovanta AG „ Insgesamt bietet Unified Talent Management enorme Möglichkeiten für Unternehmen – aber auch ebenso viele Herausforderungen. Marianne Gause, Vertriebsleiterin, fidelis HR Projekt beispielsweise drei Jahre dauert“, so der Experte für mobile Anwendungen. „Hierbei muss akzeptiert werden, dass man ein großes Ziel nur in kleinen Schritten erreicht und somit auch nur kleinere Ergebnisse pro Schritt erzielt werden. Da kommt es oft vor, dass man am Anfang noch nicht genau weiß, wo man am Ende herauskommt, auch wenn die Richtung klar ist.“ Auch Kostendruck spielt für den zunehmenden Erfolg agiler Methoden eine Rolle. „Heute wollen sich Unternehmen so verschlanken, dass sie am liebsten Best Practices abbilden wollen, eben weil die schlanker sind“, ist für Martin Grentzer klar. „Und weil es gegebenenfalls auch um ein kostengünstigeres Standardprodukt geht.“ Darüber hinaus, meint er, seien diese Anwendungen auch funktional nicht so überfrachtet und viele seien der Ansicht, dass sie damit auch wirklich schneller arbeiten könnten. Cloud-Lösungen bieten zwar, bedingt durch technologische Einschränkungen, weniger Flexibilität als On-Premise-Lösungen. Für Frank-Reiner Groß kann das aber auch vorteilhaft sein: „Wo beispielsweise früher drei Genehmigungsprozesse unabdingbar waren, ist heute eine einzige Genehmigung ausrei- chend. Diese Reduktion auf das Wesentliche bieten viele Cloud-Lösungen und der Ansatz der Vereinfachung hilft oft bei der Argumentation für die Cloud.“ „Wir stellen schon fest, dass die Umsetzung von Projekten mittels agiler Methoden zu sehr schnellen Ergebnissen führt“, bestätigt sein Kollege Marcus Reidenbach. „Wenn es um Zeitersparnis in diesem Kontext geht, dann sind wir natürlich auch gefordert, die Projekte in erheblich kürzeren Zeiträumen zu erledigen. Allerdings bräuchte man dann natürlich auch Kunden, die das Tempo mitgehen.“ Prozesse, Abteilungen oder ein ganzes Unternehmen darauf einzuschwören, verlangt vor allem den Willen, bestehende Strukturen und Vorgehensweisen zu verändern. Gerade bei diesem Thema gilt: Wer das nicht schafft, der hat langfristig verloren. Die agilen Firmen werden die schwerfälligen überdauern. Nach Ansicht von Marianne Gause ist das Thema klar eine Herausforderung für Unternehmen: „Agilität ist ein großes Thema, das sehr viele Facetten hat: Angefangen bei der Art und Weise der Zusammenarbeit, End-to-End-Prozessdenken, Mitarbeiter- und Kundenorientierung bis hin zum Prinzip der Selbstverantwortung.“ „Viele UnternehSonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de 9 SAP PARTNER Round Table men sind sicherlich in Teilaspekten bereits ‚agil‘“, fügt sie hinzu, „jedoch fehlt oftmals der ganzheitliche Rahmen, um von echter Agilität sprechen zu können. Einige unserer Kunden haben ihren HR-Bereich infrage gestellt und neu gedacht – dies erfordert jedoch Mut.“ „ Nicht alles, was zunächst technisch problemlos auf ein mobiles Endgerät, beispielsweise ein Smartphone, übertragbar ist, macht bei genauerer Betrachtung wirklich Sinn. Michael Kleine-Beckel, Vertriebsleiter, KWP Vereintes Talent Management? Wenn es um Digitalisierung und die Integration von Prozessen geht, heben sich heute vor allem die vielschichtigen Softwarelösungen im Talent Management mit ihren umfassenden Funktionen meist von den übrigen HR-Lösungen ab. Eine der Ursachen dafür könnte der Tatsache zu verdanken sein, dass die meisten großen Talent-ManagementLösungen mit Zusatzfunktionen, die über das reine Talent Management hinausgehen, angeboten werden. Den Begriff „Unified Talent Management“ könne man, um verständlicher zu machen, um was es geht, laut Marcus Reidenbach auch als integriertes Talent Management bezeichnen. Für ihn geht es dabei um die Frage, ob man sich für ein System oder einen Best-of-Breed-Ansatz im Sinne von „die beste Lösung zu jedem Thema“, entscheide. „Das gilt“, so Reidenbach, „beispielsweise für das Thema Analytics, das früher eher nicht in Suiten dabei war, es aber heute bei Unified Talent Management ist.“ „In diesem Zusammenhang geht es auch darum, dass man sich nicht umstellen muss, denn der Mitarbeiter will eben nicht fünf, sondern nur eine Oberfläche sehen, und darum, Daten nicht an verschiedenen Stellen, sondern nur über eine abzugreifen.“ Insbesondere die vielen Apps und das Internet setzten, wenn es um einheitliche Benutzeroberflächen gehe, die Standards, ergänzt SAP-Vertriebsexperte Schüßler. „Wichtig ist vor allem“, fordert er, „dass ein Mitarbeiter innerhalb seiner Aufgaben und Rollen möglichst gleiche Benutzeroberflächen vorfindet – egal, ob er als Shop Floor Manager gerade in einem Logistikprozess, im Einkauf oder bei der Genehmigung eines Urlaubsantrags ist.“ Marianne Gause weiß aus Erfahrung, dass zunehmend auch im Bereich Talent Management ein ganzheitliches Prozessdenken in den Vordergrund tritt. „Der gesamte Pro10 Sonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de zess des Employee Life Cycle wird über eine Plattform abgebildet und gesteuert, aktuelle Informationen und Analysen sind per Knopfdruck verfügbar“, ergänzt sie. „Insgesamt bietet Unified Talent Management enorme Möglichkeiten für Unternehmen – aber auch ebenso viele Herausforderungen, insbesondere in Hinsicht auf die Implementierung und intelligente Nutzung der Systeme.“ „Bei welchen Kunden ist es denn so, dass alle Prozesse in einem einzigen System abgewickelt werden und alle Informationen an einer Stelle zusammenlaufen?“, fragt indessen Frank-Reiner Groß. „Was hat man davon, wenn man verteilte und vor allem nicht integrierte Systeme hat? Wenn der RecruitingProzess abgeschlossen ist und wertvolle Informationen nicht an den Onboarding-Prozess weitergegeben werden? Und wenn auch dieser Prozess ohne Integration zu den nächsten Schritten abgewickelt wird und dann wieder aufhört - und so weiter und so weiter.“ „In einer solchen Situation“, so Groß, „lassen sich Daten nur sehr schwer ganzheitlich auswerten und die entsprechenden Informationen ableiten.“ Beim integrierten Talent Management ist nach Ansicht von Michael Kern nicht die IT-Unterstützung das Problem, sondern die Menschen, die damit arbeiten: „Hierbei sind insbesondere die definierten Unternehmensprozesse zum Talent Management von hoher Bedeutung und inwieweit die unterschiedlichen Fachabteilungen, das Recruiting, die Personalentwicklung und die Führungskraft miteinander kommunizieren.“ Marcus Reidenbach schlägt in diesem Zusammenhang vor: „Das System sollte entsprechend über Intelligenz verfügen. Schön wäre es“, so Reidenbach, „wenn man dem System eine einfache Frage stellen könnte und das System, in dem alle Prozesse laufen, würde dann das Ergebnis liefern.“ Für Michael Kleine-Beckel ist deshalb auch die Verfügbarkeit aller unterschiedlichen Informationen in einem System ein Argument für ein einheitliches System und gegen Best-of-Breed-Ansätze. Mensch – Maschine – Mensch Seit Smartphones nahezu alle Winkel privater und beruflicher Nutzung erreichen, wandelt sich auch die Welt konventioneller Softwareanwendungen. Überall steigt die Nachfrage nach einfach zu bedienenden, funktional weniger überfrachteten Lösungen. Selbstverständlich wollen und sollen alle Mitarbeiter in Unternehmen ebenso in den Genuss der neuen Einfachheit kommen – auch ohne Smartphone und Tablet. Für Michael Kern lässt sich der Trend hin zu mehr Vereinfachung und einfacherern Bedienoberflächen daran erkennen, dass Unternehmen massiv in diese Technologien investieren. „Wir merken ebenfalls sehr stark“, fügt Martin Grentzer hinzu, „dass man heute lieber Oberflächen ähnlich Facebook nutzt, die schön und einfach bedienbar sind. So wie die Menschen das aus dem Consumer-Bereich gewohnt sind, so möchten sie die Lösungen im Unternehmen bedienen können.“ SuccessFactors beispielsweise verfüge, so Grentzer, über Oberflächen, die den heutigen Wünschen der Nutzer entsprächen. Gilt das auch für die SAP-Kernsysteme? „Da passiert, schauen Sie die entsprechenden Apps und beispielsweise auch SAP Fiori an, schon viel“, weiß Michael KleineBeckel. „Die Anwendungen sind sehr Prozess-bezogen, beispielsweise wenn es um den Urlaubsantrag, Gehaltsnachweise, die Änderung von Stammdaten und Ähnliches geht. Derlei Programme werden immer auf die Prozessbezogen und sie werden von den Kunden nachgefragt.“ Natürlich sei es nicht so, dass eine Firma, die eine App einführen wolle, einfach nachfrage, was es in diesem Umfeld gebe.. Wenn es eine App gebe, die Sinn mache, würde man die dem Kunden natürlich anbieten. Allerdings: Nicht alles, was zunächst technisch problemlos auf ein mobiles Endgerät, beispielsweise ein Smartphone, übertragbar ist, macht bei genauerer Betrachtung wirklich Sinn. Dem schließt sich Stefan Schüßler an: „Es kommt auch darauf an, welche Kontextinformationen noch dazu benötigt werden. Nehmen Sie das Beispiel Urlaubsantrag. Natürlich kann ein Manager den von unterwegs genehmigen. Nur: Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch zu wissen, wie viele Projekte der Mitarbeiter beispielsweise in den nächsten zwei Wochen noch hat und was sonst noch ansteht. Von zu Hause aus am PC oder Laptop kann man das schon alles prüfen. Mit einem Smartphone ist das ungleich schwieriger. Deshalb bin ich der Meinung, dass die Erwartungshaltung an Apps in manchen Fällen schon etwas korrigiert beziehungsweise reduziert werden sollte.“ Was ist in fünf Jahren? Jedes Unternehmen will wissen, wie sich die Welt und speziell der Markt in den nächsten Jahren entwickelt. Orientiert sich die Entwicklung und Umsetzung der HR-Strategie an der Unternehmensstrategie, dann kommt Personalern eine tragende Rolle beim Erreichen der Unternehmensziele zu. Auf Professor Jägers Frage, wie die HR-Organisation 2020 aussehen könne, schlägt Frank-Reiner Groß vor: „Vielleicht sollte man von 2020 quasi nach hinten schauen und Fragen stellen wie: Wo kann HR heute Wert bringen? Oder welchen Wertbeitrag leistet HR in fünf Jahren? Wie erkenne beziehungsweise messe ich den Wert der Mitarbeiter? Wie kann ich diesen Wert positiv beeinflussen? Warum sind „ Vielleicht kommt der Druck schneller als wir das erwarten und dann müssen wir lieferfähig sein – mit Konzepten, Strategien und entsprechend anpassbaren Produkten. Professor Dr. Wolfgang Jäger, Hochschule RheinMain Mitarbeiter motiviert oder eben demotiviert? Warum gehen Mitarbeiter?“ „Das sind wichtige Kennzahlen“, so Groß. „Über so etwas müssten wir als Berater öfter mal nachdenken und unseren Kunden die entsprechenden Lösungsansätze vorstellen.“ Für Michael Kleine-Beckel ergeben sich die verändernden Faktoren eher zwangsläufig, weil der Druck auf die HR-Abteilungen auch durch das Industrie-4.0-Thema verstärkt werde. Er meint, anstatt über eine IT-Strategie 2020 zu diskutieren sollte man sich eher über das Thema Industrie 4.0 unterhalten, weil dann auch klar werde, welche Anforderungen 2020 an HR gestellt würden. Für Martin Grentzer steht 2020 klar der Mitarbeiter im Fokus, wie man ihn an das Unternehmen bindet und wie man ihn dazu bringt, digitale Systeme intensiver zu nutzen. Nach seiner Ansicht ist der Mitarbeiter nur bereit, sich einzubringen, wenn ihm die Arbeit Spaß macht. „Da geht es einfach um tolle Oberflächen und leichte und einfach zu bedienende Prozesse – auch mit einer App“, ist Grentzer überzeugt. „Menschen arbeiten doch viel lieber in einem Unternehmen, das tolle und fortschrittliche Systeme einsetzt, als in einem, das das nicht bieten kann.“ Nach Überzeugung von Marianne Gause werden 2020 Digitalisierung und Big-DataManagement technologische Kernkompetenzen sein. „Was bedeutet dies für die Personalabteilung?“, fragt sie. „Wie werden sich die Aufgaben verlagern und welche Aufgaben bleiben in der klassischen Personalarbeit übrig?“ Eine der zentralen Aufgaben von HR, so Gause, bestehe darin, sich rechtzeitig auf diesen Wandel einzustellen, die organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen und im Unternehmen erforderliche Kompetenzen zu entwickeln, also die Mitarbeiter gezielt zu befähigen. „Die Zukunft des Unternehmens proaktiv zu gestalten – das ist die größte Herausforderung für HR.“ Dennoch sind es, wie eingangs erwähnt, die Prozesse, die zunächst definiert werden müssen, bevor sie durch eine darüberliegende Software mit Leben erfüllt werden. Aus diesem Grund funktioniert eine HR-Strategie 2020 für Marcus Reidenbach über die Prozessreife in den einzelnen Bereichen. Er meint: „Eigentlich geht es darum, Veränderungsbereitschaft in den Unternehmen zu generieren, also eine Kultur zu schaffen, die in der Zukunft reaktionsfähig bleibt. Und in diesem Zusammenhang sollte Software aufgrund ihrer intelligenten Verknüpfungsmöglichkeiten dann stärker in der Lage sein, Antworten, auch für HR, zu liefern.“ Professor Jäger stellt abschließend die Frage, ob sich das Thema Employee Experience in einer HROrganisation, die auch IT-Entscheidungen trifft, durchsetzen werde? „Reicht hier der Druck der jüngeren Generation bereits für eine entsprechende Wahrnehmung in der Personalabteilung aus?“ „Der Druck kommt nicht allein über die jüngere Generation, sondern auch über Abteilungen, die dem Druck des Marktes stärker ausgesetzt sind, beispielsweise Vertrieb, Produktion, Service und Einkauf“, antwortet darauf Michael Kern. „Der starke Wunsch hierbei liegt in Vereinfachung, User Experience und Ähnlichem.“ „Vielleicht kommt der Druck schneller als wir das erwarten und dann müssen wir lieferfähig sein – mit Konzepten, Strategien und entsprechend anpassbaren Produkten“, resümiert Jäger. Ulli Pesch, freier Journalist, Heimstetten Sonderheft 11 | 2015 www.personalwirtschaft.de 11
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