Zum Tode von Pierre Brice - Winnetou

Zum Tode von Pierre Brice: „Unser Indianer“
Von Mathias Zschaler
Als "Winnetou" verkörperte er die Kindheitsträume von Millionen Menschen, für viele Deutsche war er
der Inbegriff des Indianers. Jetzt ist er, der mit seiner Rolle so verwuchs, dass sie fast zur Last wurde,
in die ewigen Jagdgründe eingegangen.
Es gab Zeiten, da war fast jedes Kind einmal Winnetou, oder Old Shatterhand - dank Karl May. Und
dann kam eine Zeit, da wurde aus der Fantasiegestalt ein Leinwandheld und noch viel mehr, sodass
die Grenze zwischen Rolle und Akteur, Fiktion und Person, irgendwann zu verschwimmen schien wie
der Horizont in den Weiten der Prärie. Pierre Brice spielte nicht nur, er war der Häuptling der Apachen
und der Herzens-Indianer der Deutschen.
Dass es dahin kommen würde, war Pierre Louis Baron Le Bris, 1929 als Adelsspross in der Bretagne
geboren, nicht in die Wiege gelegt. Nach Botenjungendiensten in der Résistance und Soldatenjahren
im Indochina- und Algerienkrieg - seinen "schönsten", wie er in konservativem Nationalstolz einmal
sagte - zog es ihn, den umschwärmten Beau, ins Rampenlicht, als Fotomodell und Tänzer zunächst.
Doch beim französischen Film Fuß zu fassen war schwer, die Konkurrenz unter den attraktiven
männlichen Jungstars, darunter Alain Delon, hart. Brice ging nach Italien und Spanien, wirkte in
etlichen der damals massenhaft heruntergekurbelten Genre-Streifen mit Mantel und Degen, Sandalen
und fliegenden Fäusten mit, die bald vergessen waren.
Anfangs fremdelte Brice mit seiner Paraderolle
Alles wurde anders, als er 1962 auf der Berlinale in einer Nebenrolle in "Los Atracadores" dem
deutschen Produzenten Horst Wendlandt auffiel. Der hatte sich vorgenommen, einige der
unsterblichen Werke des sächsischen Vielschreibers Karl May zu verfilmen - ein Projekt, das sich als
wahre Goldgrube erweisen sollte. Der schmucke, stattliche Bretone mit den eleganten Bewegungen
und dem unergründlichen Blick aus blaugrünen Augen schien ihm die Idealbesetzung für die Rolle des
legendären Ober-Indianers, wie er bei May im Buche stand, zu sein: "Sein Gesicht war edel
geschnitten, fast römisch, die Farbe ein mattes Hellbraun mit einem Bronzehauch."
Der Stamm der Teutonen sah das offenbar ähnlich. Bereits das Debüt in "Der Schatz im Silbersee"
lockte mehr als zehn Millionen Zuschauer in die Kinos. Brice wurde alsbald zum Star, was am meisten
ihn selbst überraschte. Er hatte zunächst erheblich mit seiner Rolle gefremdelt, die er genauso wenig
kannte wie ihren literarischen Schöpfer. Er fühlte sich schauspielerisch unterfordert. Und
Schwierigkeiten mit dem Reiten hatte er auch.
Doch da war ja zum Glück der in Sachen Western versierte Lex Barker, der ihm aufs Pferd half. Mit
ihm, der in den meisten der elf in jugoslawischen Karstgebirgen gedrehten sogenannten SauerkrautWestern seinen weißen Bruder Old Shatterhand mimte, verband ihn später abseits des Sets auch
reale Freundschaft; mit der Alternativbesetzung Stewart Granger hingegen kam er gar nicht klar.
Wiederauferstehung nach Publikumsprotesten
Brice wuchs nicht nur in seine Rolle hinein - er verwuchs mit ihr. Zugleich eroberte er junge wie alte
Herzen des bundesdeutschen Publikums, das den edlen Wilden mit dem doppelten
Migrationshintergrund als französischer Indianer nicht nur integrierte, sondern regelrecht adoptierte,
zumal er dann eines Tages auch noch die Deutsche Hella Krekel zur Squaw nahm.
Was es letztlich war, das die Kinobesucher dermaßen fesselte an einer Figur, die im Jahrhundert
zuvor erfunden wurden war, darüber ist viel gemutmaßt worden. Schon May, der zum spirituell
beflügelten Idealismus neigte, hatte sie ja mit Friedens- und Völkerverständigungssymbolik
aufgeladen. Und derlei lag durchaus im Zeitgeist der Sechziger- und frühen Siebzigerjahre, in denen
nach Ende der Nachkriegszeit auch neuer Bedarf an einfachen Tugendmotiven wie Toleranz und
Ehrlichkeit wuchs.
Die optische Attraktion des vornehmen Exoten mit wehender dunkler Mähne, Stirnband und weißem
befransten Lederanzug tat das ihrige, um ihn auch zum Popstar mit Kultstatus und Idol einer ganzen
Generation zu machen. "Bravo" verhalf ihm zu rekordträchtigen zwölf Ottos und drei Starschnitten.
Sein Filmtod in "Winnetou III" löste eine derartige Protestwelle mit Drohungen wie heutzutage bei
einem Shitstorm aus, dass Produzent Wendtland sich genötigt sah, der Deutschen Lieblingsindianer
wieder auferstehen zu lassen.
Am Marterpfahl des Erfolges
Auch nachdem es endgültig vorbei war mit der Winnetou-Mania, blieb Brice dem Indianerleben lange
treu. Der Stamm der Winnebagow in Nebraska ernannte ihn sogar zum Ehrenmitglied, während er
weiterhin bei den Karl-May-Festspielen im sauerländischen Elspe und in Bad Segeberg seines Amtes
waltete. Versöhnt mit seiner Rolle war er irgendwann, auch wenn er nie ganz aufhörte, damit zu
hadern, dass sie ihm auch zu einer Art Marterpfahl geworden war, an den er zu fest gebunden zu sein
schien, um noch zu anderen nennenswerten mimischen Taten fähig zu sein.
Abseits des Indianerfaches wollte Brice kein bedeutendes Projekt gelingen. In den Neunzigerjahren
beschränkte er sich auf harmlose Spielfilme und TV-Serien. "Ein Schloss am Wörthersee" und "Klinik
unter Palmen" fanden auch ihr Publikum. Nur: Bedeutend war das nicht.
Nun ging er endgültig in die ewigen Jagdgründe ein.
Von Mathias Zschaler - Samstag, 06.06.2015 – 14:04 Uhr
Constantin-Film / Rialto Film
http://www.spiegel.de/kultur/tv/pierre-brice-ist-tot-fuer-alle-zeiten-winnetou-a-1037485.html