5,50 € | 7,80 sFr www.welt-sichten.org 2-2016 februar Energie für Afrika: Solarstrom auf Raten Islamismus: Mörder zur Einsicht bringen Klimaschutz: Leere Versprechen aus Paris Magazin für globale Entwicklung und ökumenische Zusammenarbeit seuchen Unsichtbare Killer Termine • • • • • • Jena 10. – 11. Februar 2016 Frankfurt 12. Februar 2016 Leipzig 22. März 2016 Kiel 19. Mai 2016 Mainz 13. Juni 2016 Saarland 12. Juli 2016 Weitere Termine folgen. BRING DICH EIN. Beiträge einreichen und anmelden unter www.zukunftstour.de Zukunftscharta EINEWELT - UNSERE VERANTWORTUNG editorial Liebe Leserinnen und Leser, Bernd Ludermann Chefredakteur Seuchen gehören seit Jahrtausenden zu den Geißeln der Menschheit. Welche Gefahr übertragbare Krankheiten noch immer sind, hat die Ebola-Epidemie in Westafrika gezeigt. Erst nach mehr als zehntausend Todesopfern konnte sie weitgehend gestoppt werden. Das liegt auch daran, dass die betroffenen Länder nicht rechtzeitig Hilfe bekamen; die Staatengemeinschaft muss sich besser auf Epidemien vorbereiten, erklärt Sascha Karberg. So hat die Globale Impf-Allianz GAVI jüngst mit dem Pharma-Konzern Merck vereinbart, dass er einen Ebola-Impfstoff weiterentwi- Wir fragen für Sie! Sie fragen sich, wie in Nepal der Wiederaufbau nach dem Erdbeben vorankommt? Sie wollen wissen, ob der Klimawandel den Krieg in Syrien verursacht hat oder was die Weltbank damit meint, dass die Armut sinkt? Ab Mai lassen wir in solche Fragen unserer Leserinnen und Leser von Fachleuten in kurzen Interviews beantworten. Beteiligen Sie sich schon jetzt und schreiben Sie uns, was Sie wissen wollen (E-Mail: [email protected])! ckelt und vorrätig hält. In Sierra Leone wirkt das von Ebola ausgelöste Misstrauen nach, und das Verhältnis zwischen traditionellen Heilern und moderner Medizin ist wieder infrage gestellt, berichtet Luisa Enria. Anders als Viren wie Ebola oder Grippe kann man Bakterien mit Antibiotika in Schach halten. Doch sie werden gegen immer mehr Mittel resistent, weil die falsch verwendet werden, schreibt Barbara Erbe. Tuberkulose ist in vielen armen Ländern kaum noch behandelbar, Durchfall und einfache Operationen könnten wieder lebensbedrohlich werden. Und das Wundermittel, das den Malaria-Parasiten ausrottet, ist bisher nicht gefunden, berichtet Tillmann Elliesen. Trotzdem konnte das Wechselfieber zurückgedrängt werden – nicht zuletzt weil mit der Armut auch die Brutstätten der Mücke, die Malaria überträgt, verschwinden. Erfolgreich verläuft auch der Kampf gegen die Flussblindheit in Nigeria, wie Katrin Gänsler herausgefunden hat. Mit dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas beschäftigen sich zwei weitere Beiträge in diesem Heft: Obinna Anyadike berichtet über den Versuch, Mitglieder der Terrorgruppe Boko Haram zu resozialisieren. Und William S. Miles schildert, warum in der Volksgruppe der Igbo viele zum Judentum übertreten. Wie die deutsche Entwicklungspolitik religiöse Organisationen stärker einbeziehen will, wollte Gesine Kauffmann von Ulrich Nitschke wissen, der dazu bei der GIZ ein Programm leitet. Und ich habe in Paris beobachtet, dass auf dem UN-Klimagipfel die Regeln des globalen Klimaschutzes zu Lasten der Schwellenländer umgeschrieben wurden. Eine spannende Lektüre wünscht | 2-2016 3 inhalt Sia Kambou/AFP/Getty Images 4 12 Reiche Länder können sich besser vor Seuchen schützen als arme. In Haiti forderte ein Cholera-Ausbruch nach dem Erdbeben von 2010 Tausende Menschenleben – hier kämpft ein Mitarbeiter des Gesundheits ministeriums in einem Camp für Erdbebenopfer gegen die Epidemie. Doch auch der Schutz in reichen Ländern wird löchrig, weil Krankheitserreger gegen Antibiotika resistent werden. Gegen Malaria-Überträger wird ein Abwassertümpel in der Elfenbeinküste mit Insektengift besprüht. Wo man der AnophelesMücke weniger Brutstätten bietet, geht die Krankheit zurück. schwerpunkt seuchen 12 Heillos überfordert Ebola hat gezeigt, wie schlecht die Staatengemeinschaft auf Epidemien vorbereitet ist Sascha Karberg Olivier Laban-Mattei/Laif 16 „Das Vertrauen zurückgewinnen“ Gespräch mit der Direktorin des Deutschen Institutes für Ärztliche Mission (DIFÄM), Gisela Schneider, über Lehren aus der Ebola-Epidemie 17 Die Angst wirkt lange nach In Sierra Leone hat Ebola tiefe Risse in der Gesellschaft hinterlassen Luisa Enria 20 Ein Dorf hält das Virus fern Eine liberianische Gemeinde ist von Ebola frei geblieben Jehoshaphat Dogolea und Rebecca Hackstein 21 Die Abwehr der Bakterien Immer mehr Erreger sind gegen Antibiotika resistent Barbara Erbe 24 Magische Pillen gegen den Fadenwurm Nigeria kommt im Kampf gegen die Flussblindheit voran Katrin Gänsler 28 Keine Zauberformel gegen die Malaria Das Sumpffieber lässt sich eindämmen, aber kaum weltweit ausrotten Ein Teil der Auflage enthält Beilagen des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung, der Freunde der Serengeti Schweiz, des MEDA Office in Europe sowie . eine Bestellkarte von Tillmann Elliesen 31 Zweifelhafte Schnitte In Afrika werden Millionen Männer beschnitten, um sie vor HIV zu schützen Hanna Pütz 2-2016 | 28 Chika Oduah inhalt Standpunkte 6 Die Seite Sechs 7 Leitartikel: Wir schaffen das – wenn wir wollen. Wer Obergrenzen fordert, macht sich und anderen etwas vor Tillmann Elliesen 8 Kommentar: Strom auf Raten. In Afrika verbessert Mobilfunktechnik die Energieversorgung Gabriel Davies 10 Kommentar: Beim Frieden für Syrien müssen Frauen mitreden können In der Volksgruppe der Igbo in Nigeria treten viele zum jüdischen Glauben über. Die Gemeinden sind jung und treffen auf viele Vorurteile – zum Beispiel, sie seien eine neue Sekte. Gesine Kauffmann 10Leserbriefe 44 11 Herausgeberkolumne: Was nicht gemessen wird, wird nicht getan. Indikatoren für die Nachhaltigkeitsziele Rainer Brockhaus Journal welt-blicke 50 Politische Bildung: Streit um Gemeinnützigkeit 32 Klimaschutz: Kein zweites Kopenhagen In Paris wurde ein neuer Klimavertrag besiegelt. Er macht Versprechen, die nicht einzuhalten sind 50 Studie: Schuften für eine bessere Zukunft 36 Entwicklungspolitik: „Jede Form von Extremismus schließen wir aus“ Gespräch mit Ulrich Nitschke von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit über Religion und nachhaltige Entwicklung 39 Islamismus: Mörder zur Einsicht bringen Nigeria will frühere Kämpfer von Boko Haram wieder in die Gesellschaft eingliedern William F. S. Miles 48 Uganda: Singen für den Wahlsieg Im Wahlkampf der Präsidentschaftsanwärter mischt die Musikbranche kräftig mit 54 Brüssel: Gericht kippt Freihandelsvertrag mit Marokko 55 Schweiz: Unternehmen für MenschenrechtsSchutz gewinnen 57Österreich: Das Afro-Asiatische Institut wird aufgelöst Obinna Anyadike 44 Religion: Rat von Rabbi Google Die jüdische Gemeinde in Nigeria wächst – und vertraut auf religiöse Unterweisung mittels Internet 52 Berlin: Die Agrarindustrie bleibt ein Partner Bernd Ludermann Nanna Schneidermann 58Kirche und Ökumene: Christen im Nahen Osten kritisieren deutsche Flüchtlingspolitik 60Global Lokal: Richtig konsumieren allein hilft nicht 60Personalia service 62 Filmkritik 62 Rezensionen 65 Termine Kommentieren Sie die Artikel im Internet: www.welt-sichten.org | 2-2016 65 Impressum 5 standpunkte die seite sechs Reife Leistung Chappatté in „International new york times“, www.globecartoon.com 6 Die indische Zeitung „Hindustan Times“ hat ein kaum beachtetes Risiko des modernen Lebens ins Blickfeld gerückt: Tod durch Selfie. Immerhin 27 Menschen sollen 2015 beim Versuch gestorben sein, sich selbst zu fotografieren, fast die Hälfte davon in Indien. Nein, nicht nur Touristen wie der Japaner, der am Tadsch Mahal abstürzte – auch Inder wie die drei Studenten, die sich vor einem nahenden Zug auf den Gleisen ablichten wollten. Was ist’s? „Die Herrschaft des Pöbels ist dabei, die Rechtsstaat lichkeit zu ersetzen.“ Der Generalsekretär des Europäischen Stein- und Braunkohleverbands (Euracoal), Brian Ricketts, zur Greenpeace-Klimademonstration während der Klimaschutzkonferenz in Paris. Gewitzte Kriegsherren nutzten sie bereits im Mittelalter als Waffe: Bei der Belagerung einer Stadt ließen sie verseuchte Tierkadaver über die Burgmauern werfen. Dann mussten sie nur noch warten, bis ihre Gegner krank wurden und schließlich starben. Denn unbehandelt geht die Krankheit, im Altertum „persisches Feuer“ genannt, häufig tödlich aus, und im Mittelalter war weder ihre Ursache bekannt noch ein Mittel dagegen. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckte ein findiger Wissenschaftler den Erreger in Schafsblut, und gut 25 Jahre später wurde das Bakterium dann systematisch erforscht. Es kann mit Hilfe widerstandsfähiger Sporen über Jahrzehnte im Erdreich überleben. Eine Ansteckung erfolgt fast ausschließlich über Tiere; die Übertragung von Mensch zu Mensch gilt als sehr unwahr- scheinlich. Das Leiden tritt in mehreren Formen auf, in den häufigsten Fällen ist die Haut befallen, aber auch die Lungen und der Darm können in Mitleidenschaft gezogen werden. Jeder kann sich infizieren, überall auf der Welt, doch am häufigsten treten Infektionen in wärmeren Regionen auf, vor allem in Afrika, Zentral- und Südasien. Seine Karriere als biologischer Kampfstoff hat der Bazillus übrigens fortgesetzt: Bis in die 1970er Jahre experimentierten die USA, die Sowjetunion und europäische Regierungen mit Wirkungsweise und Abwehrmöglichkeiten. Dieses Wissen soll nun auch zur Heilung eingesetzt werden: Derzeit wird es als Zellgift gegen Krebs erforscht. Was ist’s? Auflösung aus Heft 12-2015/12016: Gesucht war der Schweizer Unternehmer Henri Nestlé. Die Behörden in Mumbai nehmen nun ihre Schutzpflicht für arglose Handy-Nutzer ernst und wollen an Orten wie Festungen Selbstporträts verbieten. Das ist ehrenwert, aber abwegig. Gefährlich sind die Geräte, nicht die Orte; bildverliebte Besucher von spannenden Stellen wegzulenken, schadet nur dem Tourismus. Sinnvoller geht Russland vor, wo sich 2015 mehr als zehn Menschen mittels Selbstporträt ins Jenseits befördert haben. Das Innenministerium warnt in einer Broschüre: Nur sichere Selfies machen – nicht etwa auf Hausdächern, mit Tieren oder an Stromleitungen! Allein: Wer liest Broschüren von russischen Behörden – und wer glaubt ihnen? Man muss nach dem Vorbild der USA die Firmen in die Pflicht nehmen. Wie jetzt auf jedem Kaffeebecher steht „Vorsicht, Inhalt heiß“, so müssen künftig die Hersteller von Handys und Selfie-Stangen auf ihren Produkten Warnhinweise anbringen wie „Nicht für Selfies am Abgrund verwenden“. Reichen wird das aber nicht, denn der Erfindergeist der Fotografen ist beeindruckend: Ein Mexikaner erschießt sich für das Foto „ich mit Waffe“; ein Spanier setzt sich auf dem Dach eines Zuges unter Starkstrom; auch am Steuer eines Autos, eines Motorrads und eines Kleinflugzeugs hat die Selfie-Seuche schon Menschen dahingerafft. Wir brauchen daher zusätzlich eine sehr deutsche Lösung: Handys nur gegen Waffenschein! 2-2016 | leitartikel standpunkte Wir schaffen das – wenn wir wollen Wer Obergrenzen fordert, macht sich und anderen etwas vor Von Tillmann Elliesen E in Geständnis vorweg: Nach den Terroranschlägen in Paris im November war ich fest entschlossen, mir ein Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe zu suchen. Bislang ist es bei dem Vorsatz geblieben, teils aus Bequemlichkeit, teils weil ich davor zurückschrecke, meine knappe Freizeit dafür zu opfern. Ein wenig schäme ich mich dafür. Wobei es mir gar nicht so sehr um die Flüchtlinge selbst geht, sondern vor allem um meine Heimatstadt und um die Gesellschaft, in der ich lebe – ja, um mein Deutschland. Indem ich Flüchtlingen helfe, würde ich meinen Beitrag zur Willkommenskultur und damit zum ersten wichtigen Schritt für ihre Integration leisten. Ich würde damit hoffentlich dazu beitragen, ein Abdriften vor allem der jungen Männer in Parallelge- Die Flüchtlinge zeigen: Europa ist Teil dieser globalisierten Welt mit all ihren Vorzügen, aber eben auch Risiken und Problemen. Tillmann Elliesen . ist Redakteur bei | 2-2016 sellschaften und das Entstehen von Einwandererghettos in unseren Städten zu verhindern – von Ghettos wie in Frankreich und Belgien, aus denen die Massenmörder von Paris kamen. Die Integration von Hunderttausenden Männern, Frauen und Kindern aus anderen Weltregionen und Kulturen – das wird die wichtigste Aufgabe deutscher Politik und Gesellschaft in diesem und in den nächsten Jahren sein. Dazu wird sowohl den Zuwanderern als auch den Einheimischen einiges abverlangt, und derzeit sieht es nicht gut aus, dass das gelingt. Nach den Hunderten Übergriffen auf Frauen und den bedrohlichen Szenen in der Silvesternacht vor dem Kölner Hauptbahnhof schrieb Alice Schwarzer mit Blick auf die Täter und deren Herkunft aus Nordafrika und dem arabischen Raum, das seien die Früchte einer versäumten Integration. Das ist richtig. Nicht richtig hingegen ist, dass dieses Versäumnis Ergebnis einer „falschen Toleranz“ ist, wie Schwarzer meint. Nicht falsche Toleranz steht der Integration im Weg, sondern Ignoranz. Der satten deutschen Mehrheit sind muslimische Parallelgesellschaften völlig gleichgültig, solange sie eben das bleiben: Parallelgesellschaften, die das eigene Leben, die eigene Gesellschaft nicht berühren. Und für die wirtschaftlich, politisch und kulturell abgehängten „Problemviertel“, die es auch in unseren Städten schon gibt, interessieren sich bestenfalls unterbezahlte Sozialarbeiter – zumindest so- lange deren Bewohner bleiben, wo sie sind. Diese Gleichgültigkeit abzulegen, wäre ein erster notwendiger Beitrag, den wir einheimische Deutsche zur Integration leisten müssen. Denn Integration gelingt ja nicht über Seminare zu deutscher Leitkultur oder Benimmkurse. Wer ernsthaft will, dass Flüchtlinge und Zuwanderer Teil unserer Gesellschaft werden und nicht bloß oberflächliche Bekenntnisse zu deutschen Werten und Sitten abgeben, muss ihnen eine Chance geben, diese Werte und Sitten zu leben. Man muss ihnen die Möglichkeit bieten, zu lernen, zu arbeiten, an Kultur und Politik teilzunehmen und sich einzubringen. Viele werden solche Angebote annehmen, andere werden sie ausschlagen, aus welchen Gründen auch immer. Aber Leute, die sich nicht integrieren wollen, gibt es auch unter einheimischen Deutschen. Flüchtlinge sind nicht per se bessere Menschen, aber auch nicht schlechtere. Deutschland werde durch die große Zahl von Zuwanderern ein anderes Land, sagt der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Er meint das als Drohung. Man kann es auch als Chance sehen. Vor allem aber ist es eine zurzeit nicht zu ändernde Tatsache: Europa steckt seit vielen Jahren viele Millionen Euro in einen hochgerüsteten High-Tech-Grenzschutz zu Lande, zu Wasser und in der Luft. Doch die Flüchtlinge kommen trotzdem, und Deutschland wird sich mit jedem einzelnen befassen müssen, der an seine Tür klopft. Angela Merkel habe die Leute „eingeladen“, habe sie „gerufen“, heißt es jetzt manchmal. Wie schäbig und kleingeistig ist das angesichts des Elends und der Gewalt, vor dem die Menschen aus Syrien, Afghanistan, Irak oder Somalia fliehen. Natürlich kann Deutschland nicht unbegrenzt Flüchtlinge aufnehmen und integrieren. Aber wer bereits nach einem halben Jahr verstärkter Zuwanderung Obergrenzen fordert, zeigt, dass er nicht allzu viel Vertrauen in die Integrationskraft unserer Gesellschaft und politischen Institutionen hat. Oder aber er zeigt, dass ihm jeder neue Ausländer eigentlich zu viel ist. Wären Deutschland und Europa wirklich jetzt schon am Limit, dann wäre das ein Armutszeugnis. Die Flüchtlinge zeigen: Unser Land und unser Kontinent sind Teil dieser globalisierten Welt mit all ihren Vorzügen, aber eben auch Risiken und Problemen. Wer willkürlich gesetzte Obergrenzen fordert, ohne gleichzeitig zu sagen, wie er die Fluchtursachen abstellen will, macht sich selbst und anderen etwas vor. Abschotten hilft nicht mehr. Zum „Wir schaffen das!“ von Bundeskanzlerin Merkel gibt es deshalb keine Alternative. 7 8 standpunkte kommentar Strom auf Raten In Afrika verbessert Mobilfunktechnologie die Energieversorgung Von Gabriel Davies Wer in Afrika auf dem Land lebt, ist meistens arm und nicht ans Stromnetz angeschlossen. Der Kauf einer netzunabhängigen Solaranlage kommt für die meisten nicht in Frage. Es gibt aber eine Alternative: Vorbild ist ein Geschäftsmodell von Mobilfunkunternehmen in den reichen Industrieländern. Grünes Wachstum mag zwar in entwicklungspolitischen Kreisen das Schlagwort der Stunde sein. Doch manche betrachten erneuerbare Energien noch immer als Luxus, den sich Entwicklungsländer nicht leisten können. Der Umweltökonom Bjørn Lomborg etwa sagt: „Fossile Brennstoffe sind das einzige Mittel, um die Leute aus dem Qualm und dem Dunkel zu befreien, die mit Energiearmut einhergehen.“ Doch neue Technologien könnten Lomborg widerlegen. Ob kleine Solaranlagen für 100 Dollar oder 140 Meter hohe Windturbinen – erneuerbare Energien ermöglichen es den ärmsten Ländern, ihre Entwicklung zu beschleunigen. Und dank neuer Bezahlsysteme und Verleihmodelle könnten künftig in Zusammenarbeit mit Mobilfunkanbietern Millionen Haushalte mit Energie versorgt werden. Laut Fachleuten wird im Jahr 2040 jeder vierte Afrikaner Strom aus netzunab hängigen Kleinkraftwerken beziehen. Mosambik ist ein Beispiel dafür. Wie der Rest von SubsaharaAfrika braucht das Land dringend mehr Energie, um sein schnelles wirtschaftliches Wachstum zu sichern. In der Hauptstadt Maputo beschweren sich alle darüber, vom Taxifahrer bis zum Hotelier: Die Stromversorgung hält nicht Schritt mit dem Wachstum von durchschnittlich sieben Prozent in den vergangenen zehn Jahren. Die Weltbank schätzt, dass der Energiemangel die Region jähr- lich vier Prozent Wirtschaftswachstum kostet: Geschäfte müssen früher schließen und Fabriken sind gezwungen, ihre Produktion zu stoppen. Der Mangel an Elektrizität sorgt für Verluste. Regierungen in Subsahara-Afrika zahlen deshalb bereitwillig umgerechnet etwa 280 Euro für eine Megawattstunde Strom aus Dieselgeneratoren. Und ländliche Haushalte geben bis zu 30 Prozent ihres Einkommens für kerosinbetriebene Beleuchtung aus. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der Strompreis an der Börse derzeit bei etwa 30 Euro pro Megawattstunde. Für eine Wirtschaft wie die in Mosambik sind erneuerbare Energien eine günstige, schnelle und einfach zu bauende Alternative. Im Nachbarland Südafrika wurden ganze Solarfarmen in weniger als neun Monaten errichtet. Sie liefern Strom für derzeit etwa 55 Euro pro Megawattstunde. Sonnen- und Windenergie können die wirtschaftliche Entwicklung außerdem vorantreiben, indem sie die fragilen Stromnetze zuverlässiger machen. Im Januar vor einem Jahr rissen Überschwemmungen im nördlichen Mosambik die Masten einer 800 Kilometer langen Stromtrasse um. Sie verbindet die Region mit dem Cahora-Bassa-Damm und seinem 2000-MegawattKraftwerk. Da in der Region nur wenig Energie lokal erzeugt wird, waren einige Landesteile nach den Überschwemmungen für mehrere Wochen vom Strom abgeschnitten. Die Regierung sollte mit ihrer Strategie für erneuerbare Energien dafür sorgen, dass die Energiequellen vielfältiger wer- den und kleinere Solar- und Windkraftanlagen die Versorgung landesweit sichern helfen. Doch was ist mit den 60 Prozent der Mosambikaner, die gar nicht erst ans Stromnetz angebunden sind? Für sie kann sich mit kleinen, lokalen Kraftwerken für erneuerbare Energien vieles ändern – wenn man sie mit einer anderen Erfindung kombiniert: mit Mobiltelefonen. Wer in einem der üblichen überfüllten Minibusse auf einer der staubigen Straßen durch das ländliche Mosambik unterwegs ist, der sieht, dass die grün-braune Landschaft von roten und weißen Sprenkeln durchzogen ist. Es ist das Logo des Mobilfunkanbieters Vodacom, das überall in frischer Farbe auf Gebäuden und Läden prangt. Dieses Zeichen – zusammen mit denen von mCell und Movitel, zwei anderen wichtigen Anbietern in Mosambik – zeugt davon, dass in vielen Gemeinden mobile Bezahlsysteme und Mobiltelefone allgegenwärtig sind. Und jetzt steht es zunehmend auch für dezentrale Energieversorgung. Wie hängt das eine mit dem anderen zusammen? Solarzellen und Batteriespeicher bringen immer mehr Leistung und werden gleichzeitig immer billiger. SolarHeimsysteme sind deshalb heute konkurrenzfähig mit Energie aus Kerosin und Einmalbatterien, den bisher wichtigsten Energiequellen in Haushalten ohne Anschluss ans Stromnetz. Kerosin und Batterien sind auf Dauer zwar teurer, aber sie haben einen Vorteil: Bei Solaranlagen entfallen 99 Prozent der Kosten auf die Investition, während bei Kerosin 2-2016 | 9 wolfgang ammer kommentar standpunkte Gabriel Davies ist Analyst bei Augusta & Co, einer Investmentbank in London, die auf erneuerbare Energien spezialisiert ist. Vorher war er unter anderem Politikberater im britischen Energie ministerium. Der Text ist zuerst bei „This is Africa” erschienen. | 2-2016 letztlich nur Betriebskosten anfallen. Wer ein monatliches Einkommen von nur 50 Dollar hat, kann sich selbst eine kleine Solaranlage für 100 Dollar einfach nicht leisten. Er kann hingegen fünf bis 15 Dollar pro Monat für Kerosin oder Batterien ausgeben. Hier kommt das Mobilfunkunternehmen Vodacom ins Spiel. In vielen Ländern Afrikas werden Geldgeschäfte längst über mobile Bezahlsysteme wie M-Pesa abgewickelt. Auf diese Weise können Solaranlagen einfach gemietet oder in Raten bezahlt werden, selbst von Kunden in den abgelegensten Regionen ohne Anschluss ans Stromnetz. So werden aus den hohen Investitionskosten tragbare Betriebskosten. Ähnlich gehen Mobilfunkanbieter in den reichen Ländern vor: Sie verkaufen teure Smartphones an Kunden, die sich das auf einen Schlag nicht leisten könnten, indem sie monatliche Ratenverträge anbieten. In Afrika ist M-Kopa Solar ein Vorreiter der Idee, Menschen auf diese Weise mit Solarenergie zu versorgen. Das Unternehmen hat mehr als 200.000 Kunden in Kenia, Tansania und Uganda. An der Menge der insgesamt erzeugten Energie im Land wird dieses Modell nicht viel ändern; es wird die Stromversorgung nicht komplett umkrempeln. Selbst wenn in Mosambik jeder, der nicht ans Stromnetz angeschlossen ist, morgen eine ZehnWatt-Anlage kaufte, kämen all diese Systeme zusammen nur auf sechs Prozent der in Mosambik produzierten Energie. Die Beratungsfirma McKinsey schätzt in einer Studie, dass 2040 nur zwei Prozent der gesamten Stromproduktion in Subsahara-Afrika aus netzunabhängigen Quellen kommen wird. Entscheidend ist aber, wem dieser Wandel nutzen wird. Dieselbe McKinsey-Studie sagt voraus, dass diese zwei Prozent der Stromproduktion ein Viertel der Bevölkerung in Subsahara-Afrika versorgen wird – im Jahr 2040 werden das 500 Millionen Menschen sein. Ein großer Teil von ihnen wird seine eigenen Solarsysteme für zu Hause in regelmä- ßigen Raten über das Handy bezahlen. Menschen, die nie die Mittel dazu hatten, können so einen Kredit aufnehmen. Die Zahlungen werden von den Mobilfunkanbietern erfasst und aufgezeichnet. Das Unternehmen, das ein Zehn-Watt-Solarsystem verkauft hat, wird auf diesem Weg auch weitere Informationen sammeln, etwa darüber, wer sich ein 30- oder 100-Watt-System leisten kann – und vielleicht sogar einen Kühlschrank, einen Fernseher, eine Wasserpumpe oder ein Darlehen, um in ein eigenes Unternehmen zu investieren. Millionen ländlicher Haushalte wären mit dem übrigen Wirtschaftssystem verbunden. Das war vorher nicht möglich. Netzunabhängige erneuerbare Energien stören den Markt nicht – sie schaffen einen neuen. Sie sind kein Luxus, sondern vielmehr ein Motor für Wachstum. Entwicklungsländer können es sich nicht leisten, darauf zu verzichten. Aus dem Englischen von Hanna Pütz. 10 standpunkte kommentar | leserbriefe Nicht länger unter Männern Beim Frieden für Syrien müssen Frauen mitreden können Bislang waren die syrischen Frauen außen vor, wenn über die Zukunft ihres Landes verhandelt wurde. Das muss sich jetzt ändern – und die Zeichen stehen besser als vor zwei Jahren. Bereits vor gut zwei Jahren verhandelten in Genf Vertreter der syrischen Regierung und der Opposition unter Leitung der Vereinten Nationen über einen Frieden für das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land. Sie diskutierten über Möglichkeiten, die Gewalt zu beenden und eine Übergangsregierung einzusetzen. Die Zivilgesellschaft war damals nicht am Konferenztisch vertreten – und schon gar keine Frauen. Sie waren ausgeschlossen von den Plänen für die Zukunft ihres Landes. Das ist nicht nur diskriminierend, sondern auch kurzsichtig. Ihr Wissen, ihre Erfahrungen und ihr Einfluss blieben ungenutzt. Dabei haben Aktivistinnen 2011 in Syrien ganz vorne mitgekämpft, um politische, wirtschaftliche und soziale Reformen einzufordern. Sie protestierten ge- gen das herrschende Regime, und sie formulierten Vorschläge für den Aufbau einer gerechten und stabilen Gesellschaft. Im November 2012 gründeten engagierte Frauen aus dem gesamten politischen Spektrum das Forum „Syrische Frauen für den Frieden“. Sie legten noch vor den Genfer Gesprächen im Januar 2014 eine Friedenscharta vor. Darin fordern sie, Waffenlieferungen nach Syrien und das Eindringen ausländischer Kämpfer und Terroristen zu unterbinden. Sie treten dafür ein, dass die Zivilgesellschaft bei der Ausarbeitung einer neuen Verfassung eine wichtige Rolle spielen muss. Und sie schlagen Programme vor, mit denen Flüchtlingen eine Rückkehr in die zerstörte Heimat ermöglicht werden soll. Doch ihre Stimmen wurden nicht gehört. Das muss im Verlauf der gegenwärtigen Gespräche anders werden, und die Zeichen stehen etwas günstiger. Der UN-Syrienbeauftragte Staffan di Mistura hat sich die Konvention zu Herzen genommen, laut der Staaten verpflichtet sind, Frauen einen Platz bei Friedensgesprächen und vor allem beim Wiederaufbau nach Konflikten einzuräumen. Gemeinsam mit der schottischen Regierung hat er eine Initiative gestartet, um Frauengruppen für die Teilnahme an den Syrien-Gesprächen zu qualifizieren. Diese Initiative ist wichtig. Ihren Mut und ihre Hartnäckigkeit haben die Aktivistinnen schon vielfach bewiesen. Beides brauchen sie auch, um den politischen Eliten die Stirn zu bieten und sich einen Sitz am Verhandlungstisch zu ertrotzen. Dafür verdienen sie jede Unterstützung. (gka) Vielleicht befassen Sie sich einmal intensiver mit der Fusion von Brot für die Welt und dem Evangelischen Entwicklungsdienst (EED). Der Eindruck kann trügen: EEDler sind nur noch verschwindend gering zu finden; mit Herrn Henke geht ein weiterer. Klarheit wäre jedenfalls besser als Verschweigen und Ausweichen – das nährt Skepsis und Verdacht. sammeln und auszuwerten. Vielleicht ist die Armutsmessung gar nicht ein notwendiger Auslöser für eine bessere Politik. Womöglich zeigt sie einfach im Nachhinein, woran es gelegen hat, dass sich die Lebensverhältnisse in vielen Teilen der Welt gravierend verbessert haben. Hinschauen, verstehen, daraus lernen. Ohne eine vernünftige Datengrundlage lösen sich gutgemeinte und kostspielige Maßnahmen viel zu oft in Rauch auf, der den Blick auf die Ursachen vernebelt. Ergebnis erreichen könnte: soviel Wertschöpfung im Erzeugerland lassen wie möglich, damit die Bevölkerung Arbeit und gerechten Lohn bekommt. Seit Beginn vieler Aktionen vor 30 oder 40 Jahren kaufen wir unseren Kaffee nur als Fair Trade von meist konfessionellen Vereinigungen. Hier bekommen die Erzeuger einen fairen Preis und diese haben dann auch keinen Grund ihre Heimat zu verlassen. So weit so gut. Der Rest wird aber in Europa gemacht. Einen Schritt weiter ging man bei „Solino“-Kaffee aus Hamburg. Zusätzlich zu dem fairen Preis für die Erzeuger wird der Kaffee in Äthiopien geröstet und verpackt. 30 bis 35 Mitarbeiter werden damit beschäftigt. Ich frage mich, wer von diesen vielleicht unter den Flüchtlingen wäre, hätte er nicht diesen Job. leserbriefe Der Antwort ausgewichen Zum Interview „Auf einem guten Weg“, welt-sichten 11/2015 Ihre erste Frage an Tilman Henke betrifft die „grundsätzlich unterschiedlichen Auffassungen über die perspektivische Zusammenarbeit im Vorstand“. Ausdrücklich fragen Sie noch: „Was verbirgt sich dahinter?“ Herr Henke gibt darauf keine Antwort; er weicht erkennbar mit einer privaten Perspektive aus. Seine Antwort ist eine Missachtung jedes auch nur einigermaßen aufmerksamen Lesers. Eine derartige Behandlung sind wir zur Genüge von den Mächtigen in der Politik oder der Wirtschaft gewöhnt. Bitte dasselbe nicht auch noch von der viel gelobten Zivilgesellschaft. Und Sie lassen ihm das durchgehen, ohne auch nur einmal ernsthaft nachzufragen. Auch nicht gerade ein Glanzlicht journalistischer Arbeit. Cay Gabbe, welt-sichten.org Die Armut zu messen macht Sinn Zum Kommentar „Es geht nicht nur ums Geld“, welt-sichten 11/2015 Wirtschafts-Nobelpreis für einen Armutsforscher! Für einen notorischen Datensammler! Ist das Messen und die Empirie vielleicht doch wichtiger als gedacht? Angus Deaton hat sein ganzes wissenschaftliches Leben damit verbracht, Daten über Armut zu M. Benninger, welt-sichten.org Fair Trade hilft Zum Interview „Wir müssen über die Gefahren aufklären“, welt-sichten 10/2015 Im Interview mit Aminu Munkaila wird auf die Hintergründe der Flucht aus Afrika hingewiesen. Ein kleines Beispiel, wie man mit wenigen Mitteln ein optimales Peter Kobert, Bad Lippspringe Die Redaktion freut sich über Leser briefe, behält sich aber vor, sie zu kürzen. 2-2016 | herausgeberKolumne standpunkte Was nicht gemessen wird, wird nicht getan Die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele braucht gute Indikatoren und Daten Die UN-Nachhaltigkeitsziele sind unter Dach und Fach. Die bisher vorliegenden Indikatoren, an denen die Umsetzung gemessen werden soll, machen Hoffnung, dass die Lage von Menschen mit Behinderungen ausreichend beachtet wird. Von Rainer Brockhaus Es war ein historischer Moment und ein Grund zum Feiern: Die Verabschiedung der 2030-Agenda für nachhaltige Entwicklung durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen (UN) im vergangenen Jahr. Mit den 17 nachhaltigen Entwicklungszielen (Sustainable Development Goals, SDGs) haben sich alle 193 UN-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2030 extreme Armut zu beenden, Ungleichheit und Ungerechtigkeit zu bekämpfen und den Klimawandel zu regulieren. Deutschland muss die Statistikbehörden in Entwicklungsländern finanziell und technisch unterstützen. Dr. Rainer Brockhaus ist Direktor der ChristoffelBlindenmission Deutschland. | 2-2016 Historisch besonders bedeutend ist, dass erstmals Menschen mit Behinderungen in den globalen Entwicklungszielen berücksichtigt werden – ein Meilenstein für die rund eine Milliarde behinderter Menschen weltweit. Damit die 2030-Agenda Erfolg hat, kommt es jetzt darauf an, sie gemeinsam mit allen gesellschaftlichen Gruppen zügig und nachprüfbar umzusetzen. Denn 15 Jahre sind nicht viel Zeit, um die ambitionierten Ziele zu erreichen. Für die Umsetzung sind umfassende globale Messgrößen unerlässlich. Denn schon die Millenniumsentwicklungsziele aus dem Jahr 2000 haben gezeigt: Was nicht gemessen wird, wird nicht getan. Ein wichtiger Schritt in Richtung verbindlicher Messgrößen ist das geplante Indikatoren-Rahmenwerk, das die UN-Statistik- kommission im März verabschieden will. Eine Arbeitsgruppe hat schon jetzt eine Liste mit Indikatoren vorgelegt. Als Leitlinie gilt, dass alle Daten nach Einkommen, Geschlecht, Alter, Ethnie, Migrationsstatus, Behinderungen und geographischer Lage aufgeschlüsselt werden. Das heißt, es soll möglichst für alle diese Bevölkerungsgruppen geprüft werden, wie weit die Ziele erreicht sind. Das ist ein deutlicher Fortschritt gegenüber früheren Entwürfen und ein positives Signal, das Hoffnung macht auf eine wirklich inklusive Umsetzung der Entwicklungsziele. Ein Wermutstropfen bleibt jedoch: Für die Unterziele, die vor allem für „besonders verletzliche Gruppen“ wichtig sind – etwa die Hungerbekämpfung –, gibt es kaum Indikatoren, die auf einzelne dieser Gruppen zugeschnitten sind, seien es Kinder, alte Menschen oder eben Menschen mit Behinderungen. Hier muss nachgebessert werden, um ein vollständiges Monitoring zu ermöglichen und die Umsetzung im Sinne der ursprünglichen Idee sicherzustellen. Diese grundsätzlich richtige Definition der Indikatoren ist aber nur dann sinnvoll, wenn die Zielerreichung anhand hochwertiger und aktueller Daten überprüft wird. Dass das in vielen Ländern schwierig ist, zeigt der UN-Abschlussbericht zu den Millenniumentwicklungszielen aus dem vergangenen Sommer: In vielen Entwicklungsbereichen bestehen erhebliche Datenlücken, und vorhandene Statistiken sind häufig von schlechter Qualität, nicht aktuell oder schlicht unzu- reichend, um Veränderungen beispielsweise im Bereich Armut zu überprüfen. Das führt dazu, dass die Ärmsten in diesen Ländern bis heute statistisch unsichtbar sind. Wir benötigen deshalb zur Umsetzung der Entwicklungsagenda deutlich mehr belastbare und tiefer aufgeschlüsselte Daten – besonders zur Lebenssituation von behinderten Menschen. Um dies zu erreichen, muss einerseits Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen und dem Statistischen Bundesamt mehr Mittel und Personal zur Verfügung stellen. Andererseits muss die Bundesregierung die Statistikbehörden in Entwicklungsländern finanziell und technisch unterstützen sowie Fachpersonal ausbilden. Eine ebenfalls zentrale Forderung an die Umsetzung und das Monitoring der 2030-Agenda ist, dass alle gesellschaftlichen Gruppen einbezogen werden. Dies muss auch für Menschen mit Behinderungen gelten: Sie müssen als aktiv gestaltende Kräfte einbezogen werden – und nicht bloß als passive Objekte und Wohlfahrtsempfänger. Die inklusive Umsetzung der nachhaltigen Entwicklungsziele verlangt ein grundsätzliches Umdenken in der Entwicklungszusammenarbeit: Einerseits müssen mehr Projekte aufgelegt werden, die sich an behinderte Menschen richten. Andererseits müssen bereits laufende Projekte in Richtung Inklusion nachgesteuert werden. Das alles kostet weniger Geld als oft gedacht; notwendig sind spezielle Budgets für inklusive Projekte in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Nur wenn die Staatengemeinschaft die Umsetzung wirklich ernst nimmt, haben wir die Chance, das Versprechen der 2030-Agenda einzulösen und auch das Leben von einer Milliarde Menschen mit Behinderungen weltweit zu verbessern. 11 12 schwerpunkt seuchen Heillos überfordert Die Ebola-Epidemie in Westafrika ist weitgehend vorbei. Was hat die Staatengemeinschaft im Kampf gegen die Seuche falsch gemacht? Und was hat sie daraus gelernt? 2-2016 | seuchen schwerpunkt Von Sascha Karberg E Erschöpft vom Einsatz gegen Ebola: Gesundheitshelfer ruhen sich Ende 2014 in einer Einrichtung des Roten Kreuzes in Koidu, Sierra Leone, von ihrer aufreibenden Arbeit aus. Baz Ratner/Reuters | 2-2016 s begann im Dezember 2013 unter einem hohlen Baum in Guinea, von der Welt unbemerkt. Ein Kleinkind steckte sich über den Kot infizierter Fledermäuse mit dem Ebola-Virus an, gab die Erreger an seine Familie weiter, und so verbreitete sich die Krankheit im ganzen Dorf Meliandou. Es folgte die größte jemals registrierte Ebola-Epidemie. 11.316 Menschen starben in den westafrikanischen Ländern Guinea, Liberia und Sierra Leone an den Folgen des Fiebers, 28.638 Infizierte überlebten – so die offiziellen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation WHO (Stand: 17. Januar). Die Dunkelziffern dürften weit höher liegen. Mitte Januar erklärte die WHO die Ebola-Epidemie in Westafrika für beendet; nur Stunden später wurde ein neuer Fall in Sierra Leone bekannt. Der Versuch, einer Katastrophe dieses Ausmaßes etwas Gutes abringen zu wollen, muss zynisch erscheinen. Die Seuche hat Familien zerrissen und mehr als 22.000 Kinder zu Waisen gemacht. Die ohnehin marode Wirtschaft der Länder, in denen sie gewütet hat, liegt am Boden. Die Gesundheitssysteme sind zusammengebrochen, weil so viele Ärzte, Pfleger und Helfer im Kampf gegen das Fieber gestorben sind. Doch zugleich hat die Angst vor Ebola der Welt die Augen dafür geöffnet, wie wenig sie auf solche Erreger vorbereitet ist. Sie hat den Zustand der WHO offenbart: schlecht organisiert, träge und unterfinanziert. Und sie hat gezeigt, wie kurzsichtig es von den Industrienationen ist, den Ausbau der Gesundheitssysteme in Entwicklungsländern zu vernachlässigen. „Ein Weckruf“, so hat es der Multimilliardär und Stiftungsgründer Bill Gates formuliert. „Wir sind im Stich gelassen worden“, sagt Tankred Stöbe von „Ärzte ohne Grenzen“. Schon im Frühjahr 2014 hatte die Hilfsorganisation vor einer unkontrollierten Ansteckungswelle gewarnt und begonnen, in den westafrikanischen Ländern Behandlungszentren und Isolierstationen aufzubauen. Die Weltgemeinschaft hingegen wurde erst richtig aktiv, als die Gefahr bestand, dass das Virus nach Europa oder in die USA eingeschleppt werden könnte – erst im August 2014 rief die WHO den Gesundheitsnotstand aus. Viel zu spät, sagt Ashish Jha, Professor für Gesundheitspolitik an der Harvard School of Public Health. Jha ist einer der Vorsitzenden einer unabhängigen Expertengruppe, die die Fehler der WHO im Management der Ebola-Krise analysiert und Verbesserungsvorschläge erarbeitet hat. Mit Kritik sparten die Experten nicht in ihrem Bericht, der Ende 2015 im medizinischen Fachblatt „Lancet“ veröffentlicht wurde. Katastrophen wie die Ebola-Epidemie zu bekämpfen sei eine der wichtigsten Aufgaben der WHO – ihre „Reputation und Glaubwürdigkeit“ habe durch das Missmanagement des jüngsten Ausbruchs gelitten. Die Organisation müsse sich wieder auf ihre Kernaufgaben konzentrieren und neu strukturieren. Die Verantwortlichen stellen sich der Kritik: „Wir haben gehört, was die Welt von der WHO erwartet“, sagte die Generaldirektorin Margaret Chan bei der Eröffnung der Weltgesundheitsversammlung in Genf im vergangenen Jahr. Zwar bekämpfe die WHO jährlich etwa 100 Ausbrüche und medizinische Notfälle, doch der Ebola-Ausbruch sei beispiellos und habe gezeigt, dass die Kapazitäten und Methoden der Organisation nicht immer an derart schwierige Aufgaben angepasst werden können. 13 14 schwerpunkt seuchen „Wir haben jetzt die historische Chance, aus den Fehlern zu lernen“, ergänzte WHO-Berater Lawrence Gostin von der Georgetown University in Washington. Schon im August letzten Jahres legte die WHO einen Fünf-Punkte-Plan vor, um für künftige Krisen besser gewappnet zu sein. Sie will unter anderem mehr Gesundheitszentren sowie eine globale Einsatzgruppe für Gesundheitsnotfälle einrichten. Zudem soll ein neuer Fonds geschaffen werden als Baustein eines internationalen Systems zur Finanzierung der Seuchenbekämpfung und anderer medizinischer Notfälle. Um ihre Reformziele zu erreichen, hat die WHO begonnen, ihren Notfallplan zu überarbeiten und in Informationstechnologien zu investieren, um das Krisenmanagement zu verbessern und Daten für schnellere und bessere Entscheidungen zu sammeln. Doch nicht alle Versäumnisse sind der Weltgesundheitsorganisation zur Last zu legen. Als eine der Kernursachen der Ebola-Epidemie nennen die Experten den schlechten Zustand der Gesundheitssysteme in den betroffenen Ländern, vor allem das Fehlen einer Seuchenkontrollbehörde. Zwar hatte sich Guinea wie viele andere Länder dazu verpflichtet, ein solches Institut einzurichten, das bei Infektionskrankheiten zuverlässig und schnell Hilfe organisieren könnte – so wie es in den meisten Industrieländern selbstverständlich ist. Bis 2014 waren jedoch zwei Drittel aller WHO-Mitgliedsländer dieser Verpflichtung nicht nachgekommen. Die Ebola-Epidemie hat klar gemacht, wie fahrlässig das ist – und auch, dass eine funktionierende medizinische Versorgung ein wirksamer Schutzschild gegen Viren wie Ebola sein kann. Im Senegal und in Nigeria, deren Gesundheitssysteme weit besser organisiert sind als die in Liberia, Guinea oder Sierra Leone, konnte trotz einiger Fälle eine Ausbreitung verhindert werden. Die Behörden hatten aufgrund der bestehenden Strukturen schnell genug reagieren können, um Kontaktpersonen zu Ebola-Erkrankten zügig zu identifizieren und zu isolieren. Als einen der Hauptgründe für das Ausmaß der Ebola-Seuche sehen die Experten, dass die WHO den internationalen Gesundheitsnotstand viel zu spät ausgerufen hat. Das hängt wohl auch mit den Erfahrungen aus vergangenen Epidemien zusammen: Bei der SARS-Epidemie in China 2003 und der Schweinegrippe 2009 hatten Reisewarnungen der WHO zu Handelseinbußen der betroffenen Länder geführt. Dafür mussten die Verantwortlichen teils harsche Kritik einstecken. A ls sich die Ebola-Epidemie in Guinea anbahnte, spielten die örtlichen Behörden die Gefahr aus Angst vor wirtschaftlichen Konsequenzen herunter, so das Expertengremium um Harvard-Professor Ashish Jha. „Länder sind souverän und handeln im eigenen Interesse“, sagt Jha. „Aber wir haben doch Institutionen wie die WHO genau dafür, Entscheidungen im Sinne der globalen Gesundheit zu treffen.“ Die WHO ist nicht der Ansicht, sie habe den Gesundheitsnotstand zu spät ausgerufen. Sie begrüßt aber den Vorschlag, eine Vorstufe einzurichten, um die internationale Gemeinschaft früher auf eine Gesundheitskrise aufmerksam machen zu können, ohne gleich den Notstand auszurufen. Allerdings dürfen die Staaten dann auch keine überzogenen Selbstschutzmaßnahmen ergreifen, die Hilfsmaßnahmen erschweren. Länder dürfen zwar Reisewar- Links: Die WHO-Chefin Margaret Chan muss sich scharfe Kritik an der Arbeit ihrer Weltgesundheitsorgani sation gefallen lassen. Alain Grosclaude/Afp/Getty Images Oben: Krankheitserreger können von Tieren auf Menschen überspringen – nicht nur im Fall Ebola: Tierärzte impfen im September 2005 im Norden Vietnams ein Huhn gegen die Vogelgrippe. Reuters 2-2016 | seuchen schwerpunkt nungen aussprechen und den Grenzverkehr kontrollieren, um die Ausbreitung der Viren zu verhindern. Doch der Warenverkehr, Hilfstransporte und die Einund Ausreise von Ärzten und Hilfspersonal sollen nicht behindert werden. In der Ebola-Krise haben viele Regierungen genau das getan: Sie schlossen die Grenzen komplett, nachdem die WHO den Gesundheitsnotstand ausgerufen hatte. Unter anderem um solche unvereinbaren Interessen in den Griff zu bekommen, wünschen sich die Experten ausdrücklich einen „starken“ WHO-Direktor, der die nötigen Maßnahmen auch gegen die machtvollsten Mitgliedsstaaten durchsetzen kann. Ferner fordern sie, die Weltgesundheitsorganisation im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu verankern, um Gesundheitsthemen mehr globale Aufmerksamkeit zu verschaffen. Wie diese Machtposition im Detail erreicht werden soll und wie sie sich politisch durchsetzen lässt, lassen die Experten allerdings offen. Konkreter ist die Forderung an internationale wie nationale Einrichtungen der Forschungsförderung, spezielle Fonds einzurichten, mit dem neue Impfstoffe und Medikamente gegen Ebola oder die Atemwegsinfektionen MERS und SARS erforscht werden können. Denn in der Regel lohnt sich für die Pharmafirmen die Entwicklung von Mitteln gegen Erreger nicht, die in Afrika in unregelmäßigen Abständen ein paar hundert oder tausend Menschenleben kosten. Auch Industrienationen investieren wenig in die Forschung zu Viren, die die eigene Bevölkerung nicht oder kaum bedrohen. Dass im Zuge der Ebola-Epidemie Impfstoffe gegen den Erreger erfolgreich getestet werden konnten, lag einzig und allein daran, dass nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA viel Geld zur Erforschung von potenziell biowaffentauglichen Viren zur Verfügung gestellt wurde. Nur des- Als sich die Epidemie anbahnte, spielten die Behörden die Gefahr aus Angst vor wirtschaftlichen Folgen herunter. Sascha Karberg ist freier Wissenschaftsjournalist im Journalistenbüro „Schnittstelle“ in Berlin. | 2-2016 halb standen Impfstoff-Prototypen wie „ZMapp“ bereit, die künftig helfen können, eine neuerliche Epidemie einzugrenzen oder gar zu verhindern. Um die Anstrengungen zu verstetigen hat die WHO Ende letzten Jahres eine Blaupause auf den Weg gebracht, wie Forschung und Entwicklung zwischen und während Ausbrüchen organisiert werden sollen. Nicht berücksichtigt wird in den Reformvorschlägen der Experten die Rolle der örtlichen Religionsgemeinschaften. Das ist ein Versäumnis, denn die Ebola-Epidemie hat gezeigt, wie sehr der Glaube und seine Traditionen die Seuchenbekämpfung beeinflussen – oder unmöglich machen. So ist es in Guinea üblich, sich von toten Familienangehörigen zu verabschieden, sie zu küssen, zu berühren, zu umarmen. Allein der Vorschlag der Ärzte und Helfer, dies wegen der Ansteckungsgefahr zu unterlassen, verstärkte das ohnehin verbreitete Misstrauen der Bevölkerung gegenüber den Gesundheitsdiensten. „Komplexe Wechselbeziehungen von Kultur, Tradition, Stigma, und Vorurteilen beeinflussen die Akzeptanz von Gesundheitsleistungen“, schreiben die Gesundheitswissenschaftlerinnen Katherine Marshall und Sally Smith im Juli 2015 im „Lancet“. Glaubensgemeinschaften könnten ein Teil der Lösung sein, wenn sie als vollwertige Partner einbezogen werden und ihre Kommunikationswege und ihr Wissen einbringen. Die „Channels of Hope“ der Hilfsorganisation World Vision etwa verbreiten unter anderem wissenschaftliche Informationen und binden muslimische und christliche Führer in ihre Arbeit ein. Auch das Deutsche Institut für Ärztliche Mission in Tübingen und das Würzburger Missionsärztliche Institut arbeiten mit religiösen Partnerorganisationen zusammen, um die Gesundheitsdienste in armen Ländern zu verbessern (siehe Interview Seite 16). E s ist offen, ob die Vorschläge der Experten verwirklicht werden und die Weltgemeinschaft in die Lage versetzen, die nächste Epidemie wirksamer zu bekämpfen. „Wir hatten auch zuvor große Ausbrüche und gründliche Auswertungen, aber die Welt vergisst schnell“, sagt Ashish Jha. Sicher ist nur eines: Der nächste Ausbruch kommt bestimmt. Er kann von Viren wie MERS ausgelöst werden, das im Sommer 2015 in Südkorea 36 Menschen das Leben kostete, von einer der vielen Varianten des Grippeerregers oder von Viren, die Forscher noch nicht einmal kennen, weil sie bislang nur in Tieren kursieren und nur noch nicht reif sind, auf den Menschen überzuspringen. Oder Ebola kommt zurück. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist größer denn je. Die Fledermäuse, die den Virus übertragen, haben die Seuche offenbar über das ursprüngliche Herkunftsgebiet Zentralafrika hinaus verbreitet, unter anderem nach Guinea, wo die Krankheit zuvor unbekannt war. Ein zweites Reservoir sind die Überlebenden der Epidemie. Noch Monate nach dem Abklingen des Fiebers finden Ärzte die Viren in der Samenflüssigkeit, im Gehirn, im Innenauge und in den Gelenken. Zwar ist Ebola nach dem bisherigen Forschungsstand nicht so leicht durch sexuelle Aktivitäten übertragbar wie das Aids auslösende HI-Virus. Doch zumindest in einigen Fällen scheint Geschlechtsverkehr der Übertragungsweg gewesen zu sein. Das Berliner Robert-Koch-Institut warnt deshalb, angesichts der hohen Zahl Überlebender könne nicht ausgeschlossen werden, dass auch künftig neue Fälle von Ebola in Guinea, Sierra Leone und Liberia auftreten. Es sei keine Zeit zu verlieren, betonen die internationalen Gesundheitsexperten in ihrem „Lancet“-Artikel. Bereits nach der SARS-Epidemie in China und dem Schweinegrippe-Ausbruch 2009 sei die Gelegenheit verspielt worden, die WHO schlagkräftiger und effizienter zu machen. Geschehe dies erneut, stehe man der nächsten Epidemie „völlig unvorbereitet“ gegenüber. 15 16 schwerpunkt seuchen „Das Vertrauen zurückgewinnen“ Erste Lehren aus der Ebola-Epidemie: Jedes kirchliche Krankenhaus in den betroffenen Ländern hat jetzt einen Hygienebeauftragten. Was sich sonst noch verbessern muss, erklärt die Direktorin des Deutschen Institutes für Ärztliche Mission (DIFÄM), Gisela Schneider. Frau Schneider, was haben Sie und Ihre Partner aus der Ebola-Epidemie gelernt? Wir müssen selbstkritisch festhalten, dass viele der kirchlichen Krankhäuser in Sierra Leone und Liberia vernachlässigt waren. Wir und andere Hilfswerke haben in den vergangenen zehn, 15 Jahren viel zu wenig in das Gesundheitssystem investiert. Die Einrichtungen hatten zu wenig qualifiziertes Personal, Ausrüstung und Infrastruktur waren mangelhaft. In Liberia etwa waren vor dem Bürgerkrieg die kirchlichen Krankenhäuser die besseren. Die Qualität der Versorgung hat auch gelitten, weil viele Fachkräfte in andere Länder abgewandert sind. Das ändert sich jetzt? Wir müssen dazu beitragen, die örtlichen Gesundheitssysteme zu stärken. Unsere Partner legen wieder mehr Wert auf die Qualität ihrer Einrichtungen. Bei der Generalversammlung des kirchlichen Gesundheitsnetzwerkes CHAL im November wurde festgestellt, dass die Bevölkerung die Krankenhäuser wieder häufiger aufsucht und deren Arbeit schätzt. Kliniken, die während der Epidemie aufgrund ihrer schlechten Ausstattung geschlossen waren, was vor allem in Sierra Leone der Fall war, tun sich allerdings schwer. Die Menschen in der Umgebung sagen, als wir euch am meisten gebraucht haben, wart ihr nicht da. Hier muss das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewonnen werden. Das ist ein langwieriger Prozess. Wie werden die Angebote verbessert? Im vergangenen Jahr wurden alle Mitarbeitenden in Infektionskontrolle aus- und weitergebildet. Jedes kirchliche Krankenhaus hat inzwischen einen Hygienebeauftragten, der sicherstellt, dass die vorbeugenden Maßnahmen angewendet werden. Jeder Verdachtsfall wird sofort getestet, bis das Ergebnis feststeht, werden solche Patienten strikt isoliert. Das hat in den vergangenen Monaten auch sehr gut geklappt. Wie läuft die Kooperation zwischen kirchlichen und staatlichen Einrichtungen? In Liberia kann das Netzwerk CHAL in vielen Gremien mitarbeiten. In Sierra Leone stuft der Staat die kirchlichen Einrichtungen als „privat“ ein und so fehlt es an Unterstützung. Aber auch hier finden Gespräche mit dem Gesundheitsministerium statt. Ziel muss es sein, dass sich kirchliche Einrichtungen an der kostenfreien Versorgung von Kindern und Schwangeren beteiligen. Was sind die nächsten Schritte für das DIFÄM? Das DIFÄM bereitet derzeit mit Unterstützung der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit für jedes der drei Ebola-Länder sogenannte „Open-Space-Konferenzen“ vor. Dort sollen sich Betroffene, Mitarbeitende im Gesundheitswesen sowie Vertreter von Zivilgesellschaft und Staat darüber austauschen, wie die Gesundheitssysteme gestaltet sein müssen, um von der Bevölkerung akzeptiert zu werden und den Erfordernissen vor Ort zu entsprechen. Daraus sollen mittel- und langfristige Projekte entwickelt werden, die die Lage verbessern. Muss man nicht schnell handeln, um Infektionen vorzubeugen? Im Moment ist die Wachsamkeit noch sehr hoch. Die Infektionskontrolle muss unbedingt aufrechterhalten werden. Dafür werden neben den Mitarbeitenden im Gesundheitswesen auch ehrenamtliche Gesundheitshelfer in den Dörfern eingesetzt. Zugleich muss aber längerfristig in die Gesundheitssysteme investiert werden, weil deren Schwäche die Menschen so verwundbar für Ebola gemacht hat. Tausende haben das Fieber überlebt. Welche Hilfe brauchen sie? Ebola-Überlebende haben oft körperliche Symptome. Eine Folge ist die Entzündung der Regenbogenhaut im Auge, einige der Erkrankten sind erblindet. Rechtzeitige Behandlung kann hier Abhilfe schaffen. Das wird routinemäßig untersucht und behandelt. Hinzu kommen posttraumatische Störungen, die Menschen fühlen sich über lange Zeit schwach, mental und psychisch erschöpft. Viele sind stigmatisiert. Um ihre Anliegen kümmern sich örtliche Unterstützergruppen. Gibt es auch spezielle Behandlungen für Traumatisierte? In der katholischen LorettoKlinik in Makeni in Sierra Leone kümmern sich auf die Behandlung von psychischen Störungen spezialisierte Krankenschwestern um Ebola-Überlebende. Sie bieten Sprechstunden an und besuchen Betroffene auch in umliegenden Dörfern. In Liberia sollen Teilneh- Gisela Schneider leitet das DIFÄM seit 2007. Sie war während der Ebola-Epidemie mehrfach in Liberia und Sierra Leone, zuletzt im November 2015 mit einer Delegation der Europäischen Union. mende des nach dem Bürgerkrieg aufgelegten Friedens- und Versöhnungsprogramms für solche Aufgaben weitergebildet werden. Wie haben sich die Kirchen mit ihren Zeremonien auf Ebola eingestellt? Im Moment werden noch immer sichere Beerdigungen abgehalten, die Leichen werden nicht gewaschen und in Leichensäcken begraben. Das Beerdigungsteam trägt zum Teil noch Schutzkleidung. Die Angehörigen dürfen dabei sein, aber nicht so nahe herankommen. In einem Gottesdienst in Monrovia habe ich erlebt, wie sehr das Desinfizieren der Hände bereits Teil der Abendmahlsliturgie geworden ist. Wie groß ist die Gefahr, dass die Welt die Lehren aus Ebola schnell wieder vergisst? Wir werden nicht alles auf dem derzeit hohen Niveau halten können. Positiv gestimmt haben mich Äußerungen bei einem Meeting der WHO im Dezember, wonach sie realisiert haben, welche starke Rolle die Zivilgesellschaft und die nichtstaatlichen Organisationen in der Gesundheitsversorgung spielen und dass man mit ihnen kooperieren muss. Wenn das verwirklicht wird, ist schon viel gewonnen. Das Gespräch führte Gesine Kauffmann. 2-2016 | seuchen schwerpunkt Die Angst wirkt lange nach Die Ebola-Epidemie hat in Sierra Leone tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen. Nach ihrem Ende müssen moderne Medizin und traditionelle Heiler ein neues Verhältnis zueinander finden. Von Luisa Enria A ls Westafrika Mitte Januar für Ebola-frei erklärt wurde, verhieß dies das Ende einer beispiellosen Seuchenkrise in der Region. Mindestens 28.638 Menschen hatten sich bis dahin mit dem Virus angesteckt, 11.316 waren daran gestorben. Unter den Überlebenden haben viele noch immer erhebliche Gesundheitsprobleme oder werden ausgegrenzt. Jetzt, da in Guinea, Sierra Leone und Liberia nach fast zwei Jahren nur noch sehr vereinzelt neue Krankheitsfälle verzeichnet werden, können die Menschen über ihre Zukunft jenseits von Ebola nachdenken. Dabei stehen sie vor der enormen Anforderung, ihren Wunsch nach Rückkehr zum „normalen Leben“ mit den Bemühungen zu vereinbaren, entstandene Brüche und Konflikte zu heilen. Auf dem Höhepunkt der Epidemie funktionierte in Sierra Leone gar nichts mehr. Über die geschäftige, normalerweise von chaotischem Verkehr geprägte Hauptstadt Freetown verhängten die Behör- Ein traditioneller Heiler behandelt 2013 in Freetown einen Patienten. Während der Ebola-Epidemie durften Heiler nicht praktizieren. Mattia Zopellaro/Laif | 2-2016 den im März 2015 eine dreitägige Ausgangssperre, um der Ausbreitung der Krankheit Herr zu werden. Außerdem erklärten sie den Ausnahmezustand und erließen eine Sperrstunde. Die Geschäfte öffneten nur noch wenige Stunden am Tag, Versammlungen und Feiern waren verboten, und entgegen allen Landessitten sollten die Menschen von Sierra Leone mit einem Mal jeden Körperkontakt vermeiden. Es fiel ihnen schwer, einander nicht mehr die Hand zu geben, und noch schwerer, ihre Angehörigen gerade in den harten Stunden der Krankheit nicht mehr tröstend in die Arme schließen zu können. Die Wirtschaft kam zum Erliegen, Investoren zogen sich zurück, Entwicklungsprojekte wurden eingestellt. Die Arbeitslosigkeit, die schon vor dem Ebola-Ausbruch hoch war, stieg rasant. Viele meist junge Menschen, die sich mit kleinen Straßengeschäften durchgeschlagen hatten, standen praktisch vor dem Nichts. Viele brachten gerade die Krankenhäuser mit dem Übel in Zusammenhang 17 18 schwerpunkt seuchen in den Bars, Teehäusern und an den Imbiss-Ständen, die Sperrstunde wurde aufgehoben. Große Märkte wie der von Bamoi Luma im Distrikt Kambia im Nordosten öffneten wieder, und das brachte auch die Wirtschaft wieder auf Touren. Auch Waren aus Guinea kamen erneut über die Grenze, und die kleinen Händler hatten keine Angst mehr, in die Dörfer zu fahren und den Bauern ihre Produkte abzukaufen. Das Angebot an Lebensmitteln verbesserte sich, so dass Großhändler keine Wucherpreise mehr verlangen konnten. Junge Leute organisierten die gewohnten Partys, fast noch öfter als vor dem Ausbruch von Ebola – als gälte es, die verlorene Zeit aufzuholen. Wie zuvor kündigten sie die Veranstaltungen an, indem sie in überfüllten Autos und mit dröhnenden Musikanlagen durch die Straßen fuhren. Inzwischen verzeichnen auch die Krankenhäuser wieder fast so viele Patienten wie vor Ausbruch der Ebola-Epidemie. Die Menschen verbinden Gesundheitseinrichtungen nicht mehr vorrangig mit der Oben: Einwohner von Kailahun warten Ende 2014 auf Pässe, mit denen sie die Quarantäne-Gebiete des Distriktes verlassen dürfen. Mitte: Ebola hat Begräbnisse efährlich gemacht; Freiwillige g bestatten ein Opfer in Waterloo südöstlich von Freetown. Rechts: Die Seuche hat Märkte lahmgelegt wie diesen in Freetown 2008. Nach dem Abklingen der Epidemie kommt der Handel wieder in Gang. afp/Getty Images (2); Reuters und vermieden es, dorthin zu gehen – auch aus Angst, fälschlich als Ebola-infiziert zu gelten und zusammen mit Ebola-Patienten in die Quarantänestation gezwungen zu werden. Verschwörungstheorien machten die Runde. So hieß es, dass internationale Organisationen oder die Regierung von Sierra Leone bewusst die Seuche verbreitet hätten, um die Bevölkerung zu dezimieren. Entsprechend begegnete man Gesundheitseinrichtungen und ihren Mitarbeitenden mit Misstrauen. A uf den Straßen türmten sich derweil die Leichen. Unterfinanzierte, schlecht ausgestattete Bestattungstrupps waren überfordert und kaum in der Lage, angemessen auf diese Situation zu reagieren. Schon fragten sich einige, ob nicht ein Fluch über dem Land lag, das sich noch immer nicht ganz von dem Bürgerkrieg der Jahre 1991 bis 2002 erholt hatte. Doch dann ebbte im Sommer 2015 die Epidemie langsam – viel zu langsam – ab. Betroffene meldeten sich nun doch zeitiger in den Behandlungszentren. Viele hielten die Regeln zur Vermeidung einer Ansteckung, auf die sie zuvor mit Skepsis reagiert hatten, nun ein. Die Hilfskräfte vor Ort hatten im Umgang mit Problemen bislang unbekannten Ausmaßes gelernt, wie man die Bevölkerung in den Kampf gegen die Krankheit einbindet. Am 7. November 2015 wurde Sierra Leone zum ersten Mal für von Ebola frei erklärt. Mitte Januar trat zwar erneut ein Fall auf, doch zumindest oberflächlich betrachtet kehrte bemerkenswert schnell die Normalität zurück. Die Menschen trafen sich wieder Seuche. Aber die Rückkehr zur Normalität in Sierra Leone bedeutet auch, dass in den Ortschaften, in denen Seuchenhelfer zu wichtigen Arbeitgebern geworden waren, viele Menschen entlassen wurden. Sie haben kaum Aussicht auf eine andere Stelle. Stattdessen werden wohl auch sie in die bereits aus allen Nähten platzenden Städte ziehen. Die Gelassenheit, die wieder in die ländlichen Gebiete eingezogen ist, steht in scharfem Kontrast zu der vorherigen Anspannung, eine große Gemeinschaftsaufgabe bewältigen zu müssen. Noch lässt sich nicht sagen, welche Folgen die Ebola-Krise auf Dauer für die Gemeinden haben wird; sie reichen möglicherweise tiefer, als es zunächst scheint. Bereits an dem Tag, als das Ende von Ebola verkündet wurde, entbrannte in der Stadt Kam- 2-2016 | seuchen schwerpunkt Während des Ebola-Ausbruchs durften traditionelle Heiler vielerorts nicht praktizieren, und man warnte die Bevölkerung, dass sie sich gerade bei ihnen mit der Krankheit anstecken könnten. Die traditionelle Medizin wurde so im Vergleich mit der modernen westlichen Medizin als Relikt der Vergangenheit dargestellt. Nun wird in Sierra Leone darüber debattiert, wie wichtig es ist, die Kenntnisse der Einheimischen über Heilkräuter in die modernen Behandlungsmethoden einzubinden. Den Menschen aber wurde während der Ebola krise eine klare Hierarchie des Wissens vermittelt. Die Folge ist, dass nun kaum noch jemand zugeben will, zu einem Heiler zu gehen aus Angst, für rückständig, dumm oder fortschrittsfeindlich gehalten zu werden. Die Heiler, denen jahrelang ein Auskommen an der Seite der modernen Gesundheitsdienste versprochen wurde, fühlen sich jetzt um ihre Patienten geprellt und an den Rand gedrängt. bia eine heftige Debatte darüber, ob es angebracht sei, dieses Ereignis zu feiern. Einige fanden das taktlos gegenüber den Toten und jenen, die Familienangehörige verloren hatten. Eine Gemeinde gab einer gemeinsamen Trauerfeier den Vorzug vor lautem Jubel auf den Straßen. Die Epidemie hat nicht nur Menschenleben gekostet. Sie hatte auch spürbare Auswirkungen auf das soziale Leben und das Vertrauen der Menschen zueinander. So mussten die Hilfskräfte im Laufe der Epidemie sämtliche Krankheits- und Todesfälle den Behörden melden. Auch wenn dies für die Eindämmung der Krankheit wichtig war, sahen viele darin einen Vertrauensbruch. Bestenfalls hielten sie die Notfallhelfer für bloße „Klatschmäuler“; teilweise warfen sie ihnen aber auch vor, zu ihrem eigenen Vorteil Seuchenfälle erfunden zu haben. Auf dem Höhepunkt der Krise wurden Helfer auch gewaltsam angegriffen. Manche fürchten noch immer, dass die Familien der von ihnen gemeldeten Kranken an ihnen Rache nehmen könnten. K Luisa Enria ist Wissenschaftlerin an der London School of Hygiene and Tropical Medicine. Sie erforscht zurzeit, wie der Test einer Ebola-Impfung im Norden Sierra Leones von der Bevölkerung akzeptiert wird. | 2-2016 risen können mitunter produktiv sein und viel schnellere Veränderungen anstoßen als von oben verordnete Maßnahmen. Wie so oft kann man aber auch in diesem Fall die vielschichtigen Änderungen erst nach einiger Zeit ermessen. Ein Paradebeispiel ist die zwiespältige Rolle der westlichen Medizin während der Epidemie. Mit dem internationalen Großeinsatz zur Bekämpfung des Virus wurde eine Vielzahl von Botschaften verbreitet, die darauf abzielten, das Verhalten der Menschen im Krankheitsfall zu ändern. Am wichtigsten sei es, ein Krankenhaus aufzusuchen, hieß es. Vor dem Ausbruch von Ebola gingen viele Menschen, die krank wurden, zunächst zu einem traditionelle Heiler – sei es, dass sie kein Geld für das Krankenhaus hatten, sei es, dass sie überzeugt waren, gewisse Krankheiten ließen sich besser „traditionell“ behandeln. G enauer betrachtet hat Ebola die traditionelle Medizin allerdings nicht einfach nur abgewertet, sondern eine tiefgreifende und wichtige Debatte über den Wert verschiedener Arten von Kenntnissen und Methoden in der Gesundheitsfürsorge angestoßen. Viele gehen weiterhin zu Heilern, auch wenn sie es nicht öffentlich zugeben wollen, und stellen damit für sich den Wert der westlichen Wissenschaft in Frage. Anfangs, so sagen sie, habe man den Menschen verkündet, es gäbe keine Heilung für Ebola, sie aber trotzdem aufgefordert, ins Krankenhaus zu gehen. Das wurde weithin als Widerspruch empfunden und weckte Misstrauen. Auch verweisen viele Menschen darauf, dass die Mediziner sich selbst nicht über die Nachwirkungen der Krankheit einig werden, weshalb sie ständig neue Empfehlungen herausgeben (beispielsweise was ungeschützten Geschlechtsverkehr mit Überlebenden betrifft). Andere stellen dem Idealbild der Krankenhäuser die Wirklichkeit des heruntergekommenen, unter Geldmangel und Missmanagement leidenden Gesundheitswesens gegenüber. Für viele Bürger Sierra Leones hat der Ebola-Ausbruch einmal mehr deutlich gemacht, was sie längst wissen: Dass das Gesundheitssystems des Landes seiner Aufgabe nicht gewachsen ist. Die derzeitige Debatte über die Gesundheitsversorgung deutet auf ein tieferes Problem: Während vordergründig das Leben nach Ebola wieder zur Normalität gefunden hat, hängt die Zukunft von der Bereitschaft ab, von der Krise eröffnete Spielraume zu nutzen. Vor allem gilt es, ein Gesundheitssystem aufzubauen, dem die Menschen wieder vertrauen können. Es muss auch die Stärken und die Vielfalt der zahlreichen schon vorhandenen Anbieter von Gesundheitsleistungen einbeziehen. Es bedarf also einer konstruktiven Auseinandersetzung mit den vielschichtigen Überzeugungen und Erfahrungen der Menschen. Es kann nicht bloß darum gehen, von ihnen oberflächliche Verhaltensänderungen zu fordern. Aus dem Englischen von Thomas Wollermann. 19 20 schwerpunkt seuchen Ein Dorf hält das Virus fern In Malema hat Ebola kein einziges Opfer gefordert. Der erfolgreiche Kampf gegen die Seuche hat die Gemeinschaft enger zusammen geschweißt. D as Dorf Malema liegt inmitten einer großen Palmölplantage nordwestlich der liberianischen Hauptstadt Monrovia. Seinen Einwohnern ist es gelungen, die Seuche fernzuhalten – indem sie sich organisierten, präventive Maßnahmen trafen und sich strikt daran hielten. Mobile Gesundheitsteams klärten über Ansteckungsrisiken und Schutzmaßnahmen auf. So wurde davor gewarnt, Buschfleisch zu essen, außerdem sollten sich die Dorfbewohner von pflanzenfressenden Fledermäusen fernhalten. Eltern hielten ihre Kinder während der Regenzeit davon ab, nach draußen zu gehen und frische Mangos zu essen. Sie fanden Möglichkeiten, sie im Haus zu beschäftigen. Die ganze Gemeinschaft bemühte sich zudem darum, die Umgebung sauber zu halten, um die Ausbreitung anderer Krankheiten zu verhindern. Doch bald schürten Gerüchte neue Ängste und Misstrauen gegenüber jedem, der das Dorf betreten wollte: Angeblich hatten Leute aus anderen Teilen des Landes Wasserquellen vergiftet, um die Zahl der Todesfälle zu erhöhen. Die Bewohner von Malema organisierten deshalb eine Bürgerwehr, die die Wasserpumpe der Gemeinde Tag und Nacht bewachen sollte. Die Männer, die die Nachtschichten übernahmen, bekamen dafür ein Abendessen. Dazu steuerten alle etwas bei, teils auch kleinere Geldbeträge, etwa für die Batterien der Taschenlampen. Dennoch wuchs das Misstrauen. Jede Familie versuchte, weitgehend unter sich zu bleiben. Selbst das gemeinsame Essen, früher ein wesentlicher Bestandteil des Dorflebens, wurde schwierig. Niemand wollte mehr etwas zu sich nehmen, das außerhalb der eigenen Familie zubereitet worden war. Auch die Mahlzeiten für die Bürgerwehr wurden nur noch unter deren Aufsicht gekocht. Zum Essen brachten alle ihre eigenen Teller und Löffel mit – früher hätte das als seltsam gegolten. Die selbstauferlegte Isolation hatte ei- Trotzdem wurden die strengen Regeln akzeptiert. Die Angst vor Ebola überwog. Auch auf die Wirtschaft wirkte sich die Abschottung aus. Lebensmittel aus der Hauptstadt wurden kritisch beäugt, so dass viele Händler keinen Umsatz mehr machten. Immer mehr Waren gerieten in Verdacht, vergiftet zu sein – die Menschen wollten keinen Fisch mehr essen und strichen zeitweise sogar Salz vom Speiseplan. Die Frauen hörten Einwohnerinnen von Malema erzählen bei einem Treffen der nichtstaatlichen Bildungsorganisation NAEAL, wie sie ihr Dorf vor Ebola bewahrt haben. Mehmet Kutlu nen hohen sozialen Preis. Fremde wurden von Malema ferngehalten – vor allem Menschen aus Monrovia, wo die Seuche besonders stark grassierte. Tagsüber bewachten Frauen die Straße, die zur Gemeinde führt; Neuankömmlinge wurden zu ihrer Herkunft befragt. Damit wurde es zugleich für Reisende aus der Gemeinde schwieriger, wieder zurückzukehren. Viele Einwohner von Malema konnten ihre Verwandten in Monrovia und anderen Teilen Liberias nicht mehr treffen. Die Schule im Dorf blieb geschlossen; die Kinder mussten mehr als sieben Monate zu Hause verbringen, und wurden dort auch, so gut es ging, unterrichtet. auf, Kohle herzustellen, weil im Dorf niemand mehr welche kaufen wollte, man verwendete lieber Feuerholz zum Kochen. Und die Kunden aus Monrovia wurden nicht ins Dorf gelassen. Sogar die Arbeit auf der umliegenden Palmölplantage wurde eingestellt. Seit kurzem kehrt das Dorf schrittweise zum gewohnten Leben zurück. Der Handel wurde wiederbelebt, doch die Landwirtschaft liegt noch brach. Etliche Farmer haben einen großen Teil ihrer Werkzeuge verloren, die sie während der Ebola-Monate auf den Feldern zurückgelassen hatten. Auch wenn keine neuen Ebola-Fälle mehr gemeldet werden, ist es nicht leicht, das Vertrauen ins Gesundheitssystem wiederherzustellen. Während einer Kampagne gegen Polio lehnten viele eine Impfung ab: Gerüchte hatten die Runde gemacht, denen zufolge Kinder sich so mit dem Ebola-Virus infizieren würden. Angst und Misstrauen schützten die Gemeinde während des Ebola-Ausbruchs. Nun hindern sie die Menschen daran, zu ihrem Alltag zurückzukehren. Die Erleichterung über das Ende der EbolaEpidemie ist groß, doch es wird dauern, bis die emotionalen und sozialen Wunden geheilt sind. Die Angst ist noch immer da. Manche berichten, sie seien zwar äußerlich zu ihren Geschäften zurückgekehrt. Doch es sei nicht gut, irgendwo alleine zu sitzen. Dann fange man, nachzudenken und sich zu ängstigen, erzählen sie. Andere fühlen sich durch Lieder im Radio an die schwere Zeit erinnert und nutzen die Gelegenheit, um mit der Familie oder den Nachbarn darüber zu sprechen. Es scheint, als hätten viele Einwohner von Malema im Glauben Halt gefunden. Christen und Muslime kamen während der Ebola-Epidemie zusammen, um gemeinsam zu fasten und zu beten. Die meisten empfinden tiefe Dankbarkeit dafür, dass ihre Gemeinde verschont wurde. Auch wenn manches dazu geführt hat, dass sich die Menschen voneinander entfernt haben, bleibt doch auch ein Gefühl des Zusammenhalts zurück. Einige der Schutzmaßnahmen wie Hände waschen und putzen hat Eingang in die alltägliche Routine gefunden. In den vergangenen Monaten flackerten immer wieder Nachrichten über Ebola in Liberia und den Nachbarländern auf. Viele haben Angst, dass die Seuche zurückkehren könnte. Die Menschen in Malema leben in einem Zwischenstadium: Sie haben wieder mehr Freiheiten, doch sie sind in ständiger Alarmbereitschaft. Jehoshaphat Dogolea und Rebecca Hackstein Aus dem Englischen von Hanna Pütz. 2-2016 | seuchen schwerpunkt In vielen Ländern sind Antibiotika rezeptfrei erhältlich – so auch in Indien: Apotheke in Bharatpur, Rajasthan. Christian Hütter/ Lineair Die Abwehr der Bakterien Von Barbara Erbe Antibiotika haben die Behandlung von Infektionskrankheiten weltweit revolutioniert. Doch immer mehr Bakterien sind heute gegen sie resistent. | 2-2016 W enn sich die Helferinnen und Helfer von Ärzte ohne Grenzen in Indien um Menschen mit Tuberkulose (TB) kümmern, stehen sie oft vor einer heiklen Wahl. Viele der üblichen Antibiotika wirken nicht mehr, weil die Krankheitserreger resistent gegen sie geworden sind. Daher müssen die Mediziner immer häufiger auf weniger effiziente oder ältere Mittel zurückgreifen. Sie müssen bis zu zwei Jahre lang eingenommen werden und können schwere Nebenwirkungen verursachen. Das TB-Medikament Kanamycin etwa greift das Gehör an, und zwar so stark, dass die Patienten schwerhörig oder sogar taub werden. „Ob in Zentralasien, Osteuropa oder in jordanischen Flüchtlingslagern, immer häufiger hindern antimikrobielle Resistenzen uns daran, Infektionskrankheiten wirksam zu bekämpfen“, sagt Philipp Frisch, Koordinator der Medikamentenkampagne bei Ärzte ohne Grenzen. Unempfindlichkeit gegen Antibiotika ist eine biologische Eigenschaft, die im Erbgut vieler Bakterienstämme festgelegt ist und damit bei der Vermehrung weitergegeben wird. Aber wie entsteht sie? Bei der Vermehrung von Bakterien komme es immer zu zufälligen genetischen Veränderungen, sagt Martin Exner, Professor am Institut für Hygiene und Öffent- liche Gesundheit der Universität Bonn. „Der verbreitete Einsatz von Antibiotika hat nun weltweit und über Jahrzehnte zu einer Selektion geführt, also zu einem Überlebensvorteil für Bakterienstämme, die gegen eine wachsende Zahl von Wirkstoffen resistent sind.“ Die anfangs nur zufällig resistenten Bakterien verdrängen langsam aber sicher die empfindlicheren Stämme. Denn sobald der Organismus, den sie besiedeln, mit Antibiotika in Kontakt kommt, haben sie die besseren Überlebenschancen und können sich stärker vermehren. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzt derweil, dass 700.000 Menschen jährlich an Infektionen mit multiresistenten Erregern sterben – also mit Erregern, die gegen eine ganze Reihe von Antibiotika unempfindlich sind. Im Jahr 2050, so befürchtet sie, könnten es zehn Millionen sein. Dass der weltweite Verbrauch von Antibiotika nach wie vor steigt, verschärft das Problem. Laut der britischen MedizinFachzeitschrift „Lancet“ ist er zwischen 2000 und 2010 um 36 Prozent gewachsen. Der Anstieg geht vor allem auf das Konto der Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika, wo Antibiotika in den vergangenen Jahren deutlich erschwinglicher geworden sind, ihr Einsatz aber kaum reguliert wird. 21 22 schwerpunkt seuchen Die Ursachen für die Misere sind vielfältig. Häufig werden Antibiotika falsch und vorschnell verordnet. Das kann ein Baby in einem Industrieland mit einer fiebrigen Erkältung sein, damit es schnell wieder die Krippe besuchen kann. Oder ein fieberndes Kind in einer dürftig ausgestatteten Gesundheitsstation eines südostasiatischen Schwellenlandes erhält vorsorglich ein Antibiotikum, ohne dass eine richtige Diagnose gestellt wurde. „Wenn die Diagnosemöglichkeiten unzureichend sind, ist der präventive Griff zum Antibiotikum oft die Regel“, erläutert Philipp Frisch. Das Geschäft mit Antibiotika ist für Pharmakonzerne wenig lukrativ. Deshalb investieren sie kein Geld in neue Mittel. In vielen Ländern sind Antibiotika nicht verschreibungspflichtig, sondern in Drogerien, Apotheken oder bei Straßenhändlern frei erhältlich. Ihre Abgabe wird vielerorts kaum kontrolliert. Gleichzeitig weiß eine große Zahl von Patienten nicht, in welchen Fällen Antibiotika helfen und wie sie korrekt angewendet werden müssen. So gehen laut dem diesjährigen WHO-Bericht über antimikrobielle Resistenzen drei Viertel der in Indien Befragten davon aus, dass Antibiotika Erkältung und Grippe bekämpfen – obwohl sie gegen Viren nichts ausrichten können, sondern nur gegen Bakterien wirken. Mehr als die Hälfte der in China Befragten gaben an, die Behandlung mit Antibiotika abzubrechen, sobald es ihnen besser gehe. Mediziner werden dagegen auch in den Industrie ländern nicht müde zu betonen, wie wichtig es ist, die Medikamente bis zum Ende des vorgeschriebenen Gefährliche Keime in Deutschland In Deutschland spielen Keime, die gegen Antibiotika resistent sind, noch eine deutlich geringere Rolle als in den ärmeren Ländern Afrikas und Asiens. Das liegt daran, dass Infektionskrankheiten wie Tuberkulose, Diphtherie oder schwere Durchfallerkrankungen in den Industriestaaten weniger weit verbreitet sind. Zu Problemkeimen können multiresistente Erreger aber auch hierzulande werden: Für Patienten, die durch eine schwere Grunderkrankung geschwächt sind und den Keimen mit einer Operationswunde, einem Harnkatheter oder dem Anschluss an ein Beatmungsgerät eine Eintrittspforte bieten. „Längst nicht jeder, der von dem Keim besiedelt ist, wird auch infiziert“, betont Christian Brandt, der Sprecher der Ständigen Arbeitsgemeinschaft Allgemeine und Krankenhaushygiene der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie. Dennoch gilt: „Je mehr Menschen die Keime in sich tragen, desto größer ist die Gefahr von Infektionen.“ In Deutschland gilt deshalb seit 2008 die von der Bundesregierung eingesetzte Deutsche Antibiotika-Resistenzstrategie (DART). Darunter werden die Aus- und Fortbildung der Ärzte, Hygienemaßnahmen, die Anwendung von Antibiotika sowie die Diagnostik überwacht und die Entwicklung neuer Antibiotika und alternativer Arzneimittel unterstützt. Sie ist in die Antibiotika-Resistenzstrategie der WHO eingebunden. (erb) Zeitraums einzunehmen. Nur so können sie ihre volle Wirkung entfalten und es können keine Bakterien überleben, die anschließend Resistenzen weitergeben könnten. Darüber hinaus wird die Arzneimittelqualität vor allem in ärmeren Ländern nur unzureichend überwacht. Die Folge ist, häufig unbeabsichtigt, eine falsche Dosierung, die ebenfalls Resistenzbildungen fördert. Dasselbe geschieht, wenn sich mehrere Mitglieder einer Familie aus Kostengründen ein Antibiotikum teilen oder wenn Packungsreste an andere weitergegeben werden. „Dann bekommt jeder nur eine Teildosis, die dazu führt, dass sich die Bakterien, die eigentlich bekämpft werden sollen, besser gegen das Medikament wappnen können“, erklärt Philipp Frisch. Aber nicht nur in der Humanmedizin besteht Handlungsbedarf. Auch die Tierhaltung trage weltweit entscheidend dazu bei, dass Mikroben Resistenzen entwickeln, erläutert Maria Vehreschild von der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie. „Es ist unstrittig, dass bestimmte resistente Bakterien oder ihre Resistenzgene aus der Landwirtschaft, vor allem der Tiermast, auf den Menschen übertragen werden.“ Dennoch werden Antibiotika weltweit und auch in Deutschland in der Massentierhaltung eingesetzt – vor allem, um möglichen Infektionen im Stall vorzubeugen, in einigen Ländern aber auch, um den Stoffwechsel von Masttieren so zu beeinflussen, dass sie schneller an Gewicht zulegen. „Wenn Mensch und Tier dann auch noch auf sehr engem Raum zusammenleben, steigt die Gefahr, dass Resistenzen sich übertragen.“ Erschreckende Neuigkeiten kamen vor kurzem aus China. Laut „Lancet“ stießen Wissenschaftler verschiedener chinesischer Universitäten bei der Untersuchung von Darmbakterien erstmals auf sogenannte Plasmid-vermittelte Resistenzen gegen Colistin. Colistin ist eines der weltweit wichtigsten so genannten Reserveantibiotika: ein Medikament, das extrem sparsam verwendet werden soll, weil es als letztes Mittel gilt, wenn gängige Antibiotika wegen Resistenzen versagen. „Diese Entdeckung könnte verheerende Folgen für die Wirksamkeit von Reserveantibiotika haben“, sagt Maria Vehreschild. Plasmide sind kleine, außerhalb der Chromosomen liegende DNA-Moleküle. Dass die Resistenz über sie weitergegeben wird statt nur bei der Vermehrung der Bakterien, bedeutet: Die Colistin-Resistenz kann auch artübergreifend zwischen verschiedenen Bakterientypen weitergereicht werden, sagt Vehreschild. „Wir wissen, dass sich Resistenzen von Bakterien in diesem Fall deutlich schneller verbreiten. So war es auch schon bei den Carbapenemen, die ihren Nutzen als Reserveantibiotika in manchen Regionen der Welt weitgehend verloren haben.“ Aufgrund von Antibiotikaresistenzen können Krankheiten, die seit Jahrzehnten als beherrschbar galten, wieder lebensbedrohlich werden. So sind Lungenentzündungen und Durchfallerkrankungen, die vor allem bei Kindern verbreitet sind, mit den her- 2-2016 | seuchen schwerpunkt kömmlichen Antibiotika schon jetzt in Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika kaum mehr zu heilen. Auch eine nach einer Routineoperation infizierte Wunde kann ohne ein wirksames Gegenmedikament den Tod bringen. „Antibiotikaresistenzen gefährden unsere Fähigkeit, Infektionskrankheiten wirksam zu bekämpfen, und sie drohen viele Fortschritte der Medizin rückgängig zu machen“, betont aus diesem Grund auch WHO-Generaldirektorin Margaret Chan. Philipp Frisch von Ärzte ohne Grenzen sieht eine weitere Ursache für die neuen Risiken im „Versagen des Marktes“. Das Geschäft mit Antibiotika ist für Pharmakonzerne wenig lukrativ. Denn diese werden anders als Diabetes-, Blutdruck- oder Krebsmedikamente nur über einen kurzen Zeitraum verabreicht, und sie dürfen wegen der Resistenzgefahren nicht unbegrenzt vermarktet werden. Außerdem werden die Mittel vor allem in ärmeren Ländern gebraucht, die ungleich stärker von Infektionskrankheiten betroffen sind als reiche. Eine Folge davon ist: Seit Jahrzehnten werden kaum noch neue Antibiotika entwickelt, mit denen sich – zumindest für eine gewisse Zeit – Bakterien be- kämpfen ließen, die gegen die bisherigen Mittel resistent sind. „In den vergangenen 50 Jahren hat, bis auf zwei Ausnahmen in jüngster Zeit, kein Pharmaunternehmen ein neues Antibiotikum gegen Tuberkulose auf den Markt gebracht“, kritisiert Philipp Frisch. Um Forschung und Entwicklung zu fördern, müssten Forschungskosten und Marktpreise entkoppelt werden. Das Mittel der Wahl wäre ein staatlich finanzierter Forschungsfonds zugunsten neuer Antibiotika. Er sollte auch die Entwicklung einfacher Diagnoseinstrumente fördern, damit weniger Antibiotika ohne richtige Diagnose verwendet werden. In diese Richtung geht auch der Aktionsplan, den die WHO in diesem Jahr verabschiedet hat. Demnach sollen die Mitgliedsstaaten nicht nur Aktionspläne im Sinne eines „One Health“-Ansatzes erstellen, also einer gemeinsamen Herangehensweise von Humanund Tiermedizin sowie Landwirtschaft für einen gezielteren Einsatz von Antibiotika. Die WHO möchte darüber hinaus einen staatlich finanzierten globalen Fonds zur Erforschung neuartiger Antibiotika einrichten. Wann und in welchem Ausmaß das geschehen soll, ist allerdings noch unklar. Barbara Erbe ist Redakteurin bei . Bücher zum Thema Hugh Pennington Have Bacteria won? Polity Press, Cambridge 2016, 146 Seiten, ca. 13,50 Euro Bert Ehgartner Die Hygiene Falle Ennsthaler Verlag, Steyr 2015, 249 Seiten, 19,90 Euro | 2-2016 Der Begriff „Bakterien“ beschwört die Vorstellung einer Armee Übel bringender Keime herauf, die es zu besiegen gilt. Darin sind sich der britische Bakteriologe Hugh Pennington und der österreichische Journalist Bert Ehgartner einig. Auch darin, dass dieser Eindruck täuscht, weil die meisten Bakterien, die den Menschen besiedeln, ihm nützen und nicht schaden. Wo jedoch der emeritierte Professor der Universität von Aberdeen kurzweilig und kenntnisreich die Fortschritte der Wissenschaft im Umgang mit Pest, Typhus und anderen Geißeln der Menschheit schildert, beleuchtet Ehgartner diese Fortschritte deutlich kritischer. Pennington beschreibt unter anderem, wie die Ende des 19. Jahrhunderts von Louis Pasteur erfundene Pasteurisierung der Milch die Zahl der Kinder, die an abdomineller Tuberkulose (die befällt den Darm) erkrankten und starben, stark sinken ließ. Das bestreitet Ehgartner nicht. Aber er betont, dass durch die Erhitzung der Milch auch wertvolle Bakterien zerstört werden, die für ein intaktes Immunsystem wichtig sind. Pennington kommentiert diesen Aspekt knapp mit dem Hinweis, dass sich zahlungskräftige Konsumenten in reichen Ländern nach wie vor für Rohmilchprodukte entscheiden könnten, er selbst darin aber eher ein Luxusproblem sieht. Ob es um Impfungen geht, Antibiotika oder Resistenzen dagegen: Pennington sieht sie vor allem als Errungenschaften und mahnt einen bewussten Umgang damit an, um diese Waffen nicht stumpf werden zu lassen. Ehgartner dagegen spricht sich für eine ganzheitliche Medizin und einen deutlich restriktiveren Einsatz von Antibiotika und Impfungen aus. Seine Helden sind weniger Louis Pasteur, Robert Koch oder Alexander Fleming als „Erfinder“ des Penicillins, sondern Sozialmediziner wie Max von Pettenkofer und Rudolf Virchow. Sie, das wird er nicht müde zu betonen, kritisierten die „Generalmobilmachung gegen alle Mikroben“ und setzten sich stattdessen dafür ein, den Körper und sein Immunsystem als Ganzes zu stärken. In Stil, Herangehensweise und Grundthese unterscheiden sich die beiden Titel deutlich. Wo Pennington anekdotisch referiert und einen zwar kritischen, aber eher zuversichtlichen Ausblick auf den künftigen Umgang mit Infektionskrankheiten gibt, ist Ehgartner – wie schon der Titel verrät – deutlich polemischer. Dennoch sind die beiden oft näher beieinander, als es zunächst scheint. Auch Pennington geht mehrfach darauf ein, wie wichtig das menschliche Mikrobiom ist, also die Tausende verschiedener Bakterienarten, die unseren Körper bevölkern, und dass es durch bedenkenlosen Umgang mit Antibiotika oder Impfungen Schaden nimmt. Ehgartner wiederum bestreitet nicht, dass Hygiene und Antibiotika die Menschen im 19. Jahrhundert auch vor großem Elend gerettet haben: „Sie sind eines der wenigen wirklichen Hilfsmittel, die die Medizin jemals erfunden hat.“ Anders als Pennington widmet er sich jedoch ausdrücklich, wenn auch zuweilen recht pauschal, den (Konzern)Interessen, die hinter der modernen Medizin stehen, und deren Auswirkungen vor allem in Europa und den USA. Für beide Bücher gilt: Eine spannende, anregende Lektüre. Barbara Erbe 23 24 schwerpunkt seuchen Magische Pillen gegen den Fadenwurm Der Kampf gegen die Flussblindheit ist eine Erfolgsgeschichte: In Ecuador und Kolumbien ist die Krankheit schon ausgerottet. Nigeria ist noch nicht ganz so weit. Text und Fotos: Katrin Gänsler A mina Bazamfare kneift die Augen fest zusammen. Sie öffnet sie langsam wieder und blinzelt gegen die Sonne. So grell wie sonst um die Mittagszeit ist das Licht in diesen Wochen nicht. Gerade ist Harmattan in Westafrika: eine besondere Windkonstellation, die Wüstensand und Staub bringt und dafür sorgt, dass der Himmel stets ein wenig schmutzverhangen aussieht. Amina Bazamfare, die im Dorf Kudaru im Norden Nigerias lebt, kann dadurch etwas besser sehen, zumindest mit dem linken Auge. „Rechts geht gar nichts mehr“, sagt die alte Frau. Seit wann das rechte Auge blind ist, kann sie nicht mehr genau sagen, genau so wenig, wie alt sie ist. „Viele Jahre habe ich schon hinter mir. Die zähle ich doch nicht mehr.“ Auf ihrem Gesicht macht sich ein Grinsen breit. Doch sie kann sich noch genau erinnern, wie das Leiden begann. „Es waren diese Fliegen, die mich auf dem Feld ständig gestochen haben. Ich habe mir die ganzen Beine aufgekratzt.“ Sie zeigt auf die glatte, dünne Haut an den Unterschenkeln, die wie Pergament wirkt und an einigen Stellen vernarbt ist. Medizinisch versorgt wurden die Stiche nicht. „Bei uns gibt es nicht mal ein Krankenhaus“, sagt Amina Bazamfare. Kudaru liegt zwar nur zwei Autostunden entfernt von der Millionenstadt Kaduna. Doch die Reise dorthin ist noch immer beschwerlich. Auch als das Jucken immer unerträglicher wurde, war daran nicht zu denken. Die Beine von Amina Bazamfare schaute sich deshalb lange kein Arzt an. Auch ihre Augen nicht – die wurden mit der Zeit immer schlechter. Dass sie an der Flussblindheit erkrankt war, erfuhr die alte Frau erst viel später. Onchozerkose, so die wissenschaftliche Bezeichnung, ist eine Parasitenerkrankung. Die Larven des Fadenwurms, Onchocerca volvulus, werden durch Stiche der Kriebelmücke übertragen und breiten sich nach und nach im Körper aus. Anfangs sorgen sie für Juckreiz und Hautveränderungen. Danach entstehen Knoten im Bindegewebe. Die Augen werden erst nach vielen Jahren ohne Behandlung befallen. Vor allem auf dem Land ist die Krankheit in Nigeria verbreitet Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt die Flussblindheit zu den 17 vernachlässigten Tropenkrankheiten. Es sind Krankheiten, die nur im globalen Süden ausbrechen und in Industrieländern weitgehend unbekannt sind. Häufig bedeutet das: Das Interesse an der Erforschung von Impfstoffen oder Medikamenten ist gering, denn die Nutznießer sind in der Regel arm. Das macht den Absatzmarkt für Pharmaunternehmen uninteressant. Sunday Ishaku (links) stellt anhand der K örpergröße fest, wer wie viele Tabletten nehmen muss, um nicht an Flussblindheit zu erkranken. Oben rechts: Amina Bazamfare kann kaum noch sehen, weil die Infektion bei ihr jahrelang nicht behandelt wurde. 2-2016 | seuchen schwerpunkt Im Riesenstaat Nigeria mit 180 Millionen Einwohnern ist die Flussblindheit besonders verbreitet. Nach Einschätzung des USamerikanischen Carter Centers, das unter anderem für die Ausrottung vernachlässigter Tropenkrankheiten kämpft, laufen rund 31 Millionen Menschen Gefahr, sich zu infizieren. Der Direktor des nigerianischen Zentrums für vernachlässigte Tropenkrankheiten, Ifeoma Anagbogu, befürchtet sogar, dass sich bis zu 50 Millionen Nigerianer infizieren könnten, wenn nichts gegen die Krankheit unternommen wird. Derzeit kommt die Onchozerkose in 29 der 36 Bundesstaaten vor, vor allem in den ländlichen Regionen, und sie breitet sich dort in der Nähe von Gewässern aus, wo die Mücken leben. Tatsächlich erkrankt sind weltweit laut WHO rund 18 Millionen Menschen. Unten: Plakate klären in Kudaru darüber auf, was man tun soll, um sich vor F lussblindheit zu schützen. | 2-2016 Rund 6,5 Millionen von ihnen leiden an schweren Haut erkrankungen wie Amina Bazamfare. 270.000 Erkrankte haben ihr Augenlicht komplett verloren. Die Zahlen klingen alarmierend. Trotzdem ist der Kampf gegen die Flussblindheit eine Erfolgsgeschichte. Denn Amina Bazamfare gehört zu den wenigen Menschen der alten Generation in Nigeria, die ihre Sehkraft verloren haben. In den Nachbardörfern können sich die jungen Leute gar nicht mehr daran erinnern, dass jemand durch kleine Kriebelmücken blind geworden ist. Vor gut 40 Jahren gab es in Westafrika Dörfer, in denen jeder zweite Mann über 40 seine komplette Seh- und damit auch seine Arbeitskraft verlor. In den 1970er Jahren betrugen die wirtschaftlichen Verluste in der Region laut WHO-Schätzungen jährlich rund 30 Millionen US-Dollar. Millionen Menschen wurden vor einer Infektion bewahrt Bereits 1974 wurde das Onchozerkose-Kontrollprogramm für Westafrika gestartet. Zu Beginn wurden aus Flugzeugen und Hubschraubern heraus Insektizide gesprüht, um die Kriebelmücken zu bekämpfen. Seit 1989 wird zusätzlich das Medikament Mectizan verteilt – Millionen Menschen konnten so vor einer Infektion bewahrt werden. Daran hat auch Sunday Isiyaku seinen Anteil. Er leitet die Nigeria-Niederlassung der britischen Hilfsorganisation Sightsavers, die ihren Sitz in Kaduna hat und seit mehr als 40 Jahren in sechs Bundesstaaten aktiv ist. Zu den Aufgaben der insgesamt 31 Mitarbeiter gehört es, gesundheitliche Aufklärung zu leisten, zu überprüfen, ob die Krankheit möglicherweise an bisher weniger betroffenen Orten wieder ausbricht, und entlegene Dörfer mit Mectizan zu versorgen. „Nigeria hat viel im Kampf gegen die Krankheit getan“, lautet sein vorläufiges Fazit. Dieser Kampf sei zugleich ein gutes Beispiel dafür, wie Staat, Hilfsorganisationen und private Einrichtungen zusammen arbeiten können. So viel Lob für die Regierung ist eher selten. Doch Isiyaku beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Flussblindheit und hat alle Maßnahmen, die aus der Hauptstadt Abuja kamen, sowie 25 26 schwerpunkt seuchen die Aktivitäten der Regionalregierungen verfolgt. So gibt es verschiedene Komitees und Arbeitskreise, die sich regelmäßig austauschen. Die Regierung des Bundesstaates Kaduna stellt der nichtstaatlichen Organisation kostenfrei Büroräume zur Verfügung. Flussblindheit tritt fast nur noch in Afrika auf „Insekten mochte ich schon immer“, sagt Isiyaku und lächelt, als er im großen und ein wenig düster wirkenden Konferenzraum von Sightsavers sitzt. Nach seinem Bachelor-Abschluss in Zoologie an der Universität Ahmadu Bello in Zaria, einer renommierten Lehr- und Forschungseinrichtung des Landes, entschied er sich deshalb, Insektenkunde und Pa- Flussblindheit in Afrika 2014 WESTSAHARA MALI TSCHAD SENEGAL GAMBIA BURKINA GUINEA- GUINEA FASO BENIN NIGERIA BISSAU ELFENBEINTOGO KÜSTE ZAR GHANA LIBERIA KAMERUN REP KONGO JEMEN SUDAN SÜDSUDAN UGANDA ÄTHIOPIEN KENIA DR KONGO BURUNDI TANSANIA ANGOLA MALAWI MOSAMBIK stark betroffen (Prävalenz > 20%) weniger stark betroffen (Prävalenz < 20%) Quelle: WHO und hoch motiviertes medizinisches Personal viel zum Erfolg beigetragen. Allerdings waren die Infektionsraten auch geringer als im westlichen Afrika, wo nach WHO-Angaben bis zu 90 Prozent aller Fälle auftraten. Heute sind es sogar 99 Prozent der Fälle. Die Pillen machen Amina Bazamfare das Leben leichter rasitologie zu studieren. Vor allem das Zusammenspiel von Insekten, Krankheiten und Übertragungswegen interessierte ihn. Nach dem Ende seines Studiums 1992 stieß er auf eine Krankheit, die damals ins Gespräch kam – Onchozerkose. „Sie hat mich fasziniert, weil ich spürte, es gibt gute Möglichkeiten, sie zu bekämpfen.“ Sunday Isiyaku sollte Recht behalten. „Nigerias Regierung hat gerade wieder ein Komitee zur Ausrottung von Onchozerkose gegründet“, sagt er. Ihm gehören Ex- Sunday Isiyaku leitet den igerianischen Zweig der n britischen NGO Sightsavers. Der Insektenkundler ist überzeugt, dass man die Onchozerkose besiegen kann. perten an, die Erfahrung aus Südamerika mitbringen. Dort ist die Krankheit nahezu ausgerottet, laut WHO gelten Kolumbien und Ecuador bereits als frei davon. Nach Angaben des Carter Centers haben großangelegte Kampagnen In Nigeria sollen nicht nur Gesundheitsexperten helfen, die Krankheit einzudämmen. Ehrenamtliche beteiligen sich ebenfalls – so wie Sunday Ishaku in Kudaru. Der junge Mann trägt eine Strickmütze, Hemd und Hose sind ordentlich gebügelt, die frisch geputzten schwarzen Schuhe glänzen im Sonnenschein. In der rechten Hand hält Ishaku eine Messlatte, die in fünf verschiedenen Farben gestrichen ist. Die oberen vier Abschnitte sind mit weißen Punkten verziert. Sie ist sein Werkzeug im Kampf gegen die Flussblindheit. Einmal jährlich vermisst er alle Einwohner des Dorfes damit. Ishaku hält die Latte an einen Mann in einem karierten Hemd: „Wenn du so groß bist, wie dieser Mann, dann musst du vier Tabletten nehmen.“ Dann lässt er seine Hand in Richtung Boden wandern. „Wenn wir jetzt ein zehnjähriges Katrin Gänsler ist Korrespondentin für mehrere deutschsprachige Medien in Westafrika. Sie lebt in Abuja und Cotonou. 2-2016 | Mission Weltrettung seuchen schwerpunkt Kind hätten“, er hält zwischen dem grünen und roten Bereich kurz inne, „dann wäre es in etwa so groß und müsste zwischen einer und zwei Tabletten nehmen.“ Ishaku ist stolz auf seine Aufgabe. Sightsavers hat ihn dafür ausgebildet. Übertragen wurde ihm das Ehrenamt jedoch von der Dorfgemeinschaft, die den jungen Mann für seriös und zuverlässig hält. Das bestätigt auch Amina Bazamfare. Einmal im Jahr bringt Sunday Ishaku ihr die kostenlosen Tabletten nach Hause. Von ihrer Körpergröße her dürften es drei oder vier sein. Die alte Frau hat sich gerade hingehockt und wirkt müde. Trotzdem lächelt sie, als sie nach den Pillen gefragt wird. „Die machen das Leben leichter.“ Sie haben den weiteren Verlauf der Krankheit schließlich aufgehalten, die alte Frau kann zumindest noch ein wenig sehen. Auch über starken Juckreiz klagt sie nicht mehr. Ein weiterer Vorteil ist, dass sie sich nicht selbst um die Beschaffung kümmern muss. Sightsavers organisiert die Verteilung der Tabletten, die bis nach Kudaru gebracht werden. Sie sind tropentauglich und können ohne Kühlschrank gelagert werden. Die Entdecker des Medikaments sind jetzt Nobelpreisträger Bei den Tabletten handelt es sich um das Medikament Mectizan auf der Grundlage des Wirkstoffs Avermectin, den die Forscher Satoshi Ōmura aus Japan und William C. Campbell aus Irland bereits Ende der 1970er Jahre entdeckt haben. Damit lassen sich die für Onchozerkose verantwortlichen Parasiten unschädlich machen. Auf den Markt gebracht wurde die Entdeckung 1987 vom Pharmaunternehmen Merck, das nach eigenen Angaben jährlich bis zu 250 Millionen Tabletten spendet. Das Medikament lässt Blinde zwar nicht wieder sehen. Aber es tötet die Fadenwürmer, die dann keine Mikrofilarien – Larven – mehr produzieren. Die Krankheit wird daher gestoppt. Dafür muss es mindestens zehn Jahre lang ein- bis zweimal pro Jahr eingenommen werden, je nachdem, wie hoch das Risiko ist. | 2-2016 Im Oktober 2015 erhielten Ōmura und Campbell gemeinsam mit der Japanerin Youyon Tu – sie forscht seit Jahrzehnten zu Malaria – den Medizin-Nobelpreis. Sightsavers-Chef Sunday Isiyaku wird sich an diesen Tag womöglich sein ganzes Leben erinnern. „Ich habe mich an diesem Morgen so erleichtert gefühlt“, sagt er. „Endlich hat die Welt verstanden: Es gibt diese kleine Tabletten, die echte Magie bewirken. Sie haben viele Millionen Menschen davor bewahrt, blind zu werden.“ Wer nie Probleme mit dem Augenlicht hatte, mag seine Begeisterung nicht verstehen. „Aber als ich als junger Wissenschaftler zum ersten Mal mit der Krankheit in Berührung kam und Menschen sah, die erblindet waren, hat mich das sehr bewegt. Es hat mein Leben verändert.“ Amina Bazamfare in Kudaru geht es ähnlich. Immer wieder zwinkert sie mit ihren Augen. Das blinde rechte glänzt dabei manchmal ein wenig so wie eine Murmel. Dann schüttelt sie langsam den Kopf. „Als ich merkte, dass es immer schlechter wird, war ich so unglücklich. Es fühlt sich fürchterlich an, nicht mehr sehen zu können“, sagt sie mit müder Stimme. In Afrika bedeutet die Krankheit zudem hohe Einkommensverluste. Die Kriebelmücken stechen zu, wenn auf den Feldern gearbeitet wird. Häufen sich die Fälle, wird oft fruchtbares Ackerland nicht mehr bewirtschaftet. Andere Verdienstmöglichkeiten gibt es jedoch nicht. Amina Bazamfare ist auf Almosen von Verwandten und Nachbarn angewiesen. Sie hat nicht einmal mehr Kinder, die sie unterstützen könnten. Alle vier sind gestorben – was genau passierte, möchte sie nicht erzählen. Trotzdem lässt sie sich nicht entmutigen. Zum Schluss des Gesprächs lächelt die alte Frau noch einmal breit und setzt sich für das Abschiedsfoto so aufrecht wie möglich hin: „Ist es gut geworden?“, fragt Amina Bazamfare, als sie das Klicken der Kamera gehört hat. Sie wird sich nie mit eigenen Augen davon überzeugen können. 27 Was die Religionen zum Klimaschutz beitragen können Lesen Sie außerdem in Publik-Forum: ? »Bomben lösen kein Problem«: Friedensforscher zum Kampf gegen den IS ? Auf der Suche nach dem Bruttosozialglück: Eine Reise nach Bhutan ? Margot Käßmann: Christliche Werte, die Flüchtlinge und wir Die Zeitschrift, die für eine bessere Welt streitet Jetzt kostenlos Probelesen www.publik-forum.de/ws Telefon: 06171/7003470 Ja, schicken Sie mir bitte die nächsten zwei Ausgaben von Publik-Forum kostenlos zu. Die Belieferung endet automatisch nach der zweiten Ausgabe. NAME, VORNAME STRASSE, HAUSNUMMER POSTLEITZAHL, ORT TELEFON E-MAIL DATUM, UNTERSCHRIFT GEBURTSDATUM 20152189 BITTE EINSENDEN: Publik-Forum Verlagsgesellschaft, Postfach 2010, 61410 Oberursel,Telefon: 06171-7003470, Fax: 06171/700346 oder bestellen Sie Ihre zwei Ausgaben auf: www.publik-forum.de/ws 28 schwerpunkt seuchen Keine Zauberformel gegen die Malaria Wehrt die Mücken ab: In Nigeria werben Schauspieler 2015 im Rahmen einer Kampagne gegen Malaria für Kleidung, die mit einem Mückenschutz ausgerüstet ist. pius utomi ekpei/afp/getty images Mit Moskitonetzen und Medikamenten kann man das Sumpffieber eindämmen. Doch endgültig los wird man die Krankheit so nicht. Von Tillmann Elliesen W o die Malaria weit verbreitet ist, hat sie denselben Stellenwert wie bei uns in Deutschland eine fiebrige Erkältung zur Winterzeit: Fast jeder hatte sie mal, sie kommt immer wieder, für Erwachsene geht es meistens glimpflich aus. Malaria ist vor allem in vielen Ländern Afrikas Alltag. Alles nicht so schlimm also? Doch. Die hohen Fallzahlen machen die Malaria zu einem bedrohlichen Killer. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO waren in diesem Jahr mehr als 200 Millionen Menschen mit Malaria-Parasiten infiziert. In den ärmsten Ländern zählt die Malaria deshalb zu den zehn häufigsten Todesursachen. In diesem Jahr sind geschätzt zwischen 300.000 und 600.000 Menschen an dem Fieber gestorben, die meisten Opfer sind kleine Kinder. Genauere Angaben sind nicht möglich, die Dunkelziffer ist hoch. Neun von zehn Todesopfern lebten in Afrika, wo der gefährlichste Erreger grassiert: Plasmodium falciparum. Die Malaria begleitet den Menschen von Anbeginn, und seit Jahrtausenden versucht er, sich von ihr zu befreien. Der britische Mediziner Ronald Ross entdeckte 1897, dass die Infektion über Moskitostiche übertragen wird. Er war zuversichtlich, dass in nur zwei Jahren jede Stadt in den Tropen von der Krankheit befreit werden könnte. Sein Rezept: Einfach jeden mückenverseuchten Tümpel dünn mit Öl besprühen, so dass die im Wasser heranwachsenden Larven ersticken. Zu dieser Zeit war Malaria auch in Europa und Nordamerika weit verbreitet. Sechzig Jahre später hieß das Wundermittel DDT. 1958 startete die US-Regierung eine globale Anti-Ma- 2-2016 | seuchen schwerpunkt laria-Kampagne, der sich 90 weitere Länder anschlossen. Überall auf der Welt wurden fünf Jahre lang Häuser und Hütten mit dem damals noch unumstrittenen Insektenvernichtungsmittel besprüht, um die Moskitos auszurotten. Die Infektionszahlen gingen tatsächlich deutlich zurück, und aus einigen Ländern konnte die Malaria vertrieben werden. Doch nach dem Ende der Kampagne erreichte die Zahl der Infektionen weltweit schnell wieder den alten Wert. Heute kommt die Hoffnung aus dem GentechLabor. Im November meldeten Forscher der Universität von Kalifornien, sie hätten einen Moskito genetisch so verändert, dass er den Malariaerreger nicht weitergibt und die neue Eigenschaft zudem an seinen Nachwuchs vererbt. Öl auf Pfützen, flächendeckend DDT versprühen, genmanipulierte Mücken – die Wissenschaftsjournalistin Sonia Shah, die ein dickes Buch über die Geschichte der Malaria geschrieben hat, nennt die vergeblichen Versuche, die Krankheit auszurotten, Abrakadabra-Maßnahmen: Mit dieser Zauberformel wollte der römische Arzt Serenus Sammonicus vor 2000 Jahren das Sumpffieber vertreiben. Sonia Shah hingegen ist überzeugt: Die Malaria lässt sich eindämmen, aber nicht endgültig besiegen. Der Mensch muss lernen, mit ihr zu leben. D abei zeigen die Bemühungen, die Malaria zurückzudrängen, durchaus Erfolge. Zum Beispiel im westafrikanischen Benin. Der Tropenmediziner Klemens Ochel vom Missionsärztlichen Institut Würzburg war dort Ende der 1980er Jahre als Entwicklungshelfer in einem ländlichen Krankenhaus. Von den 100 Betten seien 20 das ganze Jahr über mit schwer an Malaria erkrankten Kindern belegt gewesen; viele seien gestorben. Ganz anders das Bild bei seinem Besuch vor zwei Jahren: kaum noch Kinder mit Malaria, wenn überhaupt, dann nur während oder kurz nach der Regenzeit. Die Ärzte berichteten Ochel zudem, die Krankheitsverläufe seien weniger schwer als früher, es gebe weniger Tote. Das deckt sich mit globalen Zahlen der Weltgesundheitsorganisation: Demnach sind die Neuinfektionen in den vergangenen 15 Jahren weltweit um mehr als die Hälfte zurückgegangen, die Zahl der Todesfälle durch Malaria sogar um zwei Drittel. In Benin seien flächendeckend Moskitonetze verteilt worden, sagt Ochel; das sei maßgeblich für den Erfolg gewesen. Zudem habe man dazugelernt: Vor 30 Jahren habe jeder Patient mit entsprechenden Symptomen ein Malaria-Medikament erhalten, ohne sicher zu sein, ob es sich überhaupt um das Fieber handelt. Diese Überdiagnose, wie es in der Fachsprache heißt, ist schädlich, weil sie die Parasiten resistent macht. Heute werde deshalb gemäß den WHO-Richtlinien nur noch gegen Malaria behandelt, wenn die Krankheit eindeutig diagnostiziert wurde. Dafür gibt es inzwischen einfache Schnelltests. 80 Prozent aller Malaria-Infektionen weltweit konzentrieren sich auf rund 15 Länder, die meisten in Afrika. Dort geht die Zahl der Neuinfektionen und der Todesfälle deutlich langsamer zurück als in ande- | 2-2016 ren Erdteilen. Immerhin: Das kleine Swasiland im südlichen Afrika steht kurz davor, die Malaria innerhalb seiner Grenzen zu besiegen – es wäre nach den beiden Inselstaaten Seychellen und Mauritius das erste Land südlich der Sahara, dem das gelingt. Dazu beigetragen hat ein engmaschiges Überwachungsverfahren: Sobald sich ein Patient mit Verdacht auf Malaria meldet, werden landesweit Mitarbeiter des staatlichen Malaria-Kontrollprogramms alarmiert, um mögliche weitere Fälle aufzuspüren. K Die Behörden in Abijan in der Elfenbeinküste rücken 2014 den Mücken mit Insektengift zu Leibe. Offene Abwassertümpel wie hier bieten ideale Brutstätten. sia kambou/afp/ getty images inder unter fünf Jahren sind besonders gefährdet, weil sie noch keine Abwehrkräfte entwickelt haben. Laut WHO entfallen auf sie mehr als zwei Drittel aller Malaria-Todesfälle. Erwachsene hingegen sind häufig immun gegen die Erreger: Bis zu 85 Prozent der infizierten Menschen zeigen nie Symptome; die Parasiten schlummern in ihren Körpern, ohne dass das Fieber ausbricht. Auch das erschwert die Bekämpfung der Malaria: Die Menschen tragen die Erreger in sich und geben sie weiter, ohne es zu wissen. Die Weltgesundheitsorganisation sieht deshalb die beste Vorbeugung darin, die Übertragungswege zu unterbrechen. Die Leute müssen unter Netzen schlafen, um sich vor Moskitostichen zu schützen. Laut der Initiative Roll Back Malaria, zu der über 500 Organisationen, Hilfswerke, Regierungen, Unternehmen und Forschungsinstitute gehören, wurden im Jahr 2014 auf der ganzen Welt geschätzt 214 Millionen mit Insektiziden imprägnierte Moskitonetze verteilt. Ochel erklärt, das sei heute zielgerichteter möglich als früher, weil man mehr über die Moskitos wisse: Manche lebten vor allem im Haus und warteten bis zur Nacht 29 30 schwerpunkt seuchen auf menschliches Blut. In anderen Regionen, in denen viele Tiere gehalten werden, seien Moskitonetze weniger notwendig. Hier leben die Mücken vor allem im Freien und ernähren sich von Tierblut. Ein anderer Weg, die Malariamücken vom Menschen fernzuhalten, besteht darin, Häuser, Hütten und Wohnungen mit Insektiziden einzusprühen. Gleichzeitig verteilen Hilfsorganisationen und Regierungen von Jahr zu Jahr mehr Medikamente in den Malariagebieten. 2013 wurden nach Angaben von Roll Back Malaria weltweit 392 Millionen Dosen des am häufigsten gegen Malaria eingesetzten Wirkstoffs Artemisinin geliefert; 2005 waren es noch elf Millionen Dosen. Wann immer der Mensch dem Parasiten mit Medikamenten und der Mücke mit Pestiziden zu Leibe rückt, entwickeln die Resistenzen. Die WHO wertet ein Land als malariafrei, wenn in drei aufeinanderfolgenden Jahren keine neuen Infektionen aufgetreten sind. In den vergangenen Jahren haben das vier Länder geschafft: die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Turkmenistan und Armenien. Die Erfahrung aus früheren Versuchen, die Malaria zu beseitigen, lehrt, dass solche Kampagnen einen langen Atem brauchen und so wie in Swasiland gut organisiert sein und straff durchgezogen werden müssen. A Tillmann Elliesen . ist Redakteur bei ls die USA und die Weltgesundheitsorganisation Anfang der 1960er Jahre ihre auf das Pflanzenschutzmittel DDT gestützte Initiative nach nur fünf Jahren wieder einstellten, waren die erzielten Erfolge schnell wieder zunichte. Laut Sonia Shah konnte das Fieber nur aus 18 von den 93 beteiligten Ländern endgültig vertrieben werden. „Die Malaria, die blieb“, schreibt die Journalistin, „hat sich in den ärmsten Regionen der Welt festgesetzt. Sie ist heute in jeder Hinsicht schwerer zu kontrollieren.“ Der Malaria-Parasit macht es seinen Gegnern schwer, weil er sich ständig verändert und seiner Umgebung anpasst. Wann immer der Mensch ihm mit Medikamenten zu Leibe rückt, entwickelt er Resistenzen dagegen. So häufen sich seit einigen Jahren in Südostasien die Fälle von Resistenz gegen Artemisinin. Fachleute sind alarmiert: Sie fürchten, das sich diese Widerstandsfähigkeit auf die Erreger in Afrika ausbreiten könnte. Das würde die Behandlungsmöglichkeiten dort deutlich einschränken. Tropenmediziner Ochel erklärt, solche Resistenzen würden dadurch begünstigt, dass in vielen Ländern Malariapräparate ohne Rezept zu kaufen sind und von den Leuten unsachgemäß eingenommen werden. Das ist eine Folge der früher weit verbreiteten Überdiagnose: Für die Leute ist jede mit Fieber einhergehende Krankheit Malaria, die entsprechend behandelt werden muss. Im zentralafrikanischen Tschad etwa hat sich in der lokalen Variante des Arabischen der Name der Malaria-Arznei Chinin als Synonym für den Begriff Tablette eingebürgert. Der komplexe Lebenszyklus der Malaria-Parasiten, seine Wandelbarkeit sowie viele Unbekannte in der Reaktion des menschlichen Immunsystems auf den Erreger erschweren auch die Entwicklung eines Impfstoffs. Zwar wurden in den vergangenen 15 Jahren große Fortschritte gemacht, aber schon oft haben Forscher oder Pharmaunternehmen voreilig erklärt, sie stünden kurz vor dem Durchbruch. Das vielversprechendste Präparat der Firma GlaxoSmithKline soll in den kommenden Jahren in einer Feldstudie in einigen Ländern Afrikas getestet werden. In klinischen Tests hatte das Mittel die Infektionsrate bei Kindern um 39 Prozent gesenkt. Mindestens nötig seien aber 75 Prozent, um als Impfstoff flächendeckend eingesetzt zu werden, sagt Ochel. O b es gelingt, die Malaria weiter einzudämmen, wird nach Ansicht von Fachleuten vor allem davon abhängen, ob es für die vielen einzelnen Schritte – von der Verteilung von Moskitonetzen bis zur Forschung an neuen Medikamenten – ausreichend Geld gibt. Die vor 15 Jahren verabschiedeten UN-Millenniumsziele hätten der Finanzierung einen enormen Schub verliehen, sagt Ochel. Von 1993 bis 2013 haben sich allein die Ausgaben für die Forschung an Malariamedikamenten und Impfstoffen auf jährlich 550 Millionen US-Dollar vervierfacht. Das meiste Geld kommt aus dem 2002 eingerichteten Globalen Fonds gegen Aids, Tuberkulose und Malaria, dessen jährliches Budget derzeit bei vier Milliarden US-Dollar liegt. Die größten Beiträge für den Fonds liefern die USA, Norwegen, Schweden und Großbritannien. Wichtigster privater Geber ist die Stiftung von Bill und Melinda Gates. Sie steht weiter fest zu dem Ziel, die Malaria endgültig zu besiegen. Bis zum Jahr 2040 würden dafür insgesamt bis zu 120 Milliarden US-Dollar gebraucht. Die Journalistin Sonia Shah bleibt skeptisch. Sie ist im Laufe ihrer Recherchen zum Schluss gekommen, dass Interventionen von außen in die Malariagebiete das Problem lindern, aber nicht vollständig beseitigen können – eben weil die Krankheit zum Alltag der Menschen gehört und die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern, irgendwann an Grenzen stößt. Wer will schon Nacht für Nacht in tropischer Hitze unter einem Moskitonetz schlafen? Das beste Mittel gegen Malaria sei deshalb Armutsbekämpfung. Wo Straßen nicht bei jedem Regen zu Schlammgruben werden, wo das Wasser aus der Leitung kommt und nicht in trüben Tümpeln steht und wo Abwässer unterirdisch entsorgt werden und nicht offen durch das Dorf fließen, können die Malariamoskitos nicht gedeihen. Europa und Nordamerika seien heute frei von Malaria, nicht weil man die Krankheit als solche bekämpft, sondern weil man die ländliche Armut beseitigt habe, sagt Shah. „Wir haben die Lebensweise bekämpft, die Malaria begünstigt – und haben die Krankheit langsam verdrängt.“ 2-2016 | seuchen schwerpunkt Zweifelhafte Schnitte In Afrika werden Millionen Männer beschnitten, um sie besser vor HIV zu schützen. Der Erfolg des Großprojekts ist nur schwer messbar – und Frauen könnte es sogar gefährden. D er neueste Trend im Kampf gegen Aids ist ein unscheinbarer weißer Plastik ring. Das kleine Einweg-Gerät ermöglicht die schnelle und unkomplizierte Beschneidung von Männern – auch ohne einen fachkundigen Arzt. Krankenschwestern und Pfleger können alles, was sie darüber wissen müssen, in einem dreitägigen Kurs lernen. Internationale Hilfsorganisationen setzen den Ring bereits tausendfach ein. Der Grund: Ohne Vorhaut soll das Risiko einer Übertragung des HI-Virus um 60 Prozent sinken. In Süd- und Ostafrika haben sich seit 2008 mehr als zehn Millionen Männer freiwillig beschneiden lassen; bis 2021 sollen weitere 27 Millionen in 14 Ländern dazukommen. Das hat sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Ziel gesetzt. Die größten Geldgeber sind die Aidsorganisation der Vereinten Nationen (UNAIDS) und die Stiftung von Bill und Melinda Gates. Sie haben bisher rund 1,5 Milliarden Dollar für die Programme ausgegeben, die sie meist gemeinsam mit den nationalen Regierungen umsetzen. Die Erklärung dafür leuchtet ein: Wo keine empfindliche Schleimhaut ist, die reißen und zur Eintrittspforte für die HI-Viren werden kann, sinkt die Gefahr, sich anzustecken. Außerdem sitzen unter der Vorhaut besonders viele sogenannte LangerhansZellen. Die können HI-Viren zwar erkennen und abbauen. Dringen aber zu viele von ihnen auf einmal ein, klappt das nicht mehr und die Zellen leiten die Viren stattdessen im Körper weiter. Ohne Vorhaut sinke das Ansteckungsrisiko, sagt Gisela Schneider, die Direktorin des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm): „Das ist ein Fakt.“ Auch bei der Bundeszentra- | 2-2016 le für gesundheitliche Aufklärung (BzgA) zweifelt daran niemand. Trotzdem ist das Projekt der WHO strittig, denn die bisherigen Erfolgsmeldungen stützen sich auf zweifelhafte Studien. Bei den Untersuchungen in Südafrika, Kenia und Uganda wurde mit Kont- Sexualverhalten fördert, weil die Schutzwirkung überschätzt wird. Die WHO rät zwar, dass Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger den Leuten erklären, dass die Beschneidung kein Freifahrtschein für ungeschützten Sex ist. Doch etwa in Uganda verwenden weniger Leute als noch vor zehn Jahren Kondome, obwohl diese als wichtigste Maßnahme im Kampf gegen Aids gelten. Für Schneider heißt das, bei der Beschneidung müsse künftig besser aufgeklärt listin Catherine de Lange im Magazin „Nature“. Vielen sei überhaupt nicht bewusst, dass sie sich ohne Kondom bei einem unbeschnittenen Mann genau so leicht anstecken können wie bei einem beschnittenen. Dazu tragen auch die Werbekampagnen mancher Regierungen in Süd- und Ostafrika bei. „Ich bin stolz, einen beschnittenen Mann zu haben, weil für uns so das Risiko kleiner ist, dass wir uns mit HIV anstecken“, hieß es etwa Beschneidungen zur Aids-Prävention 3.500.000 3.000.000 Anzahl der Männer, die im jeweiligen Jahr in ausgewählten afrikanischen Ländern unter dem WHO-Programm zur HIV-Prävention beschnitten wurden 2.500.000 Kenia 2.000.000 Mosambik Ruanda 1.500.000 Südafrika Tansania 1.000.000 Uganda Sambia Simbabwe 500.000 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Quelle: Weltgesundheitsorganisation rollgruppen gearbeitet wie in der Wissenschaft üblich. Dabei mussten die beschnittenen Teilnehmer wegen ihrer Wunden für mindestens sechs Wochen auf Sex verzichten, die unbeschnittenen hingegen nicht. Das Ansteckungsrisiko war für sie also von vornherein höher. Außerdem wurden andere mögliche Infektionswege bei der späteren Untersuchung der Studienteilnehmer nicht berücksichtigt, zum Beispiel Bluttransfusionen oder kontaminierte Spritzen. Ob das Risiko tatsächlich um 60 Prozent sinkt, wie von der WHO gemeldet, ist deshalb unklar. Zudem besteht die Gefahr, dass die Beschneidung riskantes und noch genauer hingeschaut werden. „Die Frage ist nicht ob wir weitermachen, sondern wie“, sagt sie. Das ist vor allem für die Frauen entscheidend. Denn die männliche Beschneidung senkt das Risiko einer HIV-Übertragung nur von der Frau auf den Mann, nicht jedoch umgekehrt. Langfristig erhöht sich zwar auch für Frauen der Schutz, wenn insgesamt weniger Männer das Virus in sich tragen. Kurzfristig sind sie aber einem höheren Infektionsrisiko ausgesetzt, weil sowohl Männer als auch Frauen den Schutz durch die Beschneidung überbewerten, schreibt die Wissenschaftsjourna- auf einem Plakat des ugandischen Gesundheitsministeriums. Das erweckt den Eindruck, als sei der Schutz durch Beschneidung für Männer und Frauen gleich hoch. Tansanische Fernsehspots wiederum vermitteln, beschnittene Männer seien grundlegend klüger und fürsorglicher. Die Beschneidung erscheint in solchen Kampagnen nicht mehr als medizinisch sinnvoller Eingriff, sondern als Markenzeichen für ein besseres und modernes Leben: Viele Männer gehen einfach zum Arzt, weil ihre Freunde das ebenfalls machen – und weil es bei Frauen besser ankommt. Hanna Pütz 31 32 welt-blicke xxx Kein zweites Kopenhagen Von Bernd Ludermann Erfolg in Paris: Da haben die Diplomaten im Dezember einen globalen Klimavertrag zustande gebracht. Vor allem einige Schwellenländer aber haben nur zähneknirschend zugestimmt. D ie Konfliktlinien machten zwei Auftritte in der zweiten Konferenzwoche deutlich. Dienstags traten Brasilien, Indien, Südafrika und China gemeinsam vor die Presse. Ihnen ging es ums Prinzip: die sogenannte Differenzierung in der UN-Klimarahmenkonvention UNFCCC von 1992. Danach müssen die Industrieländer als Verursacher der Erd erwärmung ihre Emissionen senken; Klimaschutz in Entwicklungsländern ist hingegen freiwillig und von den Industrieländern zu finanzieren. „Wir wollen eine Vereinbarung, die diese Konvention verbessert, nicht sie neu schreibt“, sagte Südafrikas Umweltministerin Bomo Edna Molewa. Tags darauf gab US-Außenminister John Kerry die Antwort, verpackt in einer Rede voller Pathos: Weil heute Entwicklungsländer die meisten Treib hausgase ausstoßen, nütze Klimaschutz allein in Industrieländern nichts mehr. Alle Länder müssten Verantwortung übernehmen – und alle freiwillig: Internationale Vorgaben für die Einsparung von Treibhausgasen werde der Kongress, das Parlament in den USA, nicht billigen. Jeder Staat solle seine Bei- 2-2016 | klimaschutz welt-blicke Achtung, der Globus schmilzt: Zu Beginn des Klimagipfels fordern D emonstranten in vielen Ländern mehr Klimaschutz; hier in Berlin haben sie die Weltkugel in eine riesige Eistüte gesteckt. Pawel Kopczynski/Reuters | 2-2016 träge selbst festlegen, damit sei die Differenzierung gewahrt. Aber alle müssten verpflichtet sein, transparent zu berichten, ob sie ihre Ziele einhalten. Und alle müssten ihre Ziele nach und nach verschärfen. Das Paris-Abkommen folgt diesem Ansatz (vgl. Kasten) – es hat die UNFCCC umgeschrieben. Warum konnte sich Kerry in Paris weitgehend durchsetzen, obwohl die USA bisher ein Bremser beim Klimaschutz waren und ihre Emissionen bis zur Wirtschaftskrise 2008 ständig gestiegen sind? Die Regierung Obama wollte ein Abkommen – aber eines, das der Kongress, in dem Gegner des Klimaschutzes eine solide Mehrheit haben, nicht zu Fall bringen könnte. Städte, Regionen und viele Unternehmen traten in Paris lautstark für Klimaschutz ein und setzten die Regierungen unter Druck. Vor allem aber hatte sich in den vergangenen zehn Jahren in der Klimadiplomatie weltweit bereits die Einsicht verbreitet, dass ein Neuansatz unumgänglich war: Man musste die USA einbinden und dem Aufstieg der Schwellenländer Rechnung tragen. Den Anstoß für das Umdenken gab das Scheitern des Kyoto-Protokolls von 1997. Es verpflichtete die Industrieländer, ihre Emissionen bis 2012 um zusammen gut fünf Prozent gegenüber 1990 zu vermindern. Doch der Kongress in den USA, dem damals größten Emittenten, lehnte das Protokoll ab, und Präsident George W. Bush zog 2001 die Unterschrift der USA zurück. Kyoto trat 2005 dennoch in Kraft, erfasste aber lediglich einen stetig schrumpfenden Teil der globalen Emissionen. Denn der Treibhausgas-Ausstoß von Schwellenländern steigt – besonders seit der Jahrtausendwende in China. Dessen Anteil am globalen Ausstoß hat sich auf heute etwa 27 Prozent ungefähr verdoppelt; der Anteil Indiens ist von rund vier auf sieben Prozent gestiegen. Pro Kopf allerdings emittieren US-Amerikaner noch mehr als doppelt so viel Treibhausgase wie Chinesen und Deutsche und rund achtmal so viel wie Inder. Noch mehr ist es in reichen Ölstaaten am Persischen Golf – und die gehören formal zur Gruppe der Entwicklungsländer. Diese Gruppe hat sich stark aufgefächert: Ölländer lehnen mehr Klimaschutz ab – in Paris taten sich damit Saudi-Arabien und Venezuela hervor. Schwellenländer wie China und Indien suchen im eigenen Interesse Entwicklungswege mit weniger Emissionen; aber sie pochen auf ihre Souveränität und wollen nicht für Folgen des Wohlstands in Industrieländern bluten. Viele der ärmsten Länder sind für Klimaänderungen besonders verwundbar und drängen seit langem, mehr dagegen zu tun. Das aber machten die USA und Japan davon abhängig, dass China sich beteiligte. China und Indien wollten das allenfalls freiwillig und wenn die reichen Länder bezahlten. Dies blockierte die Anläufe für einen globalen Klimavertrag nach dem top-down-Ansatz des KyotoProtokolls. Der müsste global festlegen, wie viele Emissionen eingespart werden sollen und die Summe bindend auf zu Minderungen verpflichtete Länder verteilen. Das scheiterte endgültig in Kopenhagen Ende 2009. Doch der „Konsens“, den dort führen- de Industrie- und Schwellenländer hastig entwarfen, wies einen Ausweg: Alle Staaten sollten erst einmal auflisten, was sie freiwillig zum Klimaschutz beitragen wollen. Der Gipfel in Warschau 2013 machte daraus „unabhängige national festgelegte Beiträge“, sogenannte INDCs. Die hatten 185 Staaten bis Anfang Dezember eingereicht. Damit hatten sie im Grunde schon vor der Pariser Konferenz akzeptiert, dass bei den Minderungszielen künftig Differenzierung durch Selbsteinschätzung gilt. D och damit war der Konflikt über das Prinzip nicht gelöst. Viele Entwicklungsländer banden ihre Klimaschutz-Zusagen an finanzielle Unterstützung aus dem Norden und bestanden in Paris darauf, dass bei den Finanzen die besondere Verantwortung der Industrieländer weiter gilt. Außerdem wollten sie, dass ihre INDCs weniger Transparenz- und Prüfungspflichten unterworfen würden als die der Industrieländer. Diese erfassen seit 1992 Der Klimavertrag von Paris Der Klimagipfel in der französischen Hauptstadt hat ein Dokument verabschiedet, das aus einer „Entschließung“ und einem kürzeren, aber rechtsverbindlichen „Abkommen“ besteht. Darin bestätigen die Staaten das Ziel, die Erderwärmung bis 2100 unter zwei Grad zu halten, und sie verschärfen es: Sie wollen sich bemühen, deutlich darunter zu bleiben. Das zweite langfristige Ziel ist, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die globale Wirtschaft treibhausgas-neutral werden soll. Um die Ziele zu erreichen, verpflichten sich die Staaten, ihre freiwilligen „National festgelegten Beiträge“ (NDCs) überprüfbar zu machen: Alle müssen Kohlenstoff-Inventare und Berichte zur Umsetzung vorlegen; Entwicklungsländer, „die sie brauchen“, erhalten Flexibilität. Zudem werden die nationalen Klimaschutzpläne in gemeinsamen „globalen Bestandsaufnahmen“ auf ihre Gesamtwirkung geprüft und sollen dabei verschärft werden – und zwar alle fünf Jahre ab 2023. Hierbei „sollten“ die Industrieländer weiter bei Emissionsminderungen vorangehen; das stärkere Wort „sollen“ wurde in letzter Minute auf Druck der USA abgeschwächt. Für Klimaschutz sowie für Anpassung an Klimafolgen im Süden sagen die Industrieländer erneut 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr ab 2020 zu, jedoch nicht im rechtsverbindlichen Abkommen, sondern nur in der Entschließung. Was mitgerechnet werden darf, bleibt offen, und weitere Steigerungen versprechen sie nicht. Immerhin verpflichten sie sich, alle zwei Jahre über ihre Klimafinanzierung zu berichten. (bl) 33 34 welt-blicke klimaschutz Dicke Luft um die Zementfabrik von Baokang in China. Bei der Herstellung von Zement, einem weltweit begehrten Baustoff, entweichen große Mengen Kohlendioxid. Reuters in nationalen Kohlenstoff-Registern, wie viele Treibhausgase freigesetzt und von Senken wie Wäldern aufgenommen werden. Das ist sehr aufwendig. „Wenn wir ein solches Register aufbauen müssen, ist das für uns eine enorme Belastung“, erklärte Raju Chhetri, der als freier Berater zur Verhandlungsdelegation Nepals gehörte. Ohne Transparenz wäre aber der Neuansatz des Paris-Abkommens wirkungslos. Denn ein Kernproblem beim Klimaschutz ist, dass alle mitmachen müssen: Kein Staat nimmt sich freiwillig ehrgeizige Treibhausgas-Minderungen vor, wenn er erwartet, dass der Nutzen von anderen zunichte gemacht wird. Damit die Regierungen erkennen, dass alle bedeutenden Emittenten ihre Beiträge leisten, müssen diese transparent und überprüfbar sein. Diese Forderung hat sich in Paris weitgehend durchgesetzt. Ein weiteres Kernproblem des Paris-Abkommens ist, dass die Staaten zu geringe Minderungen versprechen. Die vorliegenden INDCs werden, wenn sie alle eingehalten werden, die Emissionen und damit die Erderwärmung bremsen. Sie dürfte aber bis 2100 immer noch 2,7 bis 3,7 Grad betragen – je nachdem, welches Wirtschaftswachstum und welche künftige Klimapolitik man unterstellt. Deshalb müssen die nationalen Ziele ständig verschärft werden. S Gefährliches Schlupfloch Ein Instrument der Klimafinanzierung im Süden hat eine unklare Zukunft: der Clean Development Mechanism (CDM). Er wurde mit dem Kyoto-Protokoll geschaffen, damit Industrieländer ihre Pflichten zur Emissionsminderung mit Vorhaben in Entwicklungsländern erfüllen können: Sie finanzieren dort Klimaschutz und rechnen sich die eingesparten Emissionen an – im Fachjargon heißt das „Offsetting“. Im Paris-Abkommen ist vage ein „Mechanismus“ vorgesehen, den man als Ausweitung des CDM verstehen kann. Dieser beruht aber auf der Trennung von Industrieund Entwicklungsländern: Nur die ersteren müssen unter Kyoto Emissionen einsparen. Unter dem Paris-Abkommen haben jedoch auch Entwicklungsländer Minderungsziele. Für das Offsetting bedeutet das: Entwicklungsländer können künftig Emissionseinsparungen untereinander verrechnen – zum Beispiel China für seine Projekte in Äthiopien. Das dürften immer mehr Länder versuchen. Ein armes Land, das nun selbst Emissionen einsparen soll, wird das Erreichte allerdings zuerst auf seine eigenen Ziele anrechnen wollen. Damit etwas übrig ist, was einem Geldgeber aus einem Industrie- oder Schwellenland angerechnet wird, muss es seine nationalen Ziele übertreffen. Das gelingt natürlich am ehesten, wenn die Ziele nicht zu ehrgeizig sind. Der neue „Mechanismus“ droht folglich für arme Staaten zum perversen Anreiz zu werden, sich nicht zu viel Klimaschutz vorzunehmen. Dabei ist der Zweck des Abkommens gerade, alle Länder zu möglichst ehrgeizigen Zielen zu bringen. Wenn die Industrieländer das ernst meinen, müssen sie auf Offsetting verzichten: Sie sollten ihre Ziele zu Hause erfüllen und Klimaschutz im Süden finanzieren, ohne das der eigenen Klimabilanz gutzuschreiben. (bl) trittig war in Paris, wie schnell das beginnen sollte – und ob getreu dem Prinzip der Differenzierung die Entwicklungsländer schärfere Ziele von mehr Hilfszahlungen der Industrieländer abhängig machen sollten. Der Süden wollte Finanzhilfen, auch solche für Anpassung an die Folgen der Erderwärmung, zum Teil der regelmäßigen Prüfungen machen. Und mit der Verschärfung der Ziele sollten auch diese Zahlungen steigen. Zudem wandten sich Südländer gegen Bestrebungen im Norden, stark auf Kredite und Privatinvestitionen zu setzen und Beiträge aus Öl- und Schwellenländern einzufordern: Süd-Süd-Hilfe sei freiwillig, Nord-Süd-Hilfe aber eine Verpflichtung unter der UNFCCC. Intern wurde in der Gruppe der Entwicklungsländer durchaus diskutiert, dass etwa Südkorea oder Saudi-Arabien mehr tun und mehr zahlen sollten. Die harte Haltung der Industrieländer, unter anderem bei Finanzen, ließ den Süden aber oft die Reihen schließen. Doch der Kompromiss in Paris ist auch neuen Koalitionen zu verdanken. Die Staaten Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP) hatten bereits Mitte 2015 eine informelle Gruppe mit der Europäischen Union (EU) gebildet. Sie wollte das langfristige Ziel verankern, die Erderwärmung eher auf 1,5 als auf zwei Grad zu begrenzen; ein Abkommen rechtlich bindend machen; und die Umsetzung der INDCs einheitlich messen und alle fünf Jahre überprüfen. Das nahm den Kern der Einigung vorweg. Auf der Konferenz trat die Gruppe als „High Ambition Coalition“ hervor – und wuchs ständig. Die USA schlossen sich an und gestanden die Verschärfung des Zwei-Grad-Ziels zu. Brasilien schloss sich zwei Tage später der Koalition an und ließ dabei die Forderung nach Differenzierung bei der Berichtspflicht fallen. Einen Tag später konnte Frankreichs Außenminister Laurent Fabius die Annahme des Abkommens verkünden. Im Ergebnis sollen nun auch arme Länder Emissionen einsparen, während reiche weiter übermäßig Platz in der Atmosphäre beanspruchen. Das ist ein Abschied von Klimagerechtigkeit, wie sie in der UNFCCC theoretisch angelegt ist. Trotzdem sind die neuen Regeln ein Fortschritt, falls sie wirksamer sind als die alten. Denn alle Länder gewinnen und am meisten die ärmsten, wenn die Erderwärmung möglichst klein gehalten werden kann. 2-2016 | klimaschutz welt-blicke Wer emittiert die meisten Treibhausgase? Emissionen pro Kopf der Bevölkerung 2012 Die zehn Staaten mit den höchsten Emissionen 2012 Gigatonnen CO2-Äquivalent Tonnen CO2-Äquivalent pro Kopf Volksrepublik China Vereinigte Staaten Europäische Union Indien Russland Indonesien Brasilien Japan Kanada Mexiko 25 20 15 10 5 0 0 2 4 6 8 10 12 Erfasst sind sechs Treibhausgase, umgerechnet auf die Wirkung von Kohlendioxid (CO2-Äquivalent). Für einige gibt es nur ungenaue Daten. Landnutzungsänderungen wie die Umwandlung von Wäldern in Äcker sind eingerechnet und für Indonesien die größte Quelle von Emissionen. Quelle: World Resources Institute (http://cait.wri.org) Kann das gelingen? Nun sollen freiwillige Ziele plus Transparenz und Überprüfungspflicht plus Hilfe die Staaten dazu bringen, immer mehr zu tun – begünstigt vom technischen Fortschritt. Am ehesten dürfte das dort zu Emissionsminderung beitragen, wo es technische Lösungen gibt, die wirtschaftlich lohnend erscheinen. Das gilt vor allem für die Stromerzeugung: Das Abkommen dürfte den Übergang zu erneuerbaren Energien globalisieren und beschleunigen. Vor allem in Afrika können Gebiete, die noch keine Elektrizität haben, die Kohlekraft überspringen und sofort Wind- oder Solarstrom erhalten. E s wird auch mehr Geld in den Waldschutz und in klimafreundliche Agrarmodelle im Süden fließen; Deutschland und Norwegen haben ihre Hilfe für Waldschutz bereits aufgestockt. Doch die Emissionen der Landwirtschaft im Norden wurden in Paris nur am Rande behandelt. Nachhaltige Konsummuster tauchen nur in einem Satz in der Präambel auf. Im Verkehr werden technische Lösungen wie die Elektrifizierung nicht genügen, um fossile Energien schnell zu ersetzen. Und Flugverkehr und Schifffahrt, deren Emissionen nicht von Staaten erfasst werden und stark steigen, bleiben unreguliert. Die EU versuchte in Paris vergebens, das zu ändern. Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird sicher nicht gelingen. Was dazu nötig ist, haben die Staaten in Paris gerade nicht beschlossen: Die globalen Emissionen müssten laut führenden Klimaforschern um 2020 ihren Höhepunkt erreichen. Danach müssten reiche Länder bis 2030 jede KohlendioxidEmission beenden, arme müssten ein bis zwei Jahrzehnte später folgen. | 2-2016 Eine Dekarbonisierung wollten die führenden Industrieländer (G7) im Paris-Abkommen vorsehen – jedoch erst für die zweite Hälfte des Jahrhunderts. Vor allem Ölstaaten sorgten dafür, dass stattdessen vereinbart wurde, die Wirtschaft solle „treibhausgasneutral“ werden. Dann darf weiter emittiert werden, wenn zum Ausgleich CO2 abgetrennt und in die Erde Die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, ist nur ein hohles Versprechen: Was dazu nötig ist, wollten die Staaten in Paris gerade nicht beschließen. gepresst oder mehr Kohlenstoff in Senken gebunden wird, etwa durch Aufforstung. Dies sind zum guten Teil Luftbuchungen, kommentierten führende Klimaforscher in Paris. „Die globalen Emissionen müssen Null werden, wenn die Erdtemperatur irgendwo stabilisiert werden soll – ob bei 1,5 Grad, zwei Grad oder sonst wo“, sagte der Norweger Joeri Rogelj. Zudem soll das Paris-Abkommen erst 2020 in Kraft treten. Wenn man den Temperaturanstieg unter zwei Grad halten will, muss man vorher zusätzlich Emissionen senken. Hier sollen Unternehmen, Städte und Regionen in die Bresche springen. Dass ihre Klimaschutz-Initiativen die Versäumnisse der Regierungen vor 2020 ausgleichen können, ist aber sehr zweifelhaft. Das Abkommen von Paris wird alleine die Erderwärmung nicht bremsen. Es kann allenfalls den Regierungen Klimaschutz-Initiativen erleichtern und dafür neue Anreize setzen. Mehr kann man von einem internationalen Vertrag nicht erwarten. Bernd Ludermann ist Chefredakteur von . 35 36 welt-blicke entwicklungspolitik „Jede Form von Extremismus schließen wir aus“ Die staatliche Entwicklungspolitik will sich den Religionen annähern Kann Religion zu nachhaltiger Entwicklung beitragen? Ulrich Nitschke ist davon überzeugt. Der Theologe leitet das Sektorvorhaben „Werte, Religion und Entwicklung“ bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Er erklärt, was er sich von der Kooperation mit religiösen Organisationen erhofft – und welche Hürden zu überwinden sind. Gespräch mit Ulrich Nitschke Herr Nitschke, derzeit erleben wir, welche zerstörerische Kraft Religion entfachen kann. Haben Sie ein Gegenbeispiel? Die Abschaffung der Rassentrennung, der Apartheid, in Südafrika. Sie ist ohne die Kirche nicht denkbar. Präsident Pieter Botha konnte jegliche Opposition verbieten, die Kirche jedoch nicht. Das haben schlaue Theologen erkannt und sich 1985 mit ihrem Kairos-Dokument auf die Seite der armen und unterdrückten schwarzen Mehrheit gestellt. Und sie haben ihre Pforten für sie geöffnet. Das hat der Kirche eine Glaubwürdigkeit verliehen, die „Wir werden keine islamische Entwicklungsbank unterstützen, die ausschließlich Gutes für Muslime tut.“ bis weit in die 1990er Jahre gehalten hat. Für mich war das die prägende Erfahrung, dass Religion zur Versöhnung, zur Befriedung und zum Aufbau einer neuen Gesellschaft beitragen kann. Aber es bedarf einer besonderen theologischen Leistung, Apartheid als Häresie, also Ketzerei, zu entlarven und eine Theologie der Befreiung dagegen zu setzen. Das ist heute aktueller denn je. In der deutschen staatlichen Entwicklungszusammenarbeit sehen Sie Religion als „Leerstelle“. Was meinen Sie damit? In den Berichten über unsere Partnerländer finden sich keinerlei Aussagen über die Religionsgemeinschaften, die dort vertreten sind. Dabei wissen wir, dass acht von zehn Menschen sich über die Religionszugehörigkeit definieren. Und wir wissen auch, dass die Religionsgemeinschaften einen erheblichen Einfluss auf die Gesellschaften haben, in denen wir arbeiten. Als säkulare Organisation ignorieren wir diese Tatsachen. Das will das Entwicklungsministerium ändern und hat die GIZ deshalb mit dem Sektorvorhaben „Werte, Religion und Entwicklung“ beauftragt. Woran liegt diese Ignoranz? Wir glauben immer noch, dass wir alles über finanzielle und technische Zusammenarbeit lösen können. Wir erwarten von jedem, der religiös motiviert ist, dass er bei Gesprächen über die Zusammenarbeit mit uns seine Überzeugung und seine Religion an der Garderobe abgibt. Wenn er rausgeht, kann er sie wieder anziehen. Ein weiterer Grund liegt sicher darin, wie religiöse Organisationen aufgebaut sind. Oft ist die religiöse Landschaft sehr zer- splittert. Im Islam etwa gibt es keine Vertretungsstruktur und kein Lehramt. Jeder Imam vertritt nur seine Gemeinschaft und seine muslimische Überzeugung. Wen soll man da einbeziehen? Wir erwarten auch von den Religionsgemeinschaften, dass sie auf uns zukommen und einen Vertreter für Gespräche benennen. Es gibt also Berührungsängste auf beiden Seiten? Ja. Bei uns herrscht die säkulare Weltanschauung vor, sie ist quasi selbst zur Religion geworden. Das bestärken islamistische Anschläge wie jüngst in Paris und Bamako. Sie zeigen, dass Religion eben auch hoch anfällig dafür ist, für Wirtschafts- und Machtinteressen oder Terrorismus missbraucht zu werden. Sie wird bei uns nicht unbedingt mit nachhaltiger Entwicklung verbunden, sondern eher mit Rückständigkeit und Extremismus. Es geht aber darum, ihr Potenzial zu entwickeln, so wie damals in Südafrika. Im Moment wird in der öffentlichen und leider auch zum Teil veröffentlichten Meinung der Islam mit Terrorismus gleichgesetzt. Macht das Ihre Arbeit schwieriger? Absolut. Auf der anderen Seite macht es den Bedarf deutlich – seit den Anschlägen in Paris haben wir so viele Anfragen nach Beratung und Orientierung wie noch nie. Entwicklungsminister Müller bringt das so auf den Punkt: „Wenn Religion Teil des Problems ist, muss sie auch Teil der Lösung sein.“ Wir müssen uns deshalb auch die Mühe machen zu sagen, was wir nicht tun. 2-2016 | Ulrich Nitschke ist Leiter des Sektorvorhabens „Werte, Religion und Entwicklung“ bei der GIZ. Zuvor hat er unter anderem Governance-Programme für die Palästinensergebiete und das vom Auswärtigen Amt finanzierte Projekt „Zukunft für Palästina“ geleitet. Gesine Kauffmann entwicklungspolitik welt-blicke Was würden Sie nicht tun? Die GIZ würde niemals mit einer nur ansatzweise terroristisch angehauchten Gruppe zusammenarbeiten. Aber vielleicht müssen wir künftig den Missbrauch von Religion verhindern helfen, indem wir mit den Religionsgemeinschaften präventiv in sich anbahnende Konflikte eingreifen und den interreligiösen Dialog fördern. Gemeinsam mit Religionsführern wurden in Westafrika würdevolle und sichere Beerdigungsrituale für Ebola-Tote entwickelt: Ein Pfarrer und ein Imam bei einem Workshop. Worldvision/Bundu Und was tun Sie? In unserer Reihe „Religion matters“ laden wir im Auftrag des BMZ religiöse Führungspersönlichkeiten in das Entwicklungsministerium ein, um mit ihnen über die nachhaltige Entwicklung ihrer Gesellschaften zu diskutieren. Im Oktober waren Erzbischof Ignatius Ayau Kaigama und Emir Muhammadu Mohamed Muazu aus Nigeria zu Gast. Es ging darum, wie man Jugendlichen in Ni- „Es geht nicht darum, den eigenen Glauben zu bekennen. Wir wollen den Umgang mit Religion professionalisieren.“ geria eine Perspektive geben kann, damit sie sich nicht Boko Haram anschließen. Über den interreligiösen Dialog hinaus haben Christen und Muslime mit Unterstützung der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ein Berufsbildungscollege aufgebaut. Solche Pilotprojekte, in denen es um Sinnstiftung und Orientierung geht, planen wir außerdem in Tansania, Jordanien und Indonesien. Das BMZ möchte erfahren, inwieweit konkrete Maßnahmen in der Zusammenarbeit mit religiös motivierten Organisationen vor Ort verbessert werden können. für die Kooperation. Natürlich muss die BMZ-Strategie davon ausgehen, dass die Menschenrechte anerkannt werden, auch die Frauenrechte und die Rechte von Minderheiten. Jede Form von Extremismus und Diskriminierung werden hier ebenfalls ausgeschlossen. Auch in den Pilotvorhaben werden wir zum Beispiel im Auftrag des BMZ keine islamische Entwicklungsbank unterstützen, die ausschließlich Gutes für Muslime tut. Und wir werden überprüfen, ob die Kriterien eingehalten werden, genau wie bei anderen nichtstaatlichen Organisationen auch. Was können religiöse Organisationen in der Zusammenarbeit besonders gut? Ich erhoffe mir, dass wir mit ihrer Hilfe ganzheitlicher an Entwicklung herangehen. Sie sind näher an den Menschen als die staatlichen Stellen. Sie sind vor allem in den ländlichen Regionen gut verankert und genießen oft eine hohe Glaubwürdigkeit. Sie sind verlässlich, sie sind ständig vor Ort, während wir in Drei-Jahres-Zyklen denken. Außerdem werden die meisten sozialen Dienste wie Krankenhäuser, Kindergärten und Schulen von religiösen Organisationen in unseren Partnerländern getragen. Wie stehen die kirchlichen Hilfswerke zu der neuen Strategie des BMZ? Es gibt Vorbehalte, aber auch eine hohe Bereitschaft, sich darauf einzulassen. Die geplanten Pilotprojekte in den Partnerländern werden wir zum Teil gemeinsam mit ihnen verwirklichen. In Nigeria gibt es die Idee, mit Hilfe von Partnern von Misereor und möglicherweise auch Brot für die Welt gemeinsam den interreligiösen Dialog auszubauen. Das befindet sich allerdings noch in der Diskussion. Wo sind die Grenzen der Zusammenarbeit? Manche Themen sind heikel wie der Zugang zu Verhütungsmitteln oder der Umgang mit Homosexuellen. Das BMZ benennt in seiner neuen Strategie, die es im Februar veröffentlichen will, Prinzipien | 2-2016 Nehmen christliche Hilfswerke die staatliche Entwicklungsarbeit als Konkurrenz wahr, die ihnen Partner wegnehmen will? Das ist eine der Befürchtungen. Die Angst, instrumentalisiert zu werden, ist auf beiden Seiten vorhanden. Aber diese Einstellung ist von vorgestern. Wenn wir nur ansatzweise eine Chance haben wollen, die ambitionierten 17 37 welt-blicke entwicklungspolitik neuen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, dann geht das nur in einer neuen Qualität von Partnerschaft. Wir werden niemanden mehr außen vor lassen können. Wie können Sie verhindern, dass religiöse Organisationen EZ-Vorhaben nutzen, um zu missionieren? Das können nur diejenigen verhindern, die sich vor Ort auf eine Kooperation einlassen. Wir wollen das Zuhören und Voneinander-Lernen befördern. Säkulare und religiöse Akteure sollen sich gegenseitig beeinflussen und dem guten Vorbild folgen. Wie wollen Sie GIZ-Experten für religiöse Fragen fit machen? Wir werden eine Form entwickeln, wie wir in den Länderstudien analysieren, welche Religionsgemeinschaft wo vertreten ist und wer ihre Führer sind. Für alle, die wir entsenden, ist außerdem ein Modul in der Vorbereitung geplant. In den Regionen, in denen Religion eine besonders wichtige Rolle spielt, würde ich gerne ein Seminar für Führungskräfte anbieten, wie sie Respekt für religiöse Organisationen und Überzeugungen entwickeln und diese in ihre Entwicklungsprogramme einbeziehen können. Wie wichtig ist die persönliche Einstellung? Allgemein gilt ja, Religion ist Privatsache, das hat mit meinem Beruf nichts zu tun. Aber es geht nicht darum, den eigenen Glauben zu bekennen. Wir wollen den Umgang mit Religion professionalisieren, also die Fähigkeit, zu unterscheiden zwischen dem eigenen Zugang und dem Umgang damit in der täglichen Arbeit. Viele Regierungen haben inzwischen restriktive NGO-Gesetze erlassen. Könnte es da schwierig werden für ein GIZ-Landesbüro, mit einer religiösen Organisation zusammenzuarbeiten? Ich habe in Benin und Palästina selbst erlebt, dass Organisationen von der politischen Führung des Landes abgelehnt wurden. Künftig will das BMZ auch in den Regierungsverhandlungen mehr auf die Religionsfreiheit in den Partnerländern achten. Um die religiöse Landschaft dort besser zu verstehen, müssen wir als Sektorvorhaben den entsandten Fachkräften in den Botschaften und Landesbüros ein Analyseinstrument an die Hand geben, mit dem sie die religiösen Akteure besser einschätzen können. Welchen Spielraum haben Sie, wenn eine Regierung eine Partnerorganisation ablehnt? Wenn es keine Kompromisse gibt, war es bisher so, dass der Nehmer, sprich die Partnerregierung irgendwann alle Augen zugedrückt hat, weil Deutschland bezahlt. Aber das ist nicht das Verständnis von Partnerschaft in der neuen Agenda 2030. Ich möchte das BMZ ermutigen, in Zukunft nicht nur mit Regierungen zu verhandeln, sondern andere Partner einzubeziehen. Von den Religionsgemeinschaften erhoffe ich mir, dass sie die Fragen von sozialer, ökologischer und ökonomischer Gerechtigkeit stärker aufgreifen. Da tun wir uns als staatliche Akteure oft schwer. Wir führen etwa keine Debatte darüber, dass ein gewisser Reichtum schädlich ist für Nachhaltigkeit. Wir brauchen die Werteorientierung und die Vorstellung von Genügsamkeit aus den Religionen. Ist das nicht eine Überforderung der Religionsgemeinschaften? Das wird mir oft entgegengehalten, aber trotzdem muss man diese Fragen stellen. Die Glaubwürdigkeit von Papst Franziskus kommt daher, dass er tut, was er sagt. Daran mangelt es am meisten auf dieser Welt. Und ich habe die Hoffnung, dass wir im Dialog zwischen staatlichen und religiösen Akteuren einen Unterschied machen können. Sonst bräuchten wir die Kooperation nicht. Das Gespräch führte Gesine Kauffmann. Anzeige KUBA AUS FRAUENPERSPEKTIVE © Heiner Heine In Zeiten politischer und gesellschaftlicher Umbrüche steht Kuba im Mittelpunkt des Weltgebetstags 2016. Frauen des Karibikstaates haben den Gottesdienst dazu verfasst. Sie erzählen uns darin von ihrem Glauben und aus ihrem Alltag. © WDPIC 38 Am 4. März 2016 finden weltweit Gottesdienste sowie Bildungs- und Kulturveranstaltungen statt. Bestimmt auch bei Ihnen vor Ort! Frauen, Männer, Jugendliche und Kinder – alle sind eingeladen zum Weltgebetstag 2016! Weltgebetstag der Frauen Deutsches Komitee e. V. Die Bewegung des Weltgebetstags … … ist weltweit und vor Ort zu Hause der Erde … vernetzt Frauen in über 100 Ländern … lebt ökumenisches Miteinander Kirche … fördert Geschlechtergerechtigkeit in und Gesellschaft en und … unterstützt weltweit Projekte, die Frau ischen polit , alen sozi ihre n, ärke Mädchen best dern ufor einz te Rech hen und wirtschaftlic Mehr Infos: www.weltgebetstag.de – www.facebook.de/weltgebetstag 2-2016 | islamismus welt-blicke Mörder zur Einsicht bringen Bürgerwehren bieten in Maiduguri den Islamisten die Stirn und sorgen mit Unterstützung der Regierung für Sicherheit. JOe Penney/Reuters Nigeria will Kämpfer der islamistischen Sekte Boko Haram dazu bringen, ihre radikalen Ansichten abzulegen. Doch ist die Gesellschaft bereit, sie wieder aufzunehmen? Von Obinna Anyadike M alam Tata hat eine Berufung: Der Vollzugsbeamte hält es für seine religiöse Pflicht, Menschen auf den richtigen Weg zu bringen. Und nur wenige von ihnen haben seiner Meinung nach so schwer gesündigt wie die 43 Mitglieder der islamistischen Terrorgruppe Boko Haram, die im Gefängnis Kuje am Rande der nigerianischen Hauptstadt Abuja sitzen. Dort tut Tata seit 26 Jahren Dienst. Unter seiner Leitung bemüht sich eine Gruppe muslimischer Geistlicher, | 2-2016 die Terroristen von ihren radikalen Ansichten abzubringen. Jeden Tag diskutiert Tatas Team mit ihnen über ihre Religion und stellt die Basis ihrer gewaltverherrlichenden Ideologie in Frage. „Zum Teil sind sie Analphabeten. Sie kennen den Koran gar nicht und dennoch meinen sie, sie würden den Dschihad praktizieren“, sagt Tata. „Andere haben den Koran und die Hadithe gelesen, aber sie verstehen den Islam falsch. Sie folgen den Einflüsterungen des Satans.“ In Kuje wird ein Programm der Gewaltprävention erprobt, das im März 2015 in nigerianischen Haftanstalten eingeführt wurde. Dahinter steckt die Idee, dass die Männer, die wegen terroristischer Vergehen inhaftiert sind, einer Art Therapie unterzogen werden müssen. Ihr Verhalten soll durch Gespräche und Sport sowie allgemeinbildenden und berufsvorbereitenden Unterricht verändert werden. Man hofft, auf diese Weise auch die Rekrutierung anderer Gefangener zu unterbinden und 39 40 welt-blicke islamismus „Jetzt weiß ich, dass man zuhören und sich mit anderen austauschen muss“ – ein Teilnehmer am Umerziehungsprogramm in Kuje zeigt sich einsichtig. Obinna Anyadike die Terroristen langfristig wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Dafür soll das Betreuerteam eine persönliche Beziehung zu den als „Klienten“ bezeichneten Boko-Haram-Häftlingen aufbauen. Die Deradikalisierung wird in einem stillen und abgeschiedenen Teil des Gefängnisses in modernen Unterrichtsräumen praktiziert. Sie sind als einzige Räume der spartanischen Vollzugsanstalt mit Klimaanlagen ausgestattet und sollten ursprünglich von einem Institut der Erwachsenenbildung genutzt werden. Hier treffe ich einen der Klienten. Der untersetzte Mann in Jeans und engem T-Shirt bezeichnet sich als hen. Er betreut miteinander vernetzte Projekte, die an den wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen ansetzen, die Boko Haram Zulauf verschaffen. Sie erarbeiten zudem die Voraussetzungen dafür, Boko-Haram-Mitglieder zu entwaffnen, zu demobilisieren und zu resozialisieren für den Fall, dass die Organisation zerschlagen wird oder einem Friedensabkommen zustimmt. Ikwang vertritt eine klare Position: Wer Gräueltaten begangen hat, soll im Gefängnis bleiben – und dort seiner radikalen Ideologie abschwören. Rangniedrigere Kämpfer hingegen, die am Gewaltpräventionsprogramm teilge- anstalten füllen sich ebenfalls mit ehemaligen Boko-HaramKämpfern, denn sie legen immer häufiger die Waffen nieder. Die Teilnahme an den Umerziehungsprojekten ist freiwillig. In Kuje wird sie von vier Gefange- „Commander“. Er spricht Hausa und artikuliert seine Gedanken in kurzen Sätzen. Den Imam, der als Dolmetscher dabei ist, fordert er in regelmäßigen Abständen zum Übersetzen auf – er will gehört werden. Dank Tata und seinem Team sei er ein neuer Mensch geworden, sagt er. Auf die Frage, an welcher Stelle der Koran das Töten von Zivilisten rechtfertigt, antwortet er, er könne sich nicht erinnern. „Ich bin ein anderer geworden. Über die Rechtfertigung von Gewalttaten möchte ich nicht sprechen.“ Ferdinand Ikwang koordiniert das landesweite Deradikalisierungsprogramm für das staatliche Büro für nationale Sicherheit, dem die Gefängnisse unterste- nommen haben, könnten freigelassen werden und wieder ein normales Leben führen. Allerdings sollten sie weiter unter Beobachtung stehen. Dabei gehe es nicht darum, dass sie ihre Überzeugungen ändern, sondern dass sie ihre Gewaltbereitschaft ablegen, betont Ikwang. nen abgelehnt, sie bestreiten, der Terrorgruppe anzugehören. Die meisten der 39 anderen Klienten sind seit vier Jahren in Haft, allerdings waren sie nicht immer in Kuje. Die Beteiligung am Deradikalisierungsprogramm bietet ihnen Vorteile: Sie bekommen überwiegend Zellen mit nur einem Doppelstockbett. So leben sie viel komfortabler als die anderen Häftlinge der Anstalt, die 1989 für 80 Personen fertiggestellt wurde, jetzt aber mit 910 Gefangenen belegt ist. Die Klienten sind separat in einem mit Fördermitteln der Europäischen Union modernisierten Seitenflügel untergebracht, in dem sie sogar Toilettenpapier und Seife erhalten. Das findet man sonst nirgends in den Immer mehr Kämpfer legen die Waffen nieder Nicht nur in Kuje sind Boko-Haram-Mitglieder inhaftiert. In Aguata im Süden Nigerias sitzen ebenfalls etwa hundert von ihnen ein, die Anfang 2015 kapituliert haben. Auch sie sollen unter Anleitung von Vollzugsbeamten, die in Kuje ausgebildet wurden, deradikalisiert werden. Andere Haft- 2-2016 | islamismus welt-blicke unterfinanzierten nigerianischen Gefängnissen, in denen von Rehabilitierung selten die Rede ist. „Vielleicht machen viele zunächst wegen der Privilegien mit. Die stimmen sie auf jeden Fall weichherziger“, sagt Kasali Yusuf, Ein Selbstmordanschlag hat Mitte 2015 auf einem Markt in Maiduguri mindestens zwanzig Opfer gefordert. Das Attentat wird Boko Haram angelastet. afp/Getty Images | 2-2016 der Koordinator des Betreuungsteams in Kuje. Zugleich schüre die Vorzugsbehandlung jedoch Ressentiments unter den anderen Insassen, die Boko Haram ohnehin hassen. „Das bringt für uns allerlei Probleme mit sich. Wir mussten den Häftlingen klar machen, dass das Programm von der EU finanziert wird“, sagt Yusuf. Der Psychologe Wahaab Akorede, hat die Fallgeschichten der Klienten analysiert. Was sie von den anderen Kriminellen unterscheidet, sei ihre tiefe Empörung, der Wunsch, „alles kaputtzuschlagen“. Für ihn sind sie traumatisierte Opfer der Gesellschaft: Verzweifelt und chancenlos glauben sie bereitwillig an das Paradies, mit dem sie als „Märtyrer“ belohnt zu werden hoffen. Wesentliche Anzeichen intensiver Frömmigkeit sehen weder Akorede noch Yusuf bei ihren Klienten. Akorede verweist auf andere mögliche Motive: In den polygamen Familien bemühen sich die Frauen auf Kosten der Kinder um die Aufmerksamkeit ihres Ehemannes. Die für den Norden Nigerias typische Form des Islam verhindert zudem, dass die jungen Männer angemessen auf das moderne Arbeitsleben vorberei- me sie als Abschaum behandeln, und die Religion bietet ihnen ein Ventil, durch das sie ihre Wut ausleben können“, sagt Akorede. Bei den Männern in Kuje unterscheidet der Psychologe zwischen Rädelsführern und Mitläufern. „Die Rädelsführer sind intelligent. Sie wissen, wie man Menschen erfolgreich manipuliert. Sie sagen: ‚Eure Religion ist ein wertvoller Schatz, und der ist in Gefahr‘.“ So bilden sie eine Sekte, und alle Außenstehenden – auch die Mitglieder der traditionellen religiösen und gesellschaftlichen Hierarchien – sind ihre Feinde. Und tet werden. Und die Verantwortungslosigkeit der Regierungen stürzt die Menschen ins Elend und bringt vielen einen frühen Tod. „Entfremdung“ ist für ihn der wesentliche Grund, weshalb junge Männer in den Sog von Boko Haram geraten. Sie haben meist eine geringe Schulbildung und fristen mit Gelegenheitsarbeiten ihre Existenz in den großen Städten. Es macht sie aggressiv, dass „auch die anderen Musli- wo der Appell an den Glauben und das Märtyrerideal nicht ausreicht, übernimmt Boko Haram die materielle Unterstützung der Familien. „Angenommen, jemand ist mit seinem Leben unzufrieden. Er hat keine Ausbildung, er hat keine Zukunft. Wenn man ihm 10.000 Naira (46 Euro) anbietet, ist er bereit, Bomben zu legen“, sagt Akorede. Stolz erzählt der „Commander“: „Ich war schon bei Boko Ha- Junge Männer brauchen ein Ventil, um ihre Wut auszuleben Korankurs im Internat von Jimeta im Osten Nigerias. Die Schulen bereiten junge Männer nicht gut auf einen Beruf vor. Mohammed Elshamy/ Anadolu Agency/ Getty Images 41 42 welt-blicke islamismus ram, bevor Boko Haram überhaupt existierte.“ Er gehörte zu den nigerianischen Taliban, die für die Kämpfe in Afghanistan Mudschaheddin anwarben. 2004 griffen sie entlang des nördlichen Teils der Grenze zu Kamerun monatelang Polizeiwachen und andere Regierungsgebäude an. Damals gab es in Nigeria heftige Auseinandersetzungen über die Scharia, die im Jahr 2000 in zwölf überwiegend islamischen Bundesstaaten im Norden Nigerias eingeführt worden war. Das entsprach den Forderungen der muslimischen Bevölkerung, die darin ein Mittel gegen die grassierende Korruption sah. Doch letztlich diente das nur der Elite und verhinderte jede wirkliche Reform. Deshalb wandten sich Teile der Radikalen nun gegen die herrschenden Schichten. Fast alle Opfer von Boko Haram sind ebenfalls Muslime Im Juli 2009 kam es zum offenen Konflikt. Boko-Haram-Gründer Mohammed Yusuf hatte sich mit der Regierung des Bundesstaates Borno überworfen, und nachdem mehrere seiner Anhänger getötet worden waren, schwor er Rache. In vier Staaten im Norden des Landes griffen seine Leute Polizeiwachen und andere Regierungsgebäude an. Während tagelanger Kämpfe starben 700 Menschen, darunter auch Yusuf selbst, der im Polizeigewahrsam in Maiduguri umkam. Der „Commander“ flüchtete weiter nach Norden in die Stadt Kano und hielt sich versteckt, bis er schließlich gefasst wurde. Seiner Meinung nach war Boko Haram in der Anfangsphase bei weitem nicht so brutal wie unter der Führung von Yusufs Nachfolger Abubakar Shekau, der sich der internationalen dschihadistischen Bewegung angeschlossen hat. „In jeder Stadt, die sie einnehmen, bringen sie die Leute um. Über wen wollen sie dann noch herrschen, frage ich mich“, sagt der „Commander“. Bei den Anschlägen der Terrorgruppe kamen inzwischen mehr als 25.000 Menschen ums Leben, sowohl in Nigeria als auch in den Nachbarlän- dern. Fast alle Opfer waren ebenfalls Muslime. Der Vollzugsbeamte Tata stellt mir einen weiteren Klienten vor, einen zierlichen Mann mit Brille und einem adrett geschnittenen Bart, der ein reinliches weißes Gewand trägt. Er spricht voller Ehrfurcht über Mohammed Yusufs Aufrichtigkeit und Integrität. Seiner Meinung nach ist Boko Haram entstanden, weil Nigeria von Korruption, Ungerechtigkeit und Homosexualität befreit werden musste. Er selbst hatte zu Yusufs innerem Zirkel gehört, und vor seiner Gefangennahme im Jahr 2011 hatte er in den Bundesstaaten Bauchi, Gombe und Plateau die Gruppe angeführt. Den staatlichen Organen wirft er vor, sie hätten ungerechtfertigt Gewalt angewendet und Yusuf ermordet – kein Polizist sei dafür zur Verantwortung gezogen worden. Der von seinen Überzeugungen tief durchdrungene Mann ist ein Paradebeispiel für Akoredes Theorie, dass Boko Haram sich auf frustrierte und empörte Menschen stützt. Er wuchs mit mehr als 30 Geschwistern auf und verließ die Schule schon mit zwölf Jahren. Dann arbeitete er als Automechaniker in Maiduguri, doch er konnte sich mit der Armut im Norden und der Gleichgültigkeit der wohlhabenden Elite nicht abfinden. „Ich dachte, wenn man bereit ist, Gewalt anzuwenden, könne man seine Ziele durchsetzen“, sagt er. „Bevor ich an diesem Umerziehungsprogramm teilnahm, hätte ich mich mit Ihnen gar nicht abgegeben. Wir meinten es ernst, und ich war knallhart. Doch jetzt weiß ich, dass man zuhören und sich mit anderen austauschen muss.“ In Maiduguri ist das Mittagsgebet gerade zu Ende. Ich schaue mich im Viertel Monday Market um, in dem Mohammed Yusuf zuerst als Prediger aufgetreten ist. Mit mehreren Männern komme ich darüber ins Gespräch, was zur Entstehung von Boko Haram beigetragen hat. Sie wollen nicht, dass ihre Stadt in einen Topf geworfen wird mit der Gewalt und dem Blutvergießen, das hier seinen Anfang genommen hat. Der Schulleiter Suleiman Aliyu räumt jedoch ein, dass es in Maiduguri durchaus Sympathien für Boko Haram gab. Die schlicht und traditionell gekleideten Anhänger der Bewegung galten als fromm und sittenstreng. Dass sie die Korruption anprangerten, stieß auf breite Zustimmung. Ihre utopische Botschaft fand auch wohlhabende Unterstützer, die großzügig spendeten. „Wenn man nicht zu genau darüber nachdachte, glaubte man ihnen“, meint Aliyu. „Das sind Teufel in Menschengestalt“ Als die Aufstandsbewegung niedergeschlagen wurde, zerfiel die Gruppe vorübergehend. Dank der finanziellen Unterstützung durch Dschihadisten aus Algerien und Mali konnte sie sich neu organisieren und bereits 2010 wieder aktiv werden. 2011 wurden im Bundesstaat Borno Motorradtaxis verboten, weil sie oft dazu benutzt wurden, im Vorbeifahren Menschen zu erschießen. Dadurch verloren um die 34.000 Menschen ihre Existenzgrundlage, und so bekam Boko Haram erneut Zulauf. Militärische Fehlschläge und die kollektive Bestrafung ganzer Stadtviertel für Attentate untergruben die Loyalität der Bevölkerung zum Staat. Unterdessen zeigte Boko Haram sich großzügig und übernahm etwa die Kosten für Familienfeiern. Die Gruppe wollte jeden vereinnahmen und tötete diejenigen, die sich widersetzten. „Sie versuchten die Kontrolle über das gesamte Gemeinwesen zu übernehmen“, sagt Aliyu. Die Gründung der nur mit Äxten und Macheten bewaffneten Miliz Civilian Joint Task Force (CJTF) war eine mutige Antwort auf den Terror von Boko Haram. Ihre Mitglieder lieferten der Armee die Informationen, mit denen sie die Gruppe bis Ende 2013 aus Maiduguri vertreiben und ihre Rückkehr weitgehend verhindern konnte. Meine Gesprächspartner in Maiduguri sind sich einig: Der harte Kern von Boko Haram kann nicht resozialisiert werden. „Sie treten in Menschengestalt auf, aber in Wirklichkeit sind es Teu- 2-2016 | islamismus welt-blicke fel“, sagt ein Mann, der seinen Namen nicht genannt wissen will. Laut dem Leiter des Deradikalisierungsprogramms, Ferdinand Ikwang, sollen die, die freigelassen werden, in speziellen Einrichtungen leben und dort überwacht werden. Sie sollen Kooperativen mit geeigneten beruflichen Schwerpunkten bilden und müssen sich einer Therapie unterziehen. Entscheidend sei die Akzeptanz in der Bevölkerung, sagt er. Wenn frühere nigerianische Regierungen solche mittelfristig angelegten Programme in Angriff nahmen, gelang es selten, die Finanzierung sicherzustellen und dafür zu sorgen, dass das Geld angemessen verwendet wird. Wie kann gewährleistet werden, dass die Mittel für das Deradikalisierungprogramm nicht in dunklen Kanälen verschwinden? Psychologe Akorede beharrt darauf, dass das Projekt weiterlaufen muss – es gebe einfach keine Alternative. Noch entscheidender ist jedoch die Frage, ob das Umerziehungskonzept überhaupt funkti- oniert. Tatsächlich scheint es in der Boko-Haram-Abteilung im Gefängnis von Kuje friedlich zuzugehen, das liegt im Interesse von Mitarbeitern wie Gefangenen. Die Betreuer tragen Zivilkleidung und pflegen einen zwanglosen Umgang mit den „Klienten“. Das ist für ein nigerianisches Gefängnis höchst ungewöhnlich, denn anderswo müssen die Insassen in die Hocke gehen, wenn sie einen Aufseher ansprechen wollen. Noch ist es zu früh, um das Programm zu bewerten Für die Weiterbildung der Mitarbeiter, die Modernisierung der Gebäude und die Rehabilitierungsprogramme nach der Haftentlassung wird sehr viel Geld ausgegeben. Doch gibt es bisher keine eindeutigen Erkenntnisse über die Rückfallquoten, und es ist auch nicht klar, ob dies überhaupt das entscheidende Kriterium ist. „Das lässt sich jetzt noch nicht beurteilen“, sagt Ekpeme Udom, die Leiterin sämtlicher Ge- waltpräventionsprogramme in nigerianischen Gefängnissen. „Auch anderswo gibt es diese Art von Gewaltprävention erst seit etwa zehn Jahren.“ Und sie fügt hinzu: „Wir müssen es schaffen, die Herzen und den Verstand der Extremisten anzusprechen. In Afrika ist das etwas ganz Neues, und bislang erzielen wir sehr gute Ergebnisse.“ Nach Ansicht von Ferdinand Ikwang liegen die Ursachen jedoch tiefer. Sie sind durch die schlechte Regierungsführung in Nigeria bedingt, die für die Entstehung von Boko Haram und für andere Konflikte im ganzen Land verantwortlich ist. „Der Extremismus ist eine Ideologie, die an der Wurzel bekämpft werden muss, angefangen im Kindergarten, und dabei müsste sich die Regierung viel stärker um die Belange der Bevölkerung kümmern“, sagt er warnend. Er überlegt eine Weile und fragt schließlich: „Wie konnte uns eine ganze Generation von Jugendlichen entgleiten?“ Aus dem Englischen von Anna Latz. 43 Obinna Anyadike ist Redakteur des InternetPortals IRIN (Integrated Regional Information Networks – www. IRINnews.org), auf dem sein Artikel im Original erschienen ist. Anzeige Die FAIR HANDELN ist eine Messe für alle, die sich engagiert für ein global faires und nachhaltiges Handeln einsetzen. Sie stellt einen Marktplatz dar für Fachbesucher und Endverbraucher und zeigt das Spektrum von fair gehandelten Produkten, Nahrungsmittel bis hin zu Textilien, Kosmetik und Kunst. Mit ihren zahlreichen Bildungsveranstaltungen, Forumsbeiträgen und Podiumsdiskussionen ist sie die Leitmesse für Fair Trade und global verantwortliches Handeln in Deutschland. Ausstellungsbereiche: • Fairer Handel • Entwicklungszusammenarbeit • Nachhaltiger Tourismus • Verantwortliche Unternehmensführung (CSR) • Sonderbereich Nachhaltiges Finanzwesen | 2-2016 www.fair-handeln.com Donnerstag 14 bis 22 Uhr Freitag – Sonntag 10 bis 18 Uhr 44 welt-blicke religion Rat von Rabbi Google In Nigeria wächst unter den Igbo eine junge jüdische Gemeinde. Ihre Mitglieder vertrauen bei der religiösen Unterweisung vor allem auf das Internet. Text: William F. S. Miles, Fotos: Chika Oduah E ine erstaunliche religiöse Bewegung fasst in Nigeria Fuß: Immer mehr Mitglieder der ethnischen Gruppe der Igbo treten zum Judentum über. Zu ihnen zählt Emmanuel Ekegbunam, der als Beamter in der Kommunalverwaltung im südlichen Bundesstaat Anamabra arbeitet. 1968 geboren und römisch-katholisch erzogen, fühlte er sich in seiner Jugend zu einer Form des Christentums hingezogen, die als „messianisches Judentum“ bezeichnet wird. Messianische Juden übernehmen viele Symbole des Judentums: die Kippa und den Gebetsmantel, Hebräisch als Gebetssprache, den Samstag als Feiertag, den Sabbat. Doch sie halten an einer zentralen Glaubensüberzeugung des Christentums fest: dass Jesus der Sohn Gottes ist. Messianische Juden sind überzeugt, dass sie zu den Wurzeln ihres Glaubens zurückkehren, wenn sie ihn praktizieren wie seinerzeit Jesus und so ihm nahe kommen. Diese Vorstellung ist für das etablierte Judentum natürlich nicht akzeptabel. Dort ist man überzeugt, dass die „messianischen Juden“ durch ihr Missionieren und offensives Vorgehen naive und gutgläubige Menschen anlocken, die auf der Suche nach religiöser Wahrheit sind. Doch für Emmanuel Ekegbunam war es wie für Tausende andere Nigerianer eine notwendige Phase, die ihn schließlich zu seiner wahren spirituellen Heimat geführt hat: dem Judentum ohne Jesus. Wie sollten christlich erzogene Nigerianer auch zum Judentum finden, wenn Jesu ursprüngliche Religion nicht eine besondere Anziehungskraft für sie hätte? Emmanuel Ekegbunam ist seit 2007 orthodoxer Jude. Das nigerianische Judentum insgesamt ist kaum ein Vierteljahrhundert alt. Wie die meisten nigerianischen Juden ist Emmanuel jedoch überzeugt, dass er zum Glauben seiner Vorfahren zurückgekehrt ist. Jüdische Igbo stützen die Behauptung, sie seien Nachfahren der einstigen Israeliten, auf eine Vielzahl von Beweisen bezüglich der Sprache und der Riten. Remy Ilona, der wegen seiner Publikationen im Ausland bekannteste nigerianische Jude, vertritt die These, der Kolonialismus und die damit einhergehende Missionierung in Afrika seien mit einer bewussten „Entjudaisierung“ seines Volkes verbunden gewesen. Die Briten, die Nigeria 1960 in die Unabhängigkeit entließen, hätten den geheimen Plan verfolgt, die israelitischen Wurzeln aus dem Bewusst- 2-2016 | religion welt-blicke Nigerianische Juden feiern im Februar 2013 den Sabbat in der Gihon-Hebrew’s-ResearchSynagoge in Abuja. | 2-2016 sein der Igbo zu tilgen, sagt Ilona. „Bei meinen Forschungen habe ich entdeckt, dass mich das, was der Kolonialismus uns aufgezwungen hatte, nichts angeht. So wurde ich Jude.“ Derzeit promoviert er in Judaistik an der Florida International University im US-amerikanischen Miami. Unabhängig von ihrer Religion verbindet die Igbo eine schmerzliche Erinnerung mit dem jüdischen Volk: ein Genozid. 1967 begann diese ethnische Gruppe, das drittgrößte Volk Nigerias und überwiegend christlich, einen am Ende gescheiterten Unabhängigkeitskrieg gegen das überwiegend muslimische Militärregime, das damals das Land regierte. Das Regime verfolgte eine unerbittliche Politik der verbrannten Erde gegen die selbsternannte Nation „Biafra“ im Südosten des Landes. Mehr als eine Million Menschen verloren ihr Leben, die meisten Zivilisten. Die Bilder von hungernden Igbo-Kindern und ihren von Unterernährung aufgeblähten Bäuchen waren ebenso dramatisch wie die von jüdischen Mädchen und Jungen, die während der NS-Zeit von Soldaten zusammengetrieben worden waren. Igbo-Chronisten zogen damals eine direkte Parallele zum Holocaust. 40 Jahre nach dem Ende des Biafra-Krieges erinnerte Caliben Ikejuku, als er die Zeremonie der BarMizwa für den Sohn des Gemeindeleiters Sar Haba- kkuk in Abuja leitete, die Gäste daran, dass man die damalige Tragödie auch in Zeiten des Friedens nicht vergessen dürfe. „Nie wieder! Es darf nie wieder geschehen.“ Damit bezog er sich ebenso auf die Katastrophe der Schoah wie auf die Tragödie von Biafra. „Israel ist gekommen, um zu bleiben“, erklärte Ikejuku, der als Chirurg praktiziert. D ie neuen Juden von Nigeria halten sich im Alltag nicht mit den Tragödien der Vergangenheit auf, sondern bilden Glaubensgemeinschaften. In Abuja gibt es drei Synagogen: die Gihon Hebrew’s Research Synagogue, die auf dem Grundstück von Sar Habakkuk und die neueste in Caliben Ikejukus Haus. Dutzende weitere jüdische Gebetshäuser liegen verstreut in der Heimatregion der Igbo im Südosten des Landes. Der berühmte verstorbene Igbo-Autor Chinua Achebe wusste nicht einmal, dass es in seiner Heimatstadt Ogidi eine Synagoge gibt, bis ich ihm vor vier Jahren in seinem amerikanischen Büro an der Brown University davon erzählte. Die Zahl der Juden in Nigeria ist schwer zu schätzen. Zwischen 20 und 30 Millionen Igbo leben in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Doch wesentlich mehr berufen sich auf eine vermeintliche israelitische Vergangenheit, als tatsächlich die Art von Judentum praktizieren, die von der jüdischen 45 46 welt-blicke religion Weltgemeinschaft anerkannt wird. Zu ihnen gehören nicht nur die „messianischen Juden“, sondern auch andere religiöse Gruppen, von protestantischen und römisch-katholischen bis hin zu teilweise animistischen. Die Zahl derjenigen, die ausschließlich und konsequent die jüdische Religion praktizieren, dürfte bei ein paar Tausend liegen – auch wenn 2008 in der jüdisch-amerikanischen Zeitung „The Forward“ von 35.000 die Rede war. Sie sind wohl die weltweit erste jüdische Gemeinschaft, die religiöse Unterweisung weitgehend aus dem Internet erfährt. Das erklärt, warum sie mühelos Hebräisch lernen und in dieser Sprache beten und singen. Und obwohl sie sich sehnlichst einen örtlichen Rabbiner wünschen, der die Gemeinde betreut, beziehen sie inzwischen einen Großteil ihres Wissens über die jüdische Religion von „Rabbi Google“. E in amerikanischer Rabbiner aus Fleisch und Blut, Howard Gorin aus Maryland, kam 2003 zu den nigerianischen Juden, nachdem er im Jahr zuvor an einer Konversionszeremonie für Abayudaya in Uganda teilgenommen hatte. Die Abayudaya behaupten nicht, dass sie von den Israeliten abstammen, bekennen sich jedoch seit Anfang des 20. Jahrhunderts zum Judentum. Der Besuch Gorins in Nigeria und seine Folgebesuche, bei denen er eine ThoraRolle mitbrachte und Religionsunterricht erteilte, waren ein wichtiger Anstoß für die Gemeinschaft. Er wurde schließlich zum „Oberrabbiner von Nigeria“ ernannt, ein ehrenvolles Amt, das er ebenso wie die geistliche Leitung der Gemeinde in Maryland inzwischen niedergelegt hat. Ein Ansporn für die neuen nigerianischen Juden waren zu Beginn auch gelegentliche Kontakte zu Israelis, die vorübergehend im Land arbeiteten, häufig im Bauwesen. Das Verhältnis zwischen der israelischen Botschaft in Abuja und der nigerianischen jüdischen Gemeinde ist hingegen ambivalent und hängt stark von der Aufgeschlossenheit des Botschafters ab. Während der eine offen für die Versuche der jüdischen Igbo ist, Kontakte zum Staat Israel herzustellen, ist ein anderer vielleicht auf der Hut: Weder das israelische Außen- noch das Innenministerium sind begeistert von der abwegigen Sorge, dass eine Million Igbo sich auf das „Rückkehrgesetz“ berufen, um israelische Einwanderer und Bürger zu werden. Nigerianer sind weltweit wegen Betrügereien, besonders mit E-Mails, in Verruf – die frommen Igbo-Juden leiden darunter, dass sie damit in Verbindung gebracht werden. Aber sie möchten ohnehin nicht unbedingt nach Israel auswandern. Die Mehrheit der nigerianischen Juden bekennt sich zum Judentum, wie es die meisten Juden in der weltweiten Diaspora tun. „HaSchem, der Allerhöchste, hat uns geholfen, uns als jüdische Gemeinde zu etablieren“, sagt Lawrence Okah, einer der Gründer der Gemeinschaft. „Wir arbeiten mit Ihm. Wir können Israel von Nigeria aus helfen. Ich möchte nicht dorthin gehen und jemandem zur Last fallen.“ Man müsse sich selbst und seiner Kultur treu bleiben – als Igbo und als Jude. Oben: Eze A.E. Chukwuemaka Eri ist überzeugt, dass die Igbo von den alten Israeliten abstammen. Unten und rechts: An der Sabbatfeier in Abuja nimmt auch der Nachwuchs teil. Gebetet und gesungen wird auf Hebräisch. Deshalb wurde auch der traditionelle Brauch der Igbo, die Kolanuss zu segnen, in jüdische Zeremonien integriert. Caliben Ikejuku vergleicht sein Volk gerne mit dem Vogel, der Jahrhunderte mit Schmetterlingen zusammenlebt und schließlich denkt, er sei selbst einer. „Doch der Schmetterling weiß: ‚Nein, das ist ein Vogel!‘“, sagt Ikeju. „Für uns ist es das Beste, wir selbst zu sein, statt uns zu assimilieren, und mit der Wahrheit zu leben“ – als Juden in Nigeria. Die Igbo – und vor allem die Juden unter ihnen – machen ihrem Ruf, unternehmerisch und innovativ zu sein, alle Ehre. Schon seit langem werden Igbo 2-2016 | religion welt-blicke „die Juden von Afrika“ genannt. Bei einem Chanukka-Fest, an dem ich 2009 teilnahm, hatten die Feiernden aus Coca-Cola-Flaschen eine Menora, den traditionellen Kerzenleuchter, gebastelt. Heute nähen sie ihre eigenen Gebetsmäntel. Ihre ersten Gebetbücher waren unförmige Exemplare, Fotokopien eines der seltenen verfügbaren Originale. Heute ha- tum ist“, klagt der Gemeindeleiter Pinchas – sein Geburtsname ist Prince Azuka Ogbuka’a –, „deshalb müssen wir vorsichtig sein.“ Doch das gilt nicht nur für Außenstehende. Ein Mitglied der Gemeinde wurde beschuldigt, ein anderes Mitglied verhext zu haben. „Aber mit der Thora-Rolle und dem Segen von HaShem halten wir Voodoo aus der Synagoge fern“, sagt Pinchas zuversichtlich. „Mit der Thora-Rolle und dem Segen des Höchsten halten wir Voodoo aus der Synagoge fern“, sagt der Gemeindeleiter. Ein größeres Problem als schwarze Magie ist die Gleichgültigkeit der Behörden. „Wir bekommen nicht, was uns zusteht“, kritisiert Pinchas. Ein nigerianischer Muslim erhält einen staatlichen Zuschuss für seine Hadsch nach Mekka. Ein Christ hat Anspruch auf staatliche Unterstützung, um eine Pilgerreise ins Heilige Land, nach Jerusalem, zu machen. Anhänger des Judentums, das in Nigeria nicht als Religion anerkannt ist, genießen solche Rechte nicht. Noch schwieriger sind die täglichen Kämpfe um Anerkennung, wenn Genehmigungen von Behörden nötig sind, zum Beispiel für so einfache Dinge wie den Bau einer Synagoge. D ben sie komplette Sätze jüdischer Schriften zur Verfügung – vom Talmud, den Caliben Ikejuku im Ausland gekauft hat, bis hin zu den Büchern der mystischen Kabbala, die auch von Nichtjuden benutzt werden. A llerdings sind Vorurteile und Misstrauen gegenüber den Juden verbreitet in diesem Land, das fast zu gleichen Teilen zwischen Christen (vor allem im Süden) und Muslimen (überwiegend im Norden) aufgeteilt ist. Das zeigte sich während meines Besuches an Chanukka. Als die Kerzen in der Gihon-Synagoge angezündet wurden, bemerkte ich, in meiner Heimat sei es Brauch, sie in die Fenster zur Straße zu stellen und damit den Stolz auf den jüdischen Glauben zu zeigen. „Das können wir hier nicht machen“, erklärte man mir. „Die Leute könnten denken, dass wir eine Sekte sind.“ Sekten sind ein Problem in Nigeria, ebenso wie die Praxis der schwarzen Magie oder zumindest die Angst davor. „Die Leute wissen nicht, was das Juden- | 2-2016 as Bekenntnis zum jüdischen Glauben kann mit persönlichen Opfern verbunden sein. „Meine Frau konnte nicht verstehen, dass ich Jude wurde, und verlangte, dass wir zum Christentum zurückkehrten“, berichtet Emanuel ben Yonatan, der früher Abor hieß. „Ich sagte zu ihr: ‚Ich habe den Glauben meiner Vorfahren gefunden. Es gibt kein Zurück.‘ Und so haben wir uns getrennt.“ Emanuel, katholisch erzogen und Immobilienmakler von Beruf, ist nicht der einzige nigerianische Igbo, dessen Ehe an seiner „Rückkehr“ zum Judentum zerbrochen ist. Der Gemeindeleiter Pinchas, der sich vor zwei Jahren in den USA ein Bild vom Judentum in der Diaspora gemacht hat, teilt sein Schicksal. Aber er ist voller Hoffnung für seine Familie. „Vor einigen Monaten hatte ich die Möglichkeit, meine zwei Söhne und meine Töchter das erste Mal in die Synagoge zu bringen“, erzählt er glücklich. „Was für eine Freude!“ Im Lauf der Geschichte ist das seit je das Los der Juden: Freude in einer Welt zu finden, die sie und ihre Religion häufig nicht versteht oder ihnen sogar mit offener Feindseligkeit begegnet. Nigerianische Juden tragen eine doppelte Last, denn sie können sogar die Anerkennung von ihren Glaubensgenossen im Ausland nicht als selbstverständlich voraussetzen. Aber sie besitzen großes Vertrauen zum Allerhöchsten. „Keine Angst“, pflegt der Gemeindeleiter Sar Habakkuk zu Juden zu sagen, die zu Besuch kommen und vielleicht Angst vor ihrer ersten Begegnung mit Afrika haben. „Hier ist eine jüdische Familie. Und HaShem hat dich hergebracht.“ Aus dem Englischen von Elisabeth Steinweg-Fleckner. William F. S. Miles ist Professor für politische Wissenschaften an der Northeastern University in Boston (USA) und Autor des Buches „Jews of Nigeria“ (Markus Wiener Publishers 2012). 47 48 welt-blicke uganda Singen für den Wahlsieg In Uganda wird im Februar eine neue Regierung gewählt. Die politischen Kampagnen laufen seit Monaten auf Hochtouren – mit kräftiger Unterstützung aus der Musikbranche. Von Nanna Schneidermann P räsident Yoweri Kaguta Museveni war im Oktober der Ehrengast bei einer Dinnerparty. Neben ihm saßen ein paar der bekanntesten Sänger am Tisch. Sie stellten dort ihr Lied „Tubonga Nawe“ vor, was in der lokalen Sprache Luganda „Wir stehen hinter Euch“ bedeutet. Damit wollen sie die Wiederwahl des Präsidenten und seiner Partei „Nationale Widerstandsbewegung“ (The National Resistance Movement – NRM) unterstützen. Der Präsident wiederum soll laut Medienberichten mehr als 400 Millionen ugandische Schilling (100.000 Euro) an einen Fonds zur Förderung der Musikindustrie gespendet haben. Das Lied hat in den Medien, in der aufstrebenden städtischen Elite und auf den Straßen Kampalas eine leidenschaftliche Diskussion über die angemessene Beziehung zwischen Politik und Popmusik entfacht. Sind bekannte Musiker verpflichtet, die politische Elite zu loben? Oder haben sie mit ihrer Berühmtheit eine besondere Verantwortung, gegen Ungerechtigkeit zu protestieren? Künstler sollten ihre eigenen politischen Interessen vertreten statt Lobeshymnen zu singen, kom- mentierte der ugandische Sänger Maurice Kirya auf Facebook, wenige Stunden, nachdem das Lied veröffentlicht wurde. Auch andere vertraten die Ansicht, Künstler sollten der Regierung kritisch gegenüberstehen statt sie zu bejubeln, denn sie seien die Stimme der Stimmlosen. Und einige berühmte Sänger mussten der Boulevardpresse erklären, warum sie sich der „Tubonga Nawe“-Starbesetzung nicht angeschlossen hatten – und damit gleichzeitig ihren politischen Standpunkt preisgeben. Der junge Hip-Hop-Künstler Bana Mutibwa antwortete mit einem eigenen Lied auf die Hymne. Der Titel: „Tetubonga Nawe“ – „Wir stehen nicht hinter Euch“. Darin kritisiert der Rapper sowohl die Regierungspartei als auch diejenigen, die „Tubonga Nawe“ singen. Das Lied ging durch die Decke, als Kizza Besigye, Präsidentschaftskandidat und Oppositionsführer beim Forum für Demokratischen Wandel (Forum for Democratic Change – FDC), das Lied auf Facebook teilte. Plötzlich war Mutibwa überall: in den Nachrichten, im Radio und in den Klatschblättern. Über das Internet und WhatsApp verbreitete sich das Lied noch weiter. 2-2016 | uganda welt-blicke Ugandas Superstar José Chameleone – hier bei einem Konzert in Kampala 2012 – singt beim umstrittenen Loblied auf Präsident Museveni mit. Die Kritik daran lässt ihn kalt. Kathrin Harms/Laif „Tubonga Nawe“ hat die Beziehung zwischen Popmusik und Politik durcheinander gebracht. Gleichzeitig hat das Lied neue Ausdrucksformen und Handlungsmöglichkeiten geschaffen. Oder, wie ein Freund in Uganda sagte: Musik wurde neu politisiert, die Hierarchien in der Gemeinschaft der Musiker haben sich verschoben. Um zu verstehen, was für junge Leute in der Branche auf dem Spiel steht, dürfen ihre Ausflüge in die Politik nicht nur als Lob oder Protest gesehen werden. Vielmehr greifen die Künstler – und nun auch Politiker – damit zu einem merkwürdigen und manchmal widersprüchlichen Mittel, um Beziehungen zu knüpfen, die ihnen mehr Ruhm, Einfluss und Wohlstand verschaffen. G Nanna Schneidermann lehrt Anthropologie an der dänischen Aarhus-Universität. Sie forscht seit 2004 zu Jugend, Ruhm und Leben in Ugandas wachsender Musikindustrie. Ihr Artikel ist im Original online auf matsutas.wordpress.com erschienen. | 2-2016 enau wie in anderen Teilen Afrikas wurden Musiker in Uganda lange als abhängig vom Staat oder sogar als Betrüger und Hofnarren wahrgenommen. Während der Hochphase des Königreichs Buganda waren Hunderte Musiker beim Staat angestellt. Später, in der frühen postkolonialen Ära, waren sie wieder von der Gunst des Staates und einzelner Politiker abhängig. Denn denen gehörten fast alle Medien – ohne sie hätten die Künstler kaum ein großes Publikum erreichen können. In den vergangenen Jahren haben junge Musiker in Kampala ihre Rolle in der Popkultur neu definiert. Die Medienwelt wurde in den 1990er Jahren stärker privatisiert und ist informeller geworden, auch mit Hilfe von Internet-Plattformen. Künstler begreifen sich nicht länger als Diener des Staates, sondern als Unternehmer auf dem globalen Markt. Sie wollen vor allem ihre Musik und ihre eigene Marke verkaufen. Das ist die Grundlage der aufblühenden Musikindustrie in Uganda und die einer neuen Generation von Stars. Wenn sich Politiker und Sänger dieselbe Bühne teilen wie bei den jüngsten Wahlkampagnen, sorgt das unterschiedliche Verständnis von der Rolle der Musiker für Spannungen. Bereits bei den Wahlen 2011 traten viele der heutigen „Tubonga Nawe“Künstler auf den Kundgebungen von Präsident Museveni auf. Doch sie spielten ihre eigenen Lieder überall im Land vor einem riesigen Publikum. Sänger und Politiker standen nebeneinander auf der Bühne, aber nicht zwangsläufig zu eng. Dieses Nebeneinander erlaubte es den Fans beziehungsweise den Wählern im Publikum, ihre Beziehung zueinander unterschiedlich zu deuten. Um in der Marktlogik der Musikindustrie zu bleiben: Die Künstler hatten ihren Namen und ihre Beliebtheit für ein paar Stunden an einen Politiker „vermietet“ und zugleich die Chance genutzt, für ihre eigenen Lieder zu werben. Und Musikfans und Wähler verstanden, dass die Lobhudelei nicht unbedingt die blinde Befürwortung eines Politikers bedeutete, sondern dass es um die Anerkennung und das Geld der politischen Elite ging, ohne sich auf ewig an sie zu binden. Das ewige Hin und Her zwischen Musikern und Politikern sorgte bisher dafür, dass ihre Beziehung mehrdeutig und ein wenig geheimnisvoll blieb – und genau deshalb funktionierte das Zusammenspiel. Präsident Museveni hatte 2011 sogar seinen eigenen Hit. Er folgte demselben seltsamen Muster, bei dem Musik und Politik sich mischen. Das Lied warb nicht ausdrücklich für die Regierungspartei, doch die Hörer konnten für sich selbst deuten: Was könnte er wohl mit dem Titel „Willst Du einen weiteren Rap” meinen? Die Beziehung zwischen der neuen Generation ugandischer Stars und Politikern ist noch immer mehrdeutig. Doch das „Tubonga Nawe“-Loblied lässt zu wenig Raum für Interpretationen. Es erinnert an alte Zeiten, als Diktatoren immer Musiker bei sich hatten, die die Regierung für ihre Verdienste priesen. Damals wirkte es, als besäßen die Politiker ihre eigenen Sänger. Doch die neuen Stars in Uganda werden genau deshalb geliebt, weil sie nicht die Marionetten der mächtigen Frauen und Männer sind. Sie haben sich ihre eigene Industrie aufgebaut und sich selbst nach oben gearbeitet. Deshalb sind Fans und Kollegen enttäuscht und wütend, wenn Musiker plötzlich nicht mehr sie selbst sind und vor der politischen Elite niederknien. Auch der „Tubonga Nawe“-Song ist eine eindeutige Verbindung zwischen Musikern und der NRM-Partei. Zumal bei seiner Präsentation öffentlich zwischen Präsident und Künstlern Essen und Geld getauscht wurden – den üblichen politischen Währungen in Uganda. Und als der neue Hit auf den Facebook- und Instagram-Seiten der Sänger vorgestellt wurde, überwogen die Fotos von den politischen Veranstaltungen, auf denen sie vor riesigen Menschenmengen auftraten. Die Größen der ugandischen Musikszene scheinen immer nahtloser mit der NRM-Partei zu verschmelzen, je näher der Wahltermin rückt. F ür diese Deutung spricht der Kommentar des Sängers Jose Chameleone zu seiner Beteiligung an „Tubonga Nawe“. Er sei so kreativ und unabhängig wie immer, erklärte er in einer Internetzeitung: „Als Musiker habe ich 15 Jahre damit zugebracht, über die Probleme des Landes zu singen, und ich singe sie als Jose Chameleone. Sagt nicht, ich habe Euch betrogen, denn ihr habt mich nie beauftragt. Ich bin kein Politiker, ich habe nur klargemacht, auf welcher Seite ich stehe.“ Auf der einen Seite wollen Musiker nicht als Loblied-Sänger und Betrüger abgestempelt werden, die nur die Agenda ihres politischen Schirmherrn wiederkäuen. Auf der anderen Seite verweigern sie den Bürgern eine Erklärung für ihr Verhalten. Chameleone ist ein Beispiel für die neue Generation von Künstlern, die darauf bestehen, als unabhängige Unternehmer und Vorbilder wahrgenommen zu werden – während sie zugleich die lästigen Pflichten meiden wollen, die das Feld der Politik mit sich bringt. Doch mit dem Singen von Lobliedern für die herrschende Klasse verhallt ihr Wunsch nach Unabhängigkeit zunehmend wie ein hohles Echo. Aus dem Englischen von Hanna Pütz. 49 50 journal studie politische bildung Politik von unten Entwicklungsorganisationen fordern ein neues Gemeinnützigkeitsrecht Alle möchten, dass Bürger sich mehr politisch engagieren. Doch zugleich gilt politische Arbeit in Deutschland nicht als gemeinnützig. Eine Allianz politischer Organisationen will das ändern – auch im eigenen Interesse. TTIP, Landwirtschaft oder Kohlekraft: Wie stark dürfen sich Vereine im Namen der Gemeinnützigkeit ins politische Geschehen einmischen? Ginge es nach dem CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer, sollten sich Organisationen wie Campact oder Foodwatch tunlichst zurückhalten. Im Herbst hatte sich Pfeiffer in einer Bundestagsdebatte vor allem auf die „Bürgerbewegung“ Campact eingeschossen, die sich mit Petitionen und bei Demonstrationen zu aktuellen politischen Themen äußert. Die Organisation betreibe mit ihren Kampagnen eine Empörungsindustrie, meinte Pfeiffer und forderte anschließend in den „Stuttgarter Nachrichten“, dass ihre Gemeinnützigkeit überprüft werden müsse. Laut Abgabenordnung sei das Verfolgen politischer Zwecke unvereinbar mit dem Status der Gemeinnützigkeit. Einer ähnlichen Argumentation folgte 2014 das Finanzamt Frankfurt am Main, das dem globalisierungskritischen Verein Attac den Status der Gemeinnützigkeit entzog. Die Begründung damals: Attac mache nicht nur Bildungsarbeit, sondern verfolge auch allgemeinpolitische Ziele wie etwa die Regulierung der Finanzmärkte oder die Einführung einer Vermögensabgabe. Frauke Distelrath von Attac sieht darin keinen Widerspruch: „Gesellschaftliche Bildung führt oft automatisch zu politischem Engagement“, sagt sie. Das gelte auch für andere Zwecke, die als gemeinnützig anerkannt seien: Wenn sich eine Organisation für den Umweltschutz einsetze, gehö- Nicht jedes staatsbürgerliche Engagement gilt als gemeinnützig: Protest der Organisation Attac in Berlin gegen das Freihandelsabkommen CETA. picture Alliance/dpa re dazu auch die Forderung nach einem Ende der Kohlekraft. Was gemeinnützig ist, regelt in Deutschland Paragraph 52 der Abgabenordnung. Er besagt, eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Ziele, wenn ihre Tätigkeit die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos fördert. Politische Ziele gelten dagegen nicht als gemeinnützig. Das Problem für die Vereine: Wer nicht anerkannt ist, darf auch keine Spendenbescheinigungen ausstellen und erhält weniger Fördermittel. Schlimmstenfalls kann das die Existenz der Organisation bedrohen. Unternehmen setzen ihre Lobby-Arbeit von der Steuer ab Weil Finanzämter die Regeln unterschiedlich und nicht immer im Sinne der Vereine auslegen, fordert eine Allianz politischer Organisationen wie Brot für die Welt, Attac und Oxfam eine Reform der Abgabenordnung und die Anerkennung von „politischer Willensbildung“ als Vereinsziel. Die geltende Regelung stamme aus den 1970er-Jahren und offenbare ein überholtes Politikver- ständnis, kritisiert Stefan Diefenbach-Trommer, Koordinator der Allianz „Rechtssicherheit für politische Willensbildung“. Die Politik werde heute nicht mehr nur von Parteien geprägt, sondern zunehmend von zivilgesellschaftlichem Engagement, das auch von den Politikern gefordert werde. Eine Reform sei auch mit Blick auf die politische Arbeit von Unternehmen wichtig, sagt Diefenbach-Trommer. Diese könnten Lobbyausgaben als Betriebsausgaben absetzen, auch Beiträge für Berufsverbände seien steuerfrei. Es sei ungerecht, gesellschaftliche Organisationen, die im öffentlichen Interesse handelten, demgegenüber zu benachteiligen. Gerade für viele Entwicklungsorganisationen ist die Forderung der Allianz relevant, die Liste der gemeinnützigen Satzungsziele zu erweitern. So sollte künftig auch der Einsatz für Frieden, Klimaschutz oder Menschenrechte anerkannt werden. Organisationen, die in diesen Bereichen tätig sind, müssen oft auf andere Satzungsziele verweisen, etwa Bildung oder Entwicklungszusammenarbeit. Attac hilft all das vorerst wenig. Mitte 2014 hatte die Organisation Widerspruch gegen den Entzug der Gemeinnützigkeit beim Finanzamt Frankfurt eingelegt – bislang ohne Ergebnis. Sollte der Bescheid negativ ausfallen, will die Organisation vor Gericht ziehen. Zwar seien die Spenden in den vergangenen zwei Jahren nicht eingebrochen, aber Attac könne keine größeren Veranstaltungen mehr stemmen, weil Drittmittel fehlten. „Außerdem frisst der Streit mit dem Finanzamt viel Zeit, die wir lieber in die inhaltliche Arbeit stecken würden“, sagt Frauke Distelrath. Sebastian Drescher studien Schuften für eine bessere Zukunft Arbeit leistet einen wichtigen Beitrag zur menschlichen Entwicklung. Doch um zukunftsfähig zu werden, müsse sich sowohl die Arbeitswelt als auch die unbezahlte Haus- und Betreuungsarbeit deutlich verändern. Darauf macht der neue „Bericht über die menschliche Entwicklung 2015“ (HDR) des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) aufmerksam. Menschenwürdige Arbeit ist auch eines der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Sie erweitert die Wahlmöglichkeiten der Menschen und fördert gesellschaftlichen Zusammenhalt. Das gilt nicht nur für bezahlte Beschäftigung, 2-2016 | studie | berlin journal sondern auch für unbezahlte Hausarbeit, Alten- und Krankenpflege, Kinderbetreuung und ehrenamtliche Tätigkeiten. Der „Bericht über die menschliche Entwicklung 2015“ macht deutlich, dass solche Wirkungen nicht automatisch zustande kommen. Rund 830 Millionen „erwerbstätige Arme“ weltweit müssten mit weniger als zwei US-Dollar am Tag auskommen, mehr als 1,5 Milliarden Menschen seien prekär beschäftigt, 21 Millionen leisteten Zwangsarbeit. Der Bericht zeigt: Arbeit, die Menschenrechte und Menschenwürde verletzt, Freiheit und Selbstbestimmung einschränkt und der Gesundheit schadet, un- tergräbt die menschliche Entwicklung. Er skizziert das Konzept „nachhaltiger Arbeit“, die auch den Schutz von Umwelt und Klima stärkt. Dafür müssen nicht zukunftsfähige Arbeitsfelder wie der Kohleabbau stillgelegt, andere umweltfreundlicher werden. Wieder andere müssen neu geschaffen werden, etwa im Bereich erneuerbare Energien. Um die Ziele für menschliche Entwicklung zu erreichen, braucht es mehr Arbeitskräfte zum Beispiel im Bildungs- und Gesundheitswesen. Zu den wesentlichen notwendigen Veränderungen in der Arbeitswelt zählt der Bericht einen besseren Sozialschutz, existenzsichernde Einkommen, die Stärkung der Gewerkschaften, Mindestlöhne und den Schutz von Arbeitnehmerrechten. Wie jedes Jahr enthält der HDR ein Länderranking nach dem Index der menschlichen Entwicklung (HDI). Die Statistiken zeigen, dass der globale HDI-Wert in knapp 25 Jahren um mehr als 20 Prozent gestiegen ist, in den am wenigsten entwickelten Ländern sogar um mehr als 40 Prozent. Allerdings hat sich der Fortschritt verlangsamt: Während im Zeitraum 2000 bis 2010 in Entwicklungsländern noch ein HDIWachstum von 1,2 Prozent pro Jahr zu verzeichnen war, lag es 2010 bis 2014 nur noch bei 0,7 Prozent jährlich. Christina Kamp UNDP Human Development Report 2015 Work for Human Development UNDP, New York 2015, 288 Seiten hdr.undp.org berlin „Wir lassen uns von den Mächtigen nicht einlullen“ Der VENRO-Vorsitzende Bernd Bornhorst bilanziert die Arbeit des NGO-Dachverbands Der entwicklungspolitische Dachverband VENRO feiert sein 20. Jubiläum. Der Vorsitzende Bernd Bornhorst erklärt im Interview, warum sich der Verband zu manchen Themen nicht äußert und wieso sich die Organisation stärker mit innenpolitischen Fragen auseinandersetzen sollte. Im November hat die OECD der deutschen Entwicklungspolitik ein sehr wohlwollendes Zeugnis ausgestellt. Die Opposition in Berlin hat sich dazu kritisch geäußert, ebenso einige Hilfswerke. Warum nicht auch VENRO? Unser Prinzip ist: Wenn Mitglieder sich äußern, dann muss VENRO das nicht unbedingt auch noch tun. Wir versuchen diese Logo-Teppiche zu vermeiden, die dann entstehen, wenn jeder sich zu jedem Thema zu Wort meldet. Die Kehrseite ist, dass Ihr Verband in der Öffentlichkeit kaum präsent ist. Mir fallen zu etlichen Themen verschiedene Hilfsorganisationen ein, zu kaum einem aber VENRO. Schade, ich hoffe, wir können das in Zukunft ändern. Ihre Wahr- | 2-2016 nehmung ist aber teilweise richtig. Positionen werden bei VENRO in Arbeitsgruppen erarbeitet, und dort, wo es noch keine gemeinsame Position gibt, ist es schwer sich spontan zu melden. Aber der Verband kann auch schnell reagieren wie zum Beispiel beim Flüchtlingsthema: Dazu haben wir in kurzer Zeit einen Standpunkt geschrieben und veröffentlicht. Einzelne Mitglieder können sich leichter kritisch und zugespitzt äußern als ein Gesamtverband, der mit der Politik im Dialog ist und das auch bleiben will. Spielt eine Rolle, dass VENRO einen ganzen Batzen Geld vom Ministerium kriegt? Falsch, kriegen wir doch gar nicht ... Laut Ihrem Jahresbericht kam gut ein Drittel der Gesamterträge 2014 von Engagement Global... Ja, aber VENRO als Verband wird zu 100 Prozent von den Mitgliedern getragen. Zusätzlich gibt es Drittmittelprojekte wie die Kampagne „Deine Stimme Bernd Bornhorst leitet die Abteilung für Politik und globale Zukunfts fragen beim katholischen Hilfswerk Misereor. Seit 2013 ist er Vorstandsvorsitzender des Verbands Entwicklungspolitik und Humanitäre Hilfe VENRO. VENRO gegen Armut“. Die werden tatsächlich unter anderem vom Entwicklungsministerium finanziert. Aber das berührt nicht unsere Lebensfähigkeit. Wir haben immer sehr darauf geachtet, dass VENRO auch ohne Drittmittel funktioniert. Ist es schwer, bei 124 Mitgliedern eine gemeinsame Position zu einem Thema zu finden? Das funktioniert immer besser. In den Arbeitsgruppen wird zunehmend offen und konfliktfreudiger diskutiert. Zudem honorieren es die Mitgliedsorganisationen heute stärker als früher, wenn der Verband und seine Geschäftsstelle auch mal vorangehen und Stellung nehmen, ohne dass es ein gemeinsam beschlossenes Ticket gibt. Früher war bei manchen Mitgliedern die Sorge größer, VENRO könnte ihnen die Butter vom Brot nehmen. Was wäre in der deutschen Entwicklungspolitik anders ohne VENRO? Es gäbe in der Zivilgesellschaft viel weniger Verständnis für Qualität in der Entwicklungszusammenarbeit oder für vernünftige Öffentlichkeitsarbeit. Dazu haben wir in den vergangenen 20 Jahren Kodizes entwickelt. Viele unserer Mitglieder hätten es zudem schwerer, Zugang zu öffentlichen Fördermitteln zu bekommen und die erforderlichen Verfahren ein- 51 52 journal berlin zuhalten. Und schließlich wäre das Verhältnis zwischen staatlicher und nichtstaatlicher Entwicklungspolitik anders: Für die staatliche Entwicklungspolitik sind wir ein Gesprächspartner, der sich kritisch äußert, den man aber auch gerne an seiner Seite hat. Die Aufgabe von VENRO ist also nicht, laut in der Öffentlichkeit zu poltern, sondern hinter den Kulissen auf Politik einzuwirken? Ich versuche es immer mit dem Begriff „konstruktiv kritisch“ zu erklären: Wir wollen uns natürlich nicht auf dem Sofa der Mächtigen einlullen lassen. Aber wir müssen zugleich sprachfähig bleiben. Das heißt, wir müssen auch einfach mal die Regierungen loben, dass etwa das Klimaabkommen ein großer Schritt ist. Das macht uns aber nicht zu einem zahnlosen Tiger. Wir werden genau hinsehen, wie die Umsetzung läuft. Wo war VENRO erfolgreich? Ein Highlight war der G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm. VENRO hatte großen Anteil daran, dass Fragen wie Umwelt und Entwicklung, Klimaschutz und Entwicklungsfinanzierung deutlich wahrgenommen wurden. Dasselbe gilt für den deutschen Beitrag zur Agenda 2030 und den G7Gipfel im vergangenen Sommer in Elmau. Ich glaube auch, VENRO hat viel dazu beigetragen, dass die Entwicklungspolitik in der Öffentlichkeit als etwas wahrgenommen wird, das mehr ist als Spenden und Projekte finanzieren. Und wo müssen Sie mehr tun? Trotz erkennbarer Erfolge müssen wir noch stärker heraus aus der entwicklungspolitischen Ecke. Wenn wir früher von Kohärenz gesprochen haben, dann haben Verbände aus der Sozial- oder Umweltpolitik das immer so verstanden, als ob sie sich nach uns richten müssten. Eigentlich aber müssen wir viel mehr auf andere politische und gesellschaftliche Kreise zugehen. Wir versuchen das gerade bei den Nachhaltigkeitszielen: Wir wollen mit Gewerkschaften und Sozialverbänden enger in Kontakt kommen, um zu zeigen, dass es in Nord und Süd um dieselben Fragen geht, die wir gemeinsam bearbeiten müssen. Mit Erfolg? Am Anfang war das ziemlich schwierig. Wenn wir die Sozialverbände eingeladen haben, haben die gesagt: Was sollen wir denn da? Das ist doch eure Aufgabe. Jetzt, da es um die Umsetzung der Agenda 2030 geht, sind wir gerade im Hintergrund dabei, mehrere Verbände unter einen Hut zu bringen. Wir wollen der Regierung zeigen, dass wir die an sie gerichtete Forderung nach Kohärenz als Zivilgesellschaft ansatzweise auch erfüllen, indem wir gemeinsam auftreten. Und wie finden die VENRO-Mitglieder das? Wir müssen natürlich darauf achten, dass nicht alles verwischt und unsere Mitglieder irgendwann sagen: Was macht ihr denn da? Wir sind doch ein entwicklungspolitischer Verband. Aber auch für uns gilt der Anspruch, ein zukunftsfähiges Modell von Entwicklungszusammenarbeit zu definieren. Wir müssen uns fra- gen, ob wir an den richtigen Themen mit den richtigen Partnern dran sind. Haben wir es uns zu gemütlich gemacht in unserer kuscheligen EZ-Ecke? Oder müssen wir da heraus? Manche Mitglieder verunsichern solche Fragen. Das Beste ist deshalb, sie gemeinsam zu bearbeiten. Ihre aktuelle Fünfjahresstrategie endet dieses Jahr. Was wird der Schwerpunkt der nächsten sein? Ein Ziel ist, dass VENRO sich vor dem Hintergrund der Agenda 2030 stärker in entwicklungspolitisch relevante innenpolitische Debatten einbringt. Beispiel Flüchtlinge: Da wird der Verband derzeit vor allem gefragt, wie man Fluchtursachen bekämpfen könnte. Ich finde, wir sollten auch etwas dazu sagen, wie wir in Deutschland mit Flüchtlingen umgehen. Und auf internationaler Ebene sollten wir im Prinzip in fünf bis zehn Jahren so weit sein, dass unsere Partner im Süden uns als Alliierte sehen, die die gleichen Ziele wie sie selbst verfolgen, nur eben im Norden auf der anderen Seite des Globus. Das Gespräch führte Tillmann Elliesen. berlin Nur ein neues Etikett? Die German Food Partnership ist zu Ende, die Kooperation mit der Agrarwirtschaft nicht Der Schulterschluss mit Agrarkonzernen in Afrika und Asien im Rahmen der German Food Partnership (GFP) war Entwicklungsorganisationen immer ein Dorn im Auge. Zum Jahresende 2015 verkündeten sie: Die GFP ist Geschichte. Wirklich? Seit dem Start der Global Food Partnership noch unter Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) haben Kritiker gefragt, wem sie eigentlich nützt. So fand ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, dass die beteiligten deutschen Unternehmen zu viel, lokale Betriebe hingegen zu wenig Einfluss hätten. Nun begrüßt das Bündnis das Auslaufen der GFP als Erfolg ihrer Kampagnenarbeit. Eine BMZ-Sprecherin betont allerdings auf Anfrage, die Partnerschaft sei ohnehin nur bis März 2015 begrenzt gewesen. Sie habe „ihr Ziel innerhalb ihrer Laufzeit voll erfüllt“: Es seien drei erfolgreiche Projekte initiiert und wichtige Impulse für eine zukünftige Zusammenarbeit gesetzt worden. Mit der deutschen Agrar- und Lebensmittelwirtschaft will das Ministerium auch in Zukunft arbeiten, und zwar unter dem Dach der Sonderinitiative Eine Welt ohne Hunger von Niebels Nachfolger Gerd Müller. Darin sei die Zivilgesellschaft von Anfang an stärker einbezogen worden, betonte die Sprecherin. Das trage deren Wunsch nach mehr Transparenz Rechnung. Der von der Zivilgesellschaft erhoffte „prinzipielle Kurswechsel“ bleibt aber aus. Zwei von drei Projekten der GFP laufen weiter An der Partnerschaft beteiligen sich Firmen wie der Landmaschinenhersteller AGCO, die Chemieriesen BASF und Bayer oder der Düngemittelhersteller K+S. Mit dem erklärten Ziel, die Ernährungslage zu verbessern, stellen sie für landwirtschaftliche Projekte Wissen und ihre Produkte zur Verfügung. Die Projekte sollen zeigen, ob und wie sich dadurch der Ertrag, die Marktanbindung und die Wettbewerbsfähigkeit der Bauern verbessern. In Indonesien, den Philippinen, Thailand und Vietnam bleibt das BMZ bis 2017 Auftraggeber der „Better Rice Initiative Asia“. In drei indonesischen Provinzen sollen dort 7500 Reisbauern in nachhaltiger Reisproduktion geschult werden. Ebenfalls bis 2017 läuft das Reisprojekt in Nigeria, Ghana, Burkina Faso und Tansania. Ziel dort: Wettbewerbsfähigkeit und Marktanbindung von 120.000 einkommensschwachen Reisbauern verbessern – davon mindestens 30 Prozent Frauen. 2-2016 | berlin journal Nur das in Kenia angesiedelte Projekt „Potato Initiative Africa“ ist beendet. Die Kartoffel ist dort zweitwichtigstes Grundnahrungsmittel. Bei dem mit 700.000 Euro finanzierten Vorhaben kamen unter anderem Kartoffelsorten der Firmen Europlant und Solana, Pestizide von Bayer CropScience und Maschinen von Grimme zum Einsatz. Der Ertrag habe sich durch die Unterstützung aus Deutschland vervierfacht, sagt die ausführende Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Laut Marita Wiggerthale von der Hilfsorganisation Oxfam will die GIZ ein vergleichbares Projekt auf Ostafrika ausweiten. Nach Wiggerthales Fazit ging es den beteiligten Unternehmen vor allem um den Markt, der von niederländischen Saatkartoffeln dominiert ist. Die getesteten Sorten der deutschen Anbieter passten allerdings nicht zum Bedarf: Kleinbauern, die 90 Prozent des Anbaus ausmachten und sich kaum Pestizide leisten können, brauchten Sorten mit höherer Krankheitsresistenz. Augenscheinlich seien als Zielgruppe des Projekts aber nicht Kleinbauern ausgewählt worden, die nicht In Indonesien – hier die Reisterrassen von Jatiluwih – bleibt das BMZ bis 2017 Auftraggeber der „Better Rice Initiative Asia“. Mikel Bilbao/VWPics/ Redux/Redux/laif ausreichend zu essen haben, sondern landwirtschaftliche Testbetriebe, die sich als Abnehmer für Saatgut und Pestizide eignen. „Es ist davon auszugehen, dass die Kooperation mit Agrarkonzernen im Rahmen des Kartoffelprojekts die Zahl der von Hunger betroffenen Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in dem Bezirk nicht reduziert hat.“ Auch der Grünen-Politiker Uwe Kekeritz sagt, auf Fragen nach dem entwicklungspolitischen Mehrwert aus der GFP-Kooperation habe er nur ausweichende Antworten erhalten. Er schließe daraus, dass die Bundesregierung entweder keine Vorstellung davon habe, wie man die Situation von Kleinbauern verbessern könne, oder dass sie Erkenntnisse dazu bewusst ignoriere. Marita Wiggerthale verweist auf andere Ansätze der GIZ in Kenia, die besser geeignet seien, den nachhaltigen kleinbäuerlichen Kartoffelanbau zu fördern. Beide sind der Ansicht, dass BMZ und GIZ die Türöffner-Kooperation mit den Agrarkonzernen beenden sollten. Marina Zapf berlin Der Showdown kommt noch Debatte über die Verantwortung der Wirtschaft für die Menschenrechte Deutschland will bis Mitte 2016 seinen Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte verabschieden. Zum Abschluss der Konsultationen haben Gewerkschafter, das Forum Menschenrechte und der entwicklungspolitische Dachverband VENRO von der Regierung einen Politikwechsel gefordert: Man erwarte verbindliche Regeln für Unternehmen. In zwölf Sitzungen hatte das federführende Auswärtige Amt in den vergangenen Monaten zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen und Wirtschaftsverbände angehört. Bis März soll der | 2-2016 Aktionsplan (NAP) in Absprache mit dem Wirtschafts- und dem Entwicklungsministerium Form annehmen, dann im Kabinett verabschiedet und im Bundestag beraten werden. Im Koalitionsvertrag hatte die Regierung zugesagt, die UN-Leitprinzipien Wirtschaft und Menschenrechte umzusetzen. Staaten sind darin angehalten, Verstöße von Unternehmen gegen die Menschenrechte zu verhindern, zu untersuchen, zu ahnden und wiedergutzumachen. Der Aktionsplan soll den freiwilligen Leitprinzipien Biss verleihen. Unternehmerverbände lehnen es jedoch ab, ihre Mitglieder für mögliche Missstände entlang einer langen Lieferkette – in der Textilindustrie etwa vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel – haftbar zu machen. Die beteiligten Ministerien halten sich bedeckt, wie weit sie mit der Verbindlichkeit zu gehen bereit sind. Zwar stimmen sie mit der Zivilgesellschaft überein, dass der NAP „ambitioniert“ sein und „Signalwirkung“ haben soll. „Aber der Showdown kommt jetzt erst“, sagt Frank Zach, Asienexperte des DGB. Tatsächlich lassen die bisherige Politik und Äußerungen der beiden federführenden Ministerien nicht darauf schließen, dass sie auf eine Konfrontation mit der Wirtschaft erpicht sind. So ist bereits das vom Entwicklungsministerium (BMZ) initiierte Textilbündnis darauf angelegt, beteiligten Unternehmen in kleinen Schritten abgestimmte, aber freiwillige Verhaltensregeln abzutrotzen. Deutschland hat eine besondere Verantwortung Entsprechend zurückhaltend äußerte sich BMZ-Staatssekretär Thomas Silberhorn bei der Schlusskonferenz der Anhörungen. Deutschland erwachse aus der Position des Exportweltmeis- 53 54 journal berlin | brüssel ters zwar besondere Verantwortung, sagte er. Unternehmen dürften nicht nur bei Preisen und Produktqualität genau hinschauen, sondern auch bei Arbeitsbedingungen und Umweltstandards. Ein Aktionsplan müsse ihnen daher „so konkret und praktisch wie möglich“ zeigen, wie sie ihre Ge- schäfte auf Menschenrechtsrisiken überprüfen können“. Einschränkend fügte er hinzu: „Gesetzliche Regelungen bieten am Ende oft nur eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Freiwillige Selbstverpflichtungen hingegen können ambitioniertere Ziele verfolgen.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht es dagegen als Aufgabe des Gesetzgebers, klare Regeln für alle Branchen zu schaffen. „Unternehmen schadlos zu halten, ist auch eine Art von Protektionismus“, findet Frank Zach. Und auch der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Christoph Strässer (SPD), hält eine Dosis Verbindlichkeit für unausweichlich; sonst sei der Aktionsplan ein zahnloser Tiger, sagte er. Dazu gehörten Berichtspflichten mit Folgen im Falle der Missachtung – ohne indes einen Bürokratiewust zu verursachen. (Siehe auch Seite 55.) Marina Zapf brüssel Kein Freihandel mit Besatzern Gericht kippt den europäischen Handelsvertrag mit Marokko Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat den Freihandelsvertrag für Landwirtschaft und Fischerei zwischen der EU und Marokko annuliert. Begründung: Das Abkommen berücksichtige nicht die besonderen Umstände der von Marokko besetzten Westsahara. Gegen das 2012 geschlossene Abkommen geklagt hatte die Frente Polisario, die politische Vertretung der von Marokko besetzten Westsahara. Ihr Vorwurf: Der Vertrag verstoße in mehreren Punkten gegen die Regeln der Verein- ten Nationen sowie gegen internationales und EU-Recht. So sei die Bevölkerung der Westsahara an den Verhandlungen nicht beteiligt worden; ihre „legitimen Interessen“ seien missachtet worden. In einem entscheidenden Punkt folgten die Richter in Luxemburg den Klägern: Die gesetzliche Hoheit Marokkos über die Westsahara sei international nicht als rechtmäßig anerkannt und könne damit nicht Gegenstand eines Freihandelsvertrages zwischen der EU und Marokko sein. Die Westsahara ist ein wichtiges Anbaugebiet für landwirtschaftliche Produkte wie Tomaten, die bislang zollfrei in die EU eingeführt werden konnten. Auswirkungen wird das Urteil wohl auch für weiter anhängige Klagen beim EuGH haben; dort soll demnächst die Klage der Polisario gegen das EU-Fischereiabkommen mit Marokko entschieden werden. Dabei geht es darum, ob die EU und Marokko das Recht haben, die Fischgründe vor der Küste der Westsahara leer zu fischen. In Vorbereitung ist auch eine Klage gegen eine marokkanische Lizenz für eine irische Firma zur Suche nach Erdöl in der Westsahara. Die EU muss in Handelsverträgen die Menschenrechte achten In ihrem Urteil beziehen sich die Richter in Luxemburg auf ähnlich gelagerte Fälle, in denen gesonderte Regeln für besetzte Gebiete in Handelsverträge geschrieben wurden, etwa für Waren aus dem von der Türkei annektierten NordZypern. Für Diskussion sorgte vor allem die Entscheidung der EUKommission im vergangenen Herbst, dass Erzeugnisse aus jüdischen Siedlungen in den von Israel besetzten palästinensischen Gebieten im Westjordanland oder Sahrauis und Sympathisanten protestieren im November 2014 in Madrid gegen die marokkanische Besetzung der Westsahara. Juan Medina/Reuters den Golanhöhen gekennzeichnet werden müssen. Vertreter Israels hatten dies scharf kritisiert und dabei auch die Agrarexporte aus der Westsahara zum Thema gemacht. Die EU-Kommission schob in einer Erklärung Anfang Dezember den EU-Mitgliedstatten den schwarzen Peter zu: Es sei deren Sache, wie sie die Kennzeichnung des Warenursprungs handhabten. Der EuGH macht nun deutlich, dass die EU die Menschenrechte und das Recht auf Selbstbestimmung der betroffenen Bevölkerung beim Abschluss von Handelsverträgen beachten muss. Ob sich die Politik an die Vorgaben hält, steht auf einem anderen Blatt. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini kündigte bereits im Dezember an, dass der EU-Ministerrat Berufung gegen das Urteil einlegen werde. Der marokkanische Außenminister Salaheddine Mezouar bestand darauf, dass einmal beschlossene und rechtskräftige Verträge einzuhalten seien. Immerhin stimmte das EUParlament kurz vor Weihnachten dafür, den jährlichen EU-Menschenrechtsbericht zu ergänzen: Die EU-Kommission und der Ministerrat sollten sich aktiv für die Anerkennung der Rechte der Menschen in der Westsahara einsetzen. Für die Polisario und ihre Regierung der Westsahara (SADR) ist das EuGH-Urteil ein Meilenstein in dem nun 40 Jahre dauernden Kampf um Unabhängigkeit. Heimo Claasen 2-2016 | brüssel | schweiz journal brüssel Stillstand in der Kreislaufwirtschaft Die Kommission verkündet anspruchsvolle Ziele, tut aber nichts für die Umsetzung Als die amtierende EU-Kommission Ende 2014 antrat, kippte sie das Vorhaben ihrer Vorgängerin, die Abfallrichtlinie der Europäischen Union von 2006 umfassend zu reformieren. Stattdessen versprach sie eine eigene ehrgeizige Fassung. Die liegt jetzt vor, aber von Ehrgeiz ist darin keine Spur. Das Papier liest sich fast wie die Gebrauchsanweisung für eine ideale grüne Wirtschaft: Zwei Drittel allen Hausmülls sollen in Zukunft aufbereitet und wiederverwendet werden, drei Viertel sogar von allem Verpackungsmüll. Im Jahr 2030 sollen höchstens zehn Prozent des in der EU anfallenden Abfalls noch auf Deponien abgeladen werden. Der Schrott elektro- nischer Geräte, ausgediente Autos und Batterien sollen bestmöglich wiederverwendet werden; das sollte möglichst schon beim Entwurf und beim Bau der Geräte und Anlagen beachtet werden. Alle diese Ziele stehen in der umfassenden Begründung des Pakets. Diese Begründung ist allerdings nur die Verpackung. Aufgeschnürt enthält das Paket lediglich sechs Vorlagen für Regelungen, mit denen ohnehin bestehende EU-Richtlinien verändert werden sollen. Und diese Richtlinien betreffen nur die Berichterstattung der Mitgliedstaaten zu Müll, Mülltrennung, Behandlung und Verbleib von Abfall und die Übermittlung von Daten an die EU-Kommission. Das ist zwar sinnvoll, denn trotz gut drei Dutzend einschlägigen EU-Richtlinien und -Regelungen erweist sich die Datenlage als ziemlich lückenhaft, um die Problematik überhaupt zu erfassen. Doch die Ziele zur Müllreduzierung bis 2030 selbst stehen nur in den Begründungen, nicht in den Vorlagen zu den gesetzlichen Texten, mit denen die sechs bereits geltenden EU-Regelungen geändert werden sollen. Erst in späteren Vorlagen der Kommission sollen dafür dann eventuell Vorgaben für die Mitgliedsstaaten festgelegt werden. Das ist eine zeitraubende Prozedur, die laut der britischen Regierung drei Jahre dauern würde. Die Umsetzung der dann endlich gefassten EU- Richtlinien in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dürfte dann noch einmal bis zu fünf Jahre dauern. So gut wie alle Fraktionen des EU-Parlaments äußerten sich deshalb enttäuscht zu der Kommissionsvorlage, ebenso Umwelt-, Verbraucher- und Entwicklungsorganisationen. So richtig die Ziele seien, so zweifelhaft sei die Umsetzung. Nach der Rücknahme der ursprünglichen Vorlagen zur Kreislaufwirtschaft sei „ein volles Jahr verschwendet“ worden, monieren die Liberalen. Und die Grünen nannten es „schändlich“, wie die Kommission die Gelegenheit zu einem wirklich umfassenden Ansatz verpasst habe. Heimo Claasen schweiz Zwei Wege, dasselbe Ziel Wie bringt man Unternehmen dazu, die Menschenrechte zu achten? Der Schweizer Ableger des UN Global Compact hat sich neu aufgestellt, um Unternehmen zum Menschenrechtsschutz zu motivieren. Die Träger der Konzernverantwortungsinitiative haben dasselbe Anliegen, fordern aber verbindliche Vorgaben. Der UN Global Compact wurde im Jahr 2000 lanciert. Seither dürfen sich Unternehmen, die sich an seine zehn Prinzipien halten, mit dem UN-Logo schmücken. Derzeit sind 8343 Unternehmen Mitglied, 178 haben ihren Sitz in der Schweiz, darunter Rohstoffriesen wie Glencore, Metalor oder auch Trafigura, die immer wieder in der Kritik stehen (siehe Kasten). Das Global Compact Netzwerk Schweiz (GCNS) will Unternehmen dazu bringen, sich freiwillig für die Einhaltung von Menschen- | 2-2016 und Arbeitsrechten, von Umweltvorgaben und gegen Korruption zu engagieren. Das Netzwerk bringt Unternehmen zusammen, unterstützt sie dabei, soziale Verantwortung zu übernehmen (Corporate Social Responsibility), bietet in Kooperation mit dem Global Compact in Deutschland Menschenrechtstrainings an und ermöglicht den Dialog mit Kritikern. Unterstützt wird es von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit. Im Kontrast dazu steht die Konzernverantwortungsinitiative, die vergangenes Jahr lanciert wurde und von 76 Schweizer Organisationen getragen wird. Ihr Ziel ist es, die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte gesetzlich zu verankern: Unternehmen sollen den Menschenrechtsschutz verbindlich in sämtliche Geschäftsabläufe einbauen, und Opfer sollen Zugang zu Rechtsmitteln erhalten. Das Global Compact Netzwerk nimmt politisch keine Stellung zur Konzernverantwortungsiniti- ative. Seine Mitglieder fürchten jedoch, sie könnten zu stark reguliert werden, weil sie laut der Initiative die Verantwortung über die gesamte Zulieferkette übernehmen müssten, sagt Antonio Haut- Ohne Sanktionen Eine der Hauptkritikpunkte am Global Compact ist, dass er keine Sanktionen vorsieht. Unternehmen müssen jährlich über ihre Fortschritte zu den zehn Prinzipien berichten. Tun sie das nicht, wird zunächst die Mitgliedschaft auf Eis gelegt, beim zweiten Mal wird das Unternehmen ausgeschlossen und der Name publiziert. Menschenrechts- und Entwicklungsorganisationen monieren jedoch, dass die Berichte nicht inhaltlich geprüft werden. Der Global Compact verweist indes darauf, dass die Organisationen Zugang zu den Berichten hätten und sie auf ihre Richtigkeit prüfen könnten. (ver) 55 56 journal schweiz le, der Programmverantwortliche beim GCNS. Er selbst sieht in der Initiative eine Chance: In seiner Funktion könne er die Zivilgesellschaft, die sich für verbindliche Maßnahmen stark macht, mit Unternehmen und Konzernen zusammenbringen, die auf freiwilliges Engagement setzen. „Die Aufgaben für Unternehmen wären kolossal“ „Ich mache der Wirtschaft verständlich, was die Konzernverantwortungsinitiative will, und gebe weiter, was die Wirtschaft befürchtet“, erklärt der ehemalige Direktor des Hilfswerks Fastenopfer. Er sieht in seiner Arbeit und dem freiwilligen Engagement von Unternehmen eine Art Mittelweg: „Wenn sich die freiwillige Praxis etabliert und bewährt, ist der Schritt zur Regulierung kleiner, weil die Anpassungsarbeit bereits geleistet ist.“ Würde je- doch die Konzernverantwortungsinitiative heute angenommen, dann wären die Aufgaben für Unternehmen „kolossal“, sagt Hautle. Das Ziel sei nur in kleinen Schritten zu erreichen. „Die Revolution ist, dass Unternehmen zugeben, dass sie ein Problem haben. Früher wurden solche noch totgeschwiegen.“ Er sei „erstaunt und freudig“, wie ernst Unternehmen die Menschenrechtsfrage nehmen. Die Schwierigkeit sei jedoch oft, diese Haltung unternehmensintern umzusetzen und Verwaltungsräte oder Zulieferer davon zu überzeugen. Großen Nachholbedarf sieht Hautle vor allem bei der Rohstoffbranche und der Finanz- und Ver- sicherungsindustrie, die in der Schweiz sehr stark sind. Wenn diese die Prinzipien des Global Compact ernsthaft unterstützten, hätte das große Hebelwirkung. Doch meist sei die Rendite immer noch wichtiger als die Achtung der Menschen- und Arbeitsrechte und der Schutz der Umwelt. Rebecca Vermot schweiz — kurz notiert Für jeden Franken, den die Regierung in die öffentliche Entwicklungshilfe investiert, fließen 1,19 Franken in die Schweizer Wirtschaft zurück. Insgesamt hätten die 3,2 Milliarden Franken, die 2014 für Entwicklungshilfe ausgegeben wurden, eine Rendite von 3,6 Milliarden Franken generiert, heißt es in einer Studie der Universität Neuenburg im Auftrag der Bundesbehörden. Die Autoren gehen außerdem davon aus, dass im Untersuchungsjahr rund 25.000 Vollzeitstellen in der Schweiz indirekt der Entwicklungshilfe zu verdanken waren; das wäre ein Zuwachs von 20 Prozent in vier Jahren. Die Regierung lässt alle vier Jahre untersuchen, wie die öffentliche Entwicklungszusammenarbeit auf die Schweizer Wirtschaft wirkt. Stark ins Gewicht fällt dabei die Präsenz großer internationaler Organisationen wie der Vereinten Nationen oder des Roten Kreuzes in Genf. Eingerechnet wird auch der Kauf von Gütern und Dienstleistungen bei ausländischen Filialen von Schweizer Unternehmen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit. (tp) schweiz Diebstahl am Volk soll nicht verjähren Das Schweizer Parlament regelt die Rückgabe von Diktatoren-Fluchtgeldern Mitte 2016 tritt in der Schweiz ein neues Potentatengelder-Gesetz in Kraft. Es ermöglicht, illegale Vermögen von gestürzten Machthabern auf Schweizer Konten auch dann zurückzuführen, wenn die Straftaten verjährt sind. Ursprünglich wollte die rechtskonservative Mehrheit in der großen Parlamentskammer, dem Nationalrat, aus „rechtsstaatlichen Gründen“ eine Verjährung in das Gesetz einbauen. Im zweiten Anlauf schwenkte die Kammer dann aber im vergangenen Dezember auf die Linie der Regierung und der kleinen Parlamentskammer, des Ständerats, ein. Die hatte die Abgeordneten erfolgreich davor gewarnt, dass Potentaten mit juristischer Verzögerungstaktik die Verjährung anstreben und so die Rückzahlung der außer Landes geschafften Gelder blockieren könnten. Graffiti in Tunis. Auf Schweizer Konten liegen noch 60 Millionen Franken des früheren tunesischen Diktators Ben Ali. Lindsay Mackenzie/redux/laif Das Gesetz tritt nach Ablauf der Referendumsfrist voraussichtlich im Mai in Kraft und verankert die bisherige Politik des Bundesrates. In den vergangenen 15 Jahren hat die Schweiz rund 1,5 Milliarden Franken illegal erwor- bener Vermögenswerte an die Herkunftsstaaten zurückerstattet – darunter etwa die beschlagnahmten Gelder der früheren Diktatoren Ferdinand Marcos von den Philippinen und Sani Abacha aus Nigeria. Immer noch blockiert ist die Rückerstattung von beschlagnahmten Geldern des gestürzten tunesischen Machthabers Ben Ali. Die Schweiz möchte die rund 60 Millionen Franken längst an das demokratisierte Tunesien zurückgeben. 2014 scheiterte eine Rückgabe von 40 Millionen Franken an einer Beschwerde von Ben Alis Schwager, der moniert hatte, sein Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt worden. Gegen ihn und rund ein Dutzend Mitglieder des Ben-Ali-Clans läuft in der Schweiz ein Strafverfahren wegen Beteiligung an einer kriminellen Organisation, Geldwäscherei und Bestechung. 2-2016 | schweiz | österreich journal Zum Stand des Verfahrens will sich die Bundesanwaltschaft nicht im Detail äußern. „Die Untersuchungen werden fortgeführt“, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit. Es werde derzeit geprüft, unter welchen Bedingungen Teile der Gelder zurückerstattet werden könnten. Im Oktober 2015 war Bundesanwalt Michael Lauber nach Tunis gereist, um sich mit den tunesischen Behörden über die laufenden Verfahren auszutauschen. Er bekräftigte das Ziel, die beschlagnahmten Gelder „innert nützlicher Frist“ an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Was mit „nützlicher Frist“ genau gemeint ist, präzisierte die Sprecherin nicht. Die Dauer eines Verfahrens hänge von verschiede- 57 nen Faktoren ab. Immerhin: Die Rechtshilfe zwischen beiden Ländern funktioniere gut. Inzwischen seien im Rahmen des Rechtshilfeverfahrens bereits Beweismittel nach Tunesien übermittelt worden. Theodora Peter österreich Das Afro-Asiatische Institut wird aufgelöst Laut Kritikern ist das Institut nicht mit der Zeit gegangen Entwicklungen nicht immer anseit anderthalb Jahren Verluste. Wiener Generalvikar Nikolaus Krasa laut Kathpress. Das gesche- Zugleich habe der Staat Subventi- gemessen nachvollziehen könhe heute dezentral über die Pfar- onen für Stipendien und die Bil- nen, sagt Hödl und nennt etwa die Finanzkrise, die die politische rer beziehungsweise über die Bil- dungsarbeit gekürzt. Hödl sieht Unterstützung der Entwicklungsdung anderssprachlicher katholi- den Wendepunkt bereits um die Jahrhundertwende, als der dama- zusammenarbeit unterminiert scher Gemeinden, „die seit Jahren und die Ungleichheit in Österlige Rektor Petrus Bsteh staatliche stark wachsen und heute einen Unterstützungen für das AAI ver- reich und der Welt zugespitzt besonders lebendigen Teil der loren und viel Renommee ver- habe. Auch dass die EntwickKirche in Wien ausmachen“. Das AAI wurde 1959 von Kardinal lungszusammenarbeit zunehspielt habe. Das AAI lädt regelmäßig zu Franz König als Treffpunkt von mend politischer werden und In den vergangenen Jahren Vorträgen, Podiumsdiskussionen Menschen aus aller Welt in Wien verstärkt die Ursachen von Arhabe das Institut internationale aber auch interkulturellen Festen. gegründet. Sie sollten sich hier untereinander und mit Österrei- Die Erzdiözese subventioniert das Institut mit jährlich 180.000 chern treffen, sich austauschen Anzeige Euro. Davon sei zuletzt etwa die und voneinander lernen. Im Lauf der Jahre entstand ein entwick- Hälfte in den interreligiösen Dialog geflossen, so Geschäftsführer lungspolitisches Bildungshaus, Heger. Diese Mittel will das den Dialog von Menschen faltdas Erzviel einsetzen. t u 1/ 2015 bistum künftig direkt unterschiedlicher Kulturen und g aat le S a Das Wohnheim mit 99 EinzelzimReligionen initiiert und begleitet. b r glo Mitte dieses Jahres wird es seine z fü mern und einer Wohngemeinn e r fe und schaft sei von der Umstrukturieinterkulturellen Aktivitäten Kon Forum Umwelt & Entwicklung rung nicht betroffen, versichert den interreligiösen Dialog an die Heger. Das Heim wird aber ohneErzdiözese Wien abgeben. „Das soll Chefsache werden“, sagt AAI- dies längst vom Jugendherbergswerk betrieben. Es beherberGeschäftsführer Nikolaus Heger. ge derzeit Studentinnen und StuDer Diskussionsprozess sei noch denten aus nicht abgeschlossen, so Heger, den 30 Nationen. Auch die Welche Bedingungen sind für globalen Kapelle, der muslimische Gebetsdeswegen könne er über Erhalt die der ZuSaatgutvielfalt notwendig? raum und der Hindutempel und kunft nicht viel sagen. die Gelegenheit zum KonDie katholische Nachrichten- damit hops, Vorträge, Works Was? Süd- mit Menschen anderer Reliagentur Kathpress berichtet, der, Nord-takt Begegnung , Austausch, Süd-Süd-Austausch se gionen sollen bleiben. Aber die Umbau spiegele laut Erzdiözese uttauschbör Ausstellung, Saatg Marke AAI wird verschwinden. die veränderte gesellschaftliche Für Wen? Interessierte, und Sa. Geschäftsführer 19-22h Hödl, Heinz Situation seit der GründungWann/ deswo? Fr. 29. Mai AktivistInnen, GärtnerInnen, ow30. Mai 9-21h, Langenbeck-Virch BäuerInnen, politische 58/59 der Koordinierungsstelle der ÖsInstituts. 1959 sei es darumHaus gestraße Luisen Mitte, Berlin in EntscheiderInnen terreichischen Bischofskonferenz gangen, mit den wenigen in Wien lebenden Studierenden aus Afri- (KOO), die im Gebäude des AAI die sich mit der Juni 2015,Lides G7-Gip siehtfelsinimerster ka und Lateinamerika in Bezie- eingemietet Vorfeldist, Eine öffentliche Konferenz im egionen Saatgut in verschiedenen Weltr Thema zum ion Situat chen . aktuellen politis nie wirtschaftliche Süd-A Erwägungen hung zu treten. Die Delegierung sien, Afrika und Europa stehen n die Regionen auseinandersetzt. Im Fokus werde Teilnahme ist kostenfrei. Die dünne Haut der Erde englisch stattfinden. h undUntergang auf deutsc hinter dem desDie traditider interkulturellen KommunikaDie Konferenz wird onsreichen Instituts. Da Erträge tion an ein eigenes Institut sei Anme .de. ldung über kontakt@saatmachtsatt aatmachtsatt.de Programm unter www.svon zumVermietungen »Krisenprofiteure«, »Globalisierung und Freihandel«, »Bioökonomie und aus Räumen heute angesichts „großer, anhal- Infos Welthunger«, »Goldrausch in den Meeren«... und Büros im Wiener Sitz zurücktender Migrationsströme“ nicht Plantagen und Boden Weltwüstentag Gescheiterte EUUnsichtbares Ökosystem Bodenrahmenrichtlinie Boden gegangen seien, schreibe das AAI mehr zeitgemäß, erklärte dervon der Rosa-Lu Aktuelles rund um Umwelt, Entwicklung, internationale xemburgEnde des vergangenen Jahres erklärte das Afro-Asiatische Institut (AAI) in Wien seinen Austritt aus dem entwicklungspolitischen Dachverband Globale Verantwortung. Begründung: „Es wird uns bald nicht mehr geben.“ RUNDBRIEF KRITISCH . TI EFGRÜN DIG. IN FORM ATIV. Die Zeitschrift des Forum Umwelt und Ent wicklung Ökosystem Boden Seite 2 Veranstaltet Forum Stiftung in Kooperation mit dem Umwelt und Entwicklung | 2-2016 Seite 3 Seite 7 Seite 13 ISSN 1864-0982 Beziehungen und Handelspolitik. Vierteljährlich. Elektronisch oder gedruckt. Bestellung unter [email protected] www.forumue.de 58 journal österreich | kirche und ökumene mut und Ungleichheit aufzeigen müsse, sei am AAI vorbeigegangen. Schließlich dürfe man auch nicht übersehen, dass von den 5,7 Millionen Katholiken in Öster- reich 500.000 einen Migrationshintergrund haben: Das AAI habe die Differenzierung der Gesellschaft nicht genügend wahrgenommen. „Allen ist bewusst, dass der interreligiöse Dialog wichtig ist“, versichert Geschäftsführer Heger. Und er sieht zumindest eine kleine Schonfrist für das Institut. Ob- wohl die Erzdiözese den Bildungsbereich schon Mitte des Jahres an sich ziehen will, seien die Projekte bis Jahresende 2016 genehmigt. Ralf Leonhard kirche und ökumene Ein heiliges Buch sorgt für Unruhe In Indien sind die Hindu-Nationalisten auf dem Vormarsch Die katholischen Bischöfe in Indien protestieren gegen die Pläne der Regierung, den Unterricht an staatlichen Schulen zu hinduisieren. Sie fürchten, dass das die säkularen Prinzipien in Indien aushebelt. Im Bundesstaat Haryana soll bereits ab dem nächsten Schuljahr die Bhagavad Gita – das heilige Buch der Hindus – in allen staatlichen Schulen im Unterricht durchgenommen werden. Bibeloder Korankunde wird es dagegen nicht geben. Brauche es auch nicht, denn mit der Bhagavad Gita würden die Schülerinnen und Schüler Zugang zur „höchsten und wichtigsten Quelle des Wissens“ haben, sagte der Bildungsminister des nördlichen Bundesstaates. Die katholischen Bischöfe des Landes protestieren dagegen: „Es verletzt die säkularen Prinzipien unseres Landes, wenn nur ein heiliges Buch im Schulunterricht vorkommen darf“, sagte Gyanprakash Topno, der Sprecher der katholischen Bischofskonferenz. In den Schulen sollten Kenntnisse über alle Religionen vermittelt werden. „Dies würde die nationale Integration, den Frieden und die Harmonie fördern“, sagte Topno. Alle Kinder sollten die Chance bekommen, auch andere Religionen wie das Christentum oder den Islam kennenzulernen. Die Hinduisierung richtet sich vor allem gegen Muslime Der einseitige Fokus auf das heilige Buch der Hindus im Schulunterricht ist ein weiterer Schritt in der Politik der Hinduisierung von Bildung und Kultur, die Hindu- Nationalisten seit den 1980er Jahren vorantreiben. Seit der Wahl der Bharatiya Janata Party (BJP) zur Regierungspartei im Mai 2014 nimmt diese Politik Schritt für Schritt Gestalt an. In dem mit 1,2 Milliarden Einwohnern zweitgrößten Land der Erde sind nur 2,3 Prozent (28 Millionen) der Bevölkerung Christen. Für das Bildungssystem nicht ganz unerheblich sind allerdings die 35.000 christlichen Bildungseinrichtungen in Indien. Keine von ihnen sei jemals zu Beratungen über die nationale Bildungspolitik hinzugezogen worden, beklagte Kardinal Baselios Mar Cleemis, der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Die Hinduisierung von Bildung und Kultur richtet sich weniger gegen die kleine christliche Minderheit als vielmehr gegen die Muslime im Land, die nach dem letzten Zensus von 2011 rund 14 Prozent (127 Millionen) der Bevölkerung stellen. Viele HinduNationalisten fühlen sich von dieser Gruppe bedroht. Immer wieder wird aus ihren Reihen behauptet, die Muslime machten bereits ein Drittel der Bevölkerung aus und würden bei ihrer angeblich sehr hohen Vermehrungsrate in nicht allzu ferner Zukunft die Macht in Indien an sich reißen. Bereits 2004 wurden zum Teil Geschichtsbücher für die Sekun- darstufe umgeschrieben, um das islamische Erbe des Landes in ein schlechtes Licht zu rücken. So heißt es darin, die islamischen Herrscher während der MogulZeit im 16. Jahrhundert seien barbarische Invasoren gewesen, die das Erbe der Hindus ausmerzen wollten. Diese Art von Geschichtsklitterung macht nicht einmal vor dem Tadsch Mahal halt, einem der bedeutendsten Baudenkmäler islamischer Architektur in Indien. Radikale Hindu-Nationalisten reklamieren ihn als Teil der hinduistischen Hochkultur auf dem Subkontinent. Katja Dorothea Buck kirche und ökumene „Ihr habt den Nahen Osten aufgegeben“ Christen in der arabischen Welt kritisieren westliche Kirchen Wenn ein deutscher Bischof derzeit in den Nahen Osten fliegt, muss er sich auf kritische Fragen einstellen – auch zur deutschen Flüchtlingspolitik. Das hat jetzt auch Ralf Meister, der Bischof der hannoverschen Landeskirche, bei einem Besuch im Libanon erfahren. Es ist kein einfaches Terrain, auf das sich Meister in Beirut begeben hat. Seit Beginn des Arabischen Frühlings vor fünf Jahren zwingen Instabilität, Gewalt und Terror Millionen Menschen zur Flucht. „Der Massenexodus von Christen aus dem Irak und Syrien ist irreversibel“, sagt Paul Haidostian, der Präsident der Evangelisch-Armenischen Haigazian-Universität in Beirut. Diejenigen, die noch ausharren oder aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht gehen können, hätten zunehmend das Gefühl, auf der Verliererseite zu stehen. Und: Die großzügige Flüchtlingspolitik Deutschlands beschleunige das Ausbluten der Region zusätzlich. Auch Rima Nasrallah, Dozentin an der Near East School of Theology in Beirut, wird bitter, wenn sie auf dieses Thema zu sprechen kommt. „Wer jung und qualifiziert ist, überlegt sich nicht lange, ob er noch bleiben soll. Mit eurer Flüchtlingspolitik habt ihr den Nahen Osten aufgegeben und die Region den Armen, Kranken und den Kriegstreibern überlassen.“ Natürlich könne sie denen, die gehen, nichts vorwerfen. Doch für die, die in ihrer Heimat an einer friedlichen Zukunft arbeiteten, werde es immer schwieriger. Das bestätigt auch Mofid Karajili, der evangelische Pfarrer 2-2016 | kirche und ökumene journal von Homs. Anfang 2012 wurde die Stadt von Rebellen eingenommen. 70.000 Christen verließen damals die Stadt. „Als 2014 die Rebellen wieder abrückten, kamen nur 3000 zurück“, sagt Karajili. „Wir können nicht sagen, ob wir eine Zukunft haben. Wir wissen aber, was unsere Aufgabe ist.“ Er habe in der Jugendarbeit sogenannte „Space of hope-Teams“ gegründet, in denen Jugendliche aller Religionen zusammenkommen und in gemischten Teams sportliche Wettkämpfe veranstalteten. „In jeder Gruppe müssen Mädchen und Jungen, Muslime und Christen, Schiiten und Sunniten sein. Wenn sie gewinnen, gewinnen sie gemeinsam. Und wenn sie verlieren, verlieren sie gemeinsam“, sagt Karajili. Als Leitender Geistlicher der größten evangelischen Landeskirche in Deutschland musste Bischof Meister sich aber auch in anderer Hinsicht Kritik anhören. Die Christen aus dem Nahen Osten fühlen sich von den westlichen Kirchen im Stich gelassen. „Seit Beginn des Arabischen Frühlings versuchen wir Euch zu erklä- Joseph Kassab von der Synodenkirche für Syrien und Libanon erklärt Bischof Ralf Meister, welche Teilungspläne für Syrien diskutiert werden. Viele Christen lehnen die Teilung des Landes vehement ab. katja dorotheA buck ren, was für uns Christen auf dem Spiel steht. Aber ihr wolltet nie zuhören“, sagte Michel Jalakh, der Generalsekretär des Mittelöstlichen Kirchenrats (MECC). „Für uns hat der Westen seine Glaubwürdigkeit verloren.“ Seit der Gründung des MECC 1974 hätten sich die Kirchen immer wieder in Ausnahmesituationen befunden; jetzt drohe das Christentum nach 2000 Jahren im Nahen Osten ausgelöscht zu werden. „Wir brau- chen nicht nur eure finanzielle Unterstützung, wir brauchen auch eure Fürsprache bei den Politikern eures Landes“, sagte Jalakh. Die Gespräche zeigten Wirkung. Bei einer Vorlesung an der Near East School of Theology zur Flüchtlingskrise und den Kirchen in Deutschland schlug Meister nachdenkliche und selbstkritische Töne an. „Wir haben da bisher einen blinden Fleck gehabt“, sagte er und kam auch auf die Erklärung der Leitenden Geistlichen der 20 evangelischen Landeskirchen zur Situation der Flüchtlinge vom September 2015 zu sprechen. Meister selbst hatte am Wortlaut des Textes mitgearbeitet. „Nach den vielen Gesprächen in den letzten Tagen würde ich diese Erklärung heute anders formulieren“, sagte er vor rund hundert Zuhörerinnen und Zuhörern. Der Text sei zu unkonkret und gehe mit keinem Wort auf das besondere Schicksal der christlichen Flüchtlinge ein. Niemand habe bisher reflektiert, was es für die Christen des Nahen Ostens bedeutet, ihre Heimat zu verlassen. „Wir müssen stärker darüber nachdenken, wie wir unsere Geschwister im Nahen Osten unterstützen können, damit sie bleiben können.“ Katja Dorothea Buck die Rede gewesen, nachdem die Vereinten Nationen im November 2012 Palästina einen Beobachterstatus zugebilligt hatten. Und auch bei der Reise von Papst Franziskus im Mai 2014 ins Heilige Land stand auf dem offiziellen Reiseprogramm „Staat Palästina“. In der internationalen Politik ist dies seit langem ein Streitpunkt. Etwa ein Drittel der 193 UNMitgliedstaaten, darunter auch Deutschland, haben Palästina bisher nicht anerkannt. Erst müsse Frieden zwischen Israel und den Palästinensern herrschen, bevor Palästina ein eigener Staat werde, lautet die Begründung. Entsprechend kritisch hat Israel den Grundlagenvertrag kommentiert. Man halte die Unterzeichnung für einen übereilten Schritt, der die Aussichten auf ein Friedensabkommen „beschädige“. Er beeinträchtige die internationalen Bemühungen, die Palästinenser zu einer Rückkehr an den Verhandlungstisch mit Israel zu bewegen. Wiltrud Rösch-Metzler, die Bundesvorsitzende von Pax Christi, begrüßt den Schritt des Vatikans. „Er gibt unserer Forderung etwa an die Bundesregierung, Palästina anzuerkennen, mehr Gewicht.“ Der Vertrag sei die logische Konsequenz der bisherigen Nahost-Politik des Vatikans. „Wer für eine Zwei-Staaten-Lösung eintritt, muss sich auch zu zwei Staaten bekennen.“ Katja Dorothea Buck kirche und ökumene Staatsvertrag für 20.000 Christen Der Vatikan erkennt Palästina als Staat an Seit Jahresanfang ist der Grundlagenvertrag zwischen dem Vatikan und Palästina in Kraft. Praktisch bedeutsam ist das nur für die in Palästina lebenden Katholiken. Und deren Gemeinschaft wird immer kleiner. Genaue Zahlen über die Christen in Palästina gibt es nicht. Mitte des 20. Jahrhunderts war die christliche Glaubensgemeinschaft in der Gegend um Bethlehem und Jerusalem noch in der Mehrheit. Aktuelle Schätzungen gehen davon aus, dass heute nur noch 50.000 (47.000 im Westjordanland und knapp 3000 in Gaza) der insgesamt 4,5 Millionen Palästinenser Christen sind. Etwa 20.000 von | 2-2016 ihnen sind Mitglieder einer mit Rom unierten Kirche. Um deren Existenz, Handlungsfreiheit und Rechte geht es in dem 32 Artikel umfassenden Vertrag. Das Abkommen regelt zudem Fragen der Kirchengebäude und der Heiligen Stätten. Ausdrücklich wird Palästina ein „Sonderstatus“ als Wiege des Christentums zugestanden – was die palästinensischen Behörden in die Verantwortung nimmt, das Fort bestehen dieser Religion zu garantieren sowie die christlichen Heiligen Stätten zu schützen. Mit der Unterzeichnung anerkennt der Vatikan Palästina offiziell als eigenständigen Staat. Inoffiziell war davon allerdings schon 59 60 journal global lokal | personalia global lokal Konsum alleine rettet die Welt nicht Die Aktion Dritte Welt Saar kritisiert den fairen Handel als unpolitisch Beim „Marsch durch die Ladenlokale“ seien die politischen Ziele verlorengegangen, kritisieren die Aktivisten aus dem Saarland. Wie sich das ändern lässt, lassen sie jedoch weitgehend offen. Andere Initiativen und Kräfte des fairen Handels halten die Kritik für überzogen. Die vierseitige Streitschrift wurde Ende 2015 den Tageszeitungen „taz“ und „Neues Deutschland“ sowie der Wochenzeitung „Jungle World“ beigelegt und gleichzeitig an die 800 Weltläden in Deutschland geschickt. Die Aktion Dritte Welt Saar kritisiert darin, es gehe dem fairen Handel nur noch um die Steigerung der Absatzzahlen, während die politische Arbeit für gerechtere Handelsstrukturen in den Hintergrund getreten sei. „Der Marsch durch die Ladenregale schleift die politische Zielrichtung des Ansatzes ab“, schreiben die Autoren. Wie an frühere Ziele wieder angeknüpft werden kann, lassen sie offen. Hintergrund der Debatte ist der stark gestiegene Absatz fair gehandelter Produkte mit dem Transfair-Siegel. Mehr als eine Milliarde Euro gaben deutsche Verbraucherinnen und Verbraucher im Jahr 2014 dafür aus, 30 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Produkte mit dem Siegel sind in mehr und mehr Supermärkten erhältlich, während die Weltläden Waren von Importeuren wie der GEPA, dwp und El Puente verkaufen. Diese Importeure verwenden das Tansfair-Siegel für viele Produkte nicht und legen Wert darauf, dass bei ihnen nicht nur einzelne Waren, sondern die gesamten Lieferketten fair seien. Das Transfair-Siegel findet sich hingegen auf einzelnen Produkten von Unternehmen wie Starbucks, Lidl oder Nestlé, die wegen ihrer Missachtung von Arbeitsrechten im Norden in der Kritik stehen. Für Wolfgang Jo- Mit Fairtrade-Produkten lässt sich mittlerweile ein ganzer Einkaufskorb füllen – auch im Supermarkt um die Ecke. transfair hann, Mitautor der Streitschrift, ist es zum „Feigenblatt für die ausbeuterische Politik“ der Konzerne verkommen. Mehr Absatz bedeutet mehr Aufmerksamkeit Ruben Quaas, Referent Fairer Handel bei Brot für die Welt, teilt die Kritik aus dem Saarland nicht. Mehr Absatz bedeute auch mehr Aufmerksamkeit für die Anliegen des fairen Handels wie die Transparenz entlang von Lieferketten. „Dass solche Themen stärker dis- kutiert werden, ist auch ein Verdienst des fairen Handels“, sagt Quaas. Aber, räumt er ein, es sei sinnvoll, zu überlegen, wie sich die politische Arbeit verstärken lässt. Vor allem unter manchen Betreibern von Weltläden ist Unmut über den Erfolg von Transfair anzutreffen. Sie fühlen sich zunehmend unter Druck, was aber auch an einem veränderten Verständnis von Ehrenamt und dem anstehenden Generationenwechsel liegt. Die Berliner Weltladen-Bera- terin Nadine Berger hält nichts davon, die Gräben im fairen Handel zu vertiefen. Sie sieht die unterschiedlichen Formen als „gleichwertig nebeneinander stehend“. Zugleich schlägt sie vor, die politische Arbeit zu verstärken, etwa durch eine bessere Vernetzung der Akteure des fairen Handels mit den entwicklungspolitischen Eine-Welt-Landesnetzwerken. Die politischen Anliegen des fairen Handels in die öffentliche Diskussion zu tragen, ist Aufgabe des Forums Fairer Handel. Dem Netzwerk gehören unter anderem die GEPA, der Weltladen-Dachverband und die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor an; Transfair ist nicht dabei, beteiligt sich aber an Arbeitsgruppen. Vor zwei Monaten hat es mit einer Unterschriftenaktion an das Auswärtige Amt verbindliche Regeln für die Einhaltung von Menschen-und Arbeitsrechten durch deutsche Unternehmen gefordert. In diesem Jahr will das Forum seine Kampagnenarbeit verstärken. Geschäftsführer Manuel Blendin ist in einem wichtigen Punkt mit den Kritikern von der Aktion Dritte Welt Saar einer Meinung: Durch bewussten Konsum allein lässt sich die Welt nicht retten. Claudia Mende personalia Brot für die Welt Danuta Sacher hat am 1. November 2015 die Leitung der Abteilung Lateinamerika und Karibik bei Brot für die Welt übernommen. Nach rund sechsjähriger Vorstandstätigkeit beim Kinderhilfswerk Terre des Hommes kehrte sie in die evangelische Entwicklungszusammenarbeit zurück, der sie bereits zwischen 1990 und 2009 in verschiedenen Funktionen unter anderem bei Brot für die Welt angehörte. Sie löst Uwe Asseln-Keller ab, der die passive Phase der Altersteilzeit antritt. Reinhard Palm leitet seit November die Abteilung Afrika bei Brot für die Welt. Palm ist seit über 15 Jahren in der staatlichen und nichtstaatlichen Entwicklungszusam menarbeit tätig, zuletzt war er im Bundesentwicklungsministerium für die Weltbank und den IWF zuständig. Er löst Karin Döhne ab, die ebenfalls in die passive Phase der Altersteilzeit eintritt. 2-2016 | personalia journal Silke Pfeiffer leitet seit dem 1. November das Referat Mexiko, Zentralamerika, Karibik. Sie war zuletzt Leiterin des Kolumbien/ Anden-Büros der International Crisis Group in Bogotá. Terre des Hommes (TDH) Jörg Angerstein ist ab März im Vorstand des Kinderhilfswerks TDH und dort für den Bereich Kommunikation zuständig. Er war zuletzt beim Deutschen Roten Kreuz und davor Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes. Angerstein folgt auf Danuta Sacher, die zu Brot für die Welt gewechselt ist. Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) Neuer Stiftungsvertreter für die Autonomen Palästinensischen Gebiete ist Mark Fings, bisher Länderreferent im Team Asien. Nils Wörmer leitet jetzt das Büro für Syrien/Irak mit Sitz in Beirut. Er war zuvor Auslandsmitarbeiter in Afghanistan. Neuer Vertreter der KAS in Kabul, Afghanistan, ist Matthias Riesenkampf. Neuer Leiter des Büros in Rio de Janeiro, Brasilien, ist seit November Jan Woischnik, der zuvor als Auslandsmitarbeiter in Indonesien tätig war. gängerin Sarah Hees ist jetzt im Inland für die FES tätig. Bettina Luise Rürup vertritt die Stiftung jetzt in New York unter anderem bei den Vereinten Nationen. Ihre Vorgängerin Michèle Auga arbeitet seither im Inland. Beyhan Sentürk vertritt die FES seit Januar in den Autonomen Palästinensischen Gebieten mit Sitz in Ost-Jerusalem. Seine Vorgängerin Ingrid Ross ist jetzt im Inland tätig. Neuer gesellschaftspolitischer Berater in Tunesien ist seit Januar Thomas Claes. Zentrum für Entwicklungs forschung (ZEF) Eva Youkhana ist neue Direktorin der Abteilung „Sozialer und Kultureller Wandel“ am ZEF. Die Sozialanthropologin mit den Schwerpunkten Migration und Lateinamerika war zuvor Lehrbeauftragte für Altamerikanistik an der Bonner Universität und Mitglied des Kompetenznetzes Lateinamerika der Universität zu Köln. Sie hat die Interimsdirektorin Anna-Katharina Hornigde abgelöst, die einem Ruf auf eine Professur an die Universität Bremen gefolgt ist. Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE) Seit Herbst vergangenen Jahres ist Patrick Rüther neuer gesellschaftspolitischer Berater in Neu Delhi, Indien. Seine Vor- Seit Januar ist Tanja Vogel neue Leiterin der Stabsstelle Kommunikation beim Deutschen Institut für Entwicklungspolitik in Bonn. Andreas Buro ist tot Der Friedensforscher und langjährige Aktivist für Frieden und Menschenrechte Andreas Buro ist am 19. Januar im Alter von 87 Jahren nach kurzer, schwerer Krankheit gestorben. Buro gehörte zu den Mitbegründern der Ostermärsche der 1960er Jahre und blieb bis wenige Tage vor seinem Tode friedenspolitisch aktiv. Er war Mitbegründer und bis zuletzt friedenspolitischer Sprecher des Komitees für Grundrechte und Demokratie. Große Verdienste erwarb er sich in der Entwicklung der Zivilen Konfliktbearbeitung. Renke Brahms, der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, sagte, der Tod von Andreas Buro sei ein großer Verlust für die Friedensbewegung und die Zivilgesellschaft. 2008 wurde Buro der Aachener Friedenspreis verliehen, 2013 erhielt er den Göttinger Friedenspreis. | 2-2016 Die studierte Politikwissenschaftlerin war dort bereits seit drei Jahren als Referentin tätig. Ihr Vorgänger Matthias Ruchser ist zur Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) gewechselt, wo er als Mitglied der Geschäftsleitung verantwortlich für die Stabsstelle Kommunikation ist. Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) Karin Kortmann leitet seit Januar die GIZ-Repräsentanz Berlin. Sie ist seit November 2012 im Unternehmen, zuletzt als Teilbereichsleiterin im Fach- und Methodenbereich. Kortmann war von 2005 bis 2009 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesentwicklungsministerium und von 1998-2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. In Berlin löst sie Klaus Brückner ab, der in den Ruhestand geht. Arbeitsgemeinschaft für Entwicklungshilfe (AGEH) Angelica Bergmann ist aus der Elternzeit zurück und jetzt im Team Personalvermittlung wieder Ansprechpartnerin für Diözesen, Orden und Vereine. Martin Sprenger, der sie dort vertreten hat, arbeitet jetzt als Referent im Team Ziviler Friedensdienst (ZFD). UN-Flüchtlingskommissar (UNHCR) Katharina Lumpp ist seit Dezember 2015 Vertreterin des des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in Deutschland. Die 49-Jährige ist seit mehr als 20 Jahren für den UNHCR tätig. UN-Umweltprogramm (Unep) Der Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth, soll nach dem Willen der Bundesregierung der nächste Leiter des UN-Umweltprogramms werden. Er soll als Nachfolger des amtierenden Unep-Leiters Achim Steiner nominiert werden. Mit einer Entscheidung des UN-Generalsekretärs ist erst in einigen Monaten zu rechnen. Schweiz Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat in seiner Funktion als amtierender Vorsitzender der OSZE den Schweizer Botschafter Günther Bächler zum Sonderbeauftragten für den Südkaukasus ernannt. Bächler war bisher Schweizer Botschafter in Georgien. Österreich Koordinierungsstelle der Österreichischen Bischofskonferenz für internationale Entwicklung und Mission (KOO) Nach 14 Jahren ist für Bischof Ludwig Schwarz SDB die Amtszeit als Vorsitzender der KOO im Januar zu Ende gegangen. Sein Nachfolger wird von Vollversammlung der Bischofs konferenz bestimmt. Anne-Klein-Frauenpreis 2016 Der diesjährige Anne-Klein-Frauenpreis der Heinrich-Böll-Stiftung geht an Gisela Burckhardt von der Frauenrechtsorganisation FEMNET. Burckhardt wird für ihr Engagement für die Rechte von Arbeiterinnen in der globalen Textilindustrie ausgezeichnet. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis ist nach der 2011 verstorbenen Juristin und Feministin Anne Klein benannt, die von 1989 bis 1990 dem Berliner Senat angehörte. 61 62 service filmkritik | rezensionen filmkritik Temperamentvolle Heldinnen In ihrem Spielfilmdebüt erzählt die Regisseurin Deniz Gamze Ergüven von fünf türkischen Waisenschwestern, die im Haus ihres Onkels eingesperrt werden, um sie auf die Ehe vorzubereiten. Zwischen Resignation und Revolte pendelnd, ist die Geschichte ein Ruf nach Freiheit und weiblicher Selbstbestimmung. Mustang Frankreich/Deutschland/Türkei 2015, Regie: Deniz Gamze Ergüven, 97 Minuten, Kinostart: 25. Februar 2016 Lale und ihre vier Schwestern wachsen nach dem Tod der Eltern bei ihrem Onkel Erol und ihrer Großmutter in einem Dorf an der türkischen Schwarzmeerküste auf. Als sie nach der Schule unbeschwert mit einigen Mitschülern am Meer herumtollen, lösen sie einen Skandal aus. Eine Nachbarin hat sie beobachtet und bezichtigt sie eines unzüchtigen Verhaltens. Der empörte Onkel bringt die Mädchen zum Krankenhaus, um ihre Jungfräulichkeit überprüfen zu lassen. Um die Heiratschancen der Halbwüchsigen zu wahren, lassen er und die Großmutter die Fenster vergittern und die Mauern ums Haus erhöhen. Zudem beschlagnahmt er Telefone, Computer und Make-up, die Mädchen müssen hässliche „kackbraune“ Kleider tragen. Statt unbefangener Spiele stehen nun Lektionen in Kochen und Haushaltsführung auf dem Programm. Dennoch gelingen den Mädchen hin und wieder Ausbrüche aus der Festung, etwa zu einem Fußballspiel. Die Großmutter lässt derweil die Familien potenzieller Heiratskandidaten aufmarschieren. Ein Mädchen nach dem anderen wird zwangsverheiratet, bis sich der aufgestaute Frust schließlich in einer Tragödie Bahn bricht und Lale rebelliert. Die Autorin und Regisseurin Deniz Gamze Ergüven wurde 1978 in Ankara geboren, ist aber vor allem in Frankreich aufgewachsen und hat an der Pariser Filmhochschule La Fémis studiert. Sie pendelt zwischen beiden Ländern hin und her, da ihre Familie großenteils in der Türkei lebt. Ihr erster Langfilm, in dem sie auch autobiographische Erfahrungen verarbeitet, spiegelt diese Bikulturalität wider: Obwohl auf Türkisch mit einheimischen Darstellern in der Türkei gedreht, ist die erstaunlich stilsichere Inszenierung eher französischen Autorenfilmern verpflichtet. Das lässt sich an der unbefangenen Darstellung der erwachenden Sinnlichkeit der Mädchen, die von unbekannten Laien- oder Nachwuchskräften überzeugend gespielt werden, ebenso ablesen wie am Soundtrack des Komponisten Warren Ellis mit seinem betörenden Mix aus psychedelischen und orientalischen Klängen. Angesichts einer verstärkten konservativen Ausrichtung des öffentlichen Lebens in der Türkei unter Präsident Erdogan tritt Ergüven mit einem emanzipatorischen Gegenentwurf an. Schon der Filmtitel „Mustang“ signalisiert die Stoßrichtung. „Ein Wildpferd ist das perfekte Symbol für meine fünf Heldinnen und ihr zügelloses, ungestümes Temperament“, sagt die Filmemacherin. Während sie einerseits die dramaturgischen Mittel des Gefängnisfilms nutzt, greift sie andererseits Motive des Märchens und der Mythologie wie Minotaurus und Labyrinth auf, um eine klassische Heldengeschichte zu erzählen. „Meine Heldinnen mussten am Ende gewinnen, und zwar so strahlend wie nur möglich.“ Bei aller Schärfe der Kritik an überkommenen patriarchalischen Strukturen argumentiert Ergüven durchaus differenziert, wie das ambivalente Verhalten der älteren Frauen zeigt, die zwischen Willfährigkeit und Solidarität pendeln. Am Ende ist es gerade der jugendliche Elan des hoffnungsvoll-naiven Finales, der zu Zivilcourage und Selbstbestimmung ermutigt. Der Film gewann etliche Preise, darunter den Prix FIPRESCI als europäische Entdeckung beim Europäischen Filmpreis und den Art Cinema Award des Filmkunstverbands CICAE auf dem Filmfest Hamburg 2015. Nach einer Nominierung für die Golden Globes geht er bei der Oscar-Verleihung in das Rennen um den „besten fremdsprachigen Film“. Zudem erhielt er den Lux-Filmpreis des Europaparlaments, mit dem die Herstellung einer Fassung für Seh- und Hörbehinderte verbunden ist. Reinhard Kleber rezensionen Eine Geschichte „großer Männer“ Richard Bourne Nigeria. A New History of a Turbulent Century Zed Books, London 2015, 229 Seiten, ca. 22 Euro. In seinem Übersichtswerk beschreibt Richard Bourne die Geschichte Nigerias der vergangenen 100 Jahre. Und geht der Frage nach, wie es dem Land gelang, trotz langjähriger Militärherrschaft, ethnischer und religiöser Konflikte als einheitlicher Staat zu bestehen. Es ist ein waghalsiges Unterfangen, die Geschichte Nigerias seit der Schaffung der Kolonie durch Frederick Lugard 1914 bis zum Wahlsieg Muhammadu Buharis 2015 in einem rund 200 Seiten umfassenden Taschenbuch erzählen zu wollen. Jeder, der vorgibt, Nigeria zu verstehen, sei entweder geblendet oder ein Lügner, so der Autor in seinem Vorwort. Zu vielschichtig und verworren, widersprüchlich und sprunghaft scheint die Entwicklung des Riesen in Westafrika, als dass man sie in einem schmalen Buch erschöpfend behandeln könnte. Doch der Journalist, der das Land seit 1981 regelmäßig bereist, wagt sich 2-2016 | rezensionen service an diese Aufgabe mit großem Elan. In fünf Kapiteln beschreibt er die späten Interventionen der englischen Kolonialherren, den Weg in die Unabhängigkeit, die Zeiten der Militärherrschaft (unterbrochen von wenigen Jahren der zivilen Regierung) bis hin zur Demokratisierung und Wiedereinführung eines demokratischen Systems nach 1999. Dabei orientiert sich Bourne vor allem an den Regierungswechseln und den jeweiligen Machthabern während dieser Jahre. Deshalb ist seine Geschichte Nigerias vor allem eine Geschichte der „großen Männer“. Generäle und andere Militärs, Oligarchen und zivile Herrscher sind bei Bourne diejenigen, die das Schicksal des Landes im Laufe der vergangenen 100 Jahre geprägt haben. Das ist zum Teil durchaus zutreffend, jedoch rückt die Alltagsgeschichte der Nigerianerinnen und Nigerianer durch diese Schwerpunktsetzung in den Hintergrund. Gern hätte man zum Beispiel mehr über das tägliche Leben unter den Bedingungen des Biafra-Krieges oder der Aufstände im Nigerdelta erfahren. Die Wahlen von 2015 bewertet Bourne zutreffend als wegweisend für das Land. Zum ersten Mal gelang der Wechsel von einer zivilen Regierung zu einer anderen. Die Vorherrschaft der seit 1999 regierenden Peoples Democratic Party (PDP) wurde so friedlich beendet. Auf die neuen Amtsinhaber warten gewaltige Aufgaben: Der Terror der Dschihadisten von Boko Haram wütet nach wie vor, und Politik ist und bleibt in diesem neopatrimonialen Staat weiterhin ein Geschäftsmodell, in dem die Paten (Godfathers) der Politiker ein gehöriges Wörtchen mitzureden haben. Abzuwarten bleibt auch, wie sich nun, unter den neuen Bedingungen, die Lage im ölreichen und von Milizen geplagten Nigerdelta entwickeln wird. Bournes Geschichte Nigerias in einem turbulenten Jahrhundert werden jene mit Gewinn lesen, die sich mit der wechselvollen und spannenden Historie des Riesen in Westafrika vertraut machen wollen. Es ist ein Grundlagenwerk, dessen Lektüre gute Voraussetzungen bietet, um vertieft in die Politik und Gesellschaft des Landes eintauchen zu können. Ruben Eberlein Ein Spiegel für Planer und Praktiker Die 14 Aufsätze dieses Sammelbands analysieren Versäumnisse und ungelöste Probleme der Gender-Politik und veranschaulichen sie anhand von Beispielen aus verschiedenen Kontinenten. Christine Verschuur, Isabel Guérin, Hélène Guétat-Bernard (Hg.) Under Development: Gender Palgrave MacMillan, Houndsmills/ Basingstoke 2014, 325 Seiten, ca. 89 Euro | 2-2016 15 Jahre liegt die Verabschiedung der Millennium Development Goals zurück, 20 Jahre die Weltfrauenkonferenz in Peking und 40 Jahre der Auftakt zur ersten Weltfrauendekade der UNO. In allen Abschlussdokumenten dieser internationalen Großereignisse und Abkommen hat die Geschlechtergleichheit großen Stellenwert. Dennoch spricht die weltweite Bilanz zur Gewalt gegen Frauen und zu ihrer systematischen Diskriminierung eine andere Sprache. Vielerorts ist die Situation von Frauen von Ausbeutung und Rechtlosigkeit geprägt. Das schlägt sich in schlechter Gesundheit von Müttern und Kindern nieder und hemmt Entwicklung in jeder Hinsicht. In diese Zusammenhänge ist der vorliegende Sammelband einzuordnen. Er hält Planern, Entscheidungsträgern und Praktikern den Spiegel vor. Nüchtern analysieren die Autorinnen Versäumnisse und ungelöste Probleme und belegen ihre Thesen mit Beispielen aus verschiedenen Kontinenten. Die Herausgeberinnen des internationalen Instituts für Entwicklungsforschung IUED in Genf haben dabei keineswegs nur europäische oder US-amerikanische Autorinnen ausgewählt. Vielmehr kommen einige afrikanische und lateinamerikanische Gender-Expertinnen zu Wort. Sie behandeln konzeptionelle Fragen und analysieren Geschlechterhierarchien zum Beispiel in Nigeria und Ecuador. Allen Texten gemeinsam sind gut verständliche Erklärungen und nachvollziehbare Kritik. Die Autorinnen beleuchten Macht und Ungleichheit im umfassenden Sinn. Sie betrachten die Unterschiede zwischen Frauen und Männern unterschiedlichen Status, Alters und Besitzes und berücksichtigen dabei gesellschaftliche und politische Machtverhältnisse ebenso wie rechtliche und ökonomische Ungleichheiten. Zentral sind die Analyse von Wirtschaftspolitik und marktökonomischen Strukturen sowie deren Wirkung auf die Hierarchien der Geschlechter. Damit stellen die Expertinnen Gender in den Mittelpunkt wirtschaftlicher Entwicklungsfragen. Anhand von Fallstudien aus Peru und Argentinien erklären sie darüber hinaus die Auswirkungen politischer Rahmenbedingungen und das Erbe der dortigen Diktaturen. Auf diese Weise erhält der Empowerment-Begriff, der in der Entwicklungspraxis oft zu einer Floskel verkommt, die Bedeutung, die er eigentlich haben sollte. Die kenntnisreichen Autorinnen ziehen zeithistorische Längsschnitte und zeigen, wie verschiedene Disziplinen, etwa die Entwicklungsökonomie und die Demographie, Geschlechterhierarchien erforschen – Kritik an Bevölkerungsplanung ist hier exemplarisch. Sie beziehen sich dabei auf postkoloniale Standpunkte und kritische Reflexionen über das Nord-Süd-Verhältnis, beispielsweise auf den derzeitigen neoliberalen Kurs der Weltwirtschaft. So spannen sie aufschlussreiche Bögen zwischen internationalen, nationalen und lokalen Veränderungen, konkret in der Agrarproduktion in Brasilien seit den 1980er Jahren. Wie notwendig wissenschaftlich begründete, grundlegende Neuorientierungen sind, erklärt das lesenswerte, aber leider überteuerte Buch. Rita Schäfer 63 64 service rezensionen rezensionen Ganz oben und ganz unten Der südafrikanische Schriftsteller Niq Mhlongo begleitet seinen Antihelden durch die Zeit vor und während der Apartheid. Herausgekommen ist ein spannender, gesellschaftskritischer Thriller. Niq Mhlongo Way Back Home Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 2015, 280 Seiten 24,80 Euro Er trägt an jedem Handgelenk eine Luxusuhr, raucht nur die besten Zigarren und säuft ständig teuren Single-Malt-Whisky. Er kauft sich Frauen und versucht, per Korruption Aufträge für seine Baufirma zu ergattern. Die Ehefrau hat ihn verlassen, weil er fremdgegangen ist, und für seine Tochter zahlt er keine Alimente. Kurz: Kimathi Tito, der Protagonist aus „Way Back Home“, ist kein Sympathieträger. Dennoch ertappt man sich beim Lesen zuweilen dabei, ihm die Daumen zu drücken und zu hoffen, dass er sein verpfuschtes Leben wieder in den Griff bekommt. Der südafrikanische Schriftsteller Niq Mhlongo hat mit Kimathi Tito einen Antihelden geschaffen, dessen Versagen und Leiden man als Leser hautnah miterlebt. Während Tito im heutigen Südafrika gegen seinen Ruin ankämpft, berichtet Mhlongo mittels kürzerer Kapitel aus der Zeit der AntiapartheidBewegung, in der auch Tito aktiv war. In den späten 1980er Jahren trainieren und kämpfen Apartheidgegner in Angola. In einem Straf- camp für vermeintliche Verräter der Bewegung führen zwei Männer ein sadistisches Regime – sie quälen, erniedrigen, foltern, töten. In knappen, drastischen Sätzen beschreibt Mhlongo die vorherrschende Unmenschlichkeit und führt am Ende zwei verschiedene Erzählstränge zusammen. Was ist dieses Buch nun? Ein Thriller. Eine Überzeichnung des Bösen. Irgendwie auch eine Gesellschaftskritik an der schwarzen Elite im heutigen Südafrika. Vor allem aber hat Mhlongo einen spannenden Roman geschrieben, der handwerklich einwandfrei funktioniert und überzeugt: spitz gezeichnete Charaktere, temporeiche Handlungsstränge, absurde Momente, wie etwa ein Besuch des Protagonisten bei einem traditionellen Heiler. Südafrika und seine Historie dienen bei alldem lediglich als Hintergrund für eine teils groteske Geschichte. Einzig die ständig genannten Luxusmarken nerven beim Lesen. Man fragt sich, weshalb der Autor sie derart strapaziert, man erkennt schließlich schon nach den ersten Markennamen, dass es um Dekadenz geht. Da Mhlongo ansonsten sehr gekonnt schreibt, ist ihm zuzutrauen, dass er den Leser hier einfach strapazieren will. Es sei ihm gegönnt. Felix Ehring Gesundheit – ein kubanischer Vorzeigesektor Der „tropische Sozialismus“ der Castro-Brüder steht wegen seines autoritären Einparteiensystems und seiner Menschenrechtspolitik zu Recht in der Kritik. Aber sein Gesundheitssystem gilt im internationalen Vergleich nach wie vor als nahezu vorbildlich. Jens Becker (Hg.) Einblicke in das kubanische Gesundheits- und Sozialsystem Westfälisches Dampfboot, Münster 2015, 276 Seiten, 29,90 Euro Die kubanische Verfassung garantiert das Recht auf Gesundheit und kostenlose medizinische Grundversorgung. Um eben sie sicherzustellen, gibt es das auf Prävention basierende Familienarztmodell, dazu Polikliniken, Krankenhäuser und spezialisierte – beispielsweise zahnmedizinische – Zentren und Einrichtungen. Nicht zuletzt wegen geringer Ressourcen liegt deren Schwerpunkt auf Prävention und Epidemiologie, das heißt auf einem umfassenden Monitoring des Gesundheitszustands der Bevölkerung. Geht es um die Qualität dieses Systems, werden meist die hohen Durchimpfungsraten gegen 13 Infektionserkrankungen, eine hohe Lebenserwartung, eine geringe Säuglingssterblichkeit sowie die umfangreiche Betreuung von Schwangeren angeführt. Die Autoren des Sammelbandes zeigen, wie die Verantwortlichen mit Hilfe bescheidener Investitionen in die Infrastruktur und mit einer ausgeklügelten Gesundheitsstrategie „einen Gesundheitszustand der Bevölkerung vergleichbar mit dem von Indus trieländern“ gewährleisten. Und sie machen deut- lich, dass vor allem die gute, praxisorientierte Ausbildung der kubanischen Ärzte sowie das Familienarztmodell als Bindeglied zwischen Wohngebiet und Gesundheitssystem dafür maßgeblich sind. Weltweit, aber vor allem in Lateinamerika, genießen kubanische Ärzte einen hervorragenden Ruf. Sie locken – wie die Autoren darlegen – immer mehr Ausländer nach Kuba, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Gesundheitstourismus ist für das Land inzwischen eine sichere und profitable Einnahmequelle. Darüber hinaus seien Ärzte durch das „Cuban Medical Internationalism“-Programm zur internationalen Verschickung von medizinischem Fachpersonal zum wichtigen Exportschlager geworden. Daneben untersuchen die Autoren den politischen und sozialen Wandel unter Raúl Castro und diagnostizieren wachsende soziale Ungleichheit. Ärzte und Krankenschwestern verdienen sehr wenig, „Geschenke der Patienten“, also Korruption, sichern ihr Auskommen. Bislang fehlte es an einem profunden Einblick in dieses staatlich gelenkte Gesundheitssystem, das sich im Umbruch befindet. Die Autoren zeigen in ihrem Buch Stärken und Schwächen dieses Systems auf und informieren kenntnisreich über seine Eigenschaften, Besonderheiten und Probleme. Dieter Hampel 2-2016 | termine service termine – veranstaltungen Ammersbek 25. bis 28. Februar 2016 „Dragon Dreaming“ – Ansätze für ganzheitliches Projektmanagement Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst Kontakt: Tel: 040-6052-559 www.brot-fuer-die-welt.de Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) Kontakt: Tel. 0228-99515-200 www.bpb.de Georg-von-Vollmar-Akademie Kontakt: Tel.: 08851 – 780 www.vollmar-akademie.de Kochel am See 22. bis 24. Februar 2016 Nachhaltiges Energiesystem. Welche Bioenergie brauchen wir? 26. bis 28. Februar 2016 Tunesien – arabischer Vorzeigestaat? Tunesien nach dem arabischen Frühling. Bonn 7. bis 8. März 2016 Big Data und informationelle Selbstbestimmung Eine Herausforderung für die politische Bildung Bonner Gespräche zur politischen Bildung 2016 29. Februar bis 2. März 2016 Klimaschutz und Klimafolgen Orte, die noch kaum ein Ausländer gesehen hat. tv-tipps Donnerstag, 18.Februar 18:30-20:00, Phoenix Berlin 7. bis 8. März 2016 So anders sind wir nicht Zeitgemäße Zugänge zum Islam und zur Koranauslegung Evangelische Akademie zu Berlin Kontakt: Tel. 030-203-55-500 www.eaberlin.de Rehburg-Loccum radio-tipps PHOENIX/ZDF/J. Hano Aachen 25. bis 27. Februar 2016 Konfliktlösung auf Basis der Gewaltfreien Kommunikation Bischöfliche Akademie des Bistums Aachen Kontakt: Tel. 0241-47996-22 www.bischoeflicheakademie-ac.de Chinas Grenzen - Abenteuer vom Ussuri bis zum Hindukusch. Film von Johannes Hano (ZDF/2011). Sechs Monate lang ist der Korrespondent durch Chinas Grenzprovinzen gereist. Dabei hat er mit seinem Team 20.000 Kilometer auf Landstraßen, Feldwegen, Sand- und Geröllpisten zurückgelegt. Sein Film zeigt Impressum Redaktion: Bernd Ludermann (bl, verantw.), Tillmann Elliesen (ell), Barbara Erbe (erb), Gesine Kauffmann (gka), Hanna Pütz (hap, Volontärin), Sebastian Drescher (sdr, online) Emil-von-Behring-Straße 3, 60439 Frankfurt/Main; Postfach/POB 50 05 50, 60394 Frankfurt/Main Telefon: 069-580 98 138; Telefax: 069-580 98 162 E-Mail: [email protected] Ständig Mitarbeitende: Kathrin Ammann (kam), Bern; Katja Dorothea Buck (kb), Tübingen; Heimo Claasen (hc), Brüssel; Ralf Leonhard (rld), Wien; Claudia Mende (cm), München; Theodora Peter (tp), Bern; Rebecca Vermot (ver), Bern; Marina Zapf (maz), Berlin Ansprechpartner in Österreich: Gottfried Mernyi, Kindernothilfe Österreich, 1010 Wien, Dorotheergasse 18 Herausgeber: Verein zur Förderung der entwicklungspolitischen Publizistik e.V. (VFEP), Klaus Seitz (Vorsitzender), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst, Caroline-Michaelis-Straße 1, 10115 Berlin Mitglieder im VFEP: Brot für alle (Bern), Brot für die Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst (Berlin), Christoffel-Blindenmission (Bensheim), Fastenopfer (Luzern), Kindernothilfe (Duisburg), Misereor (Aachen) | 2-2016 Sonntag, 7. Februar 06:05-06:30, NDRinfo Ökomode gerne - aber bitte mit tiefem Ausschnitt. Die Diskussion um Nachhaltigkeit. Von Claudia Sarre. Wh. 17:30. Evangelische Akademie Loccum Kontakt: Tel. 05766-81-0 www.loccum.de Schwerte 19. bis 20. Februar 2016 Die Agenda 2030 in Deutschland und NRW Evangelische Akademie Villigst Kontakt: Tel. 02304-755-332 www.kircheundgesellschaft.de Springe 26. bis 28. Februar 2016 Integration und Soziale Demokratie Friedrich-Ebert-Stiftung – Politische Akademie Kontakt: Tel. 0228-883-0 www.fes-soziale-demokratie.de Wuppertal Mittwoch, 10. Februar 11. bis 13. März 2016 Entwicklungspolitische Grundlagen für zukünftige Freiwillige Vereinte Evangelische Mission (VEM) Kontakt: Tel. 0202-89004-0 www.vemission.org Weitere TV- und Hörfunktipps noch bis Ende Februar 2016 unter www. welt-sichten.org. Danach entfällt dieser Service sowohl im Magazin als auch auf der Internetseite. 29. Februar bis 4. März 2016 Die Ideologie der Gewalt – Terrorismus als politischer Wegbereiter? Akademie Frankenwarte Kontakt: Tel. 0931-80-464-0 www.frankenwarte.de 22:03-23:00, SWR2 Feature. Meine Firma in Bulgarien. Griechische Unternehmer wandern aus. Von Marianthi Milona. Würzburg www.welt-sichten.org Die Rubrik „Global-lokal“ erscheint in Kooperation mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt/Engagement Global gGmbH. Anzeigenleitung: Yvonne Christoph, m-public Medien Services GmbH, Zimmerstraße 90, 10117 Berlin, Telefon: 030-325321-433, www.m-public.de Grafische Gestaltung: Angelika Fritsch, Silke Jarick Druck: Strube Druck&Medien OHG, Stimmerswiesen 3, 34587 Felsberg Verlegerischer Dienstleister: Gemeinschaftswerk der Evangelischen Publizistik gGmbH, Frankfurt am Main Preis der Einzel-Nr.: 5,50 Euro / 7,80 sFr zuzügl. Versandkosten Preis im Jahresabonnement: 49,20 Euro, ermäßigt 36,90 Euro. Preisänderungen vorbehalten. politik“. ist die Nachfolgezeitschrift von „der überblick“ und „eins Entwicklungs- ISSN 1865-7966 „welt-sichten“ 65 66 service termine termine – kulturtipps Bilder von Macht und Ohnmacht Blick von der Bagram Air Base, dem Hauptquartier der USStreitkräfte in Afghanistan, auf die Berge von Majeed. Edmund Clark/Reiss-Engelhorn-Museen Bonn bis 17. April 2016 Unter Druck! Medien und Politik Tageszeitungen, Tagesschau oder Twitter: Nachrichten stoßen Diskussionen in modernen Gesellschaften an. Mit Berichten und Kommentaren bestimmen Presse und Rundfunk mit, wie die Bürger Politik und Gesellschaft wahrnehmen. Deshalb gelten Medien neben Parlament, Regierung und Justiz als „vierte Gewalt“. Die Ausstellung beleuchtet mit mehr als 900 Objekten die Rolle der Medien in Deutschland seit 1945. Sie stellt die Medienlandschaft in der Bundesrepublik der gesteuerten Presse der DDR gegenüber und geht der Frage nach, welche Rolle die sozialen Netzwerke für die Meinungsbildung heute spielen. Anhand von Fotos, Zeitungen aus dem Archiv und Tonaufnahmen soll auch die doppeldeutige Rolle der Medien selbst kritisch beleuchtet werden. Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Kontakt: Tel. 0228-9165-0 www.hdg.de Der Londoner Fotograf Edmund Clark dokumentiert mit seinen Bildern Machtsysteme und die die Folgen des Krieges gegen den Terrorismus seit dem 11. September 2001. Sie erhalten mit der Bremen wachsendenTerrorgefahr in Europa einen aktuellen Bezug. Clark hat Militärcamps in Afghanistan fotografiert und war der erste, der im Gefangenenlager von Guantanamo Bilder machte. Dort zeigte er den Wohnbereich der Angestellten ebenso wie den Teil, in dem die Gefangenen untergebracht sind. Aber er fotografierte auch Wohnungen ehemaliger Häftlinge. Die Serien sind in der Mannheimer Ausstellung „Terror Incognitus“ zu sehen. In seiner neuesten Arbeit untersucht Clark das System der illegalen Entführungen durch den US-amerikanischen Geheimdienst und die Überführung Betroffener zu so genannten „Black Sites“: geheime und illegale Foltercamps, die in Rumänien oder Litauen lagen. Anhand nüchter- München ner Bildern geht er den psychischen Auswirkungen von Folter und Gefangenschaft auf den Grund. Auch in Syrien, Libyen oder Guantanamo ließen die Geheimdienste die Entführten foltern. Viele von ihnen wurden vom Frankfurter Flughafen ausgeflogen. Das und weitere Hintergründe zeigt Edmund Clark anhand von Dokumenten, Gerichtsprotokollen und Fotos, die historischen Zusammenhänge deutlich machen sollen. Mannheim bis 29. März 2016 Edmund Clark Terror Incognitus Reiss-Engelhorn-Museen/Zephyr Museum Bassermannhaus Kontakt: Tel. 0621-293-3150 www.rem-mannheim.de Schweiz bis 24. April 2016 Faszination Wale – Mensch. Wal. Pazifik. Den Riesen der Meere widmet sich das Übersee-Museum Bremen. Modelle sollen einen Eindruck ihrer Größe vermitteln. Ein lebensgroßes, begehbares Modell eines Blauwalherzens ist ebenfalls zu sehen, während im Hintergrund Walgesänge und andere Meeresgeräusche zu hören sind. Gleichzeitig wirft die Ausstellung einen Blick auf das Verhältnis zwischen Wal und Mensch in verschiedenen Kulturen wie in Japan, Amerika und Neuseeland. Das Augenmerk liegt dabei auf den Mythen und Legenden um die Meeressäuger – und auf dem Schaden, den der Mensch ihnen durch Umweltverschmutzung zufügt. So schlucken Wale immer öfter große und kleine Plastikteile, die in den Ozeanen treiben, und sterben daran. bis 3. April 2016 Farben. Kunst. Indianer Der Münchner Impressionist Julius Seyler (1873–1955) verbrachte die Jahre 1913 und 1914 bei den Blackfeet-Indianern in Nordamerika. Das Museum Fünf Kontinente zeigt seine dort entstandenen Skizzen und Bilder. Sie bilden Gesichter, Reiterkrieger, Prärielandschaften oder Büffeljagden ab. Vieles davon idealisierte Seyler: Die Blackfeet lebten zu dieser Zeit bereits in Reservaten und mussten im Maleratelier posieren. Dennoch haben die Bilder den Anspruch, das Selbstverständnis der Blackfeet widerzuspiegeln. Die Ausstellung kombiniert Gemälde und Fotografien Seylers mit Alltagsgegenständen der Blackfeet-Indianer aus der Nordamerika-Sammlung des Museums. Für Kinder ist ein Indianer-Tipi aufgebaut; eine Filmdokumentation gehört ebenfalls zur Ausstellung. bis 4. September 2016 Anders schön in Panama Das Völkerkundemuseum der Universität Zürich besitzt eine Sammlung von rechteckigen Stoffen aus Panama, die in Zürich erstmals gezeigt wird. Die ethnische Gruppe der Guna aus Panama ist für diese Textilien namens Mola bekannt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist das Mola dort fester Bestandteil der Alltagskleidung; viele Guna-Frauen tragen das Mola als Bluse, Wickelrock, Kopftuch oder Schmuck. Die farbenfrohen Nähstücke sind aber auch auf dem Ethno- und Kunstmarkt beliebt: Eingespannt in Bilderrahmen werden sie als Kunstwerke gehandelt. Neben den Stoffen zeigt die Ausstellung weitere völkerkundliche Gegenstände der Guna und liefert zusätzliche Informationen zu ihrer Geschichte und Kultur. Übersee-Museum Bremen Kontakt: Tel. 0421-160-38-0 www.uebersee-museum.de Museum Fünf Kontinente Kontakt: Tel. 089-210-136-100 www.museum-fuenf-kontinente.de Völkerkundemuseum der Uni Zürich Kontakt: Tel. +41-44-63490-11 www.musethno.uzh.ch Zürich 2-2016 | Verschenken Sie Es lohnt sich! 12-2015/ 5,50 € | 7,80 sFr ichten www.welt-s 1-2016 Deze mbe r/Ja nua Maga Unser Dankeschön: r .org heiten Dumm n ror, alte ige Wahle Neuer Ter fragwürd e Feinde Den iS: len für gegen und sein ber zah Krieg : Die Ge sschluss AfriKA r Frieden ien: De mb lu Ko 5,50 € | 7,80 sFr glo zin für tw ick ba le en uM un d ök lun g en ische zu saM www.welt-sichten Mena rbe .org it 2-2016 febru ar EnErgiE für Afr islA mismus ikA: Solarstrom auf Raten : Mörder zur klim Asc Einsicht brin hut z: Leer gen e Versprec hen aus Paris Mag azin ag r a r . für glo bale ent wicklu in d u st ng und öku Men isch e zus aMM ena rbei t r ie er Tüte e aus d Vitamin 15 15:04:40 Sie machen mit einem -Abonnement jemandem eine Freude – wir bedanken uns dafür mit einem Buch. Sie haben die Wahl: Lernen Sie in „Das Geständnis der Löwin“ die dunklen Geheimnisse einer Dorfgemeinschaft kennen oder begeben Sie sich in dem haitianischen Voodoo-Krimi „Schweinezeiten“ in den Kampf gegen Verbrechen, Korruption und okkulte Mächte. 23.11.20 ag_ws12 -15.indd Umschl 1 sachlich kritisch gründlich se uc he n unsichtbar e killer 1602_Umsc hlagl.indd 1 25.01.2016 13:45:48 Sie schenken Denkanstöße: Im nächsten Heft Flucht und Migration 60 Millionen Menschen sind weltweit auf der Flucht. Nach Europa kommen Vertriebene auf demselben Weg wie Armutsmigranten und lösen heftige Debatten über Obergrenzen und Integration aus. Wie können sinnvolle Regelungen aussehen? Wie verändert der Zuzug die deutsche Gesellschaft? Und warum schicken Familien aus Gambia Söhne und Töchter auf Wanderschaft nach Norden? Algerien analysiert, hinterfragt, erklärt und macht neugierig. Die Zeitschrift bietet Reportagen, Interviews und Berichte über die Länder des Südens und globale Fragen. Jeden Monat direkt ins Haus. Mia Couto Das Geständnis der Löwin Unionsverlag, 2016 280 Seiten Gary Victor Schweinezeiten Unionsverlag, 2016 130 Seiten Der Salafismus gewinnt in dem nordafrikanischen Land immer mehr Anhänger. Noch ist sein politisch ausgerichteter Flügel klein. Wie soll er in Schach gehalten werden? Ihre Bestellmöglichkeiten: Ich bezahle das Geschenkabonnement. Telefon: 069/58098-138 Fax: 069/58098-162 E-Mail: [email protected] Post: Einfach den Coupon ausfüllen und abschicken an: Redaktion „welt-sichten“ Postfach 50 05 50 60394 Frankfurt/Main Ausgabe 4-2016 Bitte schicken Sie die Zeitschrift an: Name, Vorname StraSSe, Hausnummer Postleitzahl, Ort „Das Geständnis der Löwin“ von Mia Couto „Schweinezeiten“ von Gary Victor An diese Adresse erhalte ich meine Buchprämie und die Rechnung: Name, Vorname Ja, ich verschenke ein Jahresabonnement von (12 Ausgaben). Es beginnt mit Ausgabe 3-2016 Es kostet 49,20 Euro inklusive Porto in Deutschland, 62,40 Euro in Europa. 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