WEIDMANN WAFFE & OPTIK Weite Schüsse Der Büchsenschuss auf große Distanzen ist immer ein Thema. Was sind die notwendigen Parameter, die dem Jäger das Ausloten gewisser Grenzen ermöglichen oder durch Anpassung, Optimierung und zielorientiertes Training möglicherweise noch erweitern lässt. – Teil 1: Ausrüstung und Verwendung in der Praxis. Norbert Steinhauser Ist der jagdliche Büchsenschuss auf große Distanzen jagdlich tragbar? Wenn ja, wo endet die Weidgerechtigkeit beim Weitschuss bei der Jagd? Statistisch gesehen sind Schussabgaben auf Schalenwild über 200 m nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Von allem erlegten Schalenwild in Österreich liegen nach groben Schätzungen die Schussabgaben über 200 m im 5 %-Bereich. Im Flachland wird im Normalfall die Notwendigkeit, auf große Distanzen zu jagen, nicht das Kriterium sein. Bei manchen Jagdgebieten sind Schüsse über 200 m allerdings keine Seltenheit. Daher stellt sich die Frage: Was muss der Jäger tun, um die Vorgaben der Jagd ethik und des Tierschutzes zu erfüllen? Wir dürfen eine bestimmte Perfekte Ausrüstung für den jagdlichen Weitschuss: Gewehr mit bester Schussleistung, Zielfernrohr mit Ballistikturm 36 ww0415_s3639.indd 36 Schussentfernung nicht als maximale weidgerechte Schussentfernung nennen. Vielmehr hat jeder Jäger in Abstimmung seines Könnens, der Büchse, des Kalibers, der Munition, der jeweiligen Witterungsverhältnisse und seiner Einstellung zur Jagd eine persönlich definierte Grenze, die nicht überschritten werden darf, festzulegen. Tierschutz und Jagdethik Bei einer jagdlichen Schussabgabe auf Wild muss die oberste Prämisse der Tierschutz sein. Die Vorgabe, dem Tier keine unnötigen Schmerzen zuzufügen, steht über allem. Daher muss eine Erfolgsaussicht auf eine rasche Tötung des Wildtieres bei einem jagdlichen Weitschuss kein un- verhältnismäßig größeres Risiko darstellen als bei einer jagdlichen Schussabgabe im Normalbereich. Trotz der sehr guten Schuss leistungen moderner Büchsen und Premium-Zielfernrohren, die große Schussdistanzen zulassen, muss der Jäger ein Vielfaches tun und nicht unerhebliche Vorarbeit leisten, um solche Schüsse in der Praxis auch umsetzen zu können. Wie immer liegt die Eigenverantwortung beim jeweiligen Jäger selbst. Büchse für weite Schüsse Büchsen für einen jagdlichen Weitschuss werden letztendlich über deren Schussleistung definiert. Die Büchse muss für solche Einsatzbereiche eine überdurchschnittliche Schussleistung aufweisen. Daher steht dies immer in Abstimmung mit der verwendeten Munition. Sollte eine Büchse auf 100 m bei fünf Schüssen einen Streukreisdurchmesser von 4 cm aufweisen, so ist auf 300 m eine Schussleistung nicht von Ø 12 cm zu erwarten, sondern wesentlich mehr. Der Grund liegt im längeren Einflussbereich der atmosphärischen Störeinflüsse, da das Geschoss zunehmend langsamer wird und damit länger den äußeren Einwirkungen ausgeliefert ist. Aus diesem Grund müssen Büchsen, die über eine Schussent fernung von 200 m eingesetzt werden, eine Schussleistung von WEIDWERK 4/2015 19.03.2015 15:34:36 WEIDMANN Kaliber und Geschosswahl Kann das Kaliber vom Jäger frei ausgewählt werden, dann sollten für diesen Aufgabenbereich rasante Kaliber, wie etwa 6,5×65 RWS, 6,5×68, 7 mm Rem. Mag., .300 WSM, .300 Win. Mag., .300 Weatherby Mag., gewählt werden. Wird auf stärkeres Wild mit höheren Wildbretgewichten gejagt, dann muss auch die 8-mmund 8,5-mm-Kalibergruppe, z. B. 8×68 S, .338 Lapua Mag. oder .338 Win. Mag., für einen jagdlichen Weitschuss überlegt werden. Allerdings können diese eher starken Kaliber mehr Probleme verursachen, als die flache Flugbahn des Geschosses Vorteile bringt. Schon das Erreichen der geforderten Schussleistung der Büchse in diesen starken Kalibern ist eine Herausforderung. Zusätzlich kommt noch die Umsetzung der Schützenleistung hinzu, welche viele Schützen mit starken Kalibern nicht mehr hinbekommen. Das heißt, wenn der Schütze nicht in der Lage ist, ein solches Kaliber beim praktischen Schuss in einen verlässlichen Zielzonentreffer um zusetzen, wäre es ratsam, einfach WEIDWERK 4/2015 ww0415_s3639.indd 37 An einen Schuss auf größere Distanzen ist nur zu denken, wenn alle Parameter auch wirklich passen Fotos Norbert Steinhauser maximal 3 cm Streukreisdurchmesser auf 100 m bei fünf abgegebenen Schüssen leisten können. Durch die kompaktere Bauart sind dabei zwangsläufig die Repetierbüchsen die erste Wahl, wenngleich auch Kipplaufbüchsen dafür geeignet sein können. Modernes Schaftdesign und Schaftgeometrie mit möglichst hoch angesetzter Schaftkappe und geradem Schaftrücken sowie richtige Schaftlänge, niedrige Montagehöhe und passende Montagelänge des Zielfernrohrs sind die Vo raussetzungen für gute Schützenleistung. Letztendlich zählt in punkto Büchse die technische Schussleistung, welche unter optimalen Bedingungen am Schießstand erhoben und überprüft werden muss. auf ein schwächeres Kaliber zu wechseln. Denn in einem solchen Fall kehrt sich der Vorteil der flachen Geschossflugbahn oder des hohen Energietransfers in den Nachteil eines schlechten Treffers am Wild um. Für die universelle Jagd sollte das Kaliber für größere Schussdistanzen nicht unter 7 mm gewählt werden. Wer sich Gedanken zu bleifreien Geschossen macht, sollte un bedingt rasante Kaliber ver wenden, da diese Kupfer- oder Messinggeschosse ein geringeres spezifisches Gewicht aufweisen und tendenziell mehr an Geschwindigkeit verlieren, als dies bei bleihaltigen Geschossen der Fall ist. Ein ganz wichtiger Aspekt bei weiten Schussentfernungen liegt in der eingesetzten Munition. Hier ist die Geschossform ein wesentlicher Parameter. Geschosse mit sehr schlanken und spitz zulaufenden Geschossspitzen haben einen großen Vorteil gegenüber Geschossen mit stumpfen Geschossspitzen. Bei schlechten Geschossformwerten (BC-Wert unter 0,3) verliert das Geschoss aufgrund des erhöhten Luft widerstandes wesentlich mehr an Geschossgeschwindigkeit, was zu nächst Auswirkungen auf die Außenballistik als auch auf die Tötungswirkung des Geschosses hat. Hier sei noch der Hinweis erlaubt, gerade bei bleifreier Munition solche aerodynamische Geschossformen zu wählen. Bei sorgsamer Auswahl eines Geschosses mit hohem BC-Wert, also aerodynamischen Geschossformen, kann der Jäger aus einer .30-06 Spr. fast die Performance einer .300 Win. Mag. (bei stumpfer Geschossform, unterschied lichem Geschossgewicht) herauskitzeln. Dieser Aspekt sollte insbesondere dann überlegt werden, wenn das Kaliber bereits vorhanden ist und nicht zu einem klassischen Weitschusskaliber zählt. Zielfernrohr in der Praxis Im Grunde sollten Zielfernrohre für Weitschüsse eine variable Vergrößerung, also mindestens 10fach, aufweisen. Variabel deshalb, da ansonsten das ZF, mangels Scharfstellung, nicht auf kurze Distanzen, wie etwa 50 m und darunter, eingesetzt werden kann. Eine höhere Vergrößerung hilft ungemein, da das Abkommen am Stück insbesondere auf große Distanzen leichter fällt. Man darf allerdings auch nicht verschweigen, dass eine hohe Vergrößerung für den Schützen mehr erkennbare Unruhe bedeutet und daher eine optimale Schießauflage bzw. Schießtechnik erfordert. Variable 37 19.03.2015 15:34:38 WEIDMANN Ballistikkappe, graviert auf die jeweilige Munition, und verriegelter Ballistikturm Absehenschnell verstellung mit Rasten einteilung zum raschen Justieren des Geschoss abfalles Zielfernrohre mit einer bis zu 15-fachen Vergrößerung sind prädestiniert für den Einsatz der Büchse auf größere Distanzen. Das Zielfernrohr sollte das Abkommen in der zweiten Bild ebene aufweisen. Damit ver größert sich das Absehen bei zunehmender Vergrößerung nicht mit. Der Jäger hat damit ein feines WEITE SCHÜSSE Voraussetzungen für einen jagdlichen Weitschuss über 200 m Schussleistung der Büchse max. Streukreis Ø 3 cm auf 100 m Schaftgeometrie, Schaftlänge, Montagehöhe, Montagelänge der Büchse müssen dem Schützen angepasst sein Repetierer und Kipplaufbüchsen sind dabei im Vorteil Variable Zielfernrohre mit Vergrößerung ab 10-fach, idealerweise 15-fach 50 bis 56 mm Objektivdurchmesser für universelle Jagdsituationen (Dämmerung) Abkommen in der zweiten Bildebene Ballistische Türme oder Absehenschnell verstellungen (bevorteilt verriegelbar) sind zu empfehlen Nicht vergessen: Ballistische Türme oder ASV nach dem Einsatzschuss wieder auf die Grundeinstellung zurücksetzen Ballistikkappen oder Ringe mit Gravur, abgestimmt auf die jeweilige Laborierung helfen, Justierfehler zu vermeiden Ohne ASV sollte die Schussdistanz je nach Erfahrung des Schützens weidgerecht reduziert werden Parallaxejustierung am Zielfernrohr vorteilhaft 38 ww0415_s3639.indd 38 Abkommen und kann deshalb exakter am Stück abkommen. Der Objektivdurchmesser spielt dabei eine etwas untergeordnete Bedeutung, da auf große Distanzen zwangsläufig nur bei ausreichend gutem Licht geschossen werden kann. Trotzdem sind Objektivdurchmesser von 50 mm bis 56 mm empfehlenswert, da sie auf Normaldistanzen auch bis weit in die Dämmerung hinein eingesetzt werden können. Eine gewinnbringende Innovation sind die Absehenschnellverstellungen (ASV) oder ballistische Türme an Zielfernrohren, welche in relativ kurzer Zeit eine Absehenkorrektur ermöglichen. Der Schütze kann damit das Stück Wild direkt am Haltepunkt anvisieren und braucht nicht den Geschossabfall durch „Drüberhalten“ zu korrigieren. Dabei ist zu beachten, dass die Abstimmung des Geschossabfalls an der ballistischen Schnellverstellung in der Praxis vom Schützen selbst erprobt bzw. überprüft werden muss und nicht einfach vom Büchsenmacher übernommen werden kann. Veränderter Schulterdruck oder beim Einschießen verwendete Einschussböcke können zwischen Büchsenmacher und Jäger gravierende Abweichungen herbeiführen. Beachten sollte der Jäger, dass der ballisti- sche Turm in irgendeiner Art verriegelt werden kann, damit er beim Handhaben der Büchse (Transport, Birsch) nicht versehentlich verstellt wird. So gut diese Innovationen auch sind, ein häufiger Fehler im Einsatz eines solchen ballistischen Turmes ist die Tatsache, dass er in der Hitze des Gefechts nach der Schussabgabe nicht mehr auf die Grundeinstellung zurückjustiert wird. Der nächste Schuss kommt bestimmt und dieser geht dann mit Sicherheit drüber, sollte auf diese Rückstellung vergessen worden sein. Firmen, wie z. B. Swarovski, Zeiss etc., bieten bereits auf die jeweilige Laborierung gravierte Ballistikkappen oder Ballistikringe an, die auf den ballistischen Türmen angebracht werden können. Fehler bei der Einstellung der jeweiligen Schussentfernung können damit weitgehend hint angehalten werden. Hat ein Zielfernrohr keine ASV oder keinen Ballistikturm, so bleibt dem Jäger nur noch die Möglichkeit, den Geschossabfall durch ein erhöhtes Anvisieren am Stück (Haltepunkt ist höher als der erwartete Treffpunkt) zu egalisieren. Dies bedeutet aber auch die schwierigste Disziplin beim Weitschuss. Zum einen muss der Geschossabfall in Zentimetern auf der jeweiligen Entfernung bekannt sein und zum anderen muss auch der Jäger wissen, wie groß die Blatthöhe des zu erlegenden Wildes ist. Nur so kann er abschätzen, um wie viel er direkt am Stück höher anhalten muss, um die Mitte des Blattes zu treffen. In der Praxis trauen sich die wenigsten Jäger zu, außerhalb des Wildkörpers anzuvisieren, weil sie Angst haben, das Stück zu überschießen, obwohl dies vielleicht notwendig wäre. Diese „Drüberhaltetechnik“ ist nur von jenen Jägern anzuwenden, die den jeweiligen Geschossabfall genau im Kopf haben und dies auf Schießständen zur Genüge auf Wild- WEIDWERK 4/2015 19.03.2015 15:34:41 Fotos Norbert Steinhauser Die Entscheidung zu TREFFEN Parallaxeausgleich ist bei Zielfernrohren ab 12-facher Vergrößerung notwendig scheiben in realistischer Größe geübt haben. Ohne ASV sollte die maximale Schussdistanz doch wesentlich reduziert werden. Ab 12-facher Vergrößerung sollte das Zielfernrohr über einen Parallaxeausgleich verfügen. Dies ist bei großen Distanzen wichtig, denn ein schräger Einblick in das Zielfernrohr sorgt schon allein aus diesem Grund für einen veränderten Treffpunkt. Auch die durchgehende Scharfstellung auf allen Distanzen ist damit gewährleistet. Wie justiert man die Parallaxeeinstellung rasch in der Praxis? Einfach zentral in das Zielfernrohr blicken und so lange an der Bedienschraube der Parallaxe- justierung drehen, bis das Bild am Objekt scharf ist, dann passt auch die Einstellung der Parallaxe. Natürlich kann die Parallaxeeinstellung auch auf die bereits für diesen Weitschuss bekannte Entfernung nach Skala eingestellt werden. Gerade bei einem jagdlichen Weitschuss ist es die Stärke des Jägers, aufgrund ungünstiger Einflüsse oder unbekannter, aber notwendiger Parameter letztendlich von einer Schussabgabe Abstand zu nehmen. Eine Frage der Ehre . . . 2. Teil: Weitschuss in der jagdlichen Praxis, vom Schießplatz bis ins Revier. PROFESSIONAL SUCCESS Dank völlig neu konzipierter Schäftung bleiben Schießhand und -arm bei jeder Anschlagsart völlig entspannt. Die wichtigste Voraussetzung für konstant gutes Treffen. Abgabe von Waffen nur an Inhaber einer Erwerbserlaubnis. Kodiak.de 2015 So muss auf einen Mufflonwidder auf 250 m anvisiert werden, wenn das Kaliber einen Geschossabfall von 20 cm auf diese Distanz haben würde www.blaser.de WEIDWERK 4/2015 ww0415_s3639.indd 39 39 Import und Fachhandels-Auskunft: Idl GmbH · Südbahnstr. 1 A-9900 Lienz · [email protected] 19.03.2015 15:34:44
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