Neuö Zürcör Zäitung Freitag, 2. Oktober 2015 FOKUS DER WIRTSCHAFT 29 Negativzinsen hinterlassen tiefe Spuren im Schweizer Hypothekarmarkt Hauptleidtragende sind die Kreditnehmer, aber auch für die Banken sind die Herausforderungen gestiegen Die Negativzinsen haben am Schweizer Hypothekarmarkt viel verändert. Dies gilt vor allem für die Kreditkonditionen, aber bei den Anbietern hat sich ebenfalls einiges getan. Spannend dürfte es auch werden, wenn die Massnahme wieder aufgehoben wird. MICHAEL SCHÄFER Wenn man grosse Hebel umlegt, weiss man häufig nicht im Voraus, welche Konsequenzen dies in allen Facetten haben wird. So dürfte es auch der Schweizerischen Nationalbank (SNB) gegangen sein, als sie im Januar Negativzinsen einführte. Sofort klar war etwa, dass dies den «Anlagenotstand» institutioneller Investoren, aber auch die Probleme der einfachen Sparer nochmals verschärfen und vermutlich auch verlängern würde. Weniger offensichtlich waren wohl die Auswirkungen auf den hiesigen Hypothekarmarkt. Gut ein halbes Jahr nach der Einführung der Negativzinsen zeigt sich aber, dass auch dieser dadurch kräftig durchgeschüttelt wurde. Vertrackte Verteuerungen Die Auswirkungen auf dieses für die Schweizer Wirtschaft und die hiesigen Kreditinstitute wichtige Segment sind mannigfaltig. Sie reichen von Anpassungen bei den Hypothekarkonditionen über neu gemischte Karten bei den Anbietern bis hin zu Auswirkungen auf deren Gewinne. Und nicht immer waren die Entwicklungen intuitiv. Zu den auf den ersten Blick überraschenden Folgen zählt, dass Hypotheken durch die Einführung der Negativzinsen – nach einer kurzen Phase, in der die Banken auf die unbekannte Situation sehr unterschiedlich reagierten – auf breiter Front sogar teurer wurden (vgl. Grafik). Dies liegt daran, dass Banken ihr Hypothekargeschäft zu einem grossen Teil durch Spareinlagen refinanzieren. Vergibt eine Bank beispielsweise eine zehnjährige Hypothek, riskiert sie, dass die kurzfristigen Sätze stark steigen und sie unter Umständen Sparern mehr zahlen muss, als sie für den Immobilienkredit jahrelang erhält. Will sich eine Bank gegen dieses Risiko absichern, kann sie das mit einem sogenannten Swap-Geschäft tun. In einem solchen zahlt sie für eine gewisse Laufzeit einen fixen Zins, der sich am jeweiligen Kapitalmarktsatz orientiert, und erhält einen variablen Zins, der sich am Libor ausrichtet. Durch die Negativzinsen beträgt dieser variable Zins jedoch rund –0,8%, so dass die Bank nicht nur nichts erhält, sondern de facto doppelt zahlt. Davon betroffen sind auch bereits abgeschlossene Absicherungsgeschäfte, so dass sich die Margen des bestehenden Hypothekenportfolios proportional zum Grad der Absicherung geschmälert haben. Damit die Rechnung wenigstens für das Neugeschäft wieder aufgeht, müsste die Bank den Sparern Zinsen in gleicher Höhe belasten, wovon die Institute bisher bei Privatkunden abgesehen haben – institutionelle Kunden werden aber zunehmend zur Kasse gebeten, wenn sie grössere Beträge bei der Bank parkieren. Stattdessen haben die Banken den Weg gewählt, die höheren Absicherungskosten auf die Hypothekarkonditionen aufzuschlagen. Im Regime der Negativzinsen quersubventionieren die Hypothekarkunden somit die Sparer. Umstrittene Praktiken Nochmals teurer als sonst schon wird es für so manchen Bankkunden, der eine Festhypothek vorzeitig auflösen will. Normalerweise belastet der Kreditgeber in diesem Fall den Zins, der bis zur Fäl- Der Schweizer Hypothekarmarkt nach der Einführung von Negativzinsen Banken sind bei langen Laufzeiten weniger kompetitiv Richtkonditionen ausgewählter Anbieter für zehnjährige Festhypotheken, in % Online-Anbieter Bank Versicherung 15. Januar 2015 Hypomat.ch Swissquote Homegate.ch Zürich Versicherung AXA Winterthur Migros - Bank LGT Bank (Schweiz) AG Allianz Suisse Postfinance Zürcher Kantonalbank Raiffeisen Helvetia Versicherungen Swiss Life Zuger Kantonalbank Credit Suisse Glarner Kantonalbank Graubündner Kantonalbank Clientis Zürcher Regionalbank Neue Aargauer Bank Hypothekarbank Lenzburg St. Galler Kantonalbank Generali Versicherung Schwyzer Kantonalbank Basler Kantonalbank Crédit Agricole Fin. (Suisse) Bâloise Bank Soba Coop - Bank Valiant - Bank 0,93 1,02 1,06 1,25 1,33 1,38 1,40 1,42 1,45 1,49 1,50 1,50 1,50 1,51 1,54 1,55 1,55 1,56 1,58 1,60 1,60 1,60 1,63 1,65 1,65 1,70 1,70 1,72 Langfristige Zinsen steigen stärker Durchschnitt aller Anbieter, in % 3 Monate Libor-Hypothek: Festhypothek: 5 Jahre 10 Jahre 4,0 3,5 3,0 2,5 2,0 1,5 1,0 0,5 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 QUELLEN: MONEYPARK, VERMÖGENSPARTNER WINTERTHUR, ZKB ligkeit zu zahlen gewesen wäre, und zieht davon den Betrag ab, den er erhält, wenn er die Kreditsumme für die Restlaufzeit des Vertrags anlegt. Da die relevanten Kapitalmarktsätze bis zu sieben Jahre negativ sind, kommt es de facto zu einem Aufschlag. Wird z. B. eine Hypothek fünf Jahre früher aufgelöst, addiert so manche Bank für jedes dieser Jahre knapp 0,5% zum Hypothekarzins. Diese Praxis ist jedoch umstritten. Zu ihren Gegnern zählt Michael Hartmann vom Finanzdienstleister Money-Park. Da die Kunden auf der einen Seite nicht von den Negativzinsen profitierten – die Banken wenden bei der Berechnung der Hypothekarzinsen mindestens einen Basiszins von null an –, könne es nicht sein, dass ihnen Negativzinsen belastet werden, wenn die Bank eine vorzeitig zurückgezahlte Summe anzulegen hat. Besonders verwerflich sei diese Praxis, wenn ein Institut einen Aufschlag erhebe, selbst aber aufgrund des Freibetrags auf seine bei der SNB parkierten Gelder keine Negativzinsen zahle. Kuriose Konstellationen Verteuert haben sich auch sogenannte Swap-Hypotheken, die mehrheitlich von Unternehmen, teilweise aber auch von Privatpersonen abgeschlossen wurden. Sie sollen wie Festhypotheken fixe Zinssätze bieten, dies aber zu günstigeren Konditionen. Wenn gewünscht, lassen sich bei Swap-Hypotheken deutlich längere Laufzeiten vereinbaren – hier sind ohne weiteres 30 Jahre möglich, während Festhypotheken über 10 Jahre eher unüblich sind und nur Versicherungsgesellschaften vereinzelt Verträge bis zu 25 Jahren anbieten. Schliesslich lassen sie sich leichter und kostengünstiger auf- 28. September 2015 AXA Winterthur Swissquote Hypomat.ch Homegate.ch Zürich Versicherung Crédit Agricole Fin. (Suisse) Swiss Life Migros - Bank Generali Versicherung Postfinance Allianz Suisse LGT Bank (Schweiz) AG Hypothekarbank Lenzburg Graubündner Kantonalbank Valiant - Bank Schwyzer Kantonalbank Zürcher Kantonalbank Raiffeisen Neue Aargauer Bank Clientis Zürcher Regiobank Glarner Kantonalbank Coop - Bank Bâloise Bank Soba Zuger Kantonalbank St. Galler Kantonalbank Basler Kantonalbank Credit Suisse Helvetia Versicherungen 1,59 1,60 1,63 1,64 1,68 1,69 1,70 1,75 1,75 1,80 1,80 1,84 1,85 1,90 1,91 1,91 1,92 1,92 1,92 1,92 1,93 1,93 1,93 1,94 1,95 1,95 1,98 2,16 Kurzer Nachfrageboom bei langen Laufzeiten Anteil an neuen Festhypotheken, in % 2 Jahre 50 5 Jahre 10+ Jahre 40 30 20 10 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 NZZ-Infografik/lea. lösen als Festhypotheken. Allerdings werden auch hier zur Absicherung fixe gegen variable Zinsen getauscht, so dass die Kreditnehmer im Regime der Negativzinsen zusätzliche Kosten von etwa 0,8 Prozentpunkten zu tragen haben. Da die variablen Zinsen im Zeitabstand von wenigen Wochen angepasst werden, hat sich diese Form von Hypotheken nicht nur für Neuabschlüsse, sondern auch für laufende Verträge verteuert. Dass dies grundsätzlich möglich ist, sollte den Kreditnehmern bewusst gewesen sein; allerdings dürfte beim Abschluss der Kredite niemand damit gerechnet haben, dass der Fall eines Tages eintreten wird. Wie die Halbjahresberichte der Schweizer Immobiliengesellschaften gezeigt haben, zählt eine Reihe von ihnen zu den Betroffenen. Immerhin dürften sie aufgrund ihrer Grösse eine gute Position für Nachverhandlungen haben. Zu einer kuriosen Situation ist es zudem bei den Libor-Hypotheken selbst gekommen. Musste man als Kunde früher etwas rechnen, um die Marge der Bank zu ermitteln, ist sie nun für jedermann offensichtlich. Seit Einführung der Negativzinsen entspricht diese nämlich dem Kundensatz. Dies ist so, weil sich bei diesen Krediten der vom Kunden bezahlte Satz aus dem Libor-Zins und der Marge der Bank zusammensetzt. Da die Bank die negativen Zinsen nicht an ihre Kunden weiterreicht, wendet sie einen Basiszins von null an. Offeriert also ein Institut teurere Konditionen als ein anderes, dann hat dies nichts mit der Refinanzierung oder etwaigen Absicherungskosten zu tun – sondern allenfalls mit einer anderen Risikoeinschätzung oder schlicht der Absicht, mehr zu verdienen. Zu spürbaren Verschiebungen hat das Umfeld, das sich verändert hat, aber auch aufseiten der Anbieter geführt. Bereits seit geraumer Zeit haben gestiegene Eigenkapitalanforderungen das langfristige Kapital, insbesondere für Banken, deutlich verteuert. Gerade bei Kreditgebern, bei denen mehrere Einheiten (etwa eine Investmentbank oder das Firmenkundengeschäft) um dieses zunehmend knappe Gut konkurrieren, wird es immer disziplinierter und bewusster eingesetzt. Beobachter wie das Bundesamt für Wohnungswesen stellen fest, dass einzelne Banken aktiv keine langfristigen Festhypotheken mehr anbieten. Dies spiegelt sich auch in den Richtsätzen, die die Banken publizieren. Die Differenz zwischen den günstigsten und den teuersten Anbietern ist nach Einführung der Negativzinsen spürbar gestiegen. Bei den zehnjährigen Festhypotheken haben sich diese Differenzen inzwischen wieder normalisiert (vgl. Grafik), bei den fünfjährigen liegen sie noch immer auf einem erhöhten Niveau. Eine noch grössere Schere als bei den Richtsätzen (manche Banken wie die UBS ziehen es vor, keine solchen zu veröffentlichen) tut sich jedoch bei den tatsächlich offerierten Konditionen auf, weiss Sebastian Angst von der Finanzierungsberatung Pro Ressource. Kürzlich hätten beispielsweise für eine 15-jährige Hypothek mehrere Anbieter Offerten mit Zinssätzen zwischen 1,2% und 2,6% unterbreitet. Wenn eine Bank derart stark abweichende Konditionen wie die zweitgenannte offeriere, lasse sie den Interessenten offen wissen, dass ihr nichts an dem Geschäft liege. Immer wieder komme es auch vor, dass Kreditinstitute auf eine konkrete Anfrage hin keine Offerte machten, was früher undenkbar gewesen sei. sche Gewinnerosion im Zinsgeschäft ist weitgehend ausgeblieben. Während einzelne Institute wie die Luzerner Kantonalbank (LUKB) tatsächlich merkliche Einbussen im Zinsgeschäft meldeten, hat die Mehrheit der Banken im ersten Halbjahr 2015 ein Zinsergebnis rapportiert, das sich gegenüber dem Vorsemester nur wenig verändert hat. Einige schafften es sogar, ihr Zinsergebnis zu verbessern. Dass die Banken mit den Negativzinsen relativ gut leben können, hat mehrere Gründe. Teilweise ist es ihnen gelungen, Ertragsschmälerungen durch höhere Hypothekarvolumen zu kompensieren. Vielerorts dürften die Einbussen aber gar nicht so hoch gewesen sein. Je nach Risikoappetit bzw. verfolgter Strategie sichern die Banken nämlich einen grösseren (wie die LUKB) oder eben einen kleineren Teil des Hypothekarbestandes gegen steigende Zinsen ab, weiss Sebastian Angst. Ebenfalls ein dämpfender Effekt ergibt sich, wenn ein Institut bei Neuabschlüssen den Kunden höhere Absicherungskosten aufbürdet, als tatsächlich mit der jeweiligen Hypothek verbunden sind. Schliesslich versuchen viele Banken seit der Einführung der Negativzinsen vermehrt, höhere Margen durchzusetzen. Dies gilt beim Abschluss neuer Hypotheken, vor allem aber auch bei der Anschlussfinanzierung von auslaufenden Tranchen. Wer heutzutage blauäugig die ihm offerierten Konditionen akzeptiere, werde nicht selten gemolken, so der Tenor der Branchenexperten. Aus Sicht der Kreditnehmer wird neben dem Vergleichen folglich auch das Verhandeln zunehmend wichtiger. Versicherungen im Vorteil Während sich das Gros der Anbieter mit den Negativzinsen relativ gut arrangieren konnte und Versicherungen von der neuen Situation sogar profitieren, zahlen bis heute vor allem die Hypothekarnehmer die Rechnung in der Form von teurer gewordenen Immobilienkrediten. Da der Euro gegenüber dem Franken in jüngster Zeit wieder Boden gutgemacht hat, dürfte eine Verschärfung der Negativzinsen, die eine weitere Verteuerung der Absicherungskosten und damit auch der Hypothekarzinsen bedeuten würde, im Augenblick kein Thema sein. Spannend wird jedoch sein zu sehen, wie die Anbieter reagieren werden, wenn die Negativzinsen teilweise oder sogar ganz aufgehoben werden. In letzterem Fall sollte sich wieder etwa die Konstellation von Mitte Januar ergeben, was u. a. bedeutet, dass die Hypothekarsätze wieder fallen würden. Dies wäre nur dann nicht zu erwarten, wenn sich die Kapitalmarktzinsen zu diesem Zeitpunkt auf einem spürbar höheren Niveau befinden, als es damals der Fall war. So gesehen sind die Hypothekarzinsen nach Ansicht zahlreicher Experten derzeit quasi nach oben gedeckelt. Sie raten denn auch häufig, einen grösseren Teil der Finanzierung mit einer Libor-Hypothek abzudecken, die später je nach Strategie in länger laufende – dann wieder etwas günstigere – Festhypotheken gewechselt werden kann. Diese Empfehlung scheint jedoch nicht allzu viel Gehör zu finden. Kurz nach der Einführung der Negativzinsen haben so viele Kunden auf Festhypotheken mit langen Laufzeiten gesetzt wie nie zuvor (vgl. Grafik). Allerdings rechnet auch so mancher Branchenkenner nicht damit, dass bei einer Aufhebung der Negativzinsen schnell wieder ähnlich tiefe Richtsätze erreicht werden, wie sie Mitte Januar noch galten. Erwartet wird vielmehr, dass zahlreiche Anbieter versuchen werden, die Preise längere Zeit auf einem erhöhten Niveau zu halten und so zumindest temporär ihre Margen zu verbessern. Nutzniesser der Zinssituation sind vor allem Versicherungsgesellschaften. Für sie sind Hypotheken im Gegensatz zu den Banken kein Zinsdifferenz-, sondern ein Anlagegeschäft. Statt sich durch Spargelder zu refinanzieren und gegen einen Zinsanstieg abzusichern, gilt es hier, im Vergleich zu anderen Anlageklassen ansprechende Renditen zu erzielen. In einem Umfeld, in dem zehnjährige Eidgenossen negative Renditen bieten, haben Hypotheken aus dieser Perspektive, auch unter Berücksichtigung von Vertriebs- und Administrationskosten sowie der damit verbundenen Risiken, an Attraktivität gewonnen. So überrascht es nicht, dass Versicherer das Hypothekargeschäft – im Rahmen der durch ihre Anlagestrategie vorgegebenen Limiten – tendenziell forcieren. Allerdings sind die alternativen Anbieter grundsätzlich aufgrund der Struktur ihrer Verbindlichkeiten an langfristigen Geldanlagen interessiert. Bei diesen Laufzeiten offerieren sie günstigere Konditionen als die grosse Mehrheit der Banken. Demgegenüber sind sie bei kürzeren Laufzeiten nur wenig oder gar nicht kompetitiv. Aus Kundensicht bedeutet dies, dass je nach Finanzierungsstrategie (d. h. Aufteilung des Kreditbetrags auf verschiedene Laufzeiten) eine Versicherung oder eine Bank das bessere Angebot liefern kann. Für Hypothekarnehmer ist es folglich in zweierlei Hinsicht wichtiger geworden, konkrete Offerten von mehreren Anbietern einzuholen. Einerseits, weil kein Anbieter für alle Hypothekenformen und Laufzeiten der günstigste ist, und anderseits, weil die unterschriftsreifen Konditionen häufig spürbar von den einsehbaren Sätzen abweichen. Zum Zeitpunkt der Negativzins-Einführung klagten viele Banken, dass dies ihre Ertragslage nochmals verschlechtern werde, da diese im seit Jahren andauernden Tiefzinsumfeld bereits strapaziert sei. Diese Befürchtungen sind jedoch so nicht eingetroffen, eine drasti- Tiefere Hypozinsen möglich
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