22 | 28. Jänner 2016 • NR. 4RAIFFEISENZEITUNG LEBEN Zwei Personen braucht es schon, um die Seiten der zwei Meter hohen, vier Meter breiten und 200 Kilo schweren Riesenversion des Buches umzublättern. Im Bild: Sonja Brauner (li.) und Anna Moser KATHARINA GOSSOW Bookli Mungst „Große Reise“ – so heißt ein zweisprachiges Bilderund Malbuch für Flüchtlingskinder, das deren Geschichte erzählt. VON SYLVIA ENGEL Ein Buch baut Brücken Zu sehen ist das überdimensionale Kinderbuch-Modell derzeit in der Raiffeisenbank Gloggnitz, wo es auf Begeisterung bei Jung und Alt stößt – zur Freude der Verlegerin und der Prokuristen der Raiffeisenbank NÖ-Süd Alpin Peter Schabauer und Stefan Glatz M ungst“ steht für Mut und Angst: für den Mut, den es braucht, um sich in einer neuen Welt zurechtzufinden, und für die Angst, die die Flucht vor Krieg und Verfolgung, den Verlust des Zuhauses, geliebter Menschen und Dinge begleitet. Den Kindern als Willkommensgruß etwas Vertrautes in ihrer Sprache zu schenken und zugleich einen Bezug zu Österreich herzustellen, ist der Grundgedanke des Projekts. Entstanden ist es in Zusammenarbeit von Anna Moser von der „1band Buchmanufaktur“ im niederösterreichischen Payerbach und Sonja Brauner vom Wiener Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende Hemayat. Verteilt wird das Bilder- und Malbuch in Erstaufnahmezentren und Flüchtlingsunterkünften. Am Beginn stand die Bitte der Caritas um Sachspenden, insbesondere auch um Bilderbücher für geflüchtete Kinder. „Als ich im Sommer den Zeitungsbericht gelesen habe, ist mir rasch klar geworden, dass ich auf der Basis meiner Möglichkeiten etwas tun will“, erzählt Anna Moser und setzt nach: „Menschen, deren Muttersprache nicht anerkannt wird, können kein positives Selbstbild entwickeln. Das ist aber Voraussetzung, um eine neue Sprache zu lernen und sich zu integrieren“, weiß Moser, die aus eigener Erfahrung das Gefühl kennt, sich eine neue Welt bauen zu müssen. In ihrer jungen Buchmanufaktur, mit der sie sich auf ganz persönliche, gemein- sam mit Kindern gefertigte Bilderbücher spezialisiert hat, entwickelte sie das bookli Mungst: mit einem Flüchtlingskind im Mittelpunkt des Geschehens. Im Bewusstsein, „dass es dabei um Kinder geht, die Schlimmes hinter sich haben und oft traumatisiert sind“, machte sich Moser auf die Suche nach Experten für den Text und fand Unterstützung bei Hemayat. Die dort tätige Kinder- und Jugendtherapeutin Sonja Brauner hat die Geschichte von der „großen Reise“ verfasst: In der deutsch-arabischen Version ist es der fünfjährige Amir aus Syrien, der mit Eltern und Schwester fliehen musste. In der neuen Umgebung vermisst er ganz besonders seine geliebte Stoff-Giraffe Kasha, die er zurücklassen musste. Amir erzählt von seinem früheren Zuhause und davon, dass hier alles fremd ist und er nicht verstanden wird. Aber er erzählt auch von den neuen Freunden und Spielgefährten, die er findet. In der Dari-Übersetzung steht die sechsjährige Hiba aus Afghanistan im Zentrum der Story. „Mir war es wichtig, dass sich die Kinder in der Geschichte wiederfinden, dass sie sich verstanden und begleitet fühlen“, sagt die Therapeutin. Mit dem Buch hofft sie ein Stück Normalität vermitteln zu können – wie sie es auch im Rahmen ihrer großteils ehrenamtlichen Tätigkeit bei Hemayat tut. Gerade Kinder müssen nach traumatischen Erlebnissen möglichst rasch 1BAND.AT SPENDEN zur Begleichung der Produktionskosten von bookli Mungst bitte an: Hemayat IBAN: AT 05 20111 28 44 60 99 600 Projektname (bitte dazuschreiben): bookli Mungst Die Spenden sind steuerlich absetzbar. www.hemayat.org Auch mit dem Kauf der Bücher kann man das Projekt unterstützen. Mit dem Verkaufspreis von 7,70 Euro wird ein zweites bookli hergestellt, das wieder gratis verteilt werden kann. Bestellungen unter: [email protected]; www.1band.at kompetente Hilfe bekommen, weiß Brauner um diese Notwendigkeit auch im Interesse von Gesundheitsvorsorge und Gewaltprävention. Doch die Nachfrage nach Therapieplätzen ist weit größer als das Angebot, weil es dem Verein an finanziellen Mitteln mangelt. 336 traumatisierte Menschen stehen auf der Warteliste von Hemayat, davon 56 Minderjährige. Auch auf diese Problematik soll im Zuge des Buchprojekts aufmerksam gemacht werden. Die Dolmetscher aus dem multikulturellen Hemayat-Team haben die Geschichte mittlerweile nicht nur auf Arabisch und Dari, sondern auch auf Russisch übersetzt. Und sobald es die Finanzen erlauben, sollen Ausgaben in weiteren Sprachen in Druck gehen. „Eine Brücke zwischen den Kulturen über das Vertrautwerden mit der Sprache“, geeignet nicht nur für die Kinder, sondern auch für die Erwachsenen, die daraus vorlesen“, so Anna Moser und Sonja Brauner. Auch mitgestalten können die Kinder ihr Buch, etwa indem sie es durch eigene Zeichnungen ergänzen. Der Schluss ist bewusst offen gewählt – so offen, wie es das Schicksal vieler geflüchteter Kinder ist. – „Mal für mich einen schönen Ort. Wir fliegen alle zusammen dort hin“, heißt es tröstlich auf der letzten Seite. Nicht verwunderlich, dass die meisten Kinder hier ein Zuhause für sich und ihre Familien zeichnen.
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