NUB Foto: RioPatuca Images – Fotolia Ist das Deutsche Gesundheitswesen innovationsfeindlich? Ergebnisse der aktuellen Umfrage „NUB in der Praxis“ NUB-Entgelte sind ein relevantes Thema. Die Krankenhäuser haben trotz geringer Budgetanteile großes Interesse am Einsatz von innovativen Verfahren, die Kostenträger „halten dagegen“, das BSG scheut sich nicht vor – im Kern – unsinnigen Urteilen („Neue Methoden werden nur bezahlt, wenn sie schon allgemein anerkannter Standard sind“) und der Gesetzgeber bessert – wie so oft – nach. In einer aktuellen Untersuchung wurden Krankenhäuser zu ihrem Umgang mit NIUB Entgelten bei Planung, Verhandlung und Umsetzung befragt. Zusätzlich wurde die Einschätzung der Häuser zu den neuen Regelungen (§137h SGB V) abgefragt. Ines-Maria Diller Fachärztin f. HNO-Heilkunde, Gesundheitsökonomin Geschäftsbereich Unternehmenscontrolling Charité - Universitätsmedizin, Berlin 82 I KU Gesundheitsmanagement 10/2015 I n Deutschland gibt es seit 2005 mit dem §6 Abs. 2 KHEntgG – dem so genannten „NUB-Verfahren“ (von: Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden) – ein praktikables Instrument, um neue Methoden, bis sie im DRG-System angekommen sind, zu vergüten. Dabei stellen Krankenhäuser einen „individuellen“ Antrag an das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK). Einsendeschluss ist jeweils der 31. Oktober und am 31. Januar des Folgejahres veröffentlicht das InEK die Ergebnisse. Dies bedeutete, dass jedem Antrag durch das InEK ein Status erteilt wird. Claudia Reiß Junior Consultant Dr. Wilke GmbH – inspiring-health München * Status 1: „die Methode erfüllt die Voraussetzungen gem. §6, Abs. 2“ und ein Entgelt kann verhandelt werden. * Status 2: die Kriterien sind nicht erfüllt und es kann kein Entgelt verhandelt werden. * Status 3: die Anfrage konnte im InEK nicht zeitgerecht bearbeitet werden – bisher nur im Jahr 2005 vorgekommen. * Status 4: die Angaben im Antrag sind nicht vollständig nachvollziehbar. Die Vertragsparteien vor Ort können aber hier ein Entgelt verhandeln. Nach Aussagen vieler Verantwortlicher im Krankenhaus zeigt sich, dass die Prozesse der Bean- Dr. med. Michael Wilke Geschäftsführender Gesellschafter Dr. Wilke GmbH – inspiring-health München tragung, Verhandlung und Abrechnung von NUB-Entgelten jede Menge Tücken und Fallstricke aufweisen. 20 Nicht leicht zu verhandeln Auch ohne Jurist zu sein, wird jedem Leser klar, dass es sich hier um eine widersprüchliche Situation handelt: Was „neu“ ist, kann kaum „allgemein anerkannt“ sein. Mit der neuen Gesetzgebung im VSG reagiert der Gesetzgeber in Teilen auf die aktuelle Rechtsprechung. Es sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, Evidenz zu generieren und so sicherzustellen, dass nur Methoden finanziert werden, zu denen ausreichende klinische Nutzenbelege vorliegen. Der G-BA entscheidet ab 2016 Ab 2016 muss jedes Medizinprodukt der Klassen IIb und III (invasive oder chirurgisch-invasive Produkte zum Verbleib im Körper, Produkte, die aktiv Energie oder Strahlung abgeben, inaktive, aktive sowie medikamentenfreisetzende Implantate) neben der ökonomischen Bewertung beim InEK auch eine klinische „Frühe Nutzenbewertung“ beim G-BA durchlaufen. Der G-BA entscheidet dann, ob eine Studie zur Ermittlung des klinischen Nutzens durchgeführt werden muss oder, ob die vorliegende Evidenz bereits als ausreichend erachtet wird. Die aktuelle Praxis, viele gefühlte Hürden, sowie die neuen Herausforderungen in der Innovationsfinanzierung hat das gesundheitsökonomische Institut inspiring-health zum Anlass genommen, eine Umfrage durchzuführen. 0 unwichtig sehr wichtig Abb. 1: Stellenwert des Supports durch eine Fachgesellschaft, mehrheitlich wichtig – sehr wichtig. Versorgungsstufe ∑ NUB-Anträge für 2015 Universitätsklinik 1.297 Maximalversorger Schwerpunktversorger Status 1 erfolgreich verhandelt ∑ % ∑ % 591 46% 416 70% 745 277 37% 234 84% 340 204 60% 179 88% Fachklinik 147 62 42% 49 79% Grund- & Regelversorger 75 51 68% 40 78% Gesamtergebnis 2.604 1.185 46% 918 77% NUB Auch NUBs im Status 1 sind nicht leicht zu verhandeln. Die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im Mai und Dezember 2013 interpretieren die Kassen dahingehend, dass auch neue Methoden nur dann vergütet werden, wenn sie „allgemein anerkannter Standards des medizinischen Wissens“ sind. Tab. 1: Anzahl Anträge, Status 1 und erfolgreiche Verhandlungen (in % der Status 1-Anträge). Im Zeitraum April-Juni 2015 wurde eine Umfrage durchgeführt, die an insgesamt 204 Krankenhäuser verschickt wurde. Von 72 Rückläufern konnten 50 ausgewertet werden. Wichtigkeit von NUBs NUB ist – nach wie vor – für die Krankenhäuser bedeutsam. Dies zeigen zum einen der hohe Rücklauf der durchgeführten Umfrage und zum anderen, die überwiegend gute Beantwortung der Fragen. reren Fragen wurde allerdings deutlich, dass der Support der Fachgesellschaften für die Befragten von erheblicher Bedeutung ist (siehe Abbildung 1). Daher ist es nicht verwunderlich, dass die Mehrheit der Befragten die Vorlagen für NUB-Anträge am liebsten von der Fachgesellschaft (81,3 %), gefolgt von Klinikern (56,3 %), Vertriebsmitarbeitern des Herstellers (50,0 %) und weniger von Beratern (16,7 %) erhalten würden. Obwohl NUB mit mehrheitlich 0,2-1% nur einen kleinen Anteil des Budgets ausmacht, ist das Thema für die Krankenhäuser wichtig. Es zeigt sich, dass sich die Krankenhäuser sorgfältig vorbereiten, seriöse Anträge stellen und das Thema ernst nehmen. Die Verteilung der Antworten nach Versorgungsstufen legt nahe, dass NUB in Krankenhäusern der Maximalversorgung und in Universitätskliniken eine größere Rolle spielt. Verhandlungserfolg Antragsverfahren Anders als bei OPS- oder DRG(Änderungs-)Anträgen, müssen NUB-Anträge nicht durch die Fachgesellschaft eingereicht oder unterstützt werden. In meh- Von den beantragten NUBs erhielten 46 % einen Status 1. Allerdings sind erhebliche Unterschiede zwischen den Versorgungsstufen zu erkennen. So werden von Universitätskliniken deutlich mehr NUB-Anträge gestellt als von Grund- und Regelversorgern. Kleinere Häuser scheinen selektiver in ihren Anträgen zu sein, KU Gesundheitsmanagement 10/2015 I 83 Unterstützung, Engagement/ Priorität der Klinik Für die Methode war im Vorjahr bereits ein Entgelt verhandelt. Die Leistung wurde dieses Jahr bereits erbracht. Strategische Bedeutung der Methode, z. B. neues wichtiges Feld, bereits hohe Erlöse 7,00 7,50 8,00 8,50 9,00 9,50 NUB Abbildung 2: Prioritäten bei der NUB-Verhandlung (X-Achse: mittlere Wichtigkeit auf einer Skala von 0-10). Der Preis ist höher als in einem anderen Bundesland, Krankenhaus Diese Therapie ist noch kein allgemein anerkannter Standard! Diese Therapie ist „experimentell“ und darf nur im Rahmen von Studien erbracht werden! „Diese Therapie soll nur in speziellen Zentren erbracht werden!“ 0,00 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 6,00 7,00 8,00 9,00 Abbildung 3: Argumente der Kostenträger (X-Achse: mittlere Wichtigkeit auf einer Skala von 0-10). Umfrage (Jahr) Anteil NUB Status 1 Davon: Anteil erfolgreich verhandelter Entgelte DKI (2007) 43,6% 53% NUB in der Praxis (2015) 46% 77% Tabelle 2: Ergebnisvergleich aktuelle Umfrage mit DKI 2007 bei ihnen erreichen 68 % der Anträge den Status 1 (Siehe Tabelle 1). In den Verhandlungen mit den Kostenträgern sind die Schwerpunktversorger, mit 88 % erfolgreich verhandelten NUB-Entgelten, die Spitzenreiter. Im Gesamtergebnis konnte für 77 % der NUBs mit Status 1 ein Preis verhandelt werden (siehe Tabelle 1). Seit 2009 gibt es die Möglichkeit (§6, Abs. 2 KHEntgG), NUB Entgelte getrennt vom übrigen KHBudget zu verhandeln, um die – ohnehin komplexen – Verhandlungen mit den Kostenträgern zu entzerren. 84 I KU Gesundheitsmanagement 10/2015 Da NUB-Entgelte als einjährige Entgelte jedes Jahr neu krankenhausindividuell verhandelt werden müssen, stellt eine frühe Verhandlung auch eine frühe Abrechnung sicher. 57,1 % der Teilnehmer verhandeln NUB-Entgelte gesondert. Bereits 47,8 % der Befragten hatten bis Anfang Juni 2015 mit den Kostenträgern verhandelt. Verhandlungen von NUB-Entgelten steigen Laut InEK können Entgelte für NUBs mit Status 4 „im Einzelfall“ verhandelt werden. Für etwas mehr als die Hälfte der Befragten war dies in der letzten Verhandlung relevant. 11 % davon waren erfolgreich. Dies zeigt, dass die Verhandlung von Entgelten zu NUBs im Status 4 – entgegen mancher Vermutungen – möglich ist, dies aber nur sehr selten gelingt. Im Vergleich zu den Ergebnissen des Krankenhaus Barometers 2007 des DKI lässt sich klar zeigen, dass der Anteil der Verhandlungen von NUB-Entgelten auf der Basis von NUB-Anfragen im Status 1 gestiegen ist, wie der Tabelle 2 zu entnehmen ist. Prioritäten bei der Verhandlung (seitens der Krankenhäuser) Eine Methode um bei Verhandlungen erfolgreicher zu sein, ist die Priorisierung der NUBs. Gerade in Häusern mit vielen NUBAnträgen im Status 1 kommt der Priorisierung eine hohe Bedeutung zu. 67,4 % aller Befragten priorisieren bei den NUB Verhandlungen, das heißt sie verzichten zu Gunsten von wichtigen auf weniger wichtige NUBs (siehe Abbildung 2). Argumente der Kostenträger in den Verhandlungen Die Kostenträger lassen – glaubt man der Umfrage – nichts unversucht, Entgeltvereinbarungen für NUB-Leistungen zu vermeiden. In Abbildung 3 sind die häufigsten Argumente der Kostenträger Neue Regelung §137h SGB V Mit dem neuen §137h SGB V im VSG ergeben sich erhebliche Veränderungen bei der Beantragung und Umsetzung des NUB-Verfahrens. Für alle Medizinprodukte der Risikoklassen IIb und III müssen neben dem NUB-Antrag beim InEK bei erstmaliger Beantragung, auch noch Unterlagen zur klinischen Wirksamkeit beziehungsweise Studienlage beim GBA eingereicht werden. Der G-BA entscheidet dann zwischen drei Varianten: 1. „Methode mit Potential“ ABER zu wenig Evidenz Erprobungsregelung gem. §137e SGB V * Zentren, die an der Studie teilnehmen, ist die Vergütung garantiert. * Andere Zentren erhalten eine Vergütung, wenn ein Entgelt vereinbart ist und die Qualitätskriterien erfüllt sind. 2. Bereits AUSREICHENDE Evidenz. * ALLE Häuser können die Methode NACH den Entgeltverhandlungen einsetzen. 3. KEINE ausreichende Evidenz und KEIN Potential. * Keine Vergütung in Deutschland. * Ob eine Wiederholung möglich ist, ist noch fraglich. Obwohl das neue Verfahren in seinem ganzen Umfang noch wenig bekannt ist, rechnen die Teilnehmer mehrheitlich mit einem Rückgang der NUB-Anträge durch diese weitere Hürde der Innovationsfinanzierung. Große Unsicherheit Insgesamt ist eine große Unsicherheit bezüglich §137h zu erkennen, da noch sehr wenig über den Prozess, insbesondere die Vergütung während der Erprobungsregelung, bekannt ist. Auf die Frage „wie gut kennen Sie die neuen Regelungen des §137h?“ geben die Teilnehmer auf einer Skala von 0-10 (gar nicht – sehr gut) im Mittel 5,4 (Median 4) an. Ein Befragter schlägt expressis verbis vor, dass sich InEK, G-BA und Unternehmen mit den NUBs auseinandersetzen sollen und man nicht den Krankenhäuser zumuten solle, neben dem NUBAntrag jetzt auch noch ein medizinisches Dossier anzufertigen und einen separaten Antrag beim G-BA zu stellen. Fazit Die aktuelle Umfrage „NUB in der Praxis“ gibt also keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob Deutschland – insbesondere das Gesundheitssystem – innovationsfeindlich ist. Häuser selektieren ihre Anträge sorgfältig (Unterstützung der Fachgesellschaften für eine neue Methode ist ihnen sehr wichtig), priorisieren bei den Verhandlungen und die Kostenträger bringen immer neue Argumente, um Preise zu drücken oder Entgelte zu „vermeiden“. NUB in Verhandlungen (50 Antworten) zu finden. Trotzdem erzielen die Häuser heute mehr Entgeltabschlüsse als noch im Jahr 2007. $ Dr. med. Michael Wilke Claudia Reiß Dr. Wilke GmbH – inspiring-health Waldmeisterstr. 72 80935 München [email protected] Ines-Maria Diller Charité - Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1 10117 Berlin [email protected] Fachbeirat. Dipl. Kfm. Peter Asché Vizepräsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands e. V. (VKD), Kaufmännischer Direktor der Uniklinik RWTH Aachen Ralf Heyder Generalsekretär Verband der Universitätsklinika Deutschlands e.V. (VUD) Dr. med. Erwin Horndasch Prof. Dr. med. Andreas Becker Institut Prof. Dr. Becker, Rösrath Dipl. Kfm. Wilhelm Brokfeld Stellvertretender Vorsitzender der Fachgruppe Rehabilitationseinrichtungen im VKD, Verwaltungsdirektor der Klinik Münsterland Xaver Frauenknecht MBA Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Medizincontrolling (DGfM) Leiter Medizincontrolling, Stadtkrankenhaus Schwabach gGmbH Prof. Dr. Björn Maier Horst A. Jeschke Prof. Dr. Volker Penter Geschäftsführer Rotkreuzklinik München und Wertheim der Schwesternschaft München vom BRK e. V. Partner und Leiter des Bereichs Health Care, KPMG AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Heinz Kölking Vorsitzender des Deutschen Vereins für Krankenhaus-Controlling e. V. Dipl.-Volkswirtin Brigitte Scharmach Vorsitzender des Vorstandes Sozialstiftung Bamberg Residenz-Gruppe Bremen, Präsident der Europäischen Vereinigung der Krankenhausdirektoren (EVKD) Dipl.-Ing. Ök. Wolfgang Gagzow Dr. Nicolas Krämer Dr. Christian Stoffers Geschäftsführer der Krankenhaushausgesellschaft Mecklenburg-Vorpommern e. V., Schwerin Kfm. Geschäftsführer Städtische Kliniken Neuss Lukaskrankenhaus GmbH Leitung Referat Kommunikation und Marketing, St. Marien-Krankenhaus Siegen gem. GmbH Geschäftsführerin JohanniterKrankenhaus im Fläming gGmbH KU Gesundheitsmanagement 10/2015 I 85
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