Kurt-Hackenberg-Preis 2015 Laudatio für den Preisträger: „Angst – oder wie Walter zum Attentäter wurde“ von Manuel Moser und Katja Winke c.t.201 und studiobühneköln, Inszenierung: Manuel Moser „Etwas muss passieren. Ein Knall.“ Denn so, da ist sich Walter sicher, kann es nicht weitergehen. Kein Halt nirgends: Ordnung, Höflichkeit, Respekt, Disziplin und Pflichtbewusstsein scheinen aus der Mode gekommen. Um die Sekundärtugenden ist es nicht gut bestellt in diesen Tagen. Daher hat die Angst sich eingenistet in der bürgerlichen Mitte. Die Koproduktion von c.t. 201 und studiobühneköln „Angst – oder wie Walter zum Attentäter wurde“ seziert die Symptome tiefer Verunsicherung angesichts einer als bedrohlich empfundenen Unübersichtlichkeit in einer globalisierten Welt. In der Regie von Manuel Moser entfaltet sich eine Soziologie der Radikalisierung, wie sie sich gegenwärtig in der deutschen Gesellschaft auszubreiten droht. Die tagespolitische Herausforderung, sich künstlerisch mit den oftmals so zorngetränkten Sorgen der Mittelschicht auseinander zu setzen, haben Moser und sein Team angenommen und in eine Form gebracht, die ironischen Kommentar und politisches Feuilleton fein ausbalanciert. Dass die lange geplante Produktion dabei auf so bestürzende Weise auf die Wirklichkeit verweist, ist ein schrecklicher Zufall, dennoch ist „Angst“ ein Theaterabend, der sich zur richtigen Zeit einmischt. Einmischt in die Debatte über Migration und Integration, die zugleich eine Debatte über das Deutschsein ist. Moser und seine Co-Autorin Katja Winke verlängern die gesellschaftliche Auseinandersetzung über die Möglichkeiten des Zusammenlebens von Generationen, Nationen und Religionen in den Raum des Performativen. Dazu holen sie einen Bürgerchor auf die Bühne, der zugleich Resonanzboden und Widerpart für Walters konservative Weltbetrachtung ist. Der sehr präzise agierende Chor aus Laien verschiedener Altersstufen zeigt auf herausragende Weise, wie kulturelle Partizipation funktionieren kann. Singend, rezitierend, Auskunft gebend und als klug im Theaterraum platziertes ‚Stand-in’ für ‚die Gesellschaft’ verkörpert der Chor ein deutsches Grundrauschen aus Ansichten, Ängsten und einem Das-wird-man-doch-noch-mal-sagen-dürfen. In Walters Familie hingegen herrscht entweder Streit oder betretenes Schweigen. Die Ehefrau lebt im Schrank, der Tochter geht es nicht gut und der Sohn schämt sich für seinen reaktionären Vater. So bleibt Walter nichts anderes übrig, als sich mit seiner Rede wider die politischen Zumutungen des Alltags an das Publikum zu wenden: immer wieder wird die Bühne in den Zuschauerraum geöffnet. Schon klar, wir alle sind gemeint. So wirklich unsympathisch ist er ja auch nicht, dieser Walter. Es ist das große Verdienst des Schauspielers Gerhard Roiß, dass die Figur niemals eindimensional gerät oder in die Karikatur abrutscht. Roiß fühlt sich in Walters Traumatisierungen so überzeugend ein, dass das Porträt eines Jedermanns entsteht. Eines Jedermanns, der alles tun würde, seine kleine Welt zu retten. Und genau an diesem Punkt ist das Publikum aufgefordert, sich zu verhalten. Stellung zu beziehen gegenüber den scheinbaren Argumenten und Walter aufzuhalten auf seinem Weg. Ein Weg, auf dem Rechtspopulisten und –extremisten bereits warten. Wenn Theater es schafft, diese Zusammenhänge zu thematisieren, dann ist das nicht eben wenig und den Kurt-HackenbergPreis wert! Sandra Nuy für die Jury des Kurt-Hackenberg-Preises
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