Beuys - KunstVoll

F8
F8
MITTENDRIN
Frankfurter Rundschau
A
Robert Funcke neben einem Porträt von Andy Warhol in seinem Projektraum in Neu-Isenburg.
Beuys singt im Wahlkampf mit
BAP und Ina Deter.
ls Joseph Beuys 1979 seine heitere Komposition
von Hase und Spielzeugsoldat für ein Wahlplakat der Grünen hergab, war Robert Funcke 17
Jahre alt und hatte mit Kunst und
den politischen Auseinandersetzungen, die das Land bewegten,
rein gar nichts im Sinn. Ein Jugendlicher aus gutem Hause, konservativ wie der Vater, der als Architekt arbeitete. Funcke machte
sein Abitur, ging zwei Jahre zur
Bundeswehr und schloss eine Lehre als Industriekaufmann an. „Ich
wollte schnell Geld verdienen“,
sagt er. An Widerstand und revolutionären Umtrieben war er nicht
sonderlich interessiert, auch nicht,
als es kurze Zeit später an der
Startbahn West hoch her ging, von
der Funcke gedanklich meilenweit
weg war, obwohl er quasi um die
Ecke in Neu-Isenburg aufgewachsen war. Es gab zwar ein paar Aktivisten in der Klasse seines Gymnasiums, aber die nervten ihn. Und
Beuys, der große deutsche Künstler, war für den ehrgeizigen jungen Mann damals eher ein Spinner. Filz, Fett, Hasenfell und jeder
Mensch ein Künstler, „das fand ich
alles abgedreht“, sagt er.
35 Jahre später hat Robert Funcke einen neuen Weg eingeschlagen. Vor sechs Jahren verkaufte er
finanziell sehr erfolgreich seine eigene Fabrik und wurde Kunstsammler. Ein Grüner ist er deswegen bis heute nicht geworden, doch
die Gründungsjahre der Partei, die
inzwischen überall Regierungsmitverantwortung trägt, sagt er, würde
er mit dem Wissen von heute gern
nochmal miterleben. Das Verhältnis
von Politik und Kunst, von Beuys zu
seinem amerikanischen Pop-ArtKollegen Andy Warhol, der ebenfalls zu einem Grünen-Wahlkampfplakat überredet wurde, findet er
spannend. „Für mich ist Wahlkampf
Kunst“, hatte Beuys damals gesagt,
den Satz findet Funcke auch heute
noch bedenkenswert.
Rund um die beiden Künstlerlegenden hat er daher eine kleine
Ausstellung “… und das Wort war
Grün“ in seinem Projektraum in
Neu-Isenburg zusammengestellt.
Gerne hätte Funcke zum 35-jährigen Bestehen der Grünen noch
mehr Parteigeschichte hineingepackt. Doch wo er auch angeklopft
habe, sagt er, ob bei Landesverbänden, der Grünen-nahen HeinrichBöll-Stiftung oder der Hessischen
Staatskanzlei – „es gab kein Interesse, sich mit diesem Teil der Gründungsgeschichte zu beschäftigen“.
Nur die Grünen in Neu-Isenburg
hätten angekündigt, zu der Schau
zu kommen.
Zu sehen gibt es die legendären
Plakate mit dem Motiv „Der Unbesiegbare“. Abgebildet ist eine Kleinplastik von Beuys aus dem Jahr
1963, die heute im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt steht: Ein
kaum fingernagelgroßer Spielzeugsoldat zielt auf einen Knethasen,
auf dem Plakat steht darüber der
Schriftzug „Bei dieser Wahl: die
Grünen“.
Der Hamburger Galerist Siegfried Sander, ehemaliger Mitarbeiter von Joseph Beuys, hat damals
beim Druck mitgeholfen. Als junger
Mann nahm er an einem Gymnasium in Gelsenkirchen an der KunstAG „Fluxus Zone West“ teil. Geleitet
wurde sie vom Beuys-Meisterschüler Johannes Stüttgen, der Plakate
für die Grünen entworfen hatte.
Sander erinnert sich in einem Begleittext zu der Ausstellung, wie damals gearbeitet wurde. Die Schüler
lernten in einem Crash-Kurs, Material für den Straßenwahlkampf von
Hand zu drucken. Die Qualität an
Dienstag, 23. Juni 2015
71. Jahrgang
Nr. 142
Dienstag, 23. Juni 2015
71. Jahrgang
Nr. 142
Beuys im
Wahlkampf
Der Sammler Robert Funcke blickt
auf grüne Wurzeln zurück
und zeigt Künstler, die 1980 um
Stimmen für die junge Partei warben.
Von Regine Seipel (Text)
und Renate Hoyer (Fotos)
der einfachen Siebdruckanlage war
schlecht, schildert Sander. Doch die
Unperfektheit sei ganz im Sinne des
Künstlers gewesen. Beuys, den sie
um Rat fragten, fand die schlechte
Druckqualität wunderbar und signierte 30 Exemplare, wohl wissend,
dass sich damit später einmal Geld
verdienen lassen würde. Ein Plakat
in der Schau, das die Unterschrift
des Meisters trägt, kostet heute
3500 Euro. Daneben hängen unsignierte Drucke in verschiedensten
Farben, ohne Unterschrift kosten
sie nur 1300 Euro und könnten
manchen Nostalgiker in Versuchung führen.
Beuys fand die
schlechte Druckqualität der Plakate
wunderbar und
signierte 30
Exemplare davon.
Galerist Sander hat auch eine amüsante Erklärung für die Buntheit
der Schriftzüge parat: „Das kam natürlich auch in erster Linie durch
unsere Geldknappheit. Wenn wir
merkten, dass die grüne Farbe für
die bestellte Auflage nicht reichte,
haben wir sie mit den Farben gestreckt, die noch da waren, also
zum Beispiel Gelb oder Blau. Reichte das immer noch nicht, wurde genommen, was da war. Damals wurde aber auch noch mit Farben gearbeitet, die starke Lösungsmittel enthielten. Hatte man, wie wir, keine
gute Entlüftung, geriet man nach
kurzer Zeit in eine Art Rausch, wurde regelrecht high und kam dann
auf die blödsinnigsten Ideen. So
gibt es Schriftzüge in fast allen
möglichen und unmöglichen Farben.“
Solche Schilderungen, aber auch
die alten Zeitungsartikel, in denen
Beuys seinen Begriff der sozialen
Plastik erläutert und verkündet,
dass er in wenigen Jahren den Kapitalismus abschaffen werde, machen
den Reiz der Ausstellung aus.
Zum Schmunzeln auch eine Aufzeichnung des Wahlkampfliedes
„Sonne statt Reagan“, in dem sich
Beuys als Popsänger ausprobierte
und zusammen mit Musikern von
BAP und der Sängerin Ina Deter gegen die US-amerikanische Aufrüstung ansang – bei Fernsehauftritten
und auf Kundgebungen von Großdemos der Friedensbewegung. Die
Schallplatte davon, rot übermalt
und von Beuys signiert, kostet heute 11 200 Euro.
Zentraler Blickfang jedoch ist
der Beuys-Kopf als Siebdruck von
Andy Warhol, Leihgabe einer Kölner Galerie. Die anderen Arbeiten,
auch die Original-Grafik „Andy
Warhol für die Grünen“, stammen
aus Funckes Sammlung, die er in
den vergangenen 15 Jahren aufgebaut hat. Das Interesse für Kunst,
sagt der Sammler, entwickelte sich
bei ihm etwa seit der Jahrtausendwende. Ein kunstsinniger Arbeitskollege brachte ihn auf den Geschmack, nahm ihn auf Messen mit,
und Funcke kniete sich ins Thema
rein. Er hatte schon vorher gelegentlich Bilder von Urlauben mitgebracht, und mit dem beruflichen
Erfolg wuchsen auch die Möglichkeiten, gute Kunst zu kaufen.
Was das ist, darüber können
nicht nur Experten lange streiten.
Robert Funcke, der mit seiner
Kunstagentur auch Laien beispielsweise bei Nachlässen berät, sagt, er
habe „ein gutes Auge“. Sie muss irgendetwas mit ihm machen, Emotionen oder Gedanken auslösen,
sagt er. Zusätzlich gefallen muss sie
ihm, wenn er sie kaufen soll, besonders, wenn der Marktwert noch ungewiss ist. Denn auch wenn Kunst
derzeit eine gute Geldanlage sei,
sagt der Sammler, weiß keiner, ob
ein Maler, den man für vielversprechend hält, in einigen Jahren an
Wert gewinnt. „Wenn mir die Arbeit
gefällt“, sagt er, „kann ich sie wenigstens an die Wand hängen.“ Sein
Haus in Neu-Isenburg, das er als
Patchworkfamilie mit neuer Lebensgefährtin und vier halbwüchsigen Kindern bewohnt, ist extra so
gebaut, dass es viele Wände hat,
und die unter Putz gelegten Galerieleisten ermöglichen problemlo-
MITTENDRIN
Frankfurter Rundschau
ses Auf- und Abhängen wechselnder Werke.
Eigentlich sollte die Sammlung
bald in seiner privaten Kunsthalle
in Neu-Isenburg zu sehen sein. Funcke hatte für das Projekt schon ein
Grundstück gekauft und Entwürfe
für ein Ensemble mit Ausstellungsfläche, Wohnungen, Weinbistro
und Zigarrenbar in Auftrag gegeben. Doch die Planung zog sich hin,
Mieter wollten nicht ausziehen,
jetzt hat er die Kunsthalle zu den
Akten gelegt. „Geduld ist nicht
mein zweiter Vorname“, sagt Funcke. Bei dieser Entscheidung habe
er auf sein Bauchgefühl gehört.
„Wenn eine Sache schon zu Anfang
nicht vorwärts geht, gibt es auch
später Probleme“, sagt er.
Den Projektraum an der Frankfurter Straße, der als Übergangslösung gedacht war, werde er daher
wohl 2016 schließen. Seine Tatkraft soll jetzt in andere Projekte
fließen: Zwei große Ausstellungen
mit Kunst aus Lateinamerika hat er
in diesem Jahr in Frankfurt geplant.
Die ist einer seiner Sammlungsschwerpunkte, und wenn er von
seinen Reisen nach Kuba, Mexiko
und Kolumbien erzählt, von der faszinierenden narrativen Kraft der
Werke und von den Gesprächen mit
den Künstlern, spricht er schneller,
reißt mit seiner Begeisterung mit
und klingt bestimmt. „Kuba“, sagt
er, „wird kommen.“ Und da verbindet sich die Leidenschaft mit dem
Geschäft. Er sei an einer drei Meter
großen Gesichtsskulptur von Fidel
Castro dran, die der Kubaner Yoan
Capote aus 3000 Scharnieren von
abgerissenen Türen zusammengesetzt hat. Derzeit wird sie in New
York gezeigt. „Die würde ich gern
kaufen“, sagt er; „wenn sich Kuba
öffnet, wird es mehr Ausstellungen
mit kubanischer Kunst geben. Diese
Arbeit mit diesem Hintergrund lässt
sich in zehn Jahren für das Zehnfache verkaufen.“
Mit der Beuys-Warhol-GrünenSchau könne er dagegen kein Geld
verdienen. Er freut sich, wenn das
Stammpublikum und vielleicht einige neue Gesichter kommen, dafür
sitzt er während der Öffnungszeiten im Projektraum und steht für
Fragen zur Verfügung. „Am Laptop
arbeiten kann ich auch hier“, sagt
Funcke. Der 51-Jährige hofft auf rege Diskussionen, ob über den Weg
der Grünen, ihr Selbstverständnis
als Partei oder aktuelle Fragen zum
Verhältnis von Politik und Kunst.
Gern würde der Sammler zum Beispiel mal mit Gregor Gysi erörtern,
ob es erlaubt ist, Kunstwerke aus
Staatsbesitz zu verkaufen und mit
dem Geld soziale Wohltaten zu ermöglichen. „Ich finde nein“, sagt er,
„aber seine Meinung würde mich
interessieren.“ Dass die Schau anregen soll, sich Gedanken zu machen,
sei keine Frage von Idealismus. „Ich
bin kein Gutmensch“, sagt er, „die
Sache macht mir einfach Spaß.“
Jeder ein
Künstler
Joseph Beuys wollte
die Welt neu gestalten
J
Das signierte Cover der Schallplatte „Sonne statt Reagan“.
KUNSTVOLL
Kunstvoll ist eine Plattform, die Dienstleistungen rund um Kunst anbietet und
im Projektraum in Neu-Isenburg, Frankfurter Straße 47, Ausstellungen organisiert. Geschäftsführer ist der Kunstsammler Robert Funcke.
Zum Angebot gehören unter anderem
Beratung beim Kunstkauf oder bei Nachlässen, die Organisation von Art-Events
oder auch die Vermittlung von temporären Ausstellungen für leerstehende
Immobilien.
Die aktuelle Ausstellung “... und das
Wort war Grün“, ist noch bis zum 11. Juli
zu sehen, montags bis samstags von 15
bis 19 Uhr. res
F9
Eine Kleinplastik von Beuys diente als Plakatmotiv.
oseph Beuys wurde mit seinem
erweiterten Kunstbegriff und
seinem Konzept der „Sozialen Plastik“ bekannt, unter dem er kreative
Beteiligung aller Menschen an Politik und Gesellschaft verstand. Am
12. Mai 1921 in Krefeld geboren
und in einem Dorf bei Kleve aufgewachsen, meldete er sich 1941 zur
Luftwaffe. 1944 überlebte Beuys
einen Flugzeugabsturz, aus der
Nachgeschichte, nach der der Verletzte angeblich von Krimtartaren
gepflegt wurde, leitete man später
seine Vorliebe für Fett und Filz ab.
1946 begann Beuys ein Studium
der Monumentalbildhauerei an der
staatlichen Kunstakademie in Düsseldorf, an der er 1961 Professor
wurde und mit Fluxus-Aktionen
von sich reden machte. Geprägt
von den Schriften des Anthroposophen Rudolf Steiner, suchte er
nach einem umfassenden Kunstbegriff, mit dem er gesellschaftliche
Strukturen verändern wollte.
Weil Beuys als Lehrer gemäß
dem Postulat, dass jeder Mensch
ein Künstler sei, Zulassungsbeschränkungen ablehnte und alle
Studenten annahm, wurde er 1972
entlassen.
Die
Schüler reagierKunst fürs
ten mit Hungergroße
streik,
VorlePublikum
sungsboykott,
Protesten. Beuys
führte einen jahrelangen Prozess,
am Ende wurde das Arbeitsverhältnis aufgelöst, Beuys behielt den
Professorentitel und das Atelier.
Auf dem Kunstmarkt erzielte
Beuys seit Mitte der 60er Jahre zunehmend Erfolge, war regelmäßig
auf der Documenta in Kassel und
in internationalen Ausstellungen
vertreten. Seine medienwirksamen
Auftritte und Aktionen waren oft
umstritten, manche sahen in dem
Mann mit dem Filzhut einen Scharlatan, andere verehrten ihn als den
Leonardo da Vinci der Gegenwart.
Zu
seinem
umfangreichen
künstlerischen
Werk
gehören
Zeichnungen, Aktionen wie etwa
die Kasseler Stadtverwaldungsaktion „7000 Eichen“, Happenings,
Rauminstallationen wie „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“
und Multiples, also Kunstobjekte,
die in begrenzter Auflage hergestellt wurden und ein größeres Publikum erreichen sollten.
Gestalterisches und politisches
Handeln gehörte für ihn zusammen. Beuys gründete 1967, kurz
nach dem Tod des Studenten Benno Ohnesorg, die Deutsche Studentenpartei (DSP), später die „Organisation für direkte Demokratie
durch Volkssabstimmung“ und die
Free
International
University
(FIU), bei der es um eine grundlegende Erneuerung des Bildungswesens ging. 1976 ging er in die
Politik und kandidierte 1979 für
das Europaparlament als Direktkandidat für „Die Grünen“. 1980
war er bei der Gründung der Bundespartei dabei. Beuys gestaltete
Plakate und organisierte eine
Wahlkampf-Kampagne, 1982 trat
er bei Veranstaltungen der Friedensbewegung auf. Seine politischen Vorstellungen konnte er bei
den Grünen jedoch nicht durchsetzen. Ein Jahr später zog er sich aus
der aktiven Mitarbeit bei den Grünen zurück, blieb jedoch bis zu seinem Tod 1986 Parteimitglied. res