Dieter Läpple Dialog der Kulturen „Olympia als Chance für Weltoffenheit und Vielfalt“ 8. Nov. 2015 Olympia in der Ankunftsstadt Erlauben Sie mir eine Bemerkung vor ab: Ich möchte Ihnen nicht sagen, ob Sie bei dem anstehenden Referendum mit Ja oder Nein stimmen sollen. Meine Aufgabe sehe ich primär darin, Probleme und Chancen einer Hamburger Olympiabewerbung aufzuzeigen sowie mögliche Handlungsansätze zur Diskussion zu stellen. Zunächst ein Blick zurück: Die olympische Idee wie sie Ende des 19. Jahrhunderts entstanden ist, hatte eine beeindruckende utopische Kraft: Basierend auf den Grundprinzipien der Internationalität, der Völkerverständigung und des olympischen Friedens sollte sich die Jugend der Welt an einem Ort treffen, um sich im „waffenlosen Wettstreit“ zu messen und sich nicht auf den Schlachtfeldern bekämpfen und gegenseitig umbringen. Olympia hat sich zunächst als eine Art „Wanderzirkus“ des Weltsports etabliert, der – nach dem Vorbild der großen Weltausstellungen – ein internationales Publikum in die Metropolen locken sollte. Obwohl das Credo hieß: „Dabei sein ist alles“, wurden die Olympischen Spiele immer mehr dominiert von dem Motto: „schneller, höher, stärker“. Diese ging einher mit einer zunehmenden nationalen Rivalität und auch schon sehr früh, mit Versuchen durch medizinische Manipulationen die sportlichen Leistungen zu steigern. Trotz ihrer überzeugenden Friedensbotschaft konnten die Olympische Bewegung – wie wir alle wissen – Kriege nicht verhindern. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde mit dem 1. Weltkrieg statt eines „Weltfest des Sports“ ein „Weltfest des Todes“ gefeiert – wie Thomas Mann es formulierte. Und darauf folgten in diesem „Zeitalter der Extreme“ die Schrecken und Gräuel des 2. Weltkrieges, Völkermord und Massenvertreibungen. Aber die olympische Idee lebte weiter. 1 Mit dem Aufkommen der Massenmedien wurde Olympia zu einer globalen Inszenierung. Kommerzialisierung und Gigantismus erfuhren eine neue Dimension und der sportliche Wettkampf, musste sich immer stärker dem Kampf um Einschaltquoten und Werberechte unterordnen. Es ist wohl der tief verwurzelten Faszination für den Sport zu verdanken, dass die olympischen Spiel, trotz all dieser Deformationen überlebt haben; und es immer wieder versucht wird, den utopischen Ideen Olympias, insbesondere den Ideen des Kosmopolitismus und der Völkerverständigung ein Forum zu geben. Wohl wissend, dass die offensichtlich grenzenlose, weltweite Begeisterung für den Sport auch die Gefahr einer grenzenlosen Kommerzialisierung nach sich zieht. Heute ist Olympia zu einem globalen Mega-Event geworden. Die Hamburger Planungen für die Olympischen und Paralympischen Spiele gehen davon aus, dass bis zu 15.000 Athletinnen und Athleten und mehrere Millionen Zuschauer kommen würden. Mehr als 20.000 Medienvertreterinnen und Medienvertreter würden von den Spielen berichten. Und über drei Milliarden Menschen würden weltweit die Wettkämpfe verfolgen. Es ist offensichtlich, dass ein derartiger Mega-Event nicht nur die bestehenden sportlichen Infrastrukturen, sondern auch die städtischen Strukturen der gastgebenden Stadt insgesamt sprengt. Für dieses globale Sportereignis ist ein tiefgreifender Umbau der gastgebenden Stadt unerlässlich. Damit sind wir bei dem zentralen Problem: Dem unauflösbaren Zusammenhang von sportlichem Mega-Event und Stadtentwicklung, mit dem sich neuer Typus von Stadtpolitik herausgebildet hat: Eine „Festivalisierung der Politik“ (Häußermann/Siebel), eine Politik der Inszenierung von Gemeinsinn und Identifikation im Hinblick auf eine zentrale Aufgabe, z. B. der Ausrichtung des „größten Sportfests der Welt“. Wer vor diesem Hintergrund behauptet, Olympia zahle sich auf jeden Fall aus – durch Imagegewinn oder eine Beschleunigung der Stadtentwicklung – argumentiert fahrlässig. 2 Aber fragwürdig finde ich auch die Behauptung, im 21. Jahrhundert würden Olympische Spiele grundsätzlich der Idee ökologischer und sozialer Stadtentwicklung widersprechen, wären per se ein neoliberales Projekt, das es zu verhindern gelte. Richtig ist allerdings, dass eine derartige Event-Strategie, hochgradig riskant ist. Man setzt sich einem ungeheuren Handlungsdruck aus: Das Projekt hat eine unverrückbare Deadline. Der Termin muss eingehalten werden, koste es was es wolle. Und die Vorgaben für die Durchführungen der Spiele werden weitgehend von dem IOC und eventuellen Großsponsoren diktiert. Dazu kommt, dass die Faszination für den Sport – zumindest in der Phase der Bewerbung – viele ökonomisch und sozial blind macht und danach, wie sich augenblicklich in Rio zeigt, Korrekturen nicht mehr möglich sind. Gibt es Auswege aus diesem Dilemma? Aus der Analyse der Fehler früherer Olympiaden lassen sich einige Lehren ziehen: Wichtig sind grundsätzlich folgende Aspekte oder Maßnahmen, die ich nur stichpunktartig benenne und nicht weiter kommentiere: - eine Bewertung von Kosten- und Nutzenschätzungen durch unabhängige Gremien; - ein klares politisches Bekenntnis zu einer Deckelung der öffentlichen Finanzierung durch die Stadt; - ein Volksentscheid über die Bewerbung und eine stetige Bürgerbeteiligung; - eine maximale Ausschöpfung der Verhandlungsmacht gegenüber dem Anspruchsdruck des IOC insbesondere bei der Aushandlung des „Host City Vertrages“; Vor allem jedoch muss klar sein, dass man nicht viele Milliarden investiert und sieben Jahre die Stadt umbaut, um drei Wochen ein Fest zu feiern. Die zentrale Frage ist deshalb: Wie sieht die Legacy, das Erbe dieser Event-Strategie aus? Gelingt es der Stadtgesellschaft und der Stadtpolitik, diese fokussierte Eventlogik aufzubrechen und die gesellschaftliche Mobilisierung und Schubkraft für eine Zukunftsgestaltung der Stadt zu nutzen? Und welche Vision verfolgen wir – nicht nur für die Spiele, sondern vor allem auch – für Stadt? 3 Der Plan, die zentralen Sportstätten und das Olympische Dorf auf dem Kleinen Grasbrook zu bauen, könnte sich möglicherweise für die Stadtentwicklung Hamburgs als ein Glücksfall erweisen. Der Kleine Grasbrook, der bisher noch von der Hafenwirtschaft genutzt wird, ist ein einmaliger Potentialraum mitten in der Stadt, der von strategischer Bedeutung für die zukünftige Hamburger Stadtentwicklung ist. Hier könnten nicht nur „Spiele der kurzen Wege“ durchgeführt werden, sondern hier könnte zugleich ein Labor für die „Stadt von morgen“ entstehen. Was aber sind die zentralen Herausforderungen für die „Stadt von morgen“? Dies sind vor allem die „Bekämpfung der sozialen Spaltung der Stadt“, die „Begrenzung des Klimawandels“ und die Verknüpfung der Willkommenskultur einer offenen Stadt mit einer Kultur der Teilhabe und der Integration. Dieser neue Stadtteil, der bereits „OlympiaCity“ genannt wird, steht in direkter Nachbarschaft, zu den Stadtteilen Veddel, Wilhelmsburg und Rothenburgsort, die seit vielen Jahrzehnten durch Einwanderung geprägt sind. Es sind kosmopolitische Stadtteile mit einer großen Vielfalt der Menschen und Kulturen, Stadtteile die für die gesamte Stadt gewaltige Integrationsleistungen vollbracht haben und vollbringen. Zugleich aber sind diese Stadtteile weit überproportionalen Belastungen ausgesetzt durch Verkehr und Luftemissionen und sie haben vielfältige Defizite im Bereich der sozialen Infrastrukturen und der Qualität öffentlicher Räume. Welche Chancen bieten Olympische Spiele in der Mitte der Stadt für die Stadtteile Wilhelmsburg, Veddel und Rothenburgsort? Die Beantwortung dieser Frage hängt wesentlich ab von der Vision des neuen Stadtteils,. Dieser neue Stadtteil wird nur dann die – immer wieder zitierte – Scharnierfunktion zwischen der inneren Stadt, den Elbinseln und dem Hamburger Osten übernehmen können, wenn er den Charakter einer „Ankunftsstadt“ hat und nicht nur eine Verlängerung der HafenCity sein wird. 4 Als Ankunftsstadt müsste dieser neue Stadtteil Einwanderinnen und Einwanderern, Studierenden, Kulturschaffenden, Handwerkern und Betrieben der lokalen und migrantischen Ökonomie Entwicklungsperspektiven eröffnen. Natürlich geht es gegenwärtig vor allem um die Bereitstellung menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnungen. Es geht aber auch um die Teilhabe am Bildungssystem, soziale, kultursensible Infrastrukturen und vor allem um den Zugang zum Arbeitsmarkt. Die Teilnahme am Arbeitsleben ist in einer auf Erwerbsarbeit ausgerichteten Gesellschaft entscheidend für gelingende Integration. Dazu brauchen wir aber einen urbanen Arbeitsmarkt, der auch geringer Qualifizierten Einstiegs- und Aufstiegschancen bietet. Mit dem Kleinen Grasbrook ist noch eine weitere grundsätzliche Frage Hamburger Stadtentwicklung verbunden: Das Verhältnis von Stadt und Hafen, das seit Jahrzehnten blockiert zu sein scheint. Manchmal bekommt man den Eindruck, als gäbe es quer durch die Stadt eine Mauer. Einige Verbandsvertreter der Hafenwirtschaf scheinen zu vergessen, dass die Hafenflächen der Stadt gehören und nur gepachtet sind. Es ist zu hoffen, dass sich durch die Olympiabewerbung diese Blockade verflüssigt und im Interesse der Gesamtstadt das Verhältnis von Stadt und Hafen konsenual neu verhandelt werden kann. Es geht vor allem um die Abwägung von Flächennutzungen im Interesse der Gesamtstadt, um die Reduktion der Emissionen des Schiffverkehrs, um den Schwerlastverkehr des Hafens und natürlich um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Es ist allgemein bekannt, dass sich das Schwergewicht der Hafenfunktionen in den westlichen Bereich des Hafens verlagert hat, wo sich inzwischen auch eine relativ hohe Flächenproduktivität durchgesetzt hat. Im mittleren Bereich des Hafens und vor allem in den östlichen Hafengebieten ist die Flächenproduktivität zum Teil sehr niedrig. Die Diskussion um die Verlagerung der Hafenfunktionen vom Kleinen Grasbrook und die dafür bereit gestellten Mittel könnte einen wichtigen Innovationsschub bei der Hafenwirtschaft auslösen und zugleich eine für die Stadt äußerst wichtige Fläche frei machen für städtische Mischnutzungen unter Wahrung des amphibischen Charakters und des maritimen Erbes. 5 Mindestens genauso wichtig wäre allerdings eine stadtverträgliche Organisation der HafenSchwerlastverkehre, die bisher als LKW-Lawinen durch die Wohnquartiere der Veddel, Wilhelmsburgs und von Rothenburgsort rollen. Die im Zusammenhang mit den Olympiaplänen zur Diskussion stehende Tunnelverbindung zwischen dem Kleinen Grasbrook und den Autobahnen A 255 bzw. A1 – gewissermaßen unter der Veddel durch, könnte eine enorme Entlastung bringen. Es kann kein Zweifel bestehen, die Diskussion um eine Bewerbung Hamburgs für Olympia 2024 hat bereits viel in Bewegung gebracht und könnte wichtige Perspektiven für Hamburg eröffnen. Hamburg scheint auch begriffen zu haben, dass der zentrale Grundsatz einer Olympiabewerbung lauten muss: Legacy first – zu allererst an das Erbe dieses zeitlich sehr begrenzten Sportevents zu denken. Allerdings zeigen die Erfahrungen anderer Städte, insbesondere von London, dass allein das Bekenntnis zu nachhaltigen und inklusiven Spielen nicht ausreicht. Je näher das Ereignis kommt, um so mehr dominiert eine auf die Spiele orientierte Projektlogik, die es immer wieder aufzubrechen gilt, damit die Zukunftsgestaltung der Stadt nicht in den Hintergrund geschoben wird. Es bedarf deshalb einer eigenständigen Organisation für die post-Olympia Entwicklung. London hat drei Jahre vor der Eröffnung der Spiele die „London Legacy Development Corporation“, also eine eigenständige Entwicklungsgesellschaft für die post-Olympia Entwicklungen eingesetzt. Heute wissen wir, dass dies noch zu kurz gedacht war. Diese Organisation hätte schon zu Beginn der Bewerbungsphase ihre Arbeit aufnehmen und für ihre Ziele mobilisieren müssen. Hamburg wäre gut beraten, aus diesen Erfahrungen zu lernen und neben der „Hamburger Olympia Bewerbungsgesellschaft“ eine „Entwicklungsgesellschaft für das olympische Erbe“ einzusetzen. Eine derartige Organisation könnte auch beauftragt werden, ein begleitendes Monitoring der Entwicklungen der Mieten und auch ein sogenanntes „Armuts-Monitoring“ durchzuführen, damit sicher gestellt werden kann, dass die Spiele nicht auf Kosten der Benachteiligten dieser Stadt gehen und damit die drohende soziale Spaltung noch verstärkt würde. 6 Eine Frage, die uns gegenwärtig alle umtreibt, habe ich bisher nur implizit behandelt: Die Frage der Flüchtlinge. Die Frage der Menschen die auf der Flucht vor den Schrecken von Bürgerkriegen oder dem Terror despotischer Organisationen und Regime bei uns Schutz suchen. Trotz mancher Konflikte bin ich tief beeindruckt von der Willkommenskultur und den vielfältigen Initiativen und den gewaltigen Anstrengungen der Hamburgerinnen und Hamburger sowie den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dieser Stadt. Und es muss – trotz der dramatischen Zuspitzung der Lage – klar bleiben, dass es nicht angehen kann, dass wir für den Kommerz Grenzen einreißen, um unseren Wohlstand zu mehren, um dann bei der Frage der Verteilung des Wohlstandes nach neuen Grenzen, Zäune und Mauern zu rufen. Allerdings kann ich verstehen, wenn Menschen besorgt fragen, ob die Stadt mit diesen beiden großen Herausforderungen nicht überfordert wird. Wir wissen nicht was die Zukunft bringt, aber wir müssen darüber nachdenken, was nach der „Ersten Hilfe“ für die Flüchtlinge kommt. Wie wir die Willkommenskultur für Menschen in Not verbinden und weiterführen zu einer Kultur der Teilhabe und der Integration. Mit erscheint es nicht ausgeschlossen, unter den diskutierten Voraussetzungen, diese beiden Aufgaben in einer produktiven Weise zu verknüpfen. Dazu sind allerdings noch große Anstrengungen und möglicherweise auch neue, mutige Ideen erforderlich. Ein Beispiel, das Mut macht, dass es möglich sein könnte, Olympia und die Integration von Flüchtlingen zu verbinden, zeigt das von Sibilla Pavensted initiierte „Weltschalprojekt“ des Vereins „Made auf Veddel“! Sie alle konnten heute diese beindruckende, Mut machende Inszenierung des Weltschals vor unserem Rathaus erleben. Mit dieser Aktion wurde ein sichtbares Zeichen gesetzt für über unsere Grenzen hinausweisende Empathie und Weltoffenheit, ein Zeichen für die Bereitschaft und Möglichkeit der Einbindung von Migranten und Flüchtlinge in unser Gesellschaft als gleichberechtigte Bürger; ein Zeichen für ein kosmopolitisches Hamburg und für ein für ein Hamburg als „Hoffnungsort“. 7
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